OGH 3Ob173/15k

OGH3Ob173/15k16.12.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hoch als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin Dr. Lovrek, die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch und die Hofrätin Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B***** KG, *****, vertreten durch Dr. Erich Schwarz, Rechtsanwalt in Salzburg, und die Nebenintervenientin A***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Alois Schneider, Rechtsanwalt in Rattenberg, gegen die beklagte Partei F*****, vertreten durch Prader, Ortner, Fuchs, Wenzel Rechtsanwälte Ges.b.R. in Innsbruck, wegen 52.600 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 10. Juli 2015, GZ 3 R 32/15b‑80, womit das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 19. Februar 2015, GZ 41 Cg 132/12y‑75, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0030OB00173.15K.1216.000

 

Spruch:

 

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie zu lauten haben:

„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 52.600 EUR samt 8 % Zinsen über dem Basiszinssatz aus 17.520 EUR vom 6. bis 23. Juli 2012, aus 87.600 EUR vom 24. Juli bis 12. August 2012 und aus 52.600 EUR seit 13. August 2012 sowie die mit 32.987,18 EUR bestimmten Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens (darin 5.277,53 EUR USt und 1.322 EUR Barauslagen) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der Nebenintervenientin auf Seiten der klagenden Partei die mit 16.829,15 EUR bestimmten Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens (darin 2.804,86 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei die mit 9.557,52 EUR bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin 798,42 EUR USt und 4.767 EUR Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Der Beklagte, ein Busunternehmer, bestellte bei der Klägerin, einer Fahrzeughändlerin, einen Reisebus einer bestimmten Marke und Type zu einem Pauschalpreis von 73.000 EUR netto, ohne dabei auf ein ganz bestimmtes, bereits vorhandenes Fahrzeug abzustellen. Vertragsinhalt war unter anderem, dass in den Bus ein Telma‑Bremssystem eingebaut wird. In dem dem Kaufvertrag zugrunde liegenden Angebot war festgehalten, dass der Beklagte das Fahrzeug am Sitz der Klägerin in Salzburg abholt.

Am 27. Juni 2012 ließ die Klägerin das für den Beklagten vorgesehene Fahrzeug einzeltypisieren. An diesem Tag telefonierte ihr Prokurist mit dem Beklagten und erwähnte, dass noch das Telma‑Bremssystem bei der Nebenintervenientin, einer Fahrzeughändlerin in Kr*****, eingebaut werden müsse. Der Beklagte erwiderte, es sei ein Blödsinn, den Bus nach Abschluss der Einbauarbeiten wieder zurück nach Salzburg zur Klägerin zu bringen. Für den Prokuristen der Klägerin war denkbar, dass der Beklagte den Bus bereits in Kr***** übernimmt. Er machte dies aber davon abhängig, dass mit dem Zeitpunkt der Verbringung des Busses durch die Klägerin zur Nebenintervenientin die Gefahr auf den Beklagten übergeht. Diesfalls wäre Kr***** als Verbringungsort anzusehen. Der Prokurist der Klägerin erklärte dem Beklagten bei diesem Telefonat auch, was dieser Gefahrenübergang zu bedeuten habe. Er teilte ihm mit, dass ab jenem Zeitpunkt, in dem der Bus von der Klägerin bei der Nebenintervenientin abgestellt werde, die Klägerin mit dem Fahrzeug nichts mehr zu tun habe und diese auch keine Haftung mehr treffe. Der Beklagte war mit dieser Vorgehensweise einverstanden. Demnach sollte er den Bus bei der Nebenintervenientin abholen. Zu diesem Zeitpunkt wusste der Prokurist der Klägerin noch nicht, dass zwar der Einbau der Telma‑Bremse, nicht aber die Parametrierung (Abstimmung der Bussoftware mit der Software der Telma‑Bremse) durch die Nebenintervenientin durchgeführt wird. Die Klägerin setzte die Nebenintervenientin von der getroffenen Vereinbarung in Kenntnis; diese war damit aber nicht einverstanden, weil die Parametrierung noch von einer Vertragswerkstätte des Busherstellers in Ki***** vorzunehmen wäre. Daraufhin vereinbarte der Prokurist der Klägerin mit dieser Werkstätte einen Termin für die Parametrierung am 9. Juli 2012 und teilte dem dort Verantwortlichen auch mit, dass der Beklagte den Bus dort abholen werde. Daraufhin rief der Prokurist den Beklagten an und teilte ihm mit, dass sich der Abholort des Fahrzeugs ändere: Der Bus sei nicht bei der Nebenintervenientin, sondern bei der Vertragswerkstätte in Ki***** abzuholen. Sonst wurde bei diesem Gespräch nichts, insbesondere auch nicht über die ursprüngliche Vereinbarung, dass die Gefahr mit Verbringung des Busses zur Nebenintervenientin an den Beklagten übergehe, gesprochen. Der Beklagte war mit der Abholung des Fahrzeugs in Ki***** einverstanden.

Es hatte dem ausdrücklichen Wunsch des Beklagten entsprochen, ein Telma‑Bremssystem in den Bus einzubauen. In den zwischen den Streitteilen vereinbarten Kaufpreis war das Telma‑Bremssystem mit einem Preis von etwa 4.900 EUR inkludiert. Ohne die vorgesehene Parametrierung funktioniert die Telma‑Bremse ebensowenig wie das ESP, der ABS‑Regelvorgang und die Tempomatabschaltung.

Bereits am 28. Juni 2012 meldete der Beklagte den Bus auf seinen Namen an. Anfang Juli beantragte er für dieses Fahrzeug auf seinen Namen den Abschluss eines Kaskoversicherungsvertrags. Am 6. Juli 2012 wurde ihm von der Versicherung die vorläufige Deckung zugesagt.

Am 5. Juli 2012 überstellte die Klägerin den Bus zur Nebenintervenientin nach Kr*****. Dort wurde das Telma‑Bremssystem am 6. Juli 2012 eingebaut. Anschließend wurde der Bus noch am selben Tag zur Vertragswerkstätte nach Ki***** überstellt, um die Parametrierung vorzunehmen. Diese Arbeiten waren für den 9. Juli 2012 geplant.

Am 8. Juli 2012 wurde der bei der Vertragswerkstätte in Ki***** abgestellte Bus im Zuge eines Hagelunwetters beschädigt. Anschließend kam es zwischen den Streitteilen zu Differenzen, wer für die Folgen des Hagelschadens einzustehen habe.

Am 11. Juli 2012 erstatteten sowohl die Klägerin als auch der Beklagte bei der Kaskoversicherung, die für den Bus die vorläufige Deckung zugesagt hatte, eine Schadensmeldung. Aus einem daraufhin von der Kaskoversicherung in Auftrag gegebenen Gutachten ergab sich, dass durch das Hagelereignis am Bus ein wirtschaftlicher Totalschaden eingetreten sei. Aufgrund des Gutachtens bot die Kaskoversicherung dem Beklagten eine Entschädigungssumme von 35.138,25 EUR an (Wiederbeschaffungswert abzgl Restwert abzgl Selbstbehalt).

Die Klägerin vertrat die Auffassung, dass das Fahrzeug bereits an den Beklagten übergeben worden sei und er sich dieses daher in Ki***** abholen könne. Zwischen den Streitteilen war eine Anzahlung von 14.600 EUR netto (17.520 EUR inkl USt) vereinbart. Diesen Betrag stellte die Klägerin dem Beklagten am 28. Juni 2012 in Rechnung. Als Zahlungsziel war „fällig bei Erhalt“ angeführt. Die Rechnung ging dem Beklagten frühestens am 5. Juli 2012 zu.

Nachdem die Leasingfirma die ursprünglich vorgesehene Finanzierung mangels vom Beklagten zur Verfügung gestellter Unterlagen abgelehnt hatte, stellte die Klägerin den gesamten seinerzeit vereinbarten Kaufpreis von 73.000 EUR netto (87.600 EUR inkl USt) in Rechnung. Diese Rechnung wurde am 19. Juli 2012 zur Post gegeben und kam dem Beklagten frühestens am 23. Juli 2012 zu.

Da der Beklagte dringend einen Bus benötigte, nahm er mit der Klägerin Kontakt auf und teilte mit, er sei bereit, den beschädigten Bus, der für ihn 35.000 EUR wert sei, um diesen Preis abzuholen. Dagegen hatte die Klägerin grundsätzlich nichts einzuwenden, betonte aber, dass die Sache damit noch nicht endgültig erledigt sei. Für den Beklagten war klar, dass er noch weitere Kaufpreisforderungen von der Klägerin zu erwarten hatte.

Nach Zahlung von 35.000 EUR an die Klägerin holte der Beklagte den Bus am 10. August 2012 in Ki***** ab.

Die Klägerin begehrt vom Beklagten die Zahlung des restlichen Kaufpreises von 52.600 EUR sA. Da der Beklagte entgegen der ursprünglichen Absicht gewünscht habe, ihm den Bus bereits in Ki***** zu übergeben, sei vereinbart worden, dass die Klägerin das Fahrzeug an die Nebenintervenientin überstellt, wodurch die Übergabe an den Beklagten vollzogen werde. Die Parteien als Unternehmer hätten vereinbart, dass mit dem Zeitpunkt der Verbringung des Busses zur Nebenintervenientin die Gefahr auf den Beklagten übergehe. Durch die nachträglich getroffene Vereinbarung, dass der Beklagte das Fahrzeug bei der Vertragswerkstätte abhole, sei diese Vereinbarung über den Gefahrenübergang nicht berührt worden. Überdies habe der Beklagte die Leistung aus der Versicherung bereits in Anspruch genommen oder könne sie jederzeit abrufen. Sollte ein Gefahrenübergang noch nicht erfolgt sein, wäre die Klägerin die aus der Kaskoversicherung Begünstigte.

Der Beklagte wendete ein, das Fahrzeug sei nicht vor dem Schadensereignis übergeben worden. Die abgeschlossene Kaskoversicherung sei nicht zugunsten der Klägerin abgeschlossen worden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Da das vereinbarungsgemäß einzubauende Bremssystem ohne Parametrierung nicht funktionsfähig sei, habe die Klägerin zum Zeitpunkt des Schadensereignisses ihre vertraglichen Verpflichtungen noch nicht zur Gänze erfüllt gehabt. Die Vereinbarung eines Übergabszeitpunkts vor vollständiger Vertragserfüllung sei nicht möglich, weil die Konzentration der Gattungsschuld noch nicht eingetreten sei. Die Klägerin habe daher den eingetretenen Schaden zu tragen. Da der Beklagte die Kaskoversicherung nicht für fremde Rechnung abgeschlossen habe, sei er auch nicht zur Abtretung der Versicherungsleistung verpflichtet.

Das Berufungsgericht bestätigte die Klageabweisung und sprach aus, dass die ordentliche Revision im Hinblick auf die klare Rechtslage und die Einzelfallbezogenheit nicht zulässig sei. Die für einen allfälligen Gefahrenübergang erforderliche Konzentration der ursprünglichen Gattungsschuld sei hier noch nicht erfolgt. Existiere der Leistungsgegenstand im rechtlichen Sinn noch nicht, könne er weder Gegenstand der gesetzlichen Gefahrtragungsregelung noch einer von dieser abweichenden Parteienvereinbarung sein.

Die außerordentliche Revision der Klägerin, mit der sie ihr Kaufpreisbegehren weiter verfolgt, ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Kaufvertrag über eine vertretbare Sache, die nach Marke und Type und weitere serienmäßig herstellbare generelle Merkmale beschrieben wird, wie hier ein fabriksneuer serienmäßig hergestellter Bus mit einem bestimmten zusätzlichen Bremssystem, begründet eine Gattungsschuld (RIS‑Justiz RS0019904; Bollenberger in KBB 4 § 906 ABGB Rz 5 mwN). Entgegen der von den Vorinstanzen vertretenen Auffassung ist im vorliegenden Fall aber nicht davon auszugehen, dass zum Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses die Konzentration der Gattungsschuld noch nicht stattgefunden hat. Festgestellt wurde, dass die Klägerin nicht nur ein bestimmtes Fahrzeug für die Anpassung an die Bedürfnisse des Beklagten vorsah und einzeltypisieren ließ, sondern dass sie dem beklagten Käufer auch die konkreten Fahrzeugdaten mitteilte und ihm die erforderlichen Unterlagen übermittelte, damit dieser das Fahrzeug auf sich behördlich zulassen konnte. Dies entsprach nicht nur dem Willen der Klägerin, sondern auch jenem des Beklagten, der nicht nur die Zulassung veranlasste, sondern darüber hinaus auch für das von ihm gekaufte und nunmehr auch konkretisierte Fahrzeug eine Kaskoversicherung abschloss. Die Einzeltypisierung, die behördliche Zulassung auf eine bestimmte Person und der Abschluss einer Kaskoversicherung bedeuten aber nichts anderes als die Bezugnahme auf ein konkretes Fahrzeug, das nicht nur nach Marke und Type sondern auch durch die Angabe der Fahrgestellnummer konkretisiert wurde. Daher ist nach der maßgeblichen Parteienvereinbarung von der Begründung einer Stückschuld bereits vor dem schädigenden Ereignis und unabhängig davon auszugehen, dass das vertraglich geschuldete Zusatz‑Betriebssystem noch nicht funktionsfähig war.

Die gemäß § 1064 ABGB anzuwendende gesetzliche Gefahrtragungsregel des § 1048 ABGB hat dispositiven Charakter (RIS‑Justiz RS0057295). Eine konkrete Parteienvereinbarung geht daher vor. Nach den getroffenen Feststellungen vereinbarten die Streitteile den Gefahrenübergang mit der Verbringung des konkreten, für die Übergabe an den Beklagten vorgesehenen Fahrzeugs an die Nebenintervenientin, die das vereinbarungsgemäß geschuldete Zusatz‑Bremssystem einbauen sollte. Da diese Übergabe vor dem Schadensereignis stattfand, war die Gefahr zum Schadenszeitpunkt bereits auf den Beklagten übergegangen. Dass sich nach dieser Übergabe herausstellte, der Einbau des Zusatz‑Bremssystems könne von der Nebenintervenientin nicht abgeschlossen werden, sondern erfordere zusätzliche Maßnahmen eines weiteren Unternehmens (Vertragswerkstätte, Parametrierung), änderte am wirksamen Gefahrenübergang nichts mehr. Die weitere Überstellung des Fahrzeugs zur Vertragswerkstätte erfolgte mit Zustimmung des Beklagten; eine von der ursprünglichen Gefahrtragungsregel abweichende Vereinbarung wurde nicht getroffen. Legt man den von der Klägerin klar zum Ausdruck gebrachten Parteiwillen, mit Übergabe der Sache an die Nebenintervenientin für diese nicht mehr zu haften, also die Gefahr des zufälligen Untergangs oder der Beschädigung nicht mehr tragen zu wollen, was der Beklagte akzeptierte, zugrunde, ist die einvernehmliche Erstreckung dieser Vereinbarung auch auf die weitere Fahrzeugüberstellung im Sinne ergänzender Vertragsauslegung zweifelsfrei anzunehmen.

Trifft aber den Gläubiger, hier den Beklagten als Erwerber des Fahrzeugs, die Gefahr, so bleibt der Vertrag aufrecht und er schuldet die Gegenleistung, obwohl er nichts oder nur eine beschädigte Sache erhält ( Apathy in KBB 4 §§ 1048 f ABGB Rz 4 mwN). Das klageweise geltend gemachte (restliche) Kaufpreisbegehren der Klägerin erweist sich daher als berechtigt. Bei den von der Klägerin geltend gemachten Verzugszinsen war die in Rechtskraft erwachsene teilweise Abweisung eines Zinsenmehrbegehrens im ersten Rechtsgang zu berücksichtigen.

Da die Klägerin mit ihrem Hauptbegehren (Kaufpreisforderung) durchdringt, ist auf das nur für den Fall der Abweisung der Kaufpreisforderung gestellte Eventualbegehren (Abtretung der Versicherungsleistung) nicht mehr einzugehen.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster Instanz beruht auf § 41 ZPO. Der Klägerin waren mangels Notwendigkeit zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung weder Kosten für die (mit eigenem Schriftsatz eingebrachte) Streitverkündungen vom 29. Oktober 2012 und 1. März 2013 noch für das ergänzende Vorbringen vom 25. Februar 2014 zuzuerkennen. Die Kosten vorprozessualer Anwaltstätigkeit (Mahnschreiben, Mandanteninformation, Informationsaufnahme) sind im Einheitssatz gedeckt. Der von der Nebenintervenientin verzeichnete Streitgenossenzuschlag stand ihr nicht zu ( Obermaier , Kostenhandbuch 2 Rz 352 letzter Abs mwN). Ihre Schriftsätze vom 2. Mai 2013 und 30. Jänner 2014 waren als nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig nicht zu honorieren.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf §§ 41 und 50 ZPO.

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