Spruch:
Die Bestimmung des § 1319a ABGB betrifft nur Pflichten, die nicht vertraglich übernommen wurden. Bei Verletzung vertraglicher Pflichten und auch bei Verletzung vorvertraglicher Schutzpflichten haftet der Halter des Weges ohne die in dieser Sondervorschrift normierten Beschränkungen, also schon bei leichter Fahrlässigkeit
Ein Gastwirt hat eine vom Zustandekommen eines Gastaufnahme - oder Bewirtungsvertrages unabhängige vorvertragliche Pflicht gegenüber Besuchern seines Geschäftslokales als potentiellen Gästen, den Eingang in sein Gasthaus und den unmittelbar davor befindlichen Gehsteigbereich von Schnee und Eis zu säubern oder zu bestreuen
OGH 12. September 1979, 3 Ob 666/78 (OLG Graz, 6 R 108/78; LG Klagenfurt, 23 Cg 397/77)
Text
Die Klägerin begehrt mit der Behauptung, am 9. Feber 1976 auf dem vereisten und nicht gestreuten Gehsteig vor dem Eingang in das Gasthaus des Beklagten gestürzt zu sein und hiedurch Verletzungen mit Dauerfolgen erlitten zu haben, den Ersatz ihres Schadens im Gesamtbetrag von 71 497.52 S samt Anhang und die Feststellung der Haftung des Beklagten für sämtliche sich aus dem Unfall vom 9. Feber 1976 ergebenden Dauerschäden und Folgen.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Gänze statt. Der Beklagte sei nach §§ 1319 f. ABGB und 93 StVO 1960 zum Ersatz des Schadens der Klägerin verpflichtet, weil er nicht dafür gesorgt habe, daß die Eisflächen entfernt oder bestreut werden. Im übrigen treffe den Beklagten als Gastwirt gegenüber seinen Gästen eine besondere Verkehrssicherungspflicht. Dem Beklagten sei der ihm obliegende Beweis, daß ihn an der Verletzung seiner Pflicht kein Verschulden treffe, nicht gelungen. Das Berufungsgericht verwarf die Nichtigkeitsberufung des Beklagten; im übrigen gab es seiner Berufung jedoch dahin Folge, daß es das Klagebegehren zur Gänze abwies.
Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und billigte auch dessen Ansicht, daß von einer schuldhaften Verletzung der Verpflichtung zur Gehsteigreinigung auszugehen sei, da dem Beklagten der Entlastungsbeweis nach § 1298 ABGB nicht gelungen sei. Nach § 1319a ABGB setze jedoch die Ersatzpflicht des Beklagten voraus, daß ihm zumindest grobe Fahrlässigkeit angelastet werden könne. Einen höheren Grad des Verschuldens des Schädigers habe die Geschädigte zu beweisen. Diesen Nachweis habe die Klägerin nicht erbracht. Der Beklagte habe dafür gesorgt, daß der Gehsteig vor seinem Gasthaus ordentlich gereinigt und sogar trocken war. Wenn er übersehen habe, die relativ geringfügig eisigen Stellen, die sich bei den am Unfallstag herrschenden Witterungsverhältnissen erst kurz vor dem Unfall gebildet haben konnten, zu bestreuen oder sonst zu sichern, so könne noch nicht von grober Fahrlässigkeit gesprochen werden. Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei Folge, hob die Urteile der Gerichte erster und zweiter Instanz auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach allfälliger Verhandlung an das Erstgericht zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Nach § 1319a ABGB haftet für den durch den mangelhaften Zustand eines Weges verursachten Schaden derjenige, der für den ordnungsgemäßen Zustand des Weges als Halter verantwortlich ist, sofern er oder einer seiner Leute den Mangel vorsätzlich oder grob fahrlässig verschuldet hat. Auch die Vernachlässigung der Streupflicht durch den Halter eines Weges ist, wie der OGH bereits wiederholt ausgesprochen hat (EvBl. 1979/157 u. a.), nach § 1319a ABGB zu beurteilen. Der im Schrifttum (Hellbling, Einige Überlegungen zu § 93 StVO, ZVR 1976, 166) vertretenen Meinung, der § 1319a ABGB könne nur dann herangezogen werden, wenn sich die Substanz des Weges, d. h. das Material, aus dem er hergestellt ist, als mangelhaft erweise, nicht jedoch dann, wenn der Weg vom Halter schlecht betreut werde, kann im Hinblick auf die Gesetzesmaterialien nicht gefolgt werden. Im Ausschußbericht (AB 1678 BlgNR, XIII. GP, abgedruckt in Klang[2], BrgBd., 178 f.) wird nämlich ausdrücklich ausgeführt, daß nach § 1319a ABGB die Haftung an den mangelhaften Zustand eines Weges geknüpft worden sei. Diese Sondernorm gilt auch bei Verletzung der Streupflicht eines Gastwirtes (AB 1678 BlgNR, XIII. GP, 3 und 4). Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 1319a ABGB und damit der Haftungsbeschränkung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit ist, daß der auf Schadenersatz in Anspruch Genommene für den ordnungsgemäßen Zustand des Weges als Halter verantwortlich ist. Halter eines Weges ist derjenige, der die Kosten für die Errichtung und Erhaltung des Weges trägt, sowie die Verfügungsmacht hat, die entsprechenden Maßnahmen zu treffen (Köhler in Klang[2], ErgBd., 184 u. a.). Das Berufungsgericht nimmt die Haltereigenschaft des Beklagten offenbar als gegeben an, ohne jedoch zu dieser Frage Stellung zu nehmen. Mangels entsprechender Tatsachenfeststellungen kann nicht verläßlich beurteilt werden, ob der Beklagte als Halter des Weges, auf dem die Klägerin zum Sturz kam, anzusehen ist. Der Beklagte hat durch die Berufung auf die Haftungsbeschränkung des § 1319a ABGB wohl implicite geltend gemacht, Halter des Weges zu sein, ohne jedoch die seine angebliche Haltereigenschaft begrundenden Tatsachen vorzubringen. Den Revisionsausführungen der Klägerin, daß der Beklagte als Liegenschaftseigentümer Halter des Weges sei, ist entgegenzuhalten, daß das Eigentum des Beklagten an dem Grundstück, auf dem sich der Weg befindet, weder festgestellt noch zugestanden wurde. Die Frage der Haltereigenschaft des Beklagten ist jedoch aus Gründen, die noch darzulegen sein werden, für den Fall unerheblich, daß die Behauptung der Klägerin zutrifft, sie habe das Gasthaus des Beklagten in der Absicht betreten wollen, um dort zu essen. Die Vorinstanzen gehen anscheinend von der Richtigkeit dieser Behauptung aus; eine Feststellung hierüber fehlt jedoch, wäre aber erforderlich, da diese prozeßerhebliche Tatsache vom Prozeßgegner nicht zugestanden wurde.
Die Bestimmung des § 1319a ABGB betrifft nur Pflichten, die nicht vertraglich übernommen wurden (JBl. 1979, 433). Bei Verletzung vertraglicher Pflichten haftet auch der Halter eines Weges ohne die in dieser Sondervorschrift normierten Beschränkungen, wird also schon bei leichter Fahrlässigkeit ersatzpflichtig. Die Anwendung des § 1319a ABGB ist auch bei Verletzung von vorvertraglichen Schutzpflichten ausgeschlossen, die wie Vertragsverletzungen zu behandeln sind (Koziol, Haftpflichtrecht II, 63; SZ 48/102 u. a.). Lehre (Koziol a. a. O., 62 ff. und die dort angeführte Literatur) und neuere Rechtsprechung (SZ 46/22; SZ 48/102 u. a.) leiten das Bestehen vorvertraglicher Schutz- und Aufklärungspflichten mittels Rechtsanalogie aus der Bestimmung des § 878 Satz 3 ABGB und ähnlichen Vorschriften (z. B. §§ 248, 866, 869, 874, 932 Abs. 1 letzter Satz ABGB) ab. Das Bestehen solcher Verbindlichkeiten wird damit begrundet, daß mögliche Geschäftspartner schon mit der Aufnahme eines Kontaktes zu geschäftlichen Zwecken in ein beiderseitiges Schuldverhältnis treten, das sie zu gegenseitiger Rücksichtnahme bei der Vorbereitung und beim Abschluß des Geschäftes verpflichtet. Das vorvertragliche Schuldverhältnis besteht unabhängig davon, ob es später zu einem Vertragsabschluß kommt; es handelt sich, wenn der in Aussicht genommene Vertrag nicht zustande kommt oder als nicht zustande gekommen gilt, um ein Schuldverhältnis ohne Hauptleistungspflicht (SZ 48/102 u. a.). Der OGH vertritt in seiner neueren Rechtsprechung in Übereinstimmung mit der Lehre (Koziol a. a. O. 63; Welser in ÖJZ 1973, 286) die Auffassung, daß einen Geschäftsinhaber bei Anbahnung eines geschäftlichen Kontaktes gegenüber seinen potentiellen Kunden nicht nur (allgemeine) Verkehrssicherungspflichten, sondern auch schon vorvertragliche Schutz- und Verkehrssicherungspflichten treffen. So wurde in der Entscheidung SZ 48/100 unter Hinweis auf weitere Entscheidungen ausgesprochen, daß Gastwirte (dort der Veranstalter eines Festes) die ihrer Verfügung unterliegenden Anlagen, die sie ihren Gästen überlassen, in einem verkehrssicheren und gefahrlosen Zustand zu halten haben. Eine solche vorvertragliche Pflicht besteht gegenüber jedem Besucher als potentiellem Vertragspartner eines Gastwirtes oder Veranstalters. Ähnlich ging der OGH in der Entscheidung EvBl. 1979/22 davon aus, daß den Geschäftsinhaber gegenüber einer Person, die sein Geschäft in Kaufabsicht betritt, die vorvertragliche Pflicht trifft, für die Sicherheit des Geschäftslokales zu sorgen (und er daher auch für das Verschulden seiner Gehilfen haftet). Auch im vorliegenden Falle ist eine vom Zustandekommen eines Gastaufnahme- oder Bewirtungsvertrages unabhängige vorvertragliche Schutzpflicht des Beklagten gegenüber den Besuchern seines Geschäftslokales als potentiellen Gästen anzunehmen. Der Beklagte hatte auf Grund dieser vorvertraglichen Verbindlichkeit nicht nur für den sicheren Zustand seines Gasthauses, sondern auch den des Zuganges zu demselben zu sorgen. Es traf ihm im Sinne der vorstehenden Ausführungen gegenüber seinen Besuchern die vorvertragliche Pflicht, den Eingang in sein Gasthaus und den unmittelbar davor befindlichen Gehsteigbereich von Schnee und Eis zu säubern oder zu bestreuen. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen ist die Klägerin unmittelbar vor dem Eingang des Gasthauses des Beklagten gestürzt. Hatte sie, wie sie behauptet, die Absicht, das Gasthaus des Beklagten aufzusuchen, dann haftet der Beklagte für den der Klägerin erwachsenen Schaden bei schuldhafter Verletzung seiner vorvertraglichen Schutzpflicht nicht nach § 1319a ABGB, sondern nach Vertragsgrundsätzen. Diesfalls genügt für seine Haftung leichtes Versehen, das von den Untergerichten mit Recht angenommen wurde. Für ein Versehen seiner Gehilfen hätte der Beklagte in diesem Fall gemäß § 1313a ABGB (nicht § 1319a ABGB) einzustehen, seine Ersatzpflicht wäre daher grundsätzlich zu bejahen. Somit bedarf es einer eindeutigen Feststellung, ob die Klägerin im Unfallszeitpunkt das Gasthaus des Beklagten als potentielle Kundin (Gast) betreten wollte. Würde eine solche Absicht der Klägerin nicht erwiesen, wäre mit den Parteien zu erörtern und zu klären, ob der Beklagte Halter des Weges war oder nicht.
Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, daß entgegen der Ansicht der Revisionswerberin die für die strenge Haftung der Herbergswirte für eingebrachte Sachen maßgeblichen Gründe (siehe hiezu Gschnitzer in Klang[2] IV/1, 660) für die Haftung wegen Verletzung der Wegesicherungspflicht in keiner Weise zutreffen.
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