OGH 3Ob199/00m

OGH3Ob199/00m23.5.2001

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Angst als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Graf, Dr. Pimmer, Dr. Zechner und Dr. Sailer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Melanie W*****, vertreten durch Dr. Hans Kröppel, Rechtsanwalt in Kindberg, gegen die beklagte Partei S*****, wegen Feststellung, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichtes Leoben als Rekursgericht vom 9. Juni 2000, GZ 3 R 155/00a-5, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes Bruck a. d. Mur vom 8. Mai 2000, GZ 6 C 1/00g-2, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung

Die beklagte Stadtgemeinde führt gegen die Klägerin auf Grund eines Rückstandsausweises über Getränkesteuer in Höhe von S 146.997,-- und Mahngebühren in Höhe von S 200,-- Fahrnisexekution.

Die Klägerin begehrt das Urteil, es werde festgestellt, dass dieser Rückstandsausweis "infolge Richtlinienverstoß dieser Abgabe gegenüber der Verbrauchssteuerrichtlinie 92/12 EWG vom 25. 2. 1992 rechtsunwirksam ist".

Das Erstgericht wies die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges zurück. Ob der Rückstandsausweis zu Recht erlassen wurde, könne nicht in einem gerichtlichen Verfahren geprüft werden. Im Verwaltungsverfahren müsse auch geprüft werden, ob die Übereinstimmung mit nationalen, aber auch mit europäischen Normen gegeben ist. Eine Rechtsunwirksamerklärung des Rückstandsausweises sei dem Gericht daher entzogen, weshalb die Klage zurückzuweisen sei.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss und sprach aus, der Wert des Entscheidungsgegenstandes übersteige insgesamt S 52.000,--, nicht jedoch S 260.000,--; der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil eine andere rechtliche Beurteilung der hier entscheidungsrelevanten Frage, der auch eine über den konkreten Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme, nicht undenkbar erscheine und - soweit für das Rekursgericht überblickbar - eine diesbezügliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht existiere.

In rechtlicher Hinsicht führte das Rekursgericht aus, die Klägerin übersehe den verfassungsgesetzlich gesicherten Grundsatz, dass die Justiz von der Verwaltung in allen Instanzen getrennt ist (Art 94 B-VG). Auf Grund dieses Grundprinzips der österreichischen Rechtsordnung sei die inhaltliche Prüfung der Rechtswidrigkeit eines Aktes einer Verwaltungsbehörde durch das Gericht unzulässig. Die Prüfung der materiellen Gültigkeit, der Gesetzmäßigkeit und der Richtigkeit von Rückstandsausweisen, die zwar gemäß § 1 Z 13 EO Exekutionstitel, jedoch keine Bescheide seien, sei im Verwaltungsweg vorzunehmen. An dieser Beurteilung vermöge auch der von der Klägerin ins Treffen geführte grundsätzliche Vorrang des europäischen Gemeinschaftsrechtes vor dem innerstaatlichen Recht nichts zu ändern.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Klägerin ist nicht berechtigt.

Die von der Klägerin begehrte Überprüfung des Rückstandsausweises, der hier der Exekutionstitel (§ 1 Z 13 EO) ist, ist dem Gericht verwehrt.

Die Klägerin bezeichnet ihre Klage im Rubrum als "Klage auf Unwirksamerklärung einer Forderung sowie Impugnationsklage"; das Klagebegehren ist auf Feststellung der Rechtsunwirksamkeit des Rückstandsausweises, auf Grund dessen die beklagte Partei gegen die Klägerin Fahrnisexekution betreibt, gerichtet.

Zur Prüfungsbefugnis des Gerichtes bei einer Exekution auf Grund eines Rückstandsausweises gilt - wie der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung SZ 60/279 (mwN) dargelegt hat - grundsätzlich folgendes:

Einwendungen gegen den betriebenen Anspruch im Sinn des § 35 Abs 1 EO sind gemäß § 35 Abs 2 Satz 2 (nunmehr Satz 3) EO bei der Verwaltungsbehörde anzubringen, von welcher der Exekutionstitel ausgegangen ist. Auch für Einwendungen gegen die Exekutionsbewilligung im Sinne des § 36 Abs 1 Z 1 EO ist bei einem Exekutionstitel im Sinne des § 1 Z 13 EO der Rechtsweg unzulässig, wenn es um die sachliche Überprüfung des verwaltungsbehördlichen Exekutionstitels und um die Richtigkeit der von der Verwaltungsbehörde ausgestellten Bestätigung der Vollstreckbarkeit geht. Dem gegenüber steht der Rechtsweg für eine Impugnationsklage nur offen, wenn die Vollstreckbarkeit von einer nach § 7 Abs 2 EO zu beweisenden Tatsache abhängt, wenn die im Sinne des § 9 EO angenommene Rechtsnachfolge strittig ist oder wenn eine Exekutionsstundung oder ein Exekutionsverzicht geltend gemacht wird; weiters kann das Gericht zB prüfen, ob der als Exekutionstitel vorgelegte Rückstandsausweis den vom Gesetz vorgeschriebenen Inhalt hat, nicht jedoch, ob ein Rückstandsausweis zugestellt wurde oder ob er eine vorangehende Mahnung erfordert hätte.

Die Meinung der Klägerin, § 39 EO formuliere ganz ausdrücklich die Möglichkeit der Feststellung der Rechtsunwirksamkeit eines Vollstreckungstitels, unabhängig, ob dieser aus dem Bereich der Justiz oder jenem der Verwaltung komme, ist verfehlt. § 39 Abs 3 EO, auf den sich die Klägerin dabei stützt, sieht nur vor, dass mit einer Klage auf Ungültig- bzw Unwirksamerklärung oder auf Aufhebung des Exekutionstitels der Antrag auf Einstellung der Exekution verbunden werden kann. Die Bestimmung schafft keinen Tatbestand für eine Klage, sondern setzt voraus, dass eine Klage auf Grund einer anderen gesetzlichen Regelung zulässig ist. Auch § 39 Abs 1 Z 1 EO bildet keine allgemeine Rechtsgrundlage für Klagen auf Beseitigung von Exekutionstiteln (Jakusch in Angst, EO Rz 20 zu § 39). Die den Titel beseitigende Entscheidung muss in anderen Bestimmungen ihre Grundlage haben; § 39 Abs 1 Z 1 EO ist nur die Grundlage für eine Exekutionseinstellung, nicht aber die Rechtsquelle für solche Klagen (Rebernig in Burgstaller/Deixler-Hübner, EO Rz 6 zu § 39 mit Hinweis auf 3 Ob 64/79).

Es trifft auch nicht zu, dass ein entsprechender Rechtsbehelf im Verwaltungsverfahren nicht vorhanden wäre. Die Prüfung der materiellen Gültigkeit, der Gesetzmäßigkeit und der Richtigkeit von Rückstandsausweisen ist vielmehr im Verwaltungsverfahren vorzunehmen (RdW 1996, 364 mwN), wofür jedenfalls die im § 35 Abs 2 Satz 3 EO vorgesehenen Einwendungen zur Verfügung stehen (Jakusch in Angst, EO Rz 77 zu § 1). Gerade dies entspricht dem in Art 94 B-VG festgelegten Prinzip der Trennung von Justiz und Verwaltung. Die gegenteilige im Revisionsrekurs vertretene Ansicht ist nicht nachvollziehbar, weshalb auch kein Anlass für die angeregte Anrufung des Verfassungsgerichtshofes besteht.

Aus dem grundsätzlichen Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechtes (vgl Thun-Hohenstein/Cede, Europarecht3 91 ff) folgt keineswegs, dass damit auch die innerstaatliche Kompetenzverteilung hinfällig wäre.

Im Übrigen hat sich der Oberste Gerichtshof bereits in der ebenfalls heute ergangenen Entscheidung 3 Ob 318/00m mit dem dargestellten Fragenkreis auseinandergesetzt. Sie enthält folgende auch hier maßgebende Ausführungen:

"Zum Rückersatz für ohne Rechtsgrund gezahlte Mehrwertsteuer hat der EuGH in seinem Urteil im Fall BP Soupergaz, Rs C-62/93 , Slg 1995 I-1883, in einem Vorabentscheidungsverfahren folgende Rechtssätze aufgestellt:

'Insbesondere folgt daraus, dass das Recht auf Erstattung von Beträgen, die ein Mitgliedstaat unter Verstoß gegen die Vorschriften des Gemeinschaftsrechts erhoben hat, eine Folge und eine Ergänzung der Rechte darstellt, die den Einzelnen durch die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften in ihrer Auslegung durch den Gerichtshof eingeräumt worden sind. Zwar kann die Erstattung nur im Rahmen der in den jeweils einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften festgelegten materiellen und formellen Voraussetzungen betrieben werden, doch dürfen diese Voraussetzungen und die Verfahrensmodalitäten für die Klagen, die den Schutz der dem Bürger aus der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechtes erwachsenen Rechte gewährleisten sollen, nicht ungünstiger sein als bei ähnlichen Klagen, die nur innerstaatliches Recht betreffen, und sie dürfen nicht so ausgestaltet werden, dass sie die Ausübung der Rechte, die die Gemeinschaftsrechtsordnung einräumt, praktisch unmöglich macht(en). Ein Steuerpflichtiger kann daher mit Rückwirkung auf den Tag des Inkrafttretens der im Widersprucht zur 6. Richtlinie (77/388) stehenden nationalen Rechtsvorschriften die Erstattung der ohne Rechtsgrund gezahlten Mehrwertsteuer nach den in der innerstaatlichen Rechtsordnung des betreffenden Migliedsstaats festgelegten Verfahrensmodalitäten verlangen, sofern diese Modalitäten den oben genannten Anforderungen entsprechen.'

Demnach sind die Mitgliedstaaten bei der Gewährung von Rechtsschutz beim mittelbaren Vollzug an bestimmte Grundsätze gebunden, zu denen vor allem der Grundsatz der Gleichbehandlung zählt, wonach der Rechtsschutz nicht ungünstiger sein darf als bei ähnlichen, nicht unter den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fallenden Verfahren (EuGH Rs C-88/99 [Roquette Freres] wbl 2001, 77; Öhlinger/Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht 118 mwN). Dass im vorliegenden Fall der Rechtsschutz der Getränkeabgabenpflichtigen schlechter wäre als in vergleichbaren, rein innerstaatlichen Verfahren, wird in der Klage nicht geltend gemacht und ist auch nicht zu erkennen.

Es ist daher nur noch zu prüfen, ob von den dargestellten Grundsätzen unabhängig das Gemeinschaftsrecht die Möglichkeit der Durchsetzung von Ansprüchen, die sich aus der mangelnden Umsetzung von EU-Richtlinien ergeben vor den ordentlichen Gerichten, verlangt. In der Judikatur des EuGH steht dabei die Erwägung im Vordergrund, dass solche "Gerichte" im Sinn von Art 177 EGV entscheiden müssten, die im gegebenen Fall eine Vorabentscheidung des EuGH einholen können und müssen (vgl Rs C-228/92 [Roquette Freres SA] Slg 1994 I-1445, Rz 27; Öhlinger-Potacs aaO 120). Die Berechtigung, den EuGH wegen einer Vorabentscheidung nach Art 177 EGV (jetzt Art 234 EG) anzurufen, wird dem österreichischen Verwaltungsgerichtshof vom EuGH aber ohnedies laufend zugebilligt (zuletzt etwa Rs C-113/99 [Herta Schmidt]; diese Rechtssache betraf eine Klage auf Rückerstattung von nationalen Abgaben, die später für gemeinschaftswidrig erklärt worden waren). Auch in der weiteren, jüngst ergangenen Entscheidung des EuGH vom 28. 11. 2000 (Rs C-88/99 [Roquette Freres SA]) wird, ähnlich wie schon in dem bereits zitierten Urteil im Fall BP Soupergaz, ausgesprochen, dass die Bestimmung der zuständigen Gerichte und die Ausgestaltung des Verfahrens für die Klagen, die den Schutz der den Einzelnen aus der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechs erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, Sache der nationalen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten sei; dabei dürften freilich diese Bedingungen nicht ungünstiger sein als diejenigen für entsprechende nur nationales Recht betreffende Klagen, und sie dürften nicht so gestaltet sein, dass sie die Ausübung der Rechte, die die nationalen Gerichte zu schützen verpflichtet sind, praktisch unmöglich machten (Rz 20 mwN).

Aus den dargelegten Entscheidungen des EuGH ist nach Ansicht des erkennenden Senates eindeutig abzuleiten, dass europarechtlich keineswegs, wie vom Kläger vermeint, die Ausgestaltung des Rechtsschutzes für die Rückerstattung von auf Grund EU-rechtswidriger nationaler Rechtsnormen gezahlter Abgaben bzw für Einwendungen gegen derartige Ansprüche auf Zahlung solcher Abgaben entgegen der in Österreich herrschenden Gewaltenteilung in der Form der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte erforderlich ist. Demnach ist es auch nicht geboten, den EuGH im Sinn des § 234 EG wegen einer Vorabentscheidung anzurufen."

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 40, 50 ZPO.

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