OGH 3Ob241/19s

OGH3Ob241/19s22.1.2020

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat Dr.

 Roch als Vorsitzenden sowie den Hofrat Priv.‑Doz. Dr. Rassi, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Exekutionssache der betreibenden Partei H***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Gabriele Opperer, Rechtsanwältin in Innsbruck, gegen die verpflichtete Partei N*****, vertreten durch Dr. Karl-Heinz Plankel, Rechtsanwalt in Wien, wegen 75.936 EUR sA, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der verpflichteten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 21. November 2019, GZ 4 R 271/19k-11, womit der Rekurs der verpflichteten Partei gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Innsbruck vom 27. September 2019, GZ 25 E 4876/19p-2, zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0030OB00241.19S.0122.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Rekursgericht wird die neuerliche Entscheidung über den Rekurs der verpflichteten Partei unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsrekurses bilden weitere Kosten des Rekursverfahrens.

 

Begründung:

Das Erstgericht bewilligte der Betreibenden gegen die Verpflichtete aufgrund eines noch nicht vollstreckbaren Urteils des Bezirksgerichts Innsbruck mit Beschluss vom 27. September 2019 zur Hereinbringung der vollstreckbaren Forderung von 75.936 EUR sA die Forderungsexekution zur Sicherstellung.

Am 23. Oktober 2019, dem letzten Tag der Rekursfrist, erhob der Verpflichtetenvertreter im elektronischen Rechtsverkehr Rekurs gegen die Exekutionsbewilligung. Am selben Tag brachte er einen weiteren Schriftsatz ein, in dem er erklärte: „Der eingebrachte Rekurs wurde irrtümlich zu früh versendet und wird hiemit zurückgezogen“. Im Anschluss brachte er ebenfalls noch am 23. Oktober 2019 neuerlich einen Rekurs gegen die Exekutionsbewilligung ein.

Das Rekursgericht nahm die Zurückziehung des ersten Rekurses zur Kenntnis und wies den zweiten Rekurs mit der Begründung zurück, dass die Rücknahme des Rekurses gemäß § 484 Abs 2 ZPO (analog) den Verlust des Rechtsmittels zur Folge habe; durch die Zurücknahme des Rechtsmittels werde die bekämpfte Entscheidung sofort rechtskräftig. Aus diesem Grund sei ein nach Rechtsmittelzurückziehung, wenn auch noch in offener Rechtsmittelfrist, eingebrachtes neues Rechtsmittel unzulässig. Daran könne auch der Umstand nichts ändern, dass die Verpflichtete ihre Rechtsmittelrücknahme damit begründet habe, dass sie das erste Rechtsmittel „irrtümlich zu früh versendet“ habe. Der erste Rekurs habe nämlich keinerlei verbesserungsbedürftige Mängel aufgewiesen und wäre vom Rekursgericht inhaltlich zu behandeln gewesen. Maßgeblich sei der Inhalt der abgegebenen Prozesserklärung, hier also der Rechtsmittelzurücknahme, und nicht ihre Begründung. Es widerspräche auch dem Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels, wenn eine Partei die Möglichkeit hätte, ein bereits erhobenes Rechtsmittel, etwa wegen nachträglich erkannter Unvollständigkeiten oder inhaltlicher Unrichtigkeiten, durch ein neues auszutauschen.

Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zu.

In ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs macht die Verpflichtete zusammengefasst geltend, sie habe niemals intendiert, auf das ihr zustehende Rechtsmittel zu verzichten. Dies habe sie durch den Hinweis auf die irrtümlich verfrühte Versendung des Rekurses auch deutlich zum Ausdruck gebracht. Der Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels stehe außerdem weiteren Rechtsmittelschriften, Nachträgen oder Ergänzungen dann nicht entgegen, wenn diese – wie hier – am selben Tag wie der erste Rechtsmittelschriftsatz bei Gericht einlangten.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist wegen einer vom Obersten Gerichtshof aufzugreifenden Fehlbeurteilung des Rekursgerichts zulässig und im Sinn seines Aufhebungsantrags berechtigt.

1. Wie das Rekursgericht grundsätzlich richtig erkannt hat, ist § 484 ZPO auf die Zurücknahme eines Rekurses analog anzuwenden (RS0110466 [T3, T4]). Es trifft auch zu, dass die Zurücknahme des Rekurses bedingungsfeindlich und unwiderruflich ist und den sofortigen Eintritt der Rechtskraft zur Folge hat (RS0110466).

2. Prozesserklärungen sind nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen (RS0017881 [T4, T5]). Es kommt darauf an, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Prozesszwecks und der dem Gericht und Gegner bekannten Prozess- und Aktenlage objektiv verstanden werden muss (RS0037416; RS0097531). Dabei ist hier entgegen der Ansicht des Rekursgerichts nicht allein auf den Begriff „Zurückziehung“ abzustellen, sondern sehr wohl auch der erklärende Hinweis („irrtümlich zu früh versendet“) zu berücksichtigen. Daraus ergibt sich nämlich – schon nach dem Wortlaut, jedenfalls aber in Zusammenhalt mit dem noch am selben Tag eingebrachten zweiten Rekurs – zweifelsfrei, dass die Verpflichtete nicht die Absicht hatte, ihr Rechtsmittel ersatzlos (im Sinn eines Verzichts) zurückzuziehen, sondern dass sie es bloß modifizieren wollte. Angesichts des Umstands, dass der 23. Oktober 2019 der letzte Tag der Rekursfrist war, kann der Hinweis auf eine verfrühte Einbringung objektiv sinnvoll (vgl RS0106326) nicht anders verstanden werden.

3. Nach dem Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels steht jeder Partei zwar nur eine einzige Rechtsmittelschrift oder Rechtsmittelgegenschrift zu (RS0041666 [T5]).

Eine Ausnahme von diesem Grundsatz besteht jedoch nach ständiger Rechtsprechung für weitere Rechtsmittelschriften, Nachträge oder Ergänzungen dann, wenn diese – wie hier – am selben Tag wie der erste Rechtsmittelschriftsatz bei Gericht einlangen (RS0041666 [T53]).

Die mehreren Rechtsmittelschriftsätze sind dann als einheitliches Rechtsmittel anzusehen (3 Ob 77/18x; RS0041666 [T40]).

4. Im Hinblick auf diese Rechtsprechung dürfen die drei von der Verpflichteten am selben Tag eingebrachten Schriftsätze nicht, wie es das Rekursgericht getan hat, isoliert betrachtet werden. Vielmehr sind der erste Rekurs und seine Ergänzung (im Rahmen des zweiten Rechtsmittelschriftsatzes) unter Außerachtlassung des (unnötigen) Zwischenschritts der offensichtlich nicht gewollten Zurückziehung des ersten Rekurses als Einheit anzusehen.

5. Über diesen (ergänzten) Rekurs der Verpflichteten wird das Rekursgericht daher inhaltlich zu entscheiden haben.

6. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO iVm § 78 EO.

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