European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2008:0040OB00179.08I.1118.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei hat der klagenden Partei die mit 1.678,68 EUR (darin 279,78 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung
Mit Telefax vom 23. 4. 2007 hatte der zunächst zur Vertretung der Klägerin bestellte Rechtsanwalt Dr. Siegfried H***** das Erstgericht über die Auflösung des Vollmachtsverhältnisses mit der klagenden Partei informiert. In der darauffolgenden Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 24. 4. 2007 erschien für die Klägerin Dr. Herbert G*****. Er erklärte, die Klägerin habe Dr. H***** für diese Tagsatzung neuerlich Vollmacht erteilt, er selbst schreite als dessen Substitut ein. Der Beklagte berief sich daraufhin auf eine Ruhensvereinbarung vom 19. 4. 2007 und erklärte, nicht verhandeln zu wollen. Nach seiner Information habe die Klägerin das Vollmachtsverhältnis zu Dr. H***** gekündigt. Sie sei demnach nicht mehr vertreten.
Über Auftrag des Erstgerichts legte daraufhin Dr. H***** eine Vollmacht der Klägerin vom 24. 4. 2007 vor, worin deren Geschäftsführer „MMR Dr. Herbert G*****" bevollmächtigte, die Klägerin in der Tagsatzung vom 24. 4. 2007 zu vertreten. Im nachfolgenden Schriftverkehr erklärte die Klägerin, Dr. H***** nicht zur Vertretung in dieser Tagsatzung bevollmächtigt zu haben.
Das Erstgericht stellte mit Beschluss vom 26. 9. 2007 fest, dass am 24. 4. 2007 Ruhen des Verfahrens eingetreten sei. Dr. Herbert G***** habe sich ausdrücklich auf eine Dr. H***** erteilte Prozessvollmacht berufen und sei selbst nur als dessen Substitut eingeschritten. Eine Bevollmächtigung habe die Klägerin nicht nachgewiesen. Sie sei daher in der Tagsatzung vom 24. 4. 2007 nicht vertreten gewesen. Die Beklagte habe erklärt, nicht verhandeln zu wollen, sodass Ruhen des Verfahrens eingetreten sei.
In ihrem dagegen am 17. 10. 2007 erhobenen Rekurs stellte die Klägerin eventualiter auch einen Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens.
Das Rekursgericht wies den Rekurs der Klägerin zunächst als verspätet zurück. Ein Antrag der Klägerin auf amtswegige Berichtigung des „unrichtigen Eingangsvermerks" und Wiedereinsetzung führte zu Erhebungen des Erstgerichts. Sie ergaben die Rechtzeitigkeit des Rekurses.
Nach neuerlicher Vorlage des Rechtsmittels gab das Rekursgericht dem Rekurs der Klägerin gegen den erstgerichtlichen Feststellungsbeschluss Folge und trug dem Erstgericht die Fortsetzung des gesetzmäßigen Verfahrens auf. Die Rekursbeantwortung der Beklagten wies es (rechtskräftig) zurück. Die Klägerin habe das Vollmachtsverhältnis mit Dr. H***** am 19. 4. 2007 beendet. Dr. H***** sei daher noch weitere vierzehn Tage, somit auch noch in der Tagsatzung vom 24. 4. 2007 berechtigt und verpflichtet gewesen, die Klägerin zu vertreten. Ob ihm die Klägerin für diese Tagsatzung neuerlich Vollmacht erteilt habe, könne offen bleiben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs der Beklagten ist zulässig, aber nicht berechtigt.
1. Das Rekursgericht hatte erkennbar vom Selbsthilferecht des § 522 Abs 1 ZPO Gebrauch gemacht und den zuvor zu Unrecht als verspätet zurückgewiesenen Rekurs der Klägerin inhaltlich behandelt. Dass das Selbstabhilferecht (siehe dazu Zechner in Fasching/Konecny² IV/1 § 522 ZPO Rz 1, 2) zu Unrecht oder auf unzulässige Weise in Anspruch genommen worden wäre, hat die Beklagte nicht geltend gemacht.
2. Das Rekursgericht trug dem Erstgericht in Abänderung dessen Entscheidung die Verfahrensfortsetzung auf. Obgleich ein Ausspruch über die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit des ordentlichen Revisionsrekurses unterblieb, bedarf es keiner Ergänzung der rekursgerichtlichen Entscheidung, weil der Entscheidungsgegenstand, über den das Rekursgericht entschied, 20.000 EUR überstieg. Das Rechtsmittel der Beklagten ist daher gemäß § 528 Abs 3 ZPO iVm § 505 Abs 4 ZPO (von der Frage nach dem Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage abgesehen) zumindest als außerordentliches Rechtsmittel zulässig.
3.1. Im Revisionsrekurs der Beklagten wird eine Wiederherstellung der erstgerichtlichen Entscheidung (Feststellung des Ruhens des Verfahrens seit 24. 4. 2007) angestrebt. Geltend gemacht wird, die Klägerin sei in der Tagsatzung vom 24. 4. 2007 nicht vertreten gewesen, sodass Ruhen des Verfahrens eingetreten sei. § 36 Abs 2 ZPO komme nur bei einer Kündigung der Vollmacht durch den Rechtsanwalt selbst zur Anwendung. Habe die Partei das Vollmachtsverhältnis beendet, sei der Rechtsanwalt hingegen nicht verpflichtet, deren Interessen weiter zu vertreten. Im Übrigen wird eine Ruhensvereinbarung ins Treffen geführt.
3.2. Gemäß § 36 Abs 1 ZPO erlangt die durch Widerruf (durch den Machtgeber) oder durch Kündigung (durch den Bevollmächtigten) herbeigeführte Aufhebung der Vollmacht zur Prozessführung dem Prozessgegner gegenüber erst dann rechtliche Wirksamkeit, wenn ihm das Erlöschen der Vollmacht, in Rechtssachen, in welchen die Vertretung durch Rechtsanwälte geboten ist, durch die Bestellung eines anderen Rechtsanwalts von der Partei angezeigt wird. Die Anzeige hat durch Zustellung eines Schriftsatzes zu geschehen.
§ 36 Abs 1 ZPO gilt in gleicher Weise gegenüber dem Gericht (RIS‑Justiz RS0035744). In einem Verfahren mit absoluter Anwaltspflicht - wie hier - bedarf die durch Widerruf oder Kündigung herbeigeführte Aufhebung der Vollmacht zu ihrer Wirksamkeit gegenüber dem Gericht und dem Prozessgegner demnach der Anzeige, dass ein anderer Rechtsanwalt zur Vertretung bestellt wurde. Mangels einer derartigen Anzeige ist die bloße Mitteilung über die Auflösung des Vollmachtsverhältnisses im Außenverhältnis wirkungslos. Solange die Partei nicht die Bestellung eines anderen Rechtsvertreters bekannt gibt, hat das Gericht den bisher ausgewiesenen Prozessbevollmächtigten weiterhin als solchen zu behandeln. Dies gilt auch dann, wenn das Gericht auf andere Weise Kenntnis des Vollmachtswiderrufs erlangte (1 Ob 4/99s = SZ 72/31; 1 Ob 335/99t = SZ 73/56; RIS‑Justiz RS0109541 und RS0035736; Zib in Fasching/Konecny² II/1 § 36 ZPO Rz 20; Fucik in Rechberger³ § 36 Rz 2).
3.3. Wendet man diese Grundsätze im vorliegenden Fall an, so war der Rechtsvertreter der Klägerin Dr. H***** ungeachtet einer allenfalls vorangegangenen Vollmachtskündigung noch berechtigt, in der Tagsatzung vom 24. 4. 2007 für die Klägerin einzuschreiten und sich dort durch einen Substituten vertreten zu lassen. Ob ihn die Klägerin zur Vertretung in dieser Tagsatzung neuerlich bevollmächtigte, ist nicht entscheidend.
4. Die Beklagte beruft sich erneut auf eine mit der Klägerin außergerichtlich getroffene Ruhensvereinbarung.
Für den Eintritt der Ruhenswirkung genügt es nicht, dass eine außergerichtlich getroffene Ruhensvereinbarung dem Gericht zur Kenntnis gelangt (stRsp RIS‑Justiz RS0036764, RS0036676 und RS0036770). Unter „außergerichtlich" werden auch Ruhensvereinbarungen verstanden, die nicht vor dem Prozessgericht geschlossen wurden (6 Ob 1540/95). Die Ruhenswirkung für das Verfahren setzt voraus, dass die Vereinbarung dem Gericht entweder durch gemeinsame Erklärung zu Protokoll oder durch einen gemeinsamen Schriftsatz, zumindest aber in übereinstimmenden Schriftsätzen, angezeigt wird. Im Anwaltsprozess müssen diese Schriftsätze durch die Rechtsvertreter der Parteien unterfertigt sein (Fink in Fasching/Konecny² II/2 § 168 ZPO Rz 3 mwN).
Im vorliegenden Fall kam es weder zu einer übereinstimmenden Ruhensanzeige, noch blieb die Verhandlung vom 24. 4. 2007 durch beide Parteien unbesucht. Die Beklagte hat sich in dieser Tagsatzung wohl auf eine außergerichtliche - nach den oben wiedergegebenen Grundsätzen aber nicht wirksame - Ruhensvereinbarung berufen, die Klägerin, vertreten durch ihren bisherigen Anwalt, hat einem Ruhen in der Tagsatzung weder zugestimmt noch die Verhandlung unbesucht gelassen. Ein Ruhen des Verfahrens ist somit nicht eingetreten.
5. Das Rekursgericht hat somit - im Ergebnis zutreffend - dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens aufgetragen.
6. Die Kostenentscheidung im hier maßgebenden selbständigen Zwischenstreit beruht auf §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO. Von der Zweiseitigkeit des Revisionsrekursverfahrens analog § 521a ZPO ist auszugehen, weil das Rechtsmittel einen prozessualen Rechtsschutzanspruch zum Gegenstand hat (Zechner in Fasching/Konecny² IV/1 Vor §§ 514 ff ZPO Rz 124 ff, Rz 132 ff mwN; § 521a ZPO Rz 3 mwN; Kodek in Rechberger³ § 521a Rz 5).
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