OGH 4Ob147/93

OGH4Ob147/932.11.1993

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr.Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek, Dr.Niederreiter, Dr.Redl und Dr.Griß als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*****brauerei*****, Franz H***** & Comp.,***** vertreten durch Dr.Günther Dobretsberger und Dr.Martin Steininger, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei Ö*****-Aktiengesellschaft, *****vertreten durch Dr.Christian Beurle und andere Rechtsanwälte in Linz, wegen Unterlassung (Streitwert im Provisorialverfahren: 500.000 S), infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Rekursgericht vom 22.Juni 1993, GZ 3 R 131/93-11, womit der Beschluß des Landesgerichtes Linz vom 29.April 1993, GZ 5 Cg 102/93-6, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß er unter Einschluß des bestätigten Teils wie folgt zu lauten hat:

"Einstweilige Verfügung

Zur Sicherung des Anspruches der klagenden Partei wider die beklagte Partei auf Unterlassung wettbewerbswidriger Handlungen wird der beklagten Partei ab sofort für die Dauer dieses Rechtsstreites bis zu dessen rechtskräftigen Beendigung verboten, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs

1. Kunden der klagenden Partei zum Bruch eines bestehenden Vertrages mit der klagenden Partei zu verleiten, dies insbesondere dadurch, daß sie sich bereit erklärt, die Kosten einer allfälligen Auseinandersetzung des Kunden mit der klagenden Partei zu übernehmen;

2. Die Gaststätte in O***** für die Dauer der aufrechten Bindungswirkung des mit der klagenden Partei bestehenden Bierbezugsvertrages mit Bier zu beliefern.

Hingegen wird das Mehrbegehren auf Untersagung der Bierbelieferung dieser Gaststätte bis zur Abnahme von weiteren 903 hl Bier bei der klagenden Partei abgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten des Provisorialverfahrens vorläufig selbst zu tragen; die beklagte Partei hat die Kosten des Provisorialverfahrens endgültig selbst zu tragen."

Die klagende Partei hat die Kosten des Rechtsmittelverfahrens vorläufig selbst zu tragen; die beklagte Partei hat die Kosten des Rechtsmittelverfahrens endgültig selbst zu tragen.

Text

Begründung

Sowohl die Klägerin als auch die Beklagte sind Bierproduzenten.

Leopold H***** betreibt in O***** ***** das Gasthaus "Z*****". Er schloß am 29.7.1974 mit der Klägerin eine Vereinbarung, derzufolge er sich gegen die leihweise Überlassung eines Faßbier-Pultes und einer Ausschankvorrichtung im Gesamtwert von 20.875,36 S durch die Klägerin dazu verpflichtete, Bier ausschließlich von der Klägerin zu beziehen, und zwar bis zur Abnahme von 2.200 hl, mindestens aber auf die Dauer von zehn Jahren. Mit Vereinbarung vom 10.10./24.10.1975 verkaufte die Klägerin dem Leopold H***** eine Faßbier-Ausschankvorrichtung im Wert von 15.000 S, zahlbar in 24 monatlichen Raten zu je 500 S; der Rest von ca 5.000 S einschließlich Zinsen wurde dem Gastwirt gegen Übernahme der Verpflichtung erlassen, die Bierbezugsverpflichtung vom 29.7.1974 um fünf Jahre, somit bis 29.7.1989 bzw bis zur weiteren Abnahme von 500 hl (insgesamt 2.700 hl ab 29.7.1974) zu verlängern.

Mit Vereinbarung vom 15.2.1980 verpflichtete sich die Klägerin zur Zahlung von 20.000 S an Leopold H*****; dieser verpflichtete sich, die laut "Anbot" vom 29.7.1974 und laut "Kaufvertrag" vom 10.10.1975 bestehende Bierbezugsverpflichtung von 2.700 hl ab 29.7.1974 weiterhin einzuhalten. Mit Vereinbarung vom 3.3.1984 verpflichtete sich die Klägerin zur Zahlung von weiteren "30.000 S + MwSt" an Leopold H***** während sich dieser verpflichtete, die gemäß früheren Vereinbarungen bereits bis zum 28.7.1989, mindestens jedoch auf die Dauer einer ununterbrochenen Abnahme von 2.700 hl, gerechnt ab 29.7.1974, bestehende Bierabnahmeverpflichtung "weiterhin vollkommen anzuerkennen und einzuhalten".

Am 24.5.1988 schlossen die Klägerin und Leopold H***** eine "Kooperationsvereinbarung", in welcher sich die Klägerin zur Zahlung von "30.000 S plus USt" gegen Besicherung durch einen Blankowechsel verpflichtete. Der Vertragstext lautete - auszugsweise - wie folgt:

"1) .....

Dieser Beitrag wird aliquot der Erfüllung der nachstehenden Abnahmeverpflichtung abgeschrieben, u.zw. beginnend mit der Unterfertigung der Zweitschrift dieses Schreibens bzw Auszahlung des Beitrages bis zur Erreichung einer restlichen Hektoliter-Menge (aus früheren Verträgen) von 1272 Hektolitern ab 1.5.1988.

2) In Ansehung der vorstehenden Leistung wird die laut früheren Verträgen zwischen Ihnen und uns bereits bestehende ausschließliche Bierabnahmevereinbarung hiemit wiederholt und neuerlich bestätigt.

.....

3) Alle sonstigen Bestimmungen der bereits bisher bestehenden Verträge bleiben unverändert aufrecht. ........"

Seit Abschluß dieser Kooperationsvereinbarung hat Leopold H***** noch insgesamt 369 hl Bier von der Klägerin bezogen. Seit Beginn des Jahres 1993 bezieht er das Bier von der Beklagten. Diese hatte den Wirt seit mehr als zehn Jahren mit alkoholfreien Getränken beliefert. Noch im Jahr 1992 prüfte sie die vom Gastwirt mit der Klägerin in den Jahren 1974, 1975, 1980 und 1984 abgeschlossenen Vereinbarungen und kam dabei zu der Auffassung, daß seine Bierbezugsverpflichtung schon auf Grund der überlangen Bindungsdauer sittenwidrig und daher nichtig sei. Dies teilte die Beklagte dem Leopold H***** auch mit; sie hatte damals von der Kooperationsvereinbarung vom 24.5.1988 keine Kenntnis. Ende 1992 führte die Beklagte im Gasthaus des Leopold H***** auf dessen Wunsch eine Verkostung ihres Biers durch. Bevor sich der Gastwirt zum Bierbezug von der Beklagten entschloß, fragte er noch nach, was im Fall des Auftretens rechtlicher Differenzen mit der Kägerin geschehen werde. Die Beklagte teilte ihm neuerlich mit, daß die Verträge ihrer Ansicht nach nicht mehr gültig seien und sagte ihm zu, daß sie ihm im Fall einer Streitigkeit mit der Klägerin den Anwalt Dr.B***** kostenlos zur Verfügung stellen werde.

Mit Schreiben vom 13.1.1993 forderte die Klägerin die Beklagte unter Hinweis auf die Kooperationsvereinbarung vom Mai 1988 zur Unterlassung einer weiteren Umwerbung des Gastwirtes Leopold H***** auf. Daraufhin erkundigte sich der Gebietsleiter der Beklagten bei dem Gastwirt nach dieser Vereinbarung, erhielt aber die Auskunft, daß Leopold H***** keine Vereinbarung unterfertigt, aber "möglicherweise irgendetwas bestätigt" habe. Die Beklagte hat erstmals im Zuge des vorliegenden Verfahrens in die schriftliche Kooperationsvereinbarung vom 24.5.1988 Einsicht genommen.

Mit der Behauptung, die Beklagte habe den Gastwirt Leopold H***** dadurch in sittenwidriger Weise (§ 1 UWG) zum Bruch des mit der Klägerin bestehenden Bierbezugsvertrages verleitet, daß sie ihm in Wettbewerbsabsicht für den Fall einer Auseinandersetzung mit der Klägerin die Übernahme der Kosten versprochen habe und den Gastwirt nunmehr mit ihrem Bier beliefere, obwohl sie keinesfalls mit überwiegender Wahrscheinlichkeit von einer Ungültigkeit des bestehenden Bierbezugsvertrages hätte ausgehen dürfen, beantragt die Klägerin zur Sicherung eines inhaltsgleichen Unterlassungsanspruches der Beklagten mit einstweiliger Verfügung zu untersagen, daß sie Kunden der Klägerin, insbesondere dadurch, daß sie sich bereit erklärt, die Kosten einer allfälligen Auseinandersetzung des Kunden mit der Klägerin zu übernehmen, zum Bruch eines mit der Klägerin bestehenden Vertrages verleitet und daß sie die Gaststätte in O********** während der Dauer des bestehenden Bezugsvertrages mit der Klägerin, demnach bis zur Abnahme von weiteren 903 hl Bier von der Klägerin, mit Bier beliefert.

Die Beklagte beantragt die Abweisung des Sicherungsbegehrens. Die Bierbezugsverpflichtung des Gastwirtes gehe auf die Vereinbarung vom 29.7.1974 zurück, so daß sich selbst unter Berücksichtigung der Folgevereinbarungen aus den Jahren 1975, 1980 und 1984 Anfang 1993 eine Bindungsdauer von fast achtzehn Jahren ergebe. Schon zu diesem Zeitpunkt sei daher die Bierbezugsvereinbarung wegen der überlangen Dauer der ausschließlichen Bindung des Gastwirtes sittenwidrig gewesen. Die Ungültigkeit ergebe sich auch aus der krassen Unangemessenheit der dem Gastwirt versprochenen Gegenleistungen der Klägerin, habe doch die Beklagte in allen diesen Jahren den Gastwirten für ausschließliche Bezugsverpflichtungen wesentlich höhere Gegenleistungen gewährt. Die Vereinbarung vom 24.5.1988 sei der Beklagten nicht bekannt gewesen; sie ändere aber nichts daran, daß sie die Bezugsverpflichtung des Gastwirtes für nichtig halten durfte, sei mit ihr doch keine neue Vertragsverpflichtung begründet, sondern nur die bestehende bestätigt worden. Die Beklagte habe dem Gastwirt nicht die Übernahme einer Konventionalstrafe oder des gesamten Prozeßkostenrisikos zugesagt, sondern ihm nur angeboten, gegebenenfalls für eine Rechtsvertretung durch die Kanzlei der Beklagtenvertreter zu sorgen.

Das Erstgericht erließ die beantragte einstweilige Verfügung. Die Beklagte habe schon allein dadurch, daß sie dem Gastwirt die als bescheinigt angenommenen Rechtsauskünfte erteilt, ihm gegenüber die Erklärung zur Übernahme des Kostenrisikos im Falle einer gerichtlichen Auseinandersetzung mit der Klägerin abgegeben habe und ihn nunmehr mit Bier beliefere, beim Vertragsbruch des Gastwirtes mitgewirkt und damit gegen die guten Sitten (§ 1 UWG) verstoßen. Sie habe die vertragliche Bezugsverpflichtung des Gastwirtes nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit für nichtig halten dürfen, weil die Kooperationsvereinbarung vom 24.5.1988 erst eine Laufzeit von rund fünf Jahren aufgewiesen habe und eine allfällige Nichtigkeit nur vom Vertragspartner, nicht aber von einem außenstehenden Dritten geltend gemacht werden könne.

Das Rekursgericht wies den Sicherungsantrag ab; es sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes 50.000 S übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Die zwischen der Klägerin und dem Gastwirt abgeschlossenen Bierbezugsvereinbarungen seien als einheitlicher Vertrag zu sehen. Selbst nach dem Vorbringen der Klägerin würde der Gastwirt zur Erfüllung seiner Bierbezugsverpflichtung - gerechnet ab 1.5.1988 - noch zwölf Jahre benötigen. Zusammen mit den vierzehn Jahren, die der Vertrag zu diesem Zeitpunkt bereits gedauert habe, ergebe sich eine Bindungsdauer von rund sechsundzwanzig Jahren, welche aber nach dem von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen sittenwidrig und nichtig sei. Daran könnten auch die von der Klägerin in den Jahren 1980, 1984 und 1988 erbrachten weiteren Gegenleistungen nichts ändern, weil der Gastwirt darauf keinen Anspruch gehabt habe und sie auch in ihrer Gesamtheit nicht so günstig gewesen seien, daß sie die überlange Bindungsdauer rechtfertigten. Ende 1992, zum Zeitpunkt ihrer Bierverkostung beim Gastwirt, habe der Vertrag bereits mehr als achtzehn Jahre gedauert und daher von der Beklagten als sittenwidrig und nichtig erachtet werden können. Das beanstandete Verhalten der Beklagten verstoße demnach nicht gegen die guten Sitten des § 1 UWG.

Gegen die Entscheidung des Rekursgerichtes wendet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Klägerin mit dem Antrag auf Wiederherstellung der einstweiligen Verfügung des Erstgerichtes; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt in der ihr freigestellten Revisionsrekursbeantwortung die Zurückweisung des außerordentlichen Rechtsmittels als unzulässig; hilfsweise stellt sie den Antrag, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Der Revisionsrekurs ist entgegen der Meinung der Beklagten schon deshalb zulässig, weil das Rekursgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Teilnichtigkeit des Bierbezugs wegen zeitlich überlanger Bindung des Gastwirtes abgewichen ist, und überdies eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu der Frage fehlt, ob und wie sich der Abschluß die Bierbezugsverpflichtung bestätigender oder verlängernder Verträge noch während der Laufzeit eines Bierbezugsvertrages auf dessen allfällige Teilnichtigkeit wegen einer zeitlich übermäßigen Beschränkung der wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit des Vertragspartners (Gastwirtes) auswirkt. Das Rechtsmittel ist auch zum größten Teil berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Nach herrschender Lehre und Rechtsprechung verstößt der - in Wettbwerbsabsicht unternommene - Versuch, den Kunden eines Mitbewerbers zum Bruch seiner vertraglichen Verpflichtungen gegenüber diesem Konkurrenten zu verleiten, ebenso gegen die guten Sitten im Sinne des § 1 UWG wie das planmäßige Fördern oder Unterstützen einer solchen Verletzung bestehender rechtlicher Bindungen (Hohenecker-Friedl, Wettbewerbsrecht 84; Baumbach-Hefermehl, Wettbewerbsrecht17, 662 f Rz 698 zu § 1 dUWG; SZ 61/145; ÖBl 1991, 224 mwN). Das gezielte Einwirken auf einen Schuldner, um ihn zum Vertragsbruch zu verleiten, ist auch ohne Wettbewerbsabsicht in aller Regel rechtswidrig (ÖBl 1992, 166 mwN). Wer aber, um selbst ins Geschäft zu kommen, dem Kunden eines Mitbewerbers behilflich ist, einen Vertrag mit diesem Konkurrenten abzuschütteln, handelt nur dann nicht sittenwidrig, wenn sich der Vertrag mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als ungültig darstellt (SZ 33/64; ÖBl 1963, 107; ÖBl 1970, 99; ÖBl 1984, 120; ÖBl 1987, 45 uva).

Nach dem als bescheinigt angenommenen Sachverhalt hat die Beklagte nach Prüfung der von dem Gastwirt mit der Klägerin in den Jahren 1974, 1975, 1980 und 1984 abgeschlossenen Verträge dem Gastwirt erklärt, daß seine Bierbezugsverpflichtung schon wegen der überlangen Bindungsdauer nicht mehr gültig sei. Sie hat Ende 1992 auf Wunsch des Gastwirtes in seinem Gasthaus eine Verkostung ihres Biers durchgeführt und ihm auf eine entsprechende Frage zugesichert, daß sie im Fall einer Streitigkeit mit der Klägerin kostenlos einen Rechtsanwalt zur Verfügung stellen werde. Schließlich beliefert die Beklagte den Gastwirt seit Jahresbeginn 1993 mit ihrem Bier.

Entscheidend für die Lösung des vorliegenden Rechtsfalles ist demnach die Frage, ob die Beklagte schon auf Grund einer bloßen Prüfung der ihr vom Gastwirt vorgelegten schriftlichen Verträge mit gutem Grund der Meinung sein konnte, daß diese mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ungültig seien. Dabei ist auch die der Beklagten zunächst nicht bekannte Kooperationsvereinbarung vom 24.5.1988 mit einzubeziehen, vertritt doch die Beklagte auch nach ihrer Kenntnisnahme noch die Auffassung, daß sie an der Rechtmäßigkeit ihres Verhaltens nichts ändern könne. Im übrigen muß aber ein Mitbewerber, der die Gültigkeit eines Vertragsverhältnisses des Kunden eines Mitbewerbers prüft, um selbst mit diesem Kunden ins Geschäft zu kommen, immer damit rechnen, vom Kunden des Konkurrenten nicht vollständig informiert zu werden, weshalb letzteres stets zu seinen Lasten geht.

Zur Frage der überwiegenden Wahrscheinlichkeit der Ungültigkeit der vertraglichen Bierbezugsverpflichtung des Leopold H***** gegenüber der Klägerin zum maßgeblichen Zeitpunkt (Jahreswechsel 1992/93) hat der erkennende Senat folgendes erwogen:

Lehre und Rechtsprechung in Österreich - und in der Bundesrepublik Deutschland - setzen im wesentlichen bei Bierlieferungsverträgen das für sich allein schon sittenwidrige zeitliche Übermaß vertraglicher Bindungen mit der Rechtsfolge der Teilnichtigkeit bezüglich des Übermaßes bei zwanzig Jahre, bei weniger günstigen sonstigen Vertragsbedingungen bei fünfzehn Jahre übersteigenden Vertragsbindungen an (JBl 1992, 517 mwN). Dabei hat aber der Oberste Gerichtshof stets betont, daß die Sittenwidrigkeit eines langfristigen Bierbezugsvertrages nicht nur von der zeitlichen Dauer der vertraglichen Bindung, sondern ganz allgemein vom Inhalt, vom Motiv und vom Zweck des Vertrages abhängt, also im Einzelfall eine umfassende Abwägung der beiderseitigen Interessen der Parteien, des Bestandinteresses der Brauerei und des Auflösungsinteresses des Gastwirtes, erfordert (EvBl 1983/12; SZ 56/144; JBl 1992, 517). Es muß daher immer auch berücksichtigt werden, was hier im Geschäftsverkehr allgemein üblich ist, wie sich die in den einzelnen Verträgen enthaltene Bindung auf den konkreten Betrieb des Gastwirtes auswirkt, wie die Gegenleistungen der Brauerei im Hinblick auf die Größe des konkreten Gastbetriebes und die für den Gastwirt sonst bestehenden Kreditmöglichkeiten zu bewerten sind. Nur aus dem Inhalt der Verträge selbst ergibt sich daher noch nicht, welche Risken der Gastwirt damit wirklich auf sich genommen hat und welchen Wert die Gegenleistungen der Brauerei wirklich hatten (3 Ob 600/82).

Da die Beklagte die Ungültigkeit der Bierbezugsverpflichtung des Leopold H***** nur aus dem Inhalt der schriftlichen Verträge selbst erschlossen und die darin enthaltenen Gegenleistungen der Klägerin nur mit den von ihr selbst - anderen Gastwirten - gewährten Konditionen verglichen hat, hat sie die nach dem Gesagten unumgänglich erforderliche umfassende Interessenabwägung unterlassen. Schon deshalb konnte sie nicht mit gutem Grund annehmen, daß die Verträge mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ungültig seien, gehen doch diesbezügliche Zweifel stets zu ihren Lasten (SZ 34/64; ÖBl 1963, 107; ÖBl 1970, 99; 4 Ob 367/82). Dazu kommt noch, daß im maßgeblichen Zeitpunkt (Jahreswende 1992/93) selbst bei Annahme eines Beginnes der Bindungswirkung des Gastwirtes ab 29.7.1974 noch nicht einmal die in der Rechtsprechung genannte Obergrenze von zwanzig Jahren erreicht war. Da jedoch die Klägerin auch ein Verbot der Bierbelieferung des Gastwirtes durch die Beklagte bis zur Erreichung der nach der Kooperationsvereinbarung vom 24.5.1988 noch ausstehenden Abnahmemenge von 903 hl Bier durch den Gastwirt anstrebt, muß noch die Frage geprüft werden, ob hier nicht doch in naher Zukunft eine Teilnichtigkeit wegen zeitlich übermäßiger Bindung des Gastwirtes überwiegend wahrscheinlich ist.

Wie die Sittenwidrigkeit bezüglich des zeitlichen Übermaßes zu beurteilen ist, wenn noch innerhalb der Laufzeit des vorangegangenen Bierbezugsvertrages ein oder mehrere Anschlußverträge abgeschlossen werden, war noch nicht Gegenstand der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes. Der Bundesgerichtshof hat dazu die Auffassung vertreten, dabei die Laufzeiten mehrerer, noch innerhalb der Laufzeit des vorangegangenen Vertrages abgeschlossener Anschluß-Bierlieferungsverträge zusammenzurechnen ist (NJW 1972, 1459; NJW 1974, 2089; WM 1975, 850); er fügt aber hinzu, daß dies letztlich von den Umständen des Einzelfalles abhängt (NJW-RR 1990, 816). Dem wurde vom Götz (in BB 1990, 1217 ff [1219]) entgegengehalten, daß man sich aber fragen müsse, warum ein Gastwirt, der bereits an eine bestimmte Brauerei gebunden ist, nicht während der Laufzeit einer bereits bestehenden Bierbezugsvereinbarung erneut gegenüber derselben Brauerei eine verlängerte Bindung eingehen dürfen sollte, könne es doch keinen Unterschied machen, ob ein an dieselbe oder aber eine andere Brauerei gebundener oder aber vertraglich freier Gastwirt eine solche Entscheidung trifft. Diese Frage muß aber hier nicht abschließend beantwortet werden, geht es doch nur um die Beurteilung der überwiegend wahrscheinlichen Ungültigkeit einer derartigen Bezugsverlängerung (Vereinbarung vom 10.10./24.10.1975) bzw Erneuerung und Bestätigung der noch aufrechten Bezugsverpflichtung für die Zukunft (Vereinbarungen vom 15.2.1980, 3.3.1984 und 24.5.1988), wobei es sich bei den letztgenannten Verträgen jeweils um eine "Vertragswiederholung" (bezüglich der noch aufrechten Bezugsverpflichtung des Gastwirtes) bzw um eine "Zusatzvereinbarung" (bezüglich der erneuten Gegenleistung der Klägerin) handelt (vgl dazu Mayrhofer, Schuldrecht I 634). So wie die Sittenwidrigkeit eines einzelnen Bierbezugsvertrages stets an Hand der konkreten Umstände des Einzelfalles im Wege einer umfassenden Interessenabwägung zu beurteilen ist, wird auch die Frage, ob die Laufzeit mehrerer jeweils noch innerhalb der Laufzeit des vorangegangenen Vertrages abgeschlossener "Anschluß-Bierlieferungsverträge" bei der Beurteilung des zeitlichen Übermaßes der Bindung zusammenzurechnen ist oder nicht, stets von den Umständen des Einzelfalles abhängen, also vor allem davon, ob in diesem Zusammenhang die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit des Gastwirtes gewahrt war oder nicht. Ganz allgemein wird man dabei sagen können, daß solche Anschlußverträge umso eher einheitlich mit dem Grundvertrag zu beurteilen sein werden, je nahtloser sie mit ihrem Abschlußdatum an dasjenige des Grundvertrages anschließen; je mehr sie aber zeitlich gegen Ende der bestehenden Bezugsverpflichtung abgeschlossen werden, umso mehr spricht dafür, daß der Gastwirt mit dem bestehenden Vertragsverhältnis zufrieden ist und sich daher an den bewährten Geschäftspartner länger binden oder die bestehende Bindung jedenfalls akzeptieren will, sie also nicht als unerträgliche Abhängigkeit von der Brauerei empfindet. Konkrete Gründe, warum dies im vorliegenden Fall auf die Kooperationsvereinbarung vom 24.5.1988 etwa nicht zutreffen sollte, hat die Beklagte gar nicht ins Treffen geführt. Es ist daher mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, daß Leopold H***** die noch ausständige mengenmäßige Bezugsverpflichtung ohne jede Knebelung akzeptiert und bestätigt hat.

Mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ist demnach die Bezugsverpflichtung des Gastwirtes weder derzeit ungültig, noch wird eine solche Teilnichtigkeit bezüglich des Übermaßes in naher Zukunft eintreten. Mangels verläßlicher Grundlagen für die vorzunehmende Interessenabwägung steht aber demgegenüber auch nicht mit Sicherheit fest, daß die jetzt nur noch mengenmäßig bestimmte Bierbezugsverpflichtung des Gastwirtes infolge ihrer zeitlichen Ausdehnung unter keinen Umständen noch vor Erreichen der gesamten ausständigen Abnahmemengen von 903 hl Bier sittenwidrig werden kann, zeigt sich doch schon, daß selbst die ursprüngliche Prognose der Vertragsparteien, der Gastwirt werde 2200 hl Bier in 10 Jahren bzw 2700 hl Bier in 15 Jahren abehmen können, falsch war; umso weniger läßt sich daher derzeit abschätzen, welchen Zeitraum der Gastwirt zur Abnahme der noch ausstehenden 903 hl Bier überhaupt noch benötigen wird. Daher kann auch nicht ausgeschlossen werden, daß die Vertragsbestimmung unter Bedachtnahme auf die Parteieninteressen infolge ihrer zeitlichen Ausdehnung nicht doch noch vor Erreichen der gesamten ausstehenden Abnahmemenge sittenwidrig werden könnte. Das auf Untersagung der Bierbelieferung der Gaststätte bis zur Abnahme weiterer 903 hl Bier bei der klagenden Partei gerichtete Sicherungsbegehren ist daher mit Recht abgewiesen worden.

Im übrigen hat aber die Beklagte den Gastwirt in Wettbewerbsabsicht zum Vertragsbruch verleitet, ohne daß sie dessen mit der Klägerin abgeschlossene Verträge mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als ungültig ansehen konnte und durfte. Sie hat damit gegen § 1 UWG verstoßen, weshalb in Stattgebung des Revisionsrekurses die einstweilige Verfügung des Erstgerichtes mit der soeben genannten Einschränkung wiederherzustellen war.

Da die Klägerin nur mit einem verhältnismäßig geringfügigen Teil ihres Anspruches, dessen Geltendmachung überdies keine besonderen Kosten verursacht hat, unterlegen ist, beruht der Ausspruch über die Kosten aller drei Instanzen in Ansehung der Klägerin auf § 393 Abs 1 EO, in Ansehung der Beklagten auf §§ 402 Abs 4, 78 EO und §§ 41, 43 Abs 2, 50 und 52 Abs 1 ZPO.

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