European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0040OB00111.14Y.0717.000
Spruch:
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der Nichtigerklärungs‑ und Zurückweisungsbeschluss des Berufungsgerichts wird aufgehoben und dem Berufungsgericht die Sachentscheidung über den die zweitklagende Partei betreffenden Teil der Berufung der beklagten Partei aufgetragen.
Die Kosten des Rekursverfahrens bilden weitere Kosten des Berufungsverfahrens.
Begründung
Die Zweitklägerin, die das Wiener Stromnetz und das Wiener Gasnetz betreibt, begehrt von der Beklagten, der Mieterin einer Wohnung in Wien, die Herausgabe der in der Kundenanlage befindlichen Strom‑ und Gaszähler der Zweitklägerin sowie die Gewährung des Zutritts zur Anlage zum Zweck der Demontage, weil die Netzzugangsverträge für den Strom‑ und Gasbezug per 16. 11. 2012 gekündigt worden seien.
Die Beklagte bestritt das Eigentum der Zweitklägerin an den Messgeräten und wendete ein, die Demontage derselben wäre sittenwidrig.
Das Erstgericht gab dem Herausgabe‑ und Duldungsbegehren statt. Das Eigentum der Zweitklägerin an Strom‑ und Gaszähler als Teil des Versorgungsnnetzes sei notorisch; die Kündigung der Netzzugangsverträge infolge nicht bezahlten Entgelts gerechtfertigt.
Das Berufungsgericht hob aus Anlass der von der Beklagten gegen die Klagestattgebung erhobenen Berufung das hinsichtlich der Zweitklägerin ergangene Urteil samt der die Zweitklägerin betreffenden Kostenentscheidung und das vorangegangene Verfahren als nichtig auf und wies die Klage der Zweitklägerin zurück. Das Gericht könne erst nach bescheidmäßiger Erledigung im Schlichtungsverfahren von Streitigkeiten zwischen Netzzugangsberechtigten und Netzbetreiber über die aus diesem Verhältnis entspringenden Verpflichtungen im Wege der sukzessiven Kompetenz angerufen werden. Die Zweitklägerin strebe mit ihrem Herausgabebegehren die Klärung eines aus ihrem Verhältnis als Netzbetreiber zur Beklagten als Netzzugangsberechtigten zustehenden Anspruchs gemäß § 22 Abs 2 ElWOG und § 132 Abs 2 GWG an. Mangels Einleitung zwingend vorgeschriebenen Schlichtungsverfahrens gemäß § 12 E‑ControlG liege Unzulässigkeit des Rechtswegs vor.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs der Zweitklägerin, mit dem sie die Aufhebung der berufungsgerichtlichen Nichtigerklärung und Klagezurückweisung anstrebt, ist gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO ohne Rücksicht auf die Höhe des Streitwerts und das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage zulässig und auch berechtigt.
Bei der Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtswegs ist maßgeblich, ob nach dem Inhalt der Klage (Klagebegehren und Klagebehauptungen) ‑ unabhängig von der rechtlichen Beurteilung durch die klagende Partei (1 Ob 33/99f = SZ 72/130) ‑ ein seiner Natur nach zivilrechtlicher Anspruch erhoben wird, über den die ordentlichen Gerichte zu entscheiden haben (RIS‑Justiz RS0045584, RS0045718, RS0005896). Auf das Beklagtenvorbringen ist grundsätzlich erst in der Sachentscheidung Bedacht zu nehmen (RIS‑Justiz RS0045584 [T18]); für die Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtswegs kann es nur insoweit herangezogen werden, als dadurch das Klagevorbringen verdeutlicht wird (4 Ob 131/09g mwN). Die inhaltliche Berechtigung des vom Kläger behaupteten Anspruchs ist bei der Frage der Rechtswegszulässigkeit unerheblich, darüber ist erst in der Sachentscheidung abzusprechen (RIS‑Justiz RS0045491).
Sieht eine gesetzliche Regelung ein vorgeschaltetes Verwaltungsverfahren, also eine sukzessive Kompetenz, zwingend vor und wird das Gericht schon vor Einleitung oder Abschluss des Verwaltungsverfahrens angerufen, dann ist die Unzulässigkeit des Rechtswegs die Folge. Ein dennoch gestellter Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurückzuweisen (RIS‑Justiz RS0122665).
Im vorliegenden Fall begründet die Zweitklägerin ihren Herausgabe‑ und Duldungsanspruch (auch) mit ihrem Eigentum an den herausverlangten Messgeräten. Macht der Kläger nach dem für die Zulässigkeit des Rechtswegs allein maßgeblichen Inhalt der Klage einen vom Vertragsverhältnis zwischen den Streitteilen unabhängigen privatrechtlichen Anspruch (hier: Eigentumsklage) geltend, für dessen Bestehen ein Vertragsverhältnis zwischen Netzzugangsberechtigten und Netzbetreibern nicht denknotwendige Voraussetzung ist, kann die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs nicht darauf gestützt werden, dass eine Streitigkeit zwischen Netzzugangsberechtigten und Netzbetreibern über die aus diesem Verhältnis entspringende Verpflichtung iSd § 21 Abs 2 ElWOG vorliege (4 Ob 131/09g). Der vom Berufungsgericht angenommene Nichtigkeitsgrund liegt daher nicht vor.
Selbst die Einordnung des von der Zweitklägerin erhobenen Herausgabe‑ und Duldungsanspruchs als Streitigkeit zwischen Netzzugangsberechtigten und Netzbetreibern über die aus diesem Verhältnis entspringenden Verpflichtungen iSd § 22 Abs 2 Z 1 ElWOG führt nicht zu der von der Beklagten angenommenen Unzulässigkeit des Rechtswegs mangels Befassung der Regulierungsbehörde. Nach ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung wird nur für Netzzugangsberechtigte die zwingende Vorschaltung der Regulierungsbehörde angeordnet; Netzbetreibern wird im Interesse der rascheren Durchsetzung ihrer typischerweise dem Grunde und der Höhe nach in Wahrheit unstrittigen Ansprüche der direkte Zugang zu den Gerichten ermöglicht (vgl Oberndorfer in ElWOG‑Kommentar, § 21A, B Rz 4).
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
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