European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0040OB00185.16H.0926.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 626,52 EUR (darin enthalten 104,42 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Mit der am 25. 6. 2015 beim Bezirksgericht Leibnitz eingebrachten und mit Beschluss vom 23. 10. 2015 an das Bezirksgericht Dornbirn überwiesenen Mahnklage begehrte der Kläger, den Beklagten zur Zahlung von 6.561,85 EUR als „Werklohn/Honorar“ gemäß einer Rechnung vom 14. 11. 2014 zu verpflichten. Der Beklagte erhob dagegen Einspruch, in dem er einen offenen Werklohnanspruch bestritt und dazu inhaltlich ausführte. In seinem vorbereitenden Schriftsatz führte der Kläger aus, dass es sich um den restlichen Werklohn für Zimmermeisterarbeiten eines bestimmten Bauprojekts handelt. Dem hielt der Beklagte in seinem vorbereitenden Schriftsatz wiederum ein umfassendes Vorbringen entgegen. Zur vorbereitenden Tagsatzung am 30. 11. 2015 erschien für den Kläger niemand, weshalb das Bezirksgericht Dornbirn auf Antrag des Beklagten die Klage mit Versäumungsurteil abwies. Die Berufung des Klägers blieb ohne Erfolg, sodass das Versäumungsurteil vom 30. 11. 2015 in Rechtskraft erwuchs.
Am 19. 4. 2016 brachte der Kläger beim Erstgericht eine weitere (inhaltlich idente) Mahnklage ein, in der er abermals beantragte, den Beklagten zur Bezahlung des „Werklohns/Honorars“ gemäß Rechnung vom 14. 11. 2014 von 6.561,85 EUR zu verpflichten. In seinem dagegen erhobenen Einspruch beantragte der Beklagte, die Klage wegen des Prozesshindernisses der rechtskräftig entschiedenen Streitsache iSd § 411 ZPO zurückzuweisen. Der Kläger habe mit der neuen Mahnklage keine neuen rechtserzeugenden Tatsachen vorgebracht. Der mit rechtskräftigem Versäumungsurteil vom 30. 11. 2015 abgewiesene Anspruch decke sich „ 1 zu 1 “ mit dem nunmehr erneut eingeklagten Anspruch. Dem hielt der Kläger entgegen, nach der Entscheidung 3 Ob 219/11v sei bei einem negativen Versäumungsurteil keine entschiedene Sache gegeben, weil der Klageabweisung im Vorprozess kein Tatsachensubstrat zu Grunde liege.
Das Erstgericht wies die Klage wegen entschiedener Rechtssache zurück. Das Versäumungsurteil im Vorprozess sei nach einem umfangreichen Vorbringen des Beklagten ergangen, sodass die nunmehrige Einklagung desselben Anspruchs wegen Vorliegens einer res iudicata unzulässig sei. Der im Schrifttum massiv kritisierten Einzelfallentscheidung 3 Ob 219/11v sei hingegen eine unsubstantiierte Bestreitung der beklagten Partei zu Grunde gelegen.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und schloss sich der Begründung des Erstgerichts an. Bei einer Klageabweisung im Wege eines negativen Versäumungsurteils erstrecke sich die rechtskräftige Verneinung auf den vom Erstgericht zur Abweisung herangezogenen Sachverhalt. Dies sei hier das infolge Versäumung der Verhandlung durch den Kläger für wahr zu haltende Vorbringen des erschienenen Beklagten. Damit könne dem Urteil sehr wohl ein „maßgeblicher Sachverhalt“ entnommen werden. Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage vorliege, ob res iudicata auch bei einem negativen Versäumungsurteil vorliege, das nach einem substantiierten Bestreiten des Klagsvorbringens ergangen sei.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Klägers, der auf eine Behebung der Zurückweisungsbeschlüsse der Vorinstanzen abzielt.
Mit seiner Revisionsrekursbeantwortung beantragt der Beklagte, dem Revisionsrekurs den Erfolg zu versagen.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht angeführten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.
1.1 Die Einmaligkeitswirkung der materiellen Rechtskraft („ne bis in idem“) verhindert eine neuerliche Entscheidung über die bereits entschiedene Hauptfrage. So wie die Streitanhängigkeit verwehrt auch die Rechtskraft einen zweiten Prozess und eine zweite Sachentscheidung über denselben Streitgegenstand ( Rechberger/Simotta , ZPR 8 Rz 880). Die Zurückweisung einer Klage wegen Einmaligkeitswirkung der Rechtskraft setzt Identität der Streitgegenstände der beiden Verfahren voraus (RIS-Justiz RS0041340). Die Einmaligkeitswirkung greift demnach dann ein, wenn der in der neuen Klage geltend gemachte Anspruch sowohl hinsichtlich des Begehrens als auch im rechtserzeugenden Sachverhalt mit jenem des rechtskräftig entschiedenen Vorprozesses übereinstimmt (RIS-Justiz RS0039347; vgl auch Fasching/Klicka in Fasching/Konecny 2 § 411 ZPO Rz 43).
1.2 Das Prozesshindernis der rechtskräftig entschiedenen Streitsache (vgl § 239 Abs 3 Z 1 ZPO) stellt somit darauf ab, ob über einen bestimmten Streitgegenstand eine rechtskräftige Sachentscheidung vorliegt, „über den Klagsanspruch“ also bereits rechtskräftig entschieden wurde (vgl § 475 Abs 1 ZPO). Bei einem Urteil im Sinne der ZPO wird immer in der Sache entschieden ( Rechberger in Rechberger 4 ZPO Vor § 390 Rz 1), zumal es – anders als nach der dZPO – keine Prozessurteile gibt. Der Hinweis im Rechtsmittel, dass dem Kläger die neuerliche Einklagung bei einer Klagezurückweisung wegen Unzuständigkeit möglich sei, übersieht, dass eine solche Klagezurückweisung mit Beschluss und damit nicht in Form einer Sachentscheidung erfolgt.
1.3 Im hier zu beurteilenden Fall decken sich das Klagebegehren und der Klagegrund des Vorprozesses mit dem Klagebegehren und dem Klagegrund des gegenständlichen Verfahrens, sodass im Lichte der herrschenden zweigliedrigen Streitgegenstandstheorie von der Identität des Streitgegenstands beider Verfahren auszugehen ist; dies wird im Rechtsmittel auch nicht bestritten.
2. Der Oberste Gerichtshof hat bereits klargestellt, dass nicht nur jene Urteile der materiellen Rechtskraft zugänglich sind, die in streitiger Weise zustande gekommen sind, denen somit ein kontradiktorisches Verfahren zugrundeliegt (RIS-Justiz RS0120239; zuletzt 8 ObA 62/11t). § 411 ZPO unterscheidet nicht zwischen einzelnen Urteilsarten, sodass allen Urteilen Rechtskraftwirkung und damit Einmaligkeitswirkung zukommt ( Deixler-Hübner in Fasching/Konecny 2 § 396 ZPO Rz 3; Rechberger in Rechberger 4 ZPO § 411 Rz 5). Auch Versäumungsurteile sind Sachentscheidungen, die in materieller Rechtskraft erwachsen (1 Ob 217/75 SZ 48/113; 4 Ob 163/05g; RIS‑Justiz RS0105380, RS0016737 und RS0040762; Fasching/Klicka in Fasching/Konecny 2 § 411 ZPO Rz 23).
Aus dem im Rechtsmittel zitierten Aufsatz von Burgstaller (Zur Bindungswirkung von Säumnisentscheidungen, JBl 1999, 563) ist dabei für den Standpunkt des Klägers nichts abzuleiten, weil auch dieser Autor die Ansicht vertritt, dass Säumnisentscheidungen Einmaligkeitswirkung aufweisen. Zur vergleichbaren Rechtslage in Deutschland judiziert der BGH, dass die Rechtskraft eines klageabweisenden Versäumungsurteils die erneute gerichtliche Geltendmachung des Klagsanspruchs in jedem Fall unzulässig macht (BGH XI ZR 90/02 NJW 2003, 1044).
3. Unter Hinweis auf die Entscheidung 3 Ob 219/11v geht der Kläger davon aus, dass einem negativen Versäumungsurteil (generell) keine Einmaligkeitswirkung zukomme.
3.1 Ein sogenanntes negatives Versäumungsurteil liegt dann vor, wenn das Klagebegehren wegen Säumnis des Klägers auf Antrag des erschienen Beklagten abgewiesen wird ( Deixler-Hübner in Fasching/Konecny 2 § 396 ZPO Rz 15 mwN).
Als „negatives Versäumungsurteil“ wird hier nicht ein solches verstanden, mit dem die Klage bei Säumnis des Beklagten oder des Klägers wegen Unschlüssigkeit abgewiesen wird („Unschlüssigkeitsurteil“).
3.2 Aus dem Gesetz ist nicht abzuleiten, dass nur positive Versäumungsurteile von der Einmaligkeitswirkung umfasst wären. Der Senat schließt sich der vereinzelt gebliebenen Entscheidung 3 Ob 219/11v, die im Schrifttum auf Ablehnung stieß ( Koller/Scholz , Rechtskraftwirkung des klagsabweisenden Versäumungsurteils, ecolex 2013, 333; Rechberger in Rechberger 4 ZPO § 411 Rz 5), insoweit nicht an, als es bei einem negativen Versäumungsurteil an einem „maßgeblichen Sachverhalt“ fehlen soll. Unabhängig davon, ob der Beklagte das Klagsvorbringen substantiiert oder nur unsubstantiiert bestreitet, liegt nämlich jedem negativen Versäumungsurteil ein maßgeblicher Sachverhalt zugrunde ( Koller/Scholz , ecolex 2013, 335 f).
3.3 Entscheidungsgrundlage eines Versäumungs-urteils ist das tatsächliche Vorbringen der erschienenen Partei, dieses ist „für wahr zu halten“ (§ 396 Abs 1 und 2 ZPO; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny 2 § 396 ZPO Rz 14; Rechberger in Rechberger 4 ZPO § 396 Rz 2). Erstattet der Beklagte vor der Erlassung eines negativen Versäumungsurteils ein inhaltliches Vorbringen, ist dieses der Entscheidung zu Grunde zu legen, wobei das Gericht die Schlüssigkeit der inhaltlichen Ausführungen des Beklagten prüfen muss, weil die Säumnis des Klägers keine Unschlüssigkeiten des Vorbringens der erschienenen Partei deckt ( Deixler-Hübner in Fasching/Konecny 2 § 396 ZPO Rz 14). Bei einem unsubstantiierten Bestreiten wird von der Schlüssigkeit des Urteilsantrags des Beklagten ausgegangen (vgl 2 Ob 127/67 SZ 40/89; Rechberger in Rechberger 4 ZPO § 396 Rz 9). Auch in einem solchen Fall liegt der Entscheidung aber aufgrund der Bestreitung durch den Beklagten ein Tatsachensubstrat zugrunde, nämlich des Inhalts, dass die Tatsachenbehauptungen des Klägers eben nicht zutreffen ( Koller/Scholz , ecolex 2013, 336; vgl bereits Sperl , Urtheile in Versäumnisfällen [1898] 36).
3.4 In beiden Fällen bedarf es außer dem Antrag auf Fällung eines Versäumungsurteils gegen den nicht erschienenen Kläger nicht auch noch des mündlichen Vortrags des schriftlich erstatteten Vorbringens und der Wiederholung des Antrags auf Klageabweisung; insofern schränkt § 396 ZPO den Grundsatz der Mündlichkeit der Verhandlung ein (1 Ob 188/06p und 5 Ob 169/13h jeweils mwN).
3.5 Die Vorinstanzen sind im Ergebnis daher zutreffend davon ausgegangen, dass der Entscheidung im Vorprozess ein maßgeblicher Sachverhalt zu Grunde lag und das dort ergangene negative Versäumungsurteil Einmaligkeitswirkung auslöst. Diese Ansicht findet in einer historischen Auslegung Deckung. Der historische Gesetzgeber hatte ursprünglich erwogen, dass das Ausbleiben des Klägers nur die Fiktion einer Klagerücknahme zur Folge haben soll (Materialien I 330). Der ursprüngliche Entwurf wurde später aber im Hinblick auf das Gebot der Gleichbehandlung mit dem Ziel geändert, „ das Versäumungsurteil als meritorischen Spruch zu gestalten “ (Materialien II 324). Ratio der letztendlich eingeführten Bestimmung ist es also, sowohl bei Beklagten- als auch bei Klägersäumnis eine endgültige Sachentscheidung entweder im abweisenden oder im stattgebenden Sinn herbeizuführen, die einem neuen Streit über denselben Anspruch entgegenstehen sollte ( Sperl , Urtheile in Versäumnisfällen [1898], 26 ff; Koller/Scholz , ecolex 2013, 334).
4. Aus der in der Entscheidung 3 Ob 219/11v gezogenen Parallele zur Klageeinschränkung unter Anspruchsverzicht, wonach dieser weder Bindungs- noch Präklusionswirkung für Folgeprozesse zuzuerkennen sei, ist für den hier zu beurteilenden Fall nichts abzuleiten, weil gegenständlich nur die Einmaligkeitswirkung zu beurteilen ist. § 237 Abs 4 ZPO ordnet ausdrücklich an, dass die unter Anspruchsverzicht zurückgenommene Klage nicht neuerlich angebracht werden kann, was im Ergebnis der Einmaligkeitswirkung der entschiedenen Rechtssache entspricht (vgl RIS‑Justiz RS0039721; Lovrek in Fasching/Konecny 2 § 237 ZPO Rz 31). Würde man die Einmaligkeitswirkung des negativen Versäumungsurteils verneinen, könnte der Kläger in diesen Fällen die Folgen des § 237 ZPO einfach durch Nichterscheinen umgehen (zutreffend Koller/Scholz , ecolex 2013, 335). Dem Gesetz kann ein derartiger Wertungswiderspruch nicht unterstellt werden.
5. Die Vorinstanzen sind somit zu Recht davon ausgegangen, dass der Klage das Prozesshindernis der entschiedenen Rechtssache entgegensteht, sodass dem Revisionsrekurs keine Folge zu geben war.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 und 52 ZPO.
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