European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0040OB00125.15H.1117.000
Spruch:
Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss, der im Zuspruch von 535.646,80 EUR und in der Abweisung eines Begehrens von 1.219.270,99 EUR rechtskräftig geworden ist, wird teilweise dahin abgeändert, dass mit Teilbeschluss ein weiteres Begehren von 16.542 EUR abgewiesen wird.
Die Entscheidung über die auf diesen Teil des Streitgegenstands entfallenden Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
Im Übrigen, also in der Entscheidung über ein weiteres Begehren von 435.147,20 EUR und im Kostenpunkt, werden die Beschlüsse der Vorinstanzen aufgehoben, und dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Die auf diesen Teil des Streitgegenstands entfallenden Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung
Die Parteien stehen im Wettbewerb auf dem Arzneimittelmarkt. Die Erstklägerin war ausschließliche Lizenznehmerin, die Zweitklägerin Sublizenznehmerin des Europäischen Patents EP334429, auf dessen Grundlage nach der VO (EWG) Nr 1768/92 ein Schutzzertifikat erteilt worden war. Die Laufzeit dieses Schutzzertifikats endete am 18. Oktober 2010. Die Beklagte brachte im Jahr 2008 ein Generikum auf den Markt, dessen Herstellung und Vertrieb in das Patent der Klägerinnen eingriff.
Die Klägerinnen erhoben Unterlassungsklage und beantragten eine einstweilige Verfügung. Das Rekursgericht untersagte der Beklagten mit Beschluss vom 26. Juni 2009 das Herstellen und Inverkehrbringen des Generikums. Der dagegen erhobene außerordentliche Revisionsrekurs der Beklagten blieb erfolglos (17 Ob 24/09t).
In weiterer Folge wurde das Klagepatent aufgrund eines schon 2006 gestellten Antrags der Beklagten vom Patentamt für nichtig erklärt. Dies führte zur Abweisung der Unterlassungsklage mit Urteil vom 6. Juni 2013. Gegenstand des weiteren Verfahrens ist das Begehren der Beklagten auf Zahlung von Schadenersatz nach § 394 EO. Dieser Anspruch ist dem Grunde nach unstrittig.
Die Beklagte begehrte in erster Instanz zuletzt 2.206.606,99 EUR.
Das Erstgericht sprach der Beklagten 987.336 EUR zu und wies das Mehrbegehren von 1.219.270,99 EUR (inzwischen rechtskräftig) ab. Sein Zuspruch gliederte sich wie folgt:
Verdienstentgang 950.058 EUR
Zinsen aus dem Verdienstentgang 16.936 EUR
interner Aufwand aufgrund der einstweiligen Verfügung 3.800 EUR
frustrierter Werbeaufwand 16.542 EUR
Das Erstgericht traf seine Feststellungen zum Verdienstentgang aufgrund eines von ihm eingeholten Gutachtens, das schriftlich ergänzt und in mündlicher Verhandlung erörtert wurde. Im schriftlichen Gutachten erstellte der Sachverständige eine Tabelle mit fiktiven Verkaufszahlen, die die Beklagte ohne „Marktstörung“ (also ohne Ergehen der einstweiligen Verfügung) erzielt hätte. Er führte aus, die Beklagte hätte (nach dieser Tabelle) ohne einstweilige Verfügung mit ihrem Generikum einen Marktanteil von 34,78 % erreicht. Dies entspreche im Wesentlichen den Annahmen der von den Parteien vorgelegten Privatgutachten. Auf dieser Grundlage ergebe sich ein entgangener Gewinn von 950.058 EUR.
Die Klägerinnen hielten dem entgegen, dass sich die Marktanteilszahlen der Privatgutachten auf alle Generika und nicht nur auf jenes der Beklagten bezogen hätten. Der Sachverständige weiche daher deutlich von den Ergebnissen der Privatgutachten ab, da er einen wesentlich höheren fiktiven Marktanteil des Generikums der Beklagten annehme. Daraufhin korrigierte der Sachverständige sein Gutachten dahin, dass sich die Zahl von 34,78 % auf den „gestörten Gesamtmarkt“ bezogen habe. Unter diesem Begriff verstand er den realen Markt, der sich durch die einstweilige Verfügung ‑ also die dadurch abgesicherte Monopolstellung der Klägerinnen ‑ ergeben hatte. Der „ungestörte“ Gesamtmarkt ‑ also der fiktive Markt, der sich ohne die einstweilige Verfügung ergeben hätte ‑ hätte sich deutlich besser entwickelt, sodass die Beklagte dort angesichts der von ihm angenommenen fiktiven Verkaufszahlen, an denen er festhalte, nur einen Anteil von 19,64 % erreicht hätte. Näher begründete er seine Auffassung, dass sich der fiktive Markt besser als der reale Markt entwickelt hätte, nicht. In der Gutachtenserörterung führte der Sachverständige dazu lediglich aus, dass der „gestörte“ Markt „kleiner sei“, woraus sich die unterschiedlichen Prozentwerte ergäben. Auch hier nannte er aber keine weitere Begründung für die unterschiedliche Größe der Märkte.
Das Erstgericht übernahm die vom Sachverständigen angegebenen Verkaufszahlen und berechnete auf dieser Grundlage den von ihm zugesprochenen Verdienstentgang. Weiters sprach es der Beklagten frustrierten Werbeaufwand zu. Die Beklagte habe in der Zeit vor Erlassung der einstweiligen Verfügung Werbeaufwendungen getätigt, die wegen des dann folgenden Verkaufsverbots frustriert geworden seien. Auch insofern bestehe ein Ersatzanspruch.
Gegen diese Entscheidung richteten sich Rekurse beider Parteien.
Die Klägerinnen machten geltend, dass das Gutachten nicht nachvollziehbar sei: Der Sachverständige nehme offenbar an, dass ohne die einstweilige Verfügung insgesamt deutlich mehr Einheiten verkauft worden wären als tatsächlich verkauft wurden. Die Verkaufszahlen hingen allerdings ausschließlich vom Bedarf ab; mehr Anbieter führten auf dem Arzneimittelmarkt ‑ zumal bei rezeptpflichtigen Arzneimitteln ‑ nicht dazu, dass insgesamt mehr Einheiten verkauft würden. Frustrierter Werbeaufwand sei nicht zuzusprechen, weil die Beklagte durch den Zuspruch des Verdienstentgangs ohnehin so gestellt würde, wie sie stünde, wenn es die einstweilige Verfügung nicht gegeben hätte. In diesem Fall wäre auch der Werbeaufwand nicht frustriert.
Die Beklagte wandte sich in ihrem Rekurs aus im Revisionsrekursverfahren nicht mehr relevanten Gründen gegen die Abweisung des Mehrbegehrens.
Das Rekursgericht gab keinem der Rekurse Folge und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.
Es bezeichnete die Ausführungen des Sachverständigen als „etwas verwirrend“ und nahm ausdrücklich an, dass sich die Verkaufszahlen am „ungestörten“ und am „gestörten“ Markt nicht unterschieden. Allerdings habe der Sachverständige auch die fiktiven Verkaufszahlen der Beklagten genannt, die die Klägerinnen in ihrem Rechtsmittel nicht bekämpft hätten. Davon ausgehend sei aber die Ermittlung des Verdienstentgangs unbedenklich. Auf die Beweisrüge sei nicht einzugehen, weil die Ergebnisse unmittelbarer Beweisaufnahmen im Rekursverfahren nicht überprüft werden könnten. Die Marketing‑Kosten seien (teilweise) frustriert, weil die Werbewirkung durch die einstweilige Verfügung beeinflusst worden sei und man unter diesem Gesichtspunkt „den Werbeaufwand von vornherein reduziert hätte“. Auch der Rekurs der Beklagten sei aus näher dargestellten Gründen nicht berechtigt.
Gegen diese Entscheidung richtet sich ein außerordentlicher Revisionsrekurs der Klägerinnen.
Sie akzeptieren den Zuspruch von 522.532 EUR Verdienstentgang, 9.314,80 EUR entgangenen Zinsen und 3.800 EUR internem Aufwand. Damit ist die Entscheidung des Erstgerichts im Zuspruch von 535.646,80 EUR rechtskräftig; dass im Revisionsrekurs insofern aufgrund eines Rechenfehlers ein Gesamtbetrag von 535.657 EUR genannt wird, schadet nicht. Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens sind somit lediglich ein weiterer Verdienstentgang von 427.526 EUR, insofern entgangene Zinsen von 7.621,20 EUR und der frustrierte Werbeaufwand von 16.542 EUR. Das Revisionsrekursinteresse beträgt daher 451.698,20 EUR.
Die Klägerinnen wenden sich gegen die Auffassung des Rekursgerichts, dass die Beweiswürdigung nicht überprüft werden könne, wenn der Sachverständige das Gutachten mündlich erörtert habe. Zudem sei die Entscheidung des Rekursgerichts in sich widersprüchlich: Einerseits gestehe es zu, dass sich gestörter (realer) und ungestörter (fiktiver) Markt quantitativ nicht unterschieden. Andererseits akzeptiere es die (absoluten) Zahlen des Sachverständigen, die aber nach dessen Gutachten zwingend dazu führten, dass man unterschiedlich große Märkte annehmen müsse; sonst könnten die von ihm genannten Prozentzahlen nicht stimmen. Die Feststellungen beruhten daher auf einem in sich widersprüchlichen Gutachten. Im Bezug auf den frustrierten Werbeaufwand unterliege das Rekursgericht einem Denkfehler: Wenn die Beklagte durch den Zuspruch des Verdienstentgangs ohnehin so gestellt würde, als hätte es die einstweilige Verfügung nicht gegeben, könne nicht angenommen werden, dass der reale Werbeaufwand, der ohne einstweilige Verfügung zu einem solchen Verdienst geführt hätte, frustriert geworden sei.
Die Beklagte beantragt in der Rechtsmittelbeantwortung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben. Bei der Bestimmung des Verdienstentgangs handle es sich um eine Frage des Einzelfalls; eine krasse Fehlbeurteilung liege nicht vor. Es sei „unlogisch“, wenn man annehme, dass der Zuspruch von einem entgangenen Gewinn den Erfolg frustrierter Werbemaßnahmen unterstelle.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil die Entscheidungen der Vorinstanzen zum Verdienstentgang auf einem unschlüssigen Gutachten beruhen und in Bezug auf den Werbeaufwand eine zur Wahrung der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung vorliegt. Das Rechtsmittel ist aus diesen Gründen auch berechtigt.
1. Zum Verdienstentgang samt Zinsen
1.1. Die Ergebnisse eines Gutachtens können mit Rechtsrüge bekämpft werden, wenn dabei ein Verstoß gegen zwingende Denkgesetze, (sonstige) Erfahrungssätze oder zwingende Gesetze des sprachlichen Ausdrucks unterlaufen ist (RIS-Justiz RS0043168; RS0043404 ua; 7 Ob 145/12t mwN; 6 Ob 25/12p; 7 Ob 215/13p).
1.2. Ein solcher Fall liegt hier vor: Der Senat geht, wie auch das Rekursgericht, vom Erfahrungssatz aus, dass die Nachfrage nach rezeptpflichtigen Arzneimitteln nicht - jedenfalls nicht in relevantem Umfang - davon abhängt, ob auf dem Markt auch Generika angeboten werden oder nicht. Denn sonst müsste angenommen werden, dass die Verschreibung rezeptpflichtiger Arzneimittel von der Anzahl der Anbieter abhinge. Dies ließe sich, wenn überhaupt, nur dadurch erklären, dass der Wettbewerb zwischen einer größeren Zahl von Anbietern zu einem niedrigeren Preis führte. Nähme man aber deswegen eine höhere Nachfrage an, würde das bedeuten, dass Arzneimittel bei einem höheren Preis nicht verschrieben würden, obwohl sie im konkreten Fall zur Heilbehandlung erforderlich wären, oder dass sie bei einem niedrigeren Preis verschrieben würden, obwohl sie im konkreten Fall zur Heilbehandlung nicht erforderlich wären. Für eine solche Vorgangsweise von Ärzten oder Sozialversicherungsträgern gibt es keinen Anhaltspunkt. Auch das in erster Instanz eingeholte Gutachten enthält dazu keine Ausführungen.
1.3. Aufgrund dieses Erfahrungssatzes fehlt aber jede Grundlage für die Annahme, dass sich der „gestörte“ (reale) und der „ungestörte“ (fiktive) Gesamtmarkt quantitativ unterschieden. Genau diese Annahme liegt aber den Ausführungen des Sachverständigen zugrunde. Dieser Widerspruch zwischen dem Gutachten und einem Erfahrungssatz führt zur Aufhebung in die erste Instanz. Es ist mit dem Sachverständigen zu erörtern, aufgrund welcher Erwägungen er seine fiktiven Verkaufszahlen ermittelt hat und, wenn er an diesen festhält,
a. warum der fiktive und der reale Markt entgegen dem genannten Erfahrungssatz tatsächlich quantitativ verschieden sind, sodass die von ihm genannten Prozentzahlen nachvollzogen werden können, oder
b. ob er gegebenenfalls die Angaben zu den Prozentzahlen in nachvollziehbarer Weise modifiziert.
Auf dieser Grundlage sind widerspruchsfreie Feststellungen zu den fiktiven Verkaufszahlen und Preisen zu treffen. Erst damit besteht eine taugliche Grundlage für die nach § 273 ZPO vorzunehmende Festsetzung des noch strittigen Verdienstentgangs (samt den darauf entfallenden Zinsen).
2. Zum frustrierten Werbeaufwand
2.1. Der Anspruch nach § 394 EO soll den Gegner der gefährdeten Partei so stellen, als wäre die ‑ nachträglich als unberechtigt erkannte ‑ einstweilige Verfügung nicht ergangen. Zu ersetzen sind alle Vermögensnachteile einschließlich des entgangenen Gewinns, für welche die einstweilige Verfügung maßgebende Ursache war ( E. Kodek in Angst , EO 2 [2008] § 394 EO Rz 4; G. Kodek in Burgstaller/Deixler-Hübner , Exekutionsordnung [Loseblatt, Stand Juni 2015] § 394 EO Rz 32 ff; beide mwN).
2.2. Die Klägerinnen zeigen zutreffend auf, dass die Beklagte durch den Zuspruch des Verdienstentgangs ‑ abgesehen vom zusätzlichen internen Aufwand, der ohne die einstweilige Verfügung nicht angefallen wäre und dessen Ersatz nicht strittig ist ‑ so gestellt wird, als ob die einstweilige Verfügung nicht ergangen wäre. In diesem Fall wäre aber auch der vor der einstweiligen Verfügung getätigte Werbeaufwand nicht frustriert gewesen. Damit fehlt jede Grundlage für einen (zusätzlichen) Zuspruch dieses Werbeaufwands. Denn der Schaden liegt bei „frustrierten“ Aufwendungen, die noch vor dem schadensverursachenden Ereignis stattfanden, nicht in den - durch das Ereignis nicht verursachten - Aufwendungen als solchen, sondern im Ausbleiben ihres sonst eingetretenen Erfolgs (vgl 3 Ob 90/91 zum entsprechenden Problem im Fall von Schadenersatz wegen Vertragsverletzung). Dieser Erfolg bleibt aber nicht aus, wenn der Geschädigte ohnehin so gestellt wird, als hätte es das schadensverursachende Ereignis ‑ hier die einstweilige Verfügung ‑ nicht gegeben.
2.3. Aus diesen Gründen ist das Begehren auf Ersatz frustrierten Werbeaufwands nicht berechtigt. Insofern ist der Antrag mit Teilbeschluss abzuweisen. Der in der älteren Rechtsprechung genannte Grundsatz, dass der Ersatzbetrag nach § 94 EO „einheitlich“ zu bestimmen sei ( G. Kodek in Burgstaller/Deixler‑Hübner , Exekutionsordnung § 394 EO Rz 35 mwN), steht dem nicht entgegen. Erweist sich ein sachlich abgrenzbarer Teil des Begehrens aufgrund rechtlicher Erwägungen als unbegründet, ist nicht ersichtlich, weshalb insofern nicht eine Teilabweisung möglich sein sollte.
3. Im Verfahren nach § 394 EO sind die Kostenersatzregeln der ZPO anzuwenden ( G. Kodek in Burgstaller/Deixler‑Hübner , Exekutionsordnung § 394 EO Rz 70 mwN). Die Kostenentscheidung gründet sich in Bezug auf die Teilaufhebung auf § 52 Abs 1 ZPO und in Bezug auf die Teilabweisung auf § 52 Abs 4 ZPO.
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