OGH 3Ob194/04g

OGH3Ob194/04g24.11.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Pimmer, Dr. Zechner, Dr. Sailer und Dr. Jensik als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Robert K*****, vertreten durch Mag. Dr. Gerald Scholz, Rechtsanwalt in Breitenfurt, wider die beklagte Partei Bank ***** AG, ***** vertreten durch Fellner, Wratzfeld & Partner, Rechtsanwälte in Wien, wegen 13.004,72 EUR sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 26. November 2003, GZ 11 R 135/03h-19, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 20. Mai 2003, GZ 13 Cg 91/02a-15, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung

Am 22. Juli 2002 wurde zwischen 11.30 und 11.45 Uhr die Geldbörse des Klägers, die sich in seinem Sakko an seinem Arbeitsplatz in einem unversperrten - aber versperrbaren - Büroraum in Wien befunden hatte, von einem polizeibekannten Einschleichdieb von "südländischem Typus" gestohlen. Seinen Büroraum teilte der Kläger mit einer Mitarbeiterin, die jedoch ebenfalls kurze Zeit nach dem Kläger den Büroraum - ohne dieses zu versperren - verlassen hatte, womit der Kläger nicht rechnen konnte. Ein Kasten, in dem er die Kleidung unterbringen und auch versperren kann, existiert nicht, sondern lediglich ein Kleiderständer und ein Bürokasten mit Drucksorten. Das Offenlassen der Büroräume ist in dem betreffenden Bürogebäude üblich. Es gibt dort einen Portier, bei dem sich Kunden normalerweise anmelden. Der Portier ruft dann den zuständigen Sachbearbeiter an, der den Kunden beim Portier empfängt. Es ist jedoch auch möglich, zu den einzelnen Büroräumlichkeiten zu gelangen, ohne vom Portier angehalten zu werden. Man muss nur relativ zielstrebig den Eingangsbereich passieren, um so der Kontrolle des Portiers zu entgehen. Der gut gekleidete Täter ging am Portier vorbei in das Gebäude, fand das offene Zimmer des Klägers, stahl dort aus dem zurückgebliebenen Sakko des Klägers dessen Brieftasche samt Bankomatkarte und Führerschein und tätigte unmittelbar danach in einer Filiale der beklagten Partei mit der Bankomatkarte an der Kassa sieben Abhebungen in bar (in verschiedenen Währungen) vom Girokonto des Klägers in insgesamt sieben Vorgängen. Der Dieb fälschte auf den sieben Abhebungsformularen die Unterschrift des Klägers sehr schlecht. Der Schalterbeamte prüfte die Unterschrift anhand der Microfiche und stellte fest, dass diese Unterschrift von der Unterschrift auf den Auszahlungsbelegen abweicht, jedoch der Unterschrift auf der Rückseite der Bankomatkarte ähnlich war. Der Schalterbeamte verlangte, abgelenkt durch ein Telefonat, vom Dieb keinen Lichtbildausweis; eine Prüfung der Identität des Empfängers bei der Kassa wäre aber notwendig gewesen, weil der abgehobene Gesamtbetrag 15.000 S überstieg.

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur mehr ein allfälliges vom Erstrichter bejahtes und von der zweiten Instanz verneintes Mitverschulden des Klägers am eingetretenen Schaden. Der Kläger begehrte in erster Instanz die Zahlung von 26.009,43 EUR s. A. und führte zu seinem allfälligen Mitverschulden aus: Da grundsätzlich zu seinem Büro niemand ohne sein Wissen und Wollen Zutritt habe, könne ihm ein Mitverschulden wegen mangelnder Aufbewahrung nicht angelastet werden.

Die beklagte Partei wendete ein nicht unerhebliches Mitverschulden des Klägers ein, weil der Kläger seine Bankomatkarte nicht sorgfältig verwahrt habe.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren (zur Hälfte) mit 13.004,725 EUR s. A. statt und wies das Mehrbegehren in derselben Höhe ab. In rechtlicher Hinsicht bejahte es ein 50 %-iges Verschulden des Bankkassiers. Es scheine bei anderen Kreditinstituten Usance zu sein, auf Abhebungen von mehr als 15.000 EUR "hinzuweisen". Diese Grenze sei hier überschritten worden. Es hätte eine Prüfung durch den Schalterbeamten erfolgen müssen. Nur durch die Vorlage eines Ausweises hätte dieser beurteilen können, ob es sich bei der abhebenden Person dem Namen und dem Bild nach um den Kläger handeln könne. Die Auszahlung sei im vorliegenden Fall erfolgt, weil der Schalterbeamte trotz Prüfungspflicht nicht ausreichend geprüft habe. Zwar dürfe man an diesen keine übermäßigen Anforderungen stellen. Auf Grund der divergierenden Unterschrift auf dem Kontoeröffnungsblatt einerseits und auf der Bankomatkarte andererseits hätte der Schalterbeamte stutzig werden und die Identität mittels Ausweis prüfen müssen. Diese Unterlassung begründe ein grobes Verschulden (des Erfüllungsgehilfen der beklagten Partei).

Dem Kläger sei aber ein 50 %-iges Mitverschulden anzulasten, weil er seine Brieftasche entgegen den Bestimmungen [der Allgemeinen Bedingungen für die Benutzung von Bezugskarten] nicht ausreichend verwahrt habe. Es wäre ihm, da er damit rechnen habe müssen, dass ein Dritter den Raum betrete, möglich gewesen, seine Brieftasche im Aktenschrank unterzubringen oder das Zimmer abzusperren oder aber die Brieftasche mitzunehmen.

Infolge der allein vom Kläger erhobenem Berufung änderte das Berufungsgericht das Ersturteil im gänzlich klagestattgebenden Sinn ab. Die zweite Instanz erachtete den Haftungsausschluss der beklagten Bank in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) für leichte Fahrlässigkeit als gegenüber dem Kläger unwirksam. Der vorliegenden Entscheidung liege ein anderer Sachverhalt als dem der Entscheidung 2 Ob 133/99v zugrunde. Auch eine weitere Klausel in den AGB sei unzulässig. Weiters teilte die Berufungsinstanz die Ansicht des Erstrichters, der Schalterbeamte der beklagten Partei hätte den Täter zu einer Ausweisleistung veranlassen müssen. Es müsse entgegen einer Auffassung von Iro/Koziol der Erklärungsempfänger das sich daraus ergebende Risiko tragen, dass die Willenserklärung möglicherweise nicht von demjenigen stamme, in dessen Namen sie abgegeben werde. Den Kläger treffe kein Mitverschulden. Der Dieb habe nicht die Bankomatkarte verwendet, um bei einem Geldausgabeautomaten Geld zu beheben, sondern die Unterschrift auf einem Barabhebungsauftrag gefälscht. Es habe sich daher nicht das "zum Gebrauch" einer Bankomatkarte typische Risiko verwirklicht. Habe doch der Dieb den Code nicht benötigt, um Geld zu beheben. Die beklagte Partei habe den Kläger verpflichtet, die Bankomatkarte zu unterschreiben, weshalb sie auch für die daraus resultierende Folgen, dass nämlich mit ihrer Hilfe Barabhebungen getätigt werden können, zu haften habe. Jedenfalls habe der Kläger keinen gewichtigen Verursachungsbeitrag gesetzt, der ein zu berücksichtigendes Mitverschulden nach sich ziehe.

Rechtliche Beurteilung

Die von der zweiten Instanz - wegen Abweichen von der Entscheidung 2 Ob 133/99v - zugelassene Revision der beklagten Partei ist entgegen den dem Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts aus folgenden Erwägungen nicht zulässig:

a) Die beklagte Bank ließ das dem Klagebegehren unter Bejahung eines groben Verschuldens ihres Erfüllungsgehilfen teilweise stattgebende Urteil des Erstgerichts unbekämpft. Damit steht aber ihre Haftung dem Grunde nach für das weitere Verfahren und auch für die nunmehr zu fällende Entscheidung bindend fest. Das Berufungsgericht hatte demnach die Entscheidung der ersten Instanz nur innerhalb der Grenzen der Berufungsanträge zu prüfen (§ 462 Abs 1 ZPO). Diese bezogen sich nur auf den klagsabweisenden Teil des Ersturteils. Der unangefochten in Rechtskraft erwachsene klagestattgebende Teil des Ersturteils stand mit dem klagsabweisenden Teil nicht in untrennbarem Sachzusammenhang. Da nach der Rsp auch Bindung an die geltend gemachten Berufungsgründe besteht (2 Ob 517/8 u.a.; RIS-Justiz RS0041333; weitere Nachweise bei Kodek in Rechberger2 § 462 ZPO Rz 2) und der Kläger - aus naheliegenden Gründen - die erstrichterlichen Erwägungen über das Verschulden des Schalterbeamten der beklagten Partei nicht bekämpfte, lag sowohl deren Haftung dem Grunde nach als auch das Vorliegen eines groben Verschuldens auf Seiten ihres Schalterbeamten außerhalb der Prüfungskompetenz des Berufungsgerichts. Daher erweisen sich dessen Ausführungen zur Unwirksamkeit von Haftungsregeln in den AGB der beklagten Partei ebenso entbehrlich wie zur Verpflichtung des Schalterbeamten zur Überprüfung der Identität jener Person, die sich missbräuchlich der Bankomatkarte des Klägers zum Abheben von Bargeld von seinem Konto bedient hatte. Wegen der von § 462 Abs 1 ZPO gezogenen Grenzen war es auch der beklagten Partei verwehrt, die Annahme eines Verschuldens ihres Mitarbeiters in ihrer Berufungsbeantwortung zu bekämpfen. Diese kann ja, wenn überhaupt, nur eingeschränkt die Funktion eines Rechtsmittels zugebilligt werden. Der Hauptzweck der Berufungsbeantwortung liegt (so zutreffend Kodek aaO § 468 ZPO Rz 4) darin, auf die Berufungsausführungen im Einzelnen zu erwidern und damit Argumente für eine Bestätigung der angefochtenen Entscheidung zu liefern. Lediglich zu den Berufungsgründen der unrichtigen Tatsachenfeststellungen und Beweiswürdigung sowie von Verfahrensmängel erster Instanz kann der Berufungsbeantwortung Rechtsmittelfunktion zugebilligt werden (§ 468 Abs 2 iVm § 473a Abs 1 ZPO). Auch diese eingeschränkte "Anfechtungsmöglichkeit" dient aber allein der Abwehr der Berufung. Eine eigenständige Bekämpfung von rechtlichen Gründen der erstgerichtlichen Entscheidung wird damit nicht eröffnet. Dies stünde auch im Widerspruch zu § 462 Abs 1 ZPO und der dazu ergangenen Rsp.

Angesichts dieser Rechtslage ist es evident, dass das angebliche

Abweichen des Berufungsgerichts von der Entscheidung 2 Ob 133/99v (=

SZ 73/107 = ÖBA 2001, 250 [Koziol] = RZ 2000, 253 = RdW 2000, 599)

für die von ihm zu treffende Entscheidung in keiner Weise präjudiziell war, behandelt doch der Oberste Gerichtshof darin mit keinem Wort die Frage eines Mitverschuldens des Bankkunden. Dasselbe gilt für die in der Revision geltend gemachten, hier angeblich erheblichen Rechtsfragen infolge Abweichens des Berufungsgerichts von der Rsp des Obersten Gerichtshofs zur Zulässigkeit eines Haftungsausschlusses in AGB und der fehlenden Rsp des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob § 1014 ABGB eine taugliche Anspruchsgrundlage für einen verschuldensunabhängigen Aufwandersatzanspruch der Bank darstelle, schließlich auch der angeblich fehlenden Rsp des Obersten Gerichtshofs zur Frage eines Schadenersatzanspruchs der beklagten Partei. Eine Gegenforderung, gestützt auf Schadenersatz, hat die beklagte Partei in erster Instanz nie geltend gemacht. Ein solcher Anspruch war daher auch nicht Gegenstand des bisherigen Verfahrens.

b) Was die angeblich fehlende Rsp des Obersten Gerichtshofs zum behaupteten Mitverschulden des nun klagenden Inhabers der Bankomatkarte angeht, übersieht die beklagte Partei, dass die Kasuistik des Einzelfalls in der Regel eine beispielgebende Entscheidung ausschließt, sofern nicht, was hier aber nicht zur Darstellung gebracht wird, eine auffallende Fehlbeurteilung vorläge (RIS-Justiz RS0042405). Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht nicht etwa ein Mitverschulden des Klägers kategorisch verneint, sondern nur ausgesprochen, es ziehe der Verursachungsbeitrag des Klägers zum eingetretenen Schaden beim festgestellten Sachverhalt kein "zu berücksichtigendes Mitverschulden" nach sich. Im Hinblick auf die feststehende grobe Fahrlässigkeit auf Seiten der beklagten Partei bedeutet dies jedenfalls keine auffallende und daher vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 40 ZPO. Die Revisionsbeantwortung war nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig, weil der Kläger auf die Unzulässigkeit der gegnerischen Revision nicht hingewiesen hat.

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