OGH 3Ob45/16p

OGH3Ob45/16p27.4.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hoch als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin Dr. Lovrek, die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch und die Hofrätin Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B*****, vertreten durch Dr. Christoph Rogler, Rechtsanwalt in Steyr, gegen die beklagte Partei R*****, vertreten durch Dr. Edgar Hofbauer, Rechtsanwalt in Schwanenstadt, wegen 10.370,75 EUR sA und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Berufungsgericht vom 14. Oktober 2015, GZ 22 R 221/15d-29, womit das Zwischenurteil des Bezirksgerichts Vöcklabruck vom 11. Juni 2015, GZ 13 C 377/14p-25, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0030OB00045.16P.0427.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.017,90 EUR (hierin enthalten 169,65 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin kam am Morgen des 18. Jänner 2013 im Bereich des Hauses der Beklagten zu Sturz und verletzte sich, als sie dem damaligen Mieter einer der Wohnungen in diesem Haus die von ihm abonnierte Zeitung zustellen wollte. Der über mehrere Stufen führende Zugang zum Eingang dieser Wohnung war damals mit etwa 5 cm Schnee bedeckt und extrem rutschig.

Die Beklagte wohnt selbst nicht in diesem Haus, sucht es aber regelmäßig (mehrmals pro Woche) auf. Sie hatte mit ihrem Mieter vereinbart, dass dieser den ‑ nur ihm und nicht auch den anderen Mietern des Hauses dienenden ‑ Zugang zu seiner Wohnung bei winterlichen Bedingungen zu räumen und zu streuen hat. Ob er dieser Verpflichtung tatsächlich nachkam, überprüfte die Beklagte nicht; sie erfuhr aber auch nicht, dass er dies nicht tue.

Zum Zeitpunkt des Unfalls der Klägerin litt der Mieter der Beklagten seit knapp zwei Wochen an einer Lungenentzündung und war bettlägrig. In diesem Zeitraum unterließ er deshalb die Schneeräumung und Streuung; er informierte weder die Beklagte über seine Erkrankung noch beauftragte er einen Dritten mit dem Winterdienst.

Die Klägerin begehrte Schadenersatz von 10.370,75 EUR sA sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle künftigen Unfallsfolgen. Diese habe ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt. Sie habe sich eines untüchtigen Gehilfen (ihres Mieters) bedient und auch eine Kontrolle seiner Tätigkeit gänzlich unterlassen.

Die Beklagte wendete mangelnde Passivlegitimation ein. Durch die rechtsgeschäftliche Übertragung der Streupflicht sei ihr Mieter insoweit „zur Gänze rechtlich an ihre Stelle getreten“.

Das Erstgericht fällte ein Zwischenurteil über den Grund des Anspruchs. Die Beklagte hafte aufgrund der Verletzung ihrer Verkehrssicherungspflicht für die Folgen des Sturzes der Klägerin. Sie habe nicht nachweisen können, dass sie sich eines tüchtigen Besorgungungsgehilfen bedient und diesen ausreichend überwacht habe.

Das Berufungsgericht wies über Berufung der Beklagten das Klagebegehren ab. Die Beklagte habe die sie als Vermieterin grundsätzlich treffende Verkehrsicherungspflicht rechtsgeschäftlich ihrem Mieter übertragen. Damit scheide ein Auswahl- oder Organisationsverschulden der Beklagten von vornherein aus. Es könne auch dahingestellt bleiben, ob der Mieter als habituell untüchtig iSd § 1315 ABGB zu qualifizieren sei.

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob der Mieter bei wirksamer Übertragung der Schneeräumungs- und Streupflicht durch den Vermieter in Ansehung des unmittelbaren Zugangsbereichs zu seinem Mietobjekt insoweit Besorgungsgehilfe des Vermieters iSd § 1315 ABGB sei oder ob den Mieter diesbezüglich die alleinige Verkehrssicherungspflicht treffe.

In ihrer Revision macht die Klägerin zusammengefasst geltend, die Beklagte sei ungeachtet ihrer Vereinbarung mit dem Mieter weiterhin verkehrssicherungspflichtig gewesen, und habe für das Fehlverhalten ihres Mieters als ihres Besorgungsgehilfen einzustehen. Sie habe jedenfalls ein Überwachungsverschulden zu verantworten.

Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1.1. Verkehrssicherungspflichten treffen den-jenigen, der die Gefahr erkennen und die erforderlichen Schutzmaßnahmen ergreifen kann, also jenen, der die Gefahr beherrscht. Wer demnach eine Gefahrenquelle schafft oder in seiner Sphäre bestehen lässt, muss die notwendigen und ihm zumutbaren Vorkehrungen treffen, um eine Schädigung anderer nach Tunlichkeit abzuwenden (RIS-Justiz

RS0022778). In diesem Sinn hat nach ständiger Rechtsprechung insbesondere derjenige, der auf einem ihm gehörenden oder seiner Verfügung unterstehenden Grund und Boden einen ‑ wenn auch nur auf einen bestimmten Personenkreis beschränkten ‑ Verkehr eröffnet, für die Verkehrssicherung zu sorgen (RIS-Justiz

RS0023355 [T10, T19]). Im Hinblick darauf bestand ‑ jedenfalls zunächst ‑ eine Verkehrssicherungspflicht der Beklagten, weil sie die Zeitungsrolle im Eingangsbereich der vermieteten Wohnung angebracht hat.

1.2. Der Verkehrssicherungspflichtige kann seinen Sorgfaltspflichten auch dadurch nachkommen, dass er eine andere geeignete Person ‑ sei es einen Gehilfen oder einen eigenverantwortlich Handelnden ‑ mit der Durchführung der erforderlichen Maßnahmen betraut (RIS‑Justiz RS0128699).

1.3. Werden Tätigkeiten an eigenverantwortlich handelnde Personen weitergegeben, so treffen die Verkehrssicherungspflichten nur diese, während der Übertragende (nur, aber immerhin) für Auswahlverschulden und unter Umständen für Überwachungsverschulden haftet (2 Ob 157/09s = RIS-Justiz RS0023938 [T7]). Für seine Besorgungsgehilfen haftet der Verkehrssicherungspflichtige nach Maßgabe des § 1315 ABGB (RIS-Justiz

RS0023938).

1.4. Damit erweist sich also ‑ unabhängig davon, ob der Mieter als Besorgungsgehilfe der Beklagten oder als eigenverantwortlich Handelnder anzusehen ist ‑ die Rechtsansicht des Berufungsgerichts als verfehlt, dass die Beklagte infolge vertraglicher Überbindung ihrer Verkehrssicherungspflichten an ihren Mieter von vornherein nicht hafte.

2. Für die Revisionswerberin ist aber daraus im Ergebnis nichts zu gewinnen:

2.1. Eine habituelle Untüchtigkeit des Mieters der Beklagten als ihres Besorgungsgehilfen konnte die ‑ hiefür nach neuerer Rechtsprechung behauptungs- und beweispflichtige (RIS-Justiz

RS0124440; 1 Ob 160/15h) ‑ Klägerin schon deshalb nicht dartun, weil sie sich lediglich darauf stützte, dass der Mieter „zum damaligen Zeitpunkt“ wegen seiner schweren Erkrankung ein jedenfalls untüchtiger Gehilfe gewesen sei (Seite 6 in ON 24). Habituelle Untüchtigkeit iSd § 1315 ABGB liegt aber nicht schon dann vor, wenn der Besorgungsgehilfe seiner Aufgabe vorübergehend ‑ etwa wie hier wegen einer Erkrankung ‑ nicht nachkommen kann, sondern setzt voraus, dass er die für eine bestimmte Arbeit erforderlichen Kenntnisse überhaupt nicht besitzt oder infolge persönlicher Eigenschaften, etwa aus Hang zur Nachlässigkeit, generell für diese Tätigkeit nicht geeignet ist (RIS-Justiz RS0028885).

2.2. Der Umstand, dass der Mieter vor dem Unfall der Klägerin bereits fast zwei Wochen lang krank war, ohne dass dies der Beklagten aufgefallen ist, könnte nur dann eine ‑ für den Schaden der Klägerin kausale ‑ Verletzung ihrer Überwachungspflicht nahelegen, wenn der Beklagten, hätte sie entsprechend kontrolliert, eine unzureichende Schneeräumung und Streuung auffallen hätte können und müssen (was wiederum entsprechende Witterungsbedingungen in den knapp zwei Wochen vor dem Unfallstag vorausgesetzt hätte). Dazu hat die Klägerin allerdings keinerlei Vorbringen erstattet.

2.3. Im Ergebnis hat das Berufungsgericht das Klagebegehren daher zu Recht abgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

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