OGH 3Ob93/14v

OGH3Ob93/14v23.7.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Univ.‑Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W*****, vertreten durch Dr. Hubert Simon, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1. R*****, 2. B*****, beide vertreten durch Gruner & Pohle, Rechtsanwälte in Wien, wegen Unterlassung nach § 364 Abs 2 ABGB, über die Revision der klagenden Partei gegen des Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 26. September 2013, GZ 36 R 315/12h‑55, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Floridsdorf vom 20. Juni 2012, GZ 26 C 104/10y‑48, in der Hauptsache bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0030OB00093.14V.0723.000

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Berufungsurteil wird aufgehoben und die Rechtssache an das Berufungsgericht zur Ergänzung des Berufungsverfahrens zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Begründung

Die Klägerin (als Eigentümerin einer mittelbar benachbarten Wohnliegenschaft) begehrt von der Erstbeklagten (als Eigentümerin der Wohnliegenschaft, auf der ihr Hund auch im Freien gehalten wird) und der Zweitbeklagten (als Eigentümerin eines Grundstücks, das an die Erstbeklagte als an ihre Wohnliegenschaft anschließender Garten verpachtet ist) die Unterlassung von Lärmimmissionen durch Hundegebell und/oder Hundejaulen, wozu sie für jede Beklagte ein Haupt‑ und Eventualbegehren formulierte. Sie brachte zusammengefasst vor, der Hund der Erstbeklagten terrorisiere seit dem Frühjahr 2009 die gesamte Nachbarschaft zu jeder Tages- und Nachtzeit durch Bellen wegen entlang des Zaunes sich vorbeibewegender Spaziergänger, Radfahrer und sonstiger Freizeitsportler sowie durch permanentes jaulendes Bellen und Heulen wegen Alleinlassens des Tiers. Im Jahr 2011 gestand die Klägerin eine Besserung der Situation in der Nacht zu, weil der Hund offensichtlich in der Nacht im Haus gehalten werde. Untertags werde er aber an den Wochentagen regelmäßig allein gelassen und nicht artgerecht gehalten. Das Gebell und Geheul des Hundes sei auf der Liegenschaft der Klägerin störend für die Dauer von länger als zehn Minuten am Stück bzw länger als 30 Minuten am Tag wahrnehmbar. Der Zweitbeklagten sei es als Bestandgeberin möglich, auf das Verhalten der Erstbeklagten als Bestandnehmerin Einfluss zu nehmen; so stehe es ihr frei, den Pachtvertrag mit der Erstbeklagten ohne besonderes rechtliches Risiko zu beenden.

Die Beklagten bestritten vor allem die Ortsunüblichkeit des Hundegebells und einer Beeinträchtigung der Nutzung der Liegenschaft der Klägerin. Hundegebell und sämtliche von Hunden verursachten Geräusche sowie die mit Hunden in Zusammenhang stehenden Rufe und Ansprachen seien als typisch für den Charakter der streitgegenständlichen Umgebung prägend. Von der Klägerin initiierte Verwaltungsverfahren gegen die Erstbeklagte seien eingestellt worden. Sie provoziere den Hund, der ausgeglichen sei und arttypisches Verhalten zeige. Die Zweitbeklagte habe keine tatsächliche oder rechtliche Möglichkeit, die beanstandeten Lärmimmissionen zu steuern oder zu verhindern. Eine Aufkündigung des Pachtvertrags würde nichts an der behaupteten Immission ändern.

Das Erstgericht wies sämtliche Klagebegehren ab. Es traf umfangreiche Feststellungen zum Verhalten des Hundes der Erstbeklagten und anderer Hunde in der Nachbarschaft der Streitteile und schloss daraus, dass sich die vom Hund der Erstbeklagten verursachte Geräuschentwicklung sowohl in ihrer Lautstärke als auch in ihrer Häufigkeit nicht von jener anderer Hunde in der Umgebung unterscheide. Die davon ausgehende Immission überschreite daher nicht die Ortsüblichkeit.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil nach einer teilweisen Beweisergänzung, bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 5.000 EUR, nicht jedoch 30.000 EUR übersteigend und erklärte die Revision ‑ nachträglich ‑ für zulässig. Auch angesichts der ergänzend getroffenen Feststellungen wurde die rechtliche Argumentation des Erstgerichts im Wesentlichen übernommen.

Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn der Klagestattgebung, in eventu auf Aufhebung und Zurückverweisung an die zweite Instanz.

Die Beklagten machen in ihrer Revisionsbeantwortung die Unzulässigkeit der Revision geltend und treten dieser auch inhaltlich entgegen. Weiters begehren sie die Berichtigung der Kostenentscheidung des Berufungsgerichts.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und im Sinn des eventualiter gestellten Aufhebungsantrags berechtigt , weil das Berufungsurteil an einer erheblichen Mangelhaftigkeit leidet.

1. Die Klägerin hat in erster Instanz mehr als 30 DVDs mit Videoaufzeichnungen der Lautäußerungen des Hundes der Erstbeklagten zum Beweis der vom Hund ausgehenden Lärmbelästigung vorgelegt, die bis auf die ersten zwölf, die mit Beilage ./B bezeichnet wurden, keine Bezeichnung erhielten. In diese wurde vom Erstgericht nur zum Teil Einsicht genommen.

Das Erstgericht begründete das bloß teilweise Abspielen im Wesentlichen damit, die DVDs würden mangels Unmittelbarkeit keine taugliche Grundlage für irgendwelche Feststellungen bieten. Zweifellos sei der Eindruck des Hörens zusammengeschnittener einzelner Bellsequenzen in maximaler Lautstärke in einem Verhandlungssaal gewaltig und geradezu unerträglich und geeignet, vorderhand eine exorbitante ortsunübliche beeinträchtigende unzumutbare Immission durch Hundegebell zu suggerieren. Es sei aber in keiner Weise klar, unter welchen Umständen diese Aufnahmen zustande gekommen seien; sie würden auch keine durchgehende Dokumentation beinhalten, sondern aus einer Vielzahl aneinander gereihten Aufnahmen bestehen, sodass sie kein tatsächliches Bild der Wirklichkeit oder Ablauf eines Geschehens vermitteln könnten (Ersturteil S 44/45).

2. Die Klägerin rügte in ihrer Berufung die Abstandnahme vom vollständigen Abspielen aller DVDs als erheblichen Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens. Dem gerügten Mangel kann die abstrakte Eignung, die erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Streitsache verhindert zu haben ( Zechner in Fasching/Konecny ² § 503 ZPO Rz 123) nicht abgesprochen werden.

3. Das Berufungsgericht setzte sich dem entsprechend mit dieser Mängelrüge auseinander (S 6 bis 8), erachtete „insbesondere das Unterlassen des Abspielens der DVD“, die einen Vorfall vom 21. Oktober 2010 wiedergab, „als Mangelhaftigkeit des Verfahrens“ und spielte deshalb diese DVD ab; nach dem Hinweis des Klagevertreters in der Berufungsverhandlung, die Beweisführung der Klägerin stütze sich nicht nur auf die abgespielte DVD, spielte das Berufungsgericht weiters „vom Klagevertreter genannte Passagen der DVD vom 28. 11. 2009“ ab und traf auch dazu ergänzende Feststellungen (S 8 bis 12). Eine Begründung dafür, warum es der Berücksichtigung der übrigen, vom Erstgericht nicht abgespielten DVDs nicht bedürfe und darin der behauptete Verfahrensmangel nicht zu erblicken sei, enthält das Berufungsurteil allerdings nicht.

4. Die Revision rügt daher mit Recht einen Mangel des Berufungsurteils wegen der unterbliebenen vollständigen Befassung mit einer in der Berufung erhobenen Mängelrüge der Klägerin (vgl RIS‑Justiz RS0042963 [T9]; RS0040597). Das hat zur Folge, dass es ‑ wegen deren mittelbarer Bekämpfung durch die nur zum Teil erledigte Mängelrüge ‑ jedenfalls zum zeitlichen Ausmaß der Lautäußerungen des Hundes der Erstbeklagten an einer bindenden Feststellungsgrundlage und daher an einer ganz wesentlichen Beurteilungsgrundlage fehlt (RIS-Justiz RS0042163; E, Kodek in Rechberger 4 § 498 ZPO Rz 1), weshalb derzeit eine abschließende rechtliche Beurteilung ausgeschlossen ist. Das erfordert die Aufhebung des Berufungsurteils und die Zurückweisung der Rechtssache an das Berufungsgericht, das die vollständige Erledigung der Mängelrüge nachzuholen haben wird. Eine Auseinandersetzung mit den weiteren (materiell‑rechtlichen) Argumenten der Revision erübrigt sich daher derzeit, zumal völlig unklar ist, welcher Sachverhalt einer späteren rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen sein wird.

5. Obwohl das Berufungsgericht ohnehin im Unterlassen des Abspielens aller DVDs in vollem Umfang eine Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens zu erblicken scheint (weil es sonst die auch nur teilweise Beweisergänzung für unerheblich erachtet hätte), sei klargestellt, dass in der Begründung des Erstgerichts eine unzulässige vorgreifende Beweiswürdigung zu erblicken ist, weil eine Beweisaufnahme vorweg im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt wurde, der Beweis werde unergiebig sein (RIS-Justiz RS0043308).

Schließlich ist das Berufungsgericht auf die in der Berufungsbeantwortung enthaltene Beweisrüge der Beklagten (S 5) hinzuweisen, die im Berufungsurteil nicht behandelt wurde.

„Zur Klarstellung sei weiters noch Folgendes kurz angemerkt:

Zur Begründung eines Unterlassungsanspruchs nach § 364 Abs 2 ABGB hat der Kläger sein Eigentumsrecht und die Einwirkung zu beweisen, der Beklagte hingegen die Zulässigkeit seiner Einwirkung (1 Ob 5/06a; RIS-Justiz RS0010474).

Der Unterlassungsanspruch wird durch zwei Elemente konkretisiert: Eine Unterlassungspflicht und die Gefahr, dass dieser Unterlassungspflicht zuwidergehandelt wird. Fehlt eines dieser Elemente, dann besteht kein Unterlassungsanspruch (RIS-Justiz RS0037660). Bei der Gefahr des Zuwiderhandelns ist zu unterscheiden, ob der zu einer bestimmten Unterlassung Verpflichtete bereits einmal zuwidergehandelt (Wiederholungsgefahr) oder ob er sich bisher rechtmäßig verhalten hat (Erstbegehungsgefahr). Im ersten Fall wird vermutet, dass er wieder zuwiderhandeln werde; im zweiten Fall muss das Zuwiderhandeln unmittelbar drohend bevorstehen (RIS‑Justiz RS0037661 [T5]). Ob ein Unterlassungsbegehren berechtigt ist, hängt nicht davon ab, ob sich der Beklagte im Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz rechtswidrig verhält, sondern es kommt allein darauf an, ob die Gefahr künftiger Rechtsverletzungen (iSd Erstbegehungs- oder Wiederholungsgefahr) besteht.

Dass das Verhalten des Beklagten bei Schluss der Verhandlung erster Instanz rechtmäßig war, hat für die Beurteilung der Wiederholungsgefahr keine Bedeutung, solange die Möglichkeit besteht, dass sich die Verhältnisse neuerlich ändern und das Verhalten dadurch wieder rechtswidrig wird (RIS-Justiz RS0114254 [T3 und T5]).

Ungebührlich störender Lärm liegt vor, wenn einerseits der Lärm nach Art bzw Intensität das Wohlbefinden normal empfindender Menschen zu beeinträchtigen geeignet ist und andererseits die Erregung eines solchen Lärms nicht dem beim Zusammenleben von Menschen gebotenen Verhalten entspricht, also jene Rücksichtnahme vermissen lässt, die die Umwelt erlangen kann. Dabei genügt es schon, dass die Lärmerregung objektiv, also von unbeteiligten Personen als störend und ungebührlich empfunden zu werden geeignet ist (RIS-Justiz RS0037198). Soweit es um die Lärmerregung zur Nachtzeit geht, kommt für die Beurteilung der ortsüblichen Immissionen auch den öffentlich‑rechtlichen Vorschriften, die der Erregung störenden Lärms entgegenwirken sollen, wesentliche Bedeutung zu; im Regelfall kann nicht angenommen werden, daß die Erregung (hier die Nachtruhe) störenden Lärms das den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß nicht überschreitet und die ortsübliche Benutzung einer Wohnung nicht beeinträchtigt, wenn sie nach den einschlägigen polizeilichen Vorschriften verboten und mit Strafe bedroht ist (RIS‑Justiz RS0037188). In der Zeit von 22 bis 6 Uhr, in der die Bevölkerung vorwiegend Nachtruhe in Anspruch nimmt, sind selbst mit der üblichen Benützung der Räume verbundene lärmerregende Verrichtungen zu unterlassen, sofern sie wegen der beruflichen Tätigkeit des Verursachers nur zu einer Zeit vorgenommen werden könnten, zu der die übrigen Hausbewohner nach allgemeinem Brauch Anspruch auf Ruhe haben (RIS-Justiz RS0037207).

6. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO. Die Aufhebung des Berufungsurteils einschließlich der Kostenentscheidung erübrigt eine Befassung mit dem Berichtigungsantrag in der Revisionsbeantwortung.

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