OGH 4Ob119/23p

OGH4Ob119/23p19.12.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden, sowie die Hofräte Dr. Schwarzenbacher und MMag. Matzka sowie die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M. und Mag. Waldstätten als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. F* und 2. U*, beide *, vertreten durch die Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagten Parteien 1. F* S.p.A., *, Italien, vertreten durch die bpv Hügel Rechtsanwälte GmbH in Wien, und 2. F* S.p.A., *, Italien, vertreten durch die Thurnher Wittwer Pfefferkorn & Partner Rechtsanwälte GmbH in Dornbirn, wegen 18.300 EUR sA und Feststellung (Streitwert 2.000 EUR), über die Revision der erstbeklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 13. Dezember 2022, GZ 3 R 151/22d‑42, mit dem das Urteil des Landesgerichts Wels vom 11. Oktober 2022, GZ 5 Cg 87/21z‑34, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0040OB00119.23P.1219.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die erstbeklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien die mit 826,80 EUR (darin enthalten  137,80 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Kläger kauften 2018 ein von der Erstbeklagten (in der Folge: Beklagten) hergestelltes Wohnmobil um 61.000 EUR. Das Fahrzeug fällt in den Anwendungsbereich der VO (EG) Nr 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur‑ und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl L 171/1 vom 29. Juni 2007; künftig: VO 715/2007/EG ). Es weist einen Dieselmotor der Abgasklasse Euro 6b auf.

[2] Der Motor ist mit einem Abgas‑ bzw NOx‑Reduktionssystem ausgestattet. Bereits 22 Minuten nach einem Motorkaltstart wird jedoch die Abgasrückführrate drastisch gesenkt und zwar schon bei Temperaturen knapp unter 20° C, insbesondere aber bei Temperaturen geringer als 10° C. Dies passiert ohne Unterscheidung zwischen Prüfzyklus und Realbetrieb. Das deutsche Kraftfahrt‑Bundesamt sieht darin eine unzulässige Abschalteinrichtung, weil es lediglich dem Bauteilschutz diene.

[3] Zusätzlich wird die Abgasrückführung temperaturgesteuert unter 20° C Umgebungs- bzw Außentemperatur massiv reduziert (sogenanntes Thermofenster). Die Verwendung eines Thermofensters entsprach und entspricht bei Euro5 und Euro6 Fahrzeugen dem Stand der Technik.

[4] Ein nicht der VO 715/2007/EG entsprechendes Wohnmobil wird nur dann gleich gern und gleich wahrscheinlich gekauft, wenn es um 10 % günstiger angeboten wird und in angemessener Frist ein geprüftes Software-Update in Aussicht gestellt wird.

[5] Die Kläger begehrten 30 % des Kaufpreises als Schadenersatz sowie die – unbekämpft abgewiesene – Feststellung der Haftung für künftige Schäden. Die Beklagte habe unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut und damit arglistig Fahrzeuge in Verkehr gebracht, die im Auslieferungszeitpunkt weder typengenehmigungs- noch zulassungsfähig gewesen seien. Sie habe dadurch gegen das Schutzgesetz Art 5 VO 715/2007 EG verstoßen. Die Kläger seien davon ausgegangen, ein technisch einwandfreies Fahrzeug zu erwerben. Hätten sie beim Ankauf von den Manipulationen gewusst, wären sie zu einem Erwerb nur um einen 30 % geringeren Kaufpreis bereit gewesen. Dies entspreche auch dem objektiven Minderwert.

[6] Die Erstbeklagte wendete unter anderem ein, im klagsgegenständlichen Fahrzeug sei keine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut; sämtliche Grenzwerte würden eingehalten. Die Kläger hätten keinen Schaden erlitten. Die VO 715/2007/EG diene außerdem nicht dem Schutz individueller Käuferinteressen.

[7] Das Erstgericht wies die Klage ab. Zwar sei das Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung. Jedoch hätten die Kläger keinen Schaden, weil sie das Fahrzeug uneingeschränkt nutzen könnten.

[8] Das Berufungsgericht sprach den Klägern 6.100 EUR, also 10% des Kaufpreises als Schadenersatz zu. Das Fahrzeug sei mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet, was sowohl einen Rechts‑ als auch einen Sachmangel darstelle. Die Erstbeklagte hafte den Klägern aus einer Schutzgesetzverletzung für den Minderwert des Fahrzeugs.

[9] Es ließ die Revision zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zu Schadenersatzansprüchen gegen Hersteller fehle.

Rechtliche Beurteilung

[10] Die Revision der Beklagten strebt eine gänzliche Klagsabweisung, hilfsweise eine Aufhebung der Entscheidungen und Zurückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht an. Sieistungeachtet des – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruchs des Berufungsgerichts nicht zulässig.

[11] 1. Die Beklagte meint, dass sich aus dem festgestellten Sachverhalt nicht die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung ableiten lasse.

[12] 1.1. Eine Abschalteinrichtung ist nach der Legaldefinition des Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG ein Konstruktionsteil, das die Temperatur [...] oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird. Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG normiert ein grundsätzliches, von Ausnahmen durchbrochenes Verbot von Abschalteinrichtungen.

[13] 1.2. Entgegen der Rechtsansicht der Beklagten sind die Feststellungen der Vorinstanzen keineswegs zu vage für eine Subsumtion unter diese Normen:

[14] Die Formulierung „unter 20° C“ lässt nämlich nicht offen, ob die Grenze, bei der die Abgasrückführung drastisch reduziert wird, bei 19° C oder bei 10°C oder bei 5° C oder erst bei 0° C liegt. Sie beschreibt vielmehr eindeutig den Temperaturbereich, der alle Temperaturen unter 20°C umfasst, sodass nach den Festellungen bei allen von der Beklagen beispielhaft genannten Temperaturen die Abgasreduktion drastisch reduziert ist. Die von der Beklagten vermisste Temperaturgrenze hat das Erstgericht eben mit 20° C festgestellt.

[15] Durch einen simplen Umkehrschluss ist daher auch leicht zu erkennen, wann die Abgasrückführung nach den Ergebnissen dieses Verfahrens ungedrosselt arbeitet: Nämlich nur bei Außentemperaturen über 20° C und das auch nur während der ersten 22 Minuten Fahrbetrieb nach einem Motorkaltstart.

[16] 1.3. Der Oberste Gerichtshof hat bereits entscheiden, dassMechanismen, die die Abgasreduktion im normalen Fahrbetrieb – der in der Regel länger als 22 Minuten dauert und auch bei Außentemperaturen unter 20° C stattfindet – drastisch senken, unabhängig von der Motorschutzausnahme unzulässige Abschalteinrichtungen sind (7 Ob 83/23s Rz 14, unter Verweis auf EuGH C‑145/20 , Porsche Inter Auto und Volkswagen und auf [richtig]10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 Rz 62 zur Motorschutzmaßnahme).

[17] 2. Die Beklagte argumentiert, dass selbst eine unzulässige Abschalteinrichtung entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kein Rechtsmangel sei, insbesondere weil die erteilte Typengenehmigung im zuständigen Mitgliedstaat Italien rechtsbeständig sei.

[18] Dazu ist zunächst darauf hinzuweisen, dass das Berufungsgericht in der Abschalteinrichtung sowohl einen Rechts- als auch einen Sachmangel sah. Letzteres entspricht jedenfalls der höchstgerichtlichen Rechtsprechung (zB 8 Ob 95/22m Rz 25; 10 Ob 2/23a Rz 40 ff) und wird auch in der Revision nicht in Frage gestellt.

[19] Da die Kläger im vorliegenden Fall keine Gewährleistungsansprüche gegen ihren Vertragspartner, sondern Schadenersatzansprüche gegen die Fahrzeugherstellerin geltend machen, ist im Übrigen nicht erkennbar, welche Relevanz diese Einordnung hier haben könnte.

[20] 3. Schließlich beruft sich die Beklagte auf fehlendes Verschulden an der Schutzgesetzverletzung zufolge eines entschuldbaren Rechtsirrtums. Sie habe zum Zeitpunkt der Übertretung mangels gegenteiliger Rechtsprechung und Verwaltungspraxis zumindest vertretbar davon ausgehen dürfen, dass die Emissionsgrenzwerte nur auf dem Prüfstand einzuhalten seien.

[21] 3.1. Den Schädiger trifft die Behauptungs- und Beweislast dafür, dass ihn an der Übertretung eines Schutzgesetzes kein Verschulden trifft (RS0112234 [T1]). Dazu muss er auf Tatsachenebene konkrete und stichhaltige Umstände vortragen, die sein Verhalten als nicht einmal fahrlässig erscheinen lassen (3 Ob 121/23z Rz 23).

[22] Der bewusste Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung, die dazu dienen soll, die Grenzwerte zur Erlangung der Typengenehmigung einzuhalten, spricht ohne Vorliegen besonders rücksichtswürdiger Umstände gegen die Annahme eines Rechtsirrtums (3 Ob 121/23z Rz 23; vgl auch 6 Ob 155/22w Rz 72).

[23] 3.2. Die Rechtsansicht der Beklagten zu Emissionsgrenzwerten ist schon deswegen nicht vertretbar, weil sie sich nicht mit den Zielen der VO 715/2007/EG in Einklang bringen lässt, die ausdrücklich in den Erwägungsgründen genannt werden: zB ein hohes Umweltschutzniveau sicherzustellen (EG 1), das Senken der Emissionen von Kraftfahrzeugen und die Verringerung der Emissionen von Partikeln und Ozonvorläuferstoffen wie Stickstoffoxid und Kohlenwasserstoff (EG 3), die Verbesserung der Luftqualität (EG 6).

[24] Sie widerspricht außerdem Art 5 Abs 1 VO 715/2007/EU , der lautet: „Der Hersteller rüstet das Fahrzeug so aus, dass die Bauteile, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen, so konstruiert, gefertigt und montiert sind, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht.“

[25] Selbst ohne den Normzweck und ohne diese Vorschrift wäre nicht nachvollziehbar, wieso die Beklagte annehmen hätte dürfen, dass sie das ausdrückliche Verbot von Abschalteinrichtungen in Art 5 Abs 1 VO 715/2007/EG nicht beachten hätte müssen.

[26] 3.3. Konkrete Grenzwertüberschreitungen waren für die Klagsstattgebung ohnehin nicht ausschlaggebend.

[27] 4. Das Argument der Beklagten, dass die Kläger keinen Schaden erlitten hätten, weil die Typengenehmigung nicht gefährdet sei, übersieht, dass das Fahrzeug nach den Feststellungen sogar bei baldiger Verfügbarkeit eines Software‑Updates zur Herstellung des gesetzmäßigen Zustands um 10 % weniger wert wäre, als es ein sonst baugleiches, aber bereits verordnungskonformes Fahrzeug.

[28] 5. Der gerügte Verfahrensmangel zweiter Instanz wurde geprüft; er liegt nicht vor: Es bedarf keiner Erörterung nach § 182a ZPO durch das (Berufungs‑)Gericht, wenn es eine vom Prozessgegner bereits in erster Instanz ausdrücklich vertretene Rechtsansicht teilt (vgl RS0122365; hier: Qualifikation der VO 715/2007/EG als Schutzgesetz).

[29] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1, § 50 Abs 1 ZPO. Die Kläger wiesen auf die Unzulässigkeit der Revision hin.

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