European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0030OB00046.24X.0403.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiete: Internationales Privat- und Zivilverfahrensrecht, Unionsrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
I. Das gemäß § 90a GOG ausgesetzte Revisionsrekursverfahren betreffend die zweitbeklagte Partei wird fortgesetzt.
II. Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass der die Einrede der mangelnden internationalen (örtlichen) Zuständigkeit verwerfende Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Die Entscheidung über die Kosten des Zwischenstreits über die internationale Zuständigkeit bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
Begründung:
[1] Der in * wohnhafte Kläger und seine Ehefrau kauften von einem in Deutschland ansässigen Fahrzeughändler ein Wohnmobil der Marke Carado T337 um den Kaufpreis von 55.000 EUR. Der schriftliche Kaufvertrag wurde am 14. 3. 2019 am Sitz des Verkäufers in Deutschland unterfertigt. Die Übergabe des Fahrzeugs an den Kläger und dessen Ehefrau erfolgte vereinbarungsgemäß durch das österreichische Auslieferungslager des Verkäufers in Salzburg.
[2] Die in Italien ansässige Erstbeklagte ist Herstellerin des Basisfahrzeugs, die ebenfalls in Italien ansässige Zweitbeklagte hat den Motor entwickelt, der nach den Prozessbehauptungen des Klägers mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinn des Art 5 Abs 2 der VO 715/2007/EG über die Typengenehmigung ausgerüstet ist.
[3] Der Kläger begehrt von den beiden Beklagten aus dem Titel des deliktischen Schadenersatzes die Zahlung von 16.500 EUR sA sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für die ihm künftig aus dem Kauf des Fahrzeugs entstehenden Schäden. In dem von ihm bei einem deutschen Verkäufer erworbenen Wohnmobil sei eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut, für die die Beklagten hafteten. Die internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts gründe sich auf Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012. Der Erfolgsort liege in Salzburg, weil ihm das Fahrzeug dort übergeben worden sei.
[4] Die Zweitbeklagte erhob die Einrede der internationalen (örtlichen) Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts. Der Erfolgsort im Sinn des Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 liege in einem Fall wie dem vorliegenden in dem Mitgliedstaat, in dem das Fahrzeug vom Geschädigten bei einem dritten Verkäufer erworben worden sei. Da der Begriff des Erwerbs mit jenem des Vertragsabschlusses gleichzusetzen sei, liege der „Erwerbsort“ am „Kaufort“. Der Erfolgsort liege damit in Deutschland, weshalb das angerufene Erstgericht international unzuständig sei.
[5] Das Erstgericht verwarf die von der Zweitbeklagten erhobene Einrede der internationalen Unzuständigkeit. Der vom Kläger geltend gemachte Schaden habe sich erst mit der Übergabe des Fahrzeugs an den Kläger in Österreich verwirklicht, weshalb die internationale (örtliche) Zuständigkeit zu bejahen sei. Die Kostenentscheidung behielt das Erstgericht der Endentscheidung vor.
[6] Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Zweitbeklagten Folge, sprach aus, dass das Erstgericht international unzuständig sei und wies die Klage zurück. Nach der Entscheidung des EuGH zu C‑343/19 , VKI, sei der Ort des schädigenden Ereignisses im Sinn des Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 am Ort des Erwerbs des Fahrzeugs gelegen. Der Begriff „erwerben“ knüpfe am Kaufvertragsabschlussort an, weil der Kaufvertrag für die wechselseitigen Verpflichtungen zwischen Verkäufer und Käufer maßgebend sei. Da sich dieser Ort in Deutschland befinde, sei das Erstgericht international unzuständig.
[7] Gegen diese Entscheidung richtet sich der vom Rekursgericht zugelassene Revisionsrekurs des Klägers, der auf eine Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichts abzielt.
Rechtliche Beurteilung
[8] Mit ihrer Revisionsrekursbeantwortung beantragt die Zweitbeklagte, dem Revisionsrekurs der Gegenseite den Erfolg zu versagen.
Zu I.:
[9] Mit Beschluss vom 15. 12. 2022, 3 Ob 206/22y, legte der Senat die hier klärungsbedürftige Frage zur internationalen (örtlichen) Zuständigkeit dem Gerichtshof der Europäischen Union (im Folgenden: EuGH) zur Vorabentscheidung vor und setzte das Revisionsrekursverfahren gegen die Zweitbeklagte bis zum Einlangen der Vorabentscheidung aus. Mit Urteil vom 22. 2. 2024 hat der EuGH die Vorabentscheidung getroffen. Das Revisionsrekursverfahren gegen die Zweitbeklagte ist daher nunmehr fortzusetzen.
Zu II.:
[10] 1. Der Revisionsrekurs des Klägers ist zulässig und nach dem Ergebnis des Vorabentscheidungsverfahrens auch berechtigt.
[11] 2. Der EuGH hat mit Urteil vom 22. 2. 2024, C‑81/23 , FCA Italy und FPT Industrial (ECLI:EU:C:2024:165), das Vorabentscheidungsersuchen des Senats wie folgt beantwortet:
„Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 ist dahin auszulegen, dass sich in einem Fall, in dem ein Fahrzeug, das von seinem Hersteller in einem ersten Mitgliedstaat mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet worden sein soll, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringert, Gegenstand eines in einem zweiten Mitgliedstaat abgeschlossenen Kaufvertrags war und dem Erwerber in einem dritten Mitgliedstaat übergeben wurde, der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs im Sinn dieser Bestimmung im letztgenannten Mitgliedstaat befindet.“
[12] Bei einem Schaden aus dem Erwerb eines mangelhaften Fahrzeugs und der dadurch bedingten Minderung des Sachwerts knüpft der EuGH den Ort des Schadenserfolgs nunmehr ausdrücklich am Ort der Übergabe des mangelhaften Fahrzeugs an den Endabnehmer an. Der Gerichtshof begründet dies im Wesentlichen damit, dass in vergleichbaren Fällen – der Lieferung eines fehlerhaften Bestandteils für ein Produkt – der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs jener Ort sei, an dem das den Schaden auslösende Ereignis seine schädigenden Wirkungen entfalte, dh der Ort, an dem sich der durch das fehlerhafte Erzeugnis herbeigeführte Schaden konkret zeige (C‑189/08 , Zuid‑Chemie, ECLI:EU:C:2009:475). Dementsprechend sei in Fällen wie dem hier vorliegenden der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs jener Ort, an dem sich der Mangel, mit dem das Fahrzeug behaftet sei, zeige und seine schädigenden Wirkungen für den Endabnehmer entfalte, dh der Ort, an dem diesem das Fahrzeug übergeben worden sei (Rn 39 und 40). Ein Automobilhersteller, der unzulässige Manipulationen an in anderen Mitgliedstaaten in den Verkehr gebrachten Fahrzeugen vornehme, müsse damit rechnen, dass er vor den Gerichten dieser Staaten bzw vor den Gerichten der Mitgliedstaaten verklagt werde, in denen die in den Verkehr gebrachten Fahrzeuge den Endabnehmern übergeben worden seien (Rn 41).
[13] 3.1 Im Anlassfall wurde das Fahrzeug dem Kläger (und seiner Ehegattin) in Salzburg übergeben. Die internationale örtliche Zuständigkeit des Erstgerichts für die geltend gemachten deliktischen Schadenersatzansprüche ist daher gegeben. Damit war dem Revisionsrekurs des Klägers Folge zu geben und die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen. Das Erstgericht wird nunmehr das gesetzmäßige Verfahren über die geltend gemachten Ansprüche auch gegenüber der Zweitbeklagten durchzuführen haben.
[14] 3.2 Der Kostenvorbehalt beruht infolge des Kostenvorbehalts des Erstgerichts auf § 52 Abs 3 ZPO.
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