OGH 4Ob143/12a

OGH4Ob143/12a18.10.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj M***** A*****, geboren *****, in Pflege und Erziehung der Mutter E***** A*****, in Unterhaltsangelegenheiten vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft B*****, wegen Unterhalt, infolge Revisionsrekurses des Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Rekursgericht vom 24. April 2012, GZ 3 R 107/12a‑47, womit infolge Rekurses des Minderjährigen der Beschluss des Bezirksgerichts Bregenz vom 8. März 2012, GZ 7 PU 294/11i‑43, bestätigt wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Der am ***** geborene M***** A***** ist das eheliche Kind der E***** A***** und des R***** A*****, deren Ehe gemäß § 55a EheG im Einvernehmen geschieden wurde. Er befindet sich in Pflege und Erziehung seiner Mutter, der die alleinige Obsorge zukommt. Zuletzt wurde der Vater mit Beschluss des Erstgerichts vom 31. 5. 2007 ab 1. 11. 2006 zu monatlichen Unterhaltsleistungen von 445 EUR verpflichtet. Der Minderjährige bezieht Unterhaltsvorschüsse in Höhe des Unterhaltstitels.

Mit Eingabe vom 13. 12. 2011 beantragte der Minderjährige, den Vater beginnend mit 1. 12. 2011 zu monatlichen Unterhaltsbeiträgen von 900 EUR und zur Abgeltung eines Sonderbedarfs in Höhe von 1.150 EUR (Kosten einer Therapie in einer Atem‑ und Sprechschule) zu verpflichten. Seit der letzten Unterhaltsfestsetzung seien die Bedürfnisse des Kindes gestiegen. Der Vater sei mit seinem Einkommen in der Lage, den begehrten Unterhaltsbeitrag zu leisten.

Der Vater erklärte sich mit einer Festsetzung der monatlichen Unterhaltsbeiträge für den Minderjährigen ab 1. 12. 2011 mit 675 EUR einverstanden und bestritt das darüber hinausgehende Mehrbegehren; im Hinblick auf seine den Regelbedarf übersteigenden laufenden Unterhaltsleistungen müsse er keinen zusätzlichen Sonderbedarf leisten.

Das Erstgericht verpflichtete den Vater beginnend mit 1. 12. 2011 zu monatlichen Unterhaltsbeiträgen von 675 EUR und wies das Mehrbegehren ab; darüber hinaus verpflichtete es den Vater, zusätzlich zum laufenden monatlichen Unterhaltsbeitrag einen einmaligen Sonderunterhaltsbeitrag von 680 EUR für die Teilnahme am Stotterer-Training vom 19. 8. bis 23. 8. 2011. Das Erstgericht legte seiner Entscheidung nachfolgende Feststellungen zugrunde:

Der Vater ist bei einem in der Schweiz ansässigen Unternehmen beschäftigt und hat im Jahr 2011 nach Abzug der gesetzlichen Beiträge und Steuern ein Einkommen von 62.488,20 CHF erzielt. Für eine Krankenversicherung bei der Donau Versicherung bezahlt er eine monatliche Prämie von 203,23 EUR. Die Einkommenssteuer in Österreich wurde für das Jahr 2010 mit 5.033,24 EUR festgesetzt, die Vorauszahlung für 2012 mit 5.486 EUR. Der Vater ist im Schichtbetrieb tätig. Seine Arbeitszeiten sind von 5 Uhr bis 14 Uhr oder von 14 Uhr bis 23 Uhr; wegen der unterschiedlichen Dienstbeginnzeiten benötigt er für die Fahrt zur Arbeitsstelle und zurück seinen PKW. Eine Fahrtstrecke beträgt 18,7 km. Der Minderjährige hat vom 19. bis 23. 8. 2011 an einem Stotterer‑Training einer Atem- und Sprechschule teilgenommen; dafür hat die Mutter einen Betrag von 1.150 EUR bezahlt.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, der geldunterhaltspflichtige Vater habe für ein Kind im Alter von 15 Jahren 22 % seines Nettoeinkommens zu leisten. Bemessungsgrundlage sei das festgestellte Einkommen des Vaters von umgerechnet 4.318 EUR, von dem nach Abzug der Krankenversicherungsbeiträge und der Einkommenssteuer ein Betrag von gerundet 3.658 EUR verbleibe. Mangels geeigneter öffentlicher Verkehrsmittel zur Erreichung seines Arbeitsplatzes seien Fahrtkosten als berufsbedingter Mehraufwand des Vaters in Höhe von monatlich 100 EUR zu berücksichtigen, sodass sich die Bemessungsgrundlage auf 3.558 EUR reduziere. Der nach der Prozentkomponente ermittelte Unterhaltsbeitrag sei entsprechend der Formel: Unterhaltsanspruch = Prozentunterhalt ‑ (Prozentunterhalt x Berechnungssteuersatz x 0,004) + Unterhaltsabsetzbetrag steuerlich zu entlasten. Damit ergebe sich ein Unterhaltsbeitrag von gerundet 675 EUR.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs mangels höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Frage der steuerlichen Entlastung eines Grenzgängers, der seine Einkommenssteuerleistung teilweise im Ausland und zu einem nicht unerheblichen Teil in Österreich entrichte, zulässig sei. Der Auffassung des Rechtsmittelwerbers, die vom Erstgericht vorgenommene steuerliche Entlastung des nach der Prozentwertmethode ermittelten Unterhaltsbeitrags sei deshalb zu Unrecht erfolgt, weil er als Grenzgänger in der Schweiz arbeite und mehr als die Hälfte der Steuern im Ausland bezahlte, sei nicht beizutreten. Der Verfassungsgerichtshof habe in mehreren die Familienbesteuerung betreffenden Entscheidungen ausgeführt, dass die Minderung der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen durch gesetzliche Unterhaltsleistungen an Kinder im Einkommenssteuerrecht berücksichtigt werden müsse. Eine mittelbare Steuerentlastung werde durch die einkommensunabhängigen Transferleistungen Kinder-absetzbetrag und Familienbeihilfe bewirkt. Der Familienbeihilfe komme sohin nach dem Willen des Gesetzgebers neben ihrer Funktion als Betreuungshilfe und Mindestunterhalt auch eine steuerliche Funktion zu. Im Fall der Haushaltstrennung sei deshalb bei höheren Unterhaltsbemessungsgrundlagen ein Teil der Transferleistungen zur Steuerentlastung auf den Geldunterhalt anzurechnen. Diese gebotene steuerliche Entlastung habe nur dann nicht zu erfolgen, wenn der Unterhaltsschuldner nicht steuerpflichtig sei oder der über Transferleistungen herzustellende Ausgleich nicht über das Steuerrecht hergestellt werden könne. Keiner dieser Fälle liege hier vor. Vielmehr habe der Vater seinen Wohnsitz in Österreich und sei in der Schweiz unselbstständig beschäftigt. Auf ihn fände daher das Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (BGBl Nr 64/1975) in seiner insbesondere mit BGBl III Nr 22/2007 und BGBl III Nr 27/2011 geänderten Fassung Anwendung. Mit 1. 1. 2007 sei die Grenzgängerbesteuerung im Rahmen dieses Doppelbesteuerungsabkommens neu geregelt worden. Die Besteuerung des Arbeitseinkommens von Grenzgängern in der Schweiz und Österreich erfolge nunmehr nach dem Arbeitsortprinzip. Ein österreichischer Grenzgänger habe daher sein Erwerbseinkommen vollständig in der Schweiz zu versteuern. Um eine Doppelbesteuerung neben der in Österreich aufgrund des Wohnsitzes gegebenen Einkommenssteuerpflicht (§ 1 EStG) zu vermeiden, werde gemäß den Bestimmungen des Doppelbesteuerungsabkommens die in der Schweiz für das Erwerbseinkommen entrichtete Steuer angerechnet. Um einen Ausgleich für dadurch im Wohnsitzstaat entstehende Mindereinnahmen zu schaffen, sei die Schweiz verpflichtet, aufgrund des revidierten Doppelbesteuerungsabkommens einen Fiskalausgleich in der Höhe von 12,5 % des entsprechenden Steueraufkommens der österreichischen Grenzgänger zu entrichten. Nach dem Akteninhalt entfalle ein Anteil der vom Vater zu entrichtenden Steuer auf das Erwerbseinkommen für das Jahr 2010 im Ausmaß von rund 40 % auf die in Österreich entrichtete Einkommenssteuer; auch komme im Rahmen des im Doppelbesteuerungsabkommen festgelegten Fiskalausgleichs ein weiterer Anteil der vom Vater in der Schweiz entrichteten Einkommenssteuer dem österreichischen Staat zugute. Nach dem Zweck der in der Rechtsprechung vorgenommenen steuerlichen Entlastung sei auch einem Grenzgänger mit Wohnsitz in Österreich, dessen in der Schweiz erzieltes Erwerbseinkommen zu einem nicht unerheblichen Teil der österreichischen Einkommenssteuer unterliege, die steuerliche Entlastung entsprechend der österreichischen Rechtsprechung zuzubilligen. Da auch in Anspannungsfällen ein tatsächlich nicht oder nicht in dieser Höhe erzieltes und versteuertes Einkommen steuerlich entlastet werde, stehe es einer steuerlichen Entlastung nicht entgegen, dass ein Teil der vom Unterhaltspflichtigen zu entrichtenden Steuer auf das Erwerbseinkommen nicht in Österreich abgeführt werde.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Der Minderjährige macht in dritter Instanz weiterhin geltend, dass eine unterhaltsmindernde Anrechung der Familienbeihilfe nicht gerechtfertigt sei, weil der Vater den Großteil seines Einkommens in der Schweiz versteuere. Dass auch in Anspannungsfällen eine steuerliche Entlastung gewährt werde, beruhe offenbar darauf, dass der Unterhaltsschuldner bei Antritt einer Arbeit auch entsprechend Steuern im Inland werde abführen müssen. Solches treffe hier auf den Vater nicht zu, der nur zu einem geringen Teil in Österreich steuerpflichtig sei, weshalb die Steuerbelastung auch nur einem unterdurchschnittlichen Einkommen entspreche.

1. Auszugehen ist davon, dass der Vater auf Grund seines inländischen Wohnsitzes im Inland unbeschränkt steuerpflichtig ist, wobei sich seine unbeschränkte Steuerpflicht auf alle in‑ und ausländischen Einkünfte erstreckt (§ 1 Abs 2 EStG).

2.1. Da der Vater seinen Wohnsitz in Österreich hat und in der Schweiz unselbstständig beschäftigt ist, unterliegt das Arbeitsverhältnis dem Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (BGBl 1975/64) in seiner zuletzt mit BGBl III 2007/22 und BGBl III 2011/27 geänderten Fassung.

2.2. Mit 1. 1. 2007 wurde die Grenzgängerbesteuerung im Rahmen dieses Doppelbesteuerungsabkommens neu geregelt. Die Besteuerung des Arbeitseinkommens von Grenzgängern in der Schweiz und Österreich erfolgt nunmehr nach dem Arbeitsortprinzip. Ein österreichischer Grenzgänger hat daher sein Erwerbseinkommen vollständig in der Schweiz zu versteuern. Um eine Doppelbesteuerung neben der in Österreich aufgrund des Wohnsitzes gegebenen Einkommenssteuerpflicht (§ 1 EStG) zu vermeiden, wird gemäß den Bestimmungen des Doppelbesteuerungsabkommens die in der Schweiz für das Erwerbseinkommen entrichtete Steuer auf die in Österreich zu entrichtende Steuer angerechnet.

3. Bei dieser Sachlage ist kein Grund ersichtlich, dem im Inland unbeschränkt steuerpflichtigen Vater jene steuerliche Entlastung zu verwehren, wie sie nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs Unterhaltspflichtigen im Fall der Haushaltstrennung bei höheren Unterhaltsbemessungsgrundlagen zu gewähren ist, um auf diese Weise die Minderung der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen durch gesetzliche Unterhaltsleistungen an Kinder im Einkommenssteuerrecht zu berücksichtigen.

4. Nach der vom Rekursgericht zutreffend zitierten Rechtsprechung ist bei höheren Unterhaltsbemessungsgrundlagen im Fall der Haushaltstrennung die steuerliche Entlastung eines geldunterhaltspflichtigen Elternteils durch teilweise Anrechnung der Familienbeihilfe grundsätzlich geboten (RIS‑Justiz RS0117023, RS0117082, RS0117084, RS0117015, RS0117016). Diese Entlastung findet nach ihrem Zweck dort an ihre Grenzen, wo der Unterhaltsschuldner im Inland nicht steuerpflichtig ist (RIS‑Justiz RS0117122) oder der über die Transferleistung herzustellende Ausgleich ohnehin über das Steuerrecht hergestellt werden kann (RIS‑Justiz RS0117023 [T5, T6]). Keiner dieser Fälle liegt hier vor.

5. Der Senat billigt damit die Entscheidung des Rekursgerichts in ihrem Ergebnis, dass auch einem Grenzgänger mit Wohnsitz in Österreich, der im Inland weiterhin unbeschränkt steuerpflichtig ist, eine steuerliche Entlastung entsprechend den Grundsätzen der Rechtsprechung zuzubilligen ist, damit der vom Verfassungsgerichtshof für notwendig erachtete Ausgleich der Transferleistung eintreten kann. Die Entlastung steht ‑ sofern wie hier die Bagatellgrenze überschritten wird ‑ dem Unterhaltspflichtigen unter den aufgezeigten Umständen unabhängig davon zu, wie hoch gemäß den Bestimmungen eines anwendbaren Doppelbesteuerungsabkommens jener Anteil der von ihm abzuführenden Einkommenssteuer ist, der dem österreichischen Fiskus zufließt.

6. Dem Revisionsrekurs kann somit kein Erfolg beschieden sein.

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