OGH 4Ob203/09w

OGH4Ob203/09w23.2.2010

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** Z*****, vertreten durch die Stolz & Schartner Rechtsanwälte GmbH in Radstadt, wider die beklagte Partei K***** Betriebsgesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dr. Katharina Sedlazeck-Gschaider, Rechtsanwältin in Salzburg, wegen 10.000 EUR sA und Feststellung (Streitwert 3.000 EUR), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 14. September 2009, GZ 2 R 39/09g-33, womit das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 26. November 2008, GZ 3 Cg 70/07m-27, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 744,43 EUR (darin 124,07 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist unzulässig. Entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) - Ausspruch des Berufungsgerichts hängt die Entscheidung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO ab:

1. Der Oberste Gerichtshof vertritt die Auffassung, dass die Anforderungen an den Umfang der Aufklärung des Patienten über mögliche schädliche Auswirkungen nicht einheitlich, sondern nach den Gesichtspunkten gewissenhafter ärztlicher Übung und Erfahrung den Umständen des Einzelfalls und den Besonderheiten des Krankheitsbildes Rechnung tragend ermittelt werden können. Es können auch keine Prozentsätze (Promillesätze) dafür angegeben werden, bei welcher Wahrscheinlichkeit von Schädigungen eine Aufklärungspflicht nicht mehr besteht (RIS-Justiz RS0026529 [T4]; RIS-Justiz RS0026437 [T1]). Es kommt immer auf die Umstände des Einzelfalls an (RIS-Justiz RS0026437 [T7], RS0026529).

2.1. Nach ständiger Rechtsprechung hängt der Umfang der Aufklärungspflicht des Arztes von der Dringlichkeit des Eingriffs aus der Sicht eines verständigen Patienten ab. Ist der Eingriff zwar medizinisch empfohlen, aber nicht eilig, so ist grundsätzlich eine umfassende Aufklärung notwendig. In einem solchen Fall ist die ärztliche Aufklärungspflicht selbst dann zu bejahen, wenn erhebliche nachteilige Folgen wenig wahrscheinlich sind; es ist dann auch auf die Möglichkeit seltener - aber gravierender - Risiken hinzuweisen (RIS-Justiz RS0026772 [T4]).

2.2. Bei dringend gebotenen Behandlungen ist zwischen dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten und der ärztlichen Hilfeleistungspflicht abzuwägen. Der dringend einer Operation oder einer sonstigen ärztlichen Behandlung bedürftige Patient soll durch die Aufklärung über das Risiko nicht unnötig verunsichert werden (6 Ob 2211/96g). Bei einer dringenden Operation, die für den Patienten vitale Bedeutung hat, ist die Aufklärungspflicht des Arztes nicht zu überspannen. Insbesondere ein ängstlicher Patient soll nicht durch die Aufklärung über selten verwirklichte Operationsrisken beunruhigt und dazu veranlasst werden, eine dringliche Operation nicht vornehmen zu lassen (RIS-Justiz RS0026313 [T10]).

3. Nach allgemeinen rechtsgeschäftlichen Grundsätzen bedarf es im Fall unterlassener oder unvollständiger Aufklärung zur Bejahung einer Haftung der hypothetischen Kausalität, dass die unterlassene oder unvollständige Aufklärung, wenn sie erfolgt wäre, den Erklärungsempfänger von einem Geschäft mit bestimmtem Inhalt abgehalten hätte (vgl RIS-Justiz RS0014795). Im Zusammenhang mit ärztlichen Aufklärungspflichten gilt dies sinngemäß.

4. Im Anlassfall steht fest, dass die an der Klägerin - lege artis - durchgeführte Operation dringend medizinisch geboten war, um eine Pilzerkrankung der linken Kieferhöhle zu sanieren. Die Möglichkeit einer alternativen Behandlung bestand nicht; ohne Operation bestand das Risiko einer chronischen Kieferhöhlenentzündung (bis hin zu einer Gehirnhautentzündung: SV AS 125). Vor der Operation wurde die Klägerin zwar darüber aufgeklärt, dass als Folge der Operation Gefühlsstörungen im Gesichtsbereich eintreten können, nicht jedoch darüber, dass diese Sensibilitätsstörungen in extrem seltenen Fällen dauerhaft sein können (wie dies bei der Klägerin der Fall ist). Die Klägerin wurde nicht darüber aufgeklärt, dass für die Operation zwei Methoden zur Verfügung stehen, wobei bei der (im Anlassfall zunächst gewählten) ersten Methode das Risiko einer Sensibilitätsstörung größer ist, bei der zweiten Methode jedoch andere schwere Operationsfolgen (zB Verletzung der Hirnhaut oder der Augenhöhle) eintreten können. Das Erstgericht ist davon ausgegangen, dass die Klägerin „der Operation" [nach dem Zusammenhang offensichtlich zu ergänzen: „in der durchgeführten Form"] aufgrund der dringenden Indikation selbst dann zugestimmt hätte, wenn sie über alle Risiken aufgeklärt worden wäre.

Damit steht auf Tatsachenebene fest, dass sich die Klägerin auch bei vollständiger Aufklärung (unter Einschluss der unterschiedlichen Risiken je nach der gewählten Operationsmethode) für die (letztlich duchgeführte) Operation entschieden hätte, was bedeutet, dass es auch subjektiv an der hypothetischen Kausalität mangelt.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO. Da die Beklagte in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen hat, diente ihr Schriftsatz der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung.

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