European Case Law Identifier: AT:OGH0002:2024:0040OB00103.23K.0125.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Der Rekurs wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.429,98 EUR (darin 387,98 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Der Kläger begehrt Schadenersatz, weil das von der Beklagten hergestellte Auto mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen gewesen sei. Das Berufungsgericht hob das die Klage abweisende Urteil des Erstgerichts auf und trug diesem die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Den Rekurs gegen diese Entscheidung ließ es zur Frage zu, ob der Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs auch Schadenersatz im Sinne einer „Rückabwicklung“ gegenüber dem Hersteller begehren könne.
Rechtliche Beurteilung
[2] Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 526 Abs 2 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts hängt die Entscheidung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage ab. Die Entscheidung kann sich daher auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§§ 528a iVm 510 Abs 3 ZPO):
[3] 1. Zur Zulassungsfrage genügt der Hinweis, dass hierzu inzwischen der Europäische Gerichtshof am 21. 3. 2023, C‑100/21 , QB gegen Mercedes‑Benz Group AG, sowie der Oberste Gerichtshof zu 10 Ob 2/23a (Endurteil vom 25. 4. 2023) und zu 10 Ob 16/23k dahin Stellung genommen haben, dass ein Verstoß gegen Art 5 VO 715/2007/EG den Hersteller auch dann ersatzpflichtig (auch im Sinne einer Rückabwicklung) machen kann, wenn er in keinem Vertragsverhältnis mit dem Käufer steht.
[4] 2.1. Weiters ist grundsätzlich geklärt, dass nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig ist.
[5] 2.2. Eine Abschalteinrichtung ist nach der Legaldefinition des Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.
[6] 2.3. Art 5 Abs 2 Satz 2 VO 715/2007/EG normiert drei Ausnahmetatbestände vom Verbot von Abschalteinrichtungen (vgl im Einzelnen 10 Ob 31/23s Rz 40 ff). Insbesondere ist gemäß Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG die Verwendung von Abschalteinrichtungen dann nicht unzulässig, wenn die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Kraftfahrzeugs zu gewährleisten.
[7] Nach der Rechtsprechung des EuGH fällt eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet ist, überdies – ungeachtet des Vorliegens der in Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG normierten Voraussetzungen – nicht unter die Verbotsausnahme des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG (vgl 10 Ob 31/23s Rz 31 mwN).
[8] 2.4. In Anbetracht der Tatsache, dass die Ausnahme eng auszulegen ist, kann eine solche Abschalteinrichtung nur dann ausnahmsweise zulässig sein, wenn nachgewiesen ist, dass diese Einrichtung ausschließlich notwendig ist, um die durch eine Fehlfunktion eines Bauteils des Abgasrückführsystems verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden (Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs bilden – vgl 10 Ob 31/23s Rz 27).
[9] Dabei ist eine Abschalteinrichtung nur dann „notwendig“ im Sinn der Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG , wenn zum Zeitpunkt der EG‑Typengenehmigung dieser Einrichtung oder des mit ihr ausgestatteten Fahrzeugs keine andere technische Lösung unmittelbare Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall, die beim Fahren eines Fahrzeuges eine konkrete Gefahr hervorrufen, abwenden kann (EuGH C‑145/20 , Porsche Inter Auto und Volkswagen, Rn 73; C‑128/20 , GSMB Invest, Rn 62; C‑134/20 , IR gegen Volkswagen, Rn 74; C‑873/19 , Deutsche Umwelthilfe, Rn 94 f, ÖJZ 2023/16 [Brenn]; 10 Ob 31/23s Rz 28; 2 Ob 5/23h Rz 26; 6 Ob 155/22w Rz 38 f; 10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 Rz 59 f).
[10] 2.5. Grundsätzlich hat jede Partei die für ihren Rechtsstandpunkt günstigen Tatsachen zu behaupten und zu beweisen (RS0106638; RS0037797). Soweit sich die Beklagte auf eine Ausnahme von diesem Verbot stützen will, läge es daher an ihr, die für die Verbotsausnahme erforderlichen Voraussetzungen zu behaupten und zu beweisen (6 Ob 155/22w Rz 66; 1 Ob 149/22a Rz 46).
[11] 3. Die Entscheidung des Berufungsgerichts steht damit im Einklang, indem es schon der bis dahin ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Obersten Gerichtshofs folgend dieselbe Rechtsansicht vertrat und vor diesem Hintergrund der Auffassung war, dass eine abschließende rechtliche Beurteilung der Frage, ob die Beklagte eine im Sinne des Unionsrechts unzulässige Abschalteinrichtung verbaut habe, aufgrund fehlender erstinstanzlicher Feststellungen zur konkreten Wirkungsweise der im Fahrzeug des Klägers verbauten Installationen nicht möglich sei. Weiters fehlten – wie der Kläger selbst in seiner Berufung gerügt habe – Feststellungen zu tragenden Klagsbehauptungen, insbesondere ob die Beklagte sittenwidrig und mit Vorsatz ihrer Organe und leitenden Angestellten gehandelt habe, sowie Feststellungen als Grundlage für die Berechnung des Schadens.
[12] 4.1. Der Rekurswerber macht Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens geltend: Das Berufungsgericht habe zu Unrecht nicht angenommen, dass die Beklagte als „'allwissende' Verfahrenspartei“ das Bestehen einer Abschalteinrichtung zugestanden habe.
[13] 4.2. Die Auslegung von Prozessvorbringen ist eine Frage des Einzelfalls, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung grundsätzlich – vom Fall unvertretbarer Fehlbeurteilung abgesehen – keine erhebliche Bedeutung zukommt und daher keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO begründet (RS0042828). Daher hängt auch die Frage, ob ein Vorbringen als Geständnis im Sinn des § 266 ZPO zu werten wäre, ebenso wie die Frage, ob mangels substanziellen Bestreitens ein schlüssiges Tatsachengeständnis anzunehmen wäre (§ 267 ZPO), immer von den Umständen des Einzelfalls ab und erlaubt regelmäßig nicht die Anrufung des Obersten Gerichtshofs (vgl RS0042828 [T41]; RS0040078).
[14] 4.3. Die Beklagte hat bereits in ihrer Klagebeantwortung bestritten, dass das Emissionskontrollsystem des von ihr hergestellten Fahrzeugs bei normalen Betriebsbedingungen unzulässig in seiner Wirksamkeit verringert würde; weder arbeiteten Abgasrückführung und Abgasnachbehandlung (NOx‑Speicherkatalysator) lediglich in einem Temperaturfenster von 17 Grad Celsius bis 33 Grad Celsius, noch würden diese unzulässig in anderen Betriebssituationen nach Zeit, Geschwindigkeit, Laufleistung, Leistung oder nach dem Betrieb von Nebenverbrauchern reduziert. Es sei keine „prüfstandbezogene“ oder anderweitige hypothetisch unzulässige Abschalteinrichtung – weder in Form eines unzulässigen Thermofensters noch in anderer Art und Weise – verbaut; es liege keine unzulässige „Abschaltvorrichtung“ vor.
[15] 4.4. Der Rekurs lässt nicht erkennen, woraus ein Zugeständnis einer unzulässigen Abschalteinrichtung (Thermofenster) ableitbar sein sollte.
[16] 4.5. Dass das Berufungsgericht die wechselseitigen Prozessbehauptungen (und insbesondere das Bestreitungsvorbringen der Beklagten) als ausreichend ansah, hält sich dagegen im Rahmen des ihm notwendigerweise zukommenden Beurteilungsspielraums im Einzelfall und ist nicht korrekturbedürftig.
[17] 5.1. Dass das Berufungsgericht die Feststellungen hierzu im Lichte der erwähnten unions- und höchstgerichtlichen Urteile als für die Beurteilung der Berechtigung des Klagebegehrens nicht ausreichend erkannte, hält sich im Rahmen der dargelegten Rechtsprechung und steht zudem auch im Einklang mit der zeitlich nach der Entscheidung des Berufungsgerichts ergangenen Judikatur (vgl nochmals 10 Ob 31/23s, insbesondere auch Rz 36 ff zu den Bedingungen, unter welchen Emissionen die festgelegten Grenzwerte nicht überschreiten dürfen und zur Irrelevanz der Frage, ob die Emissionsgrenzwerte trotz Aktivität der Abschalteinrichtung „im realen Straßenverkehr“ eingehalten werden).
[18] 5.2. In diesem Lichte werden im fortgesetzten Verfahren im Fall der Bejahung einer unzulässigen „Abschaltvorrichtung“ auch konkrete Feststellungen nachzutragen sein, ob das objektiven Verkehrserwartungen allenfalls nicht genügende Fahrzeug dennoch konkret dem Willen des Käufers entsprach (vgl dazu die Erwägungen und Aufträge zu 10 Ob 16/23k Rz 38 ff [insb Rz 42 ff]).
[19] 5.3. Zur gebotenen (linearen) Art der Berechnung des Schadens und der hierfür erforderlichen Sachverhaltsgrundlagen hat sich zwischenzeitig eine gefestigte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs herausgebildet (RS0134263), die im fortgesetzten Verfahren zu beachten sein wird.
[20] 6. Da sich insgesamt keine Rechtsfrage im Sinn von § 519 Abs 2 in Verbindung mit § 502 Abs 1 ZPO stellt, ist der Rekurs nicht zulässig und zurückzuweisen.
[21] 7.1. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO. Im Zwischenstreit über die Zulässigkeit des Rekurses gegen einen Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts findet kein Kostenvorbehalt nach § 52 ZPO statt (RS0123222; RS0035976 [T2]). Die Beklagte hat auf die dargelegten Aspekte der Unzulässigkeit des Rekurses hingewiesen.
[22] 7.2. Leistungen eines österreichischen Rechtsanwalts für einen ausländischen Unternehmer unterliegen allerdings nicht der österreichischen Umsatzsteuer. Verzeichnet der österreichische Anwalt – kommentarlos – 20 % Umsatzsteuer, wird im Zweifel nur die österreichische Umsatzsteuer angesprochen. Die zu entrichtende ausländische Umsatzsteuer kann nur zugesprochen werden, wenn Entsprechendes behauptet und bescheinigt wird (§ 54 Abs 1 ZPO) oder die Höhe des ausländischen Umsatzsteuersatzes allgemein bekannt ist (RS0114955). Da im Falle der Bundesrepublik Deutschland Letzteres der Fall ist, war der dort ansässigen Beklagten (nur) die in Deutschland zu entrichtende Umsatzsteuer von bekanntermaßen 19 % zuzusprechen (RS0114955 [T10, T12]).
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