Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben.
Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Text
Begründung
Die für ein vom anwaltlich vertretenen Betroffenen angestrengtes Zivilverfahren zuständige Richterin eines Bezirksgerichts verständigte die für Sachwalterschaftssachen zuständige Abteilung dieses Gerichts nach § 6a ZPO.
Deren Leiter setzte das Verfahren nach der Erstanhörung fort. Schließlich bestellte das Erstgericht für den Betroffenen einen Rechtsanwalt als Sachwalter für die Vertretung vor Gerichten, Behörden und Sozialversicherungsträgern. Nach den wesentlichen Gründen dieser Entscheidung finde sich bei ihm eine seit Jahren bestehende psychiatrische Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis im Sinne einer anhaltenden wahnhaften Störung (objektiv falsche Beurteilung und [richtig wohl: der] Realität, die erfahrungsunabhängig auftritt an [der] mit subjektiver Gewissheit unkorrigierbar und unwiderlegbar festgehalten wird; die Überstiegsfähigkeit, also die Fähigkeit zum Wechsel des Bezugssystems sei nicht gegeben, systematisierter Wahn). Psychopathologisch fänden sich Störungen des Erlebnisvollzugs im Sinne einer wahnhaften Störung mit Anmutungserlebnissen und Beziehungsideen sowie wahnhaften Verarbeitungen. Er weise ausgeprägte religiöse Wahnideen, ein Sendungsbewusstsein und einen Abstammungswahn auf. Die Ausprägung der Symptomatik sei als krankheitswertig und unbehandelt als weiter bestehend zu beurteilen. Die Überblicksgewinnung [über] komplexe Angelegenheit, wie Angelegenheiten bei Gericht es auch sein könnten, sei als nicht gegeben zu erachten. Es bestehe ein Selbstfürsorgedefizit. Der Betroffene sei demnach nicht in der Lage, die im Spruch bezeichneten Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteils für sich zu besorgen.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Betroffenen gegen diese Entscheidung nicht Folge und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.
Es verneinte die vom Betroffenen in der unterlassenen Bestellung eines Sachverständigen für Traumatologie und der Verletzung der Manuduktionspflicht gesehene Mangelhaftigkeit des Verfahrens. Es gebe keinen Anhaltspunkt dafür, an der Tauglichkeit des eingeholten psychiatrischen Gutachtens zu zweifeln. Zwar habe der persönliche Eindruck des Erstgerichts keinen Niederschlag in dessen Beschluss gefunden; auf einen solchen sei aber schon bei der Bestellung des Sachverständigen Bezug genommen worden; dieser habe sich offensichtlich anlässlich der weiteren Verhandlung nicht geändert. Demnach übernehme das Rekursgericht die erstgerichtlichen Feststellungen.
Ausgehend davon versage auch die Rechtsrüge. Aufgrund seines Krankheitsbildes sei der Betroffene jedenfalls zumindest derzeit nicht in der Lage, den vom Erstgericht festgelegten Kreis von Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteils selbst zu besorgen. Es drohe ihm ohne eine Sachwalterbestellung Schaden an seinem Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre und Vermögen.
Rechtliche Beurteilung
Der außerordentliche Revisionsrekurs des Betroffenen ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts zulässig und im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.
1. Verfahrensmängel erster Instanz, die das Rekursgericht verneinte, können, da § 66 Abs 1 Z 2 AußStrG nur Mängel des Rekursverfahrens nennt, auch im Außerstreitverfahren nicht mit Erfolg vor dem Obersten Gerichtshof geltend gemacht werden (RIS-Justiz RS0050037). Nur darum und nicht um eine rechtliche Beurteilung geht es bei der Frage der (ausdrücklichen) Berücksichtigung des persönlichen Eindrucks des Erstrichters. Ob ein weiteres Sachverständigengutachten eingeholt werden soll, ist eine Frage der Beweiswürdigung und daher nicht revisibel (RIS-Justiz RS0043320), was aus einem Gegenschluss zu § 66 AußStrG folgt; diese Rechtsmittelbeschränkung kann nicht dadurch umgangen werden, dass die Unterlassung des Erstgerichts einfach als Mangel des Rekursverfahrens bezeichnet wird.
2. a) Die Bestellung eines Sachwalters hat subsidiären Charakter und darf nur dann erfolgen, wenn der Betroffene nicht anders, nämlich durch die in § 268 Abs 2 ABGB erwähnten Möglichkeiten, in die Lage versetzt werden kann, seine Angelegenheiten im erforderlichen Ausmaß zu besorgen (RIS-Justiz RS0049088, zuletzt 3 Ob 154/08f).
b) Die Anhaltspunkte für die Notwendigkeit einer Bestellung eines Sachwalters für eine behinderte Person müssen konkret und begründet sein. Sie müssen sich sowohl auf die psychische Krankheit oder geistige Behinderung als auch auf die Schutzbedürftigkeit beziehen (3 Ob 107/08v = iFamZ 2008, 326 [Parapatits]). Die Sachwalterbestellung setzt voraus, dass überhaupt Angelegenheiten zu besorgen sind (RIS-Justiz RS0049088 [T3]). Außerdem muss der behinderten Person ohne einen Sachwalter ein Nachteil drohen (§ 268 Abs 1 ABGB; 6 Ob 195/98i [zum insoweit gleich lautenden § 273 Abs 1 ABGB vor dem SWRÄG]; Hopf in KBB2 § 268 ABGB Rz 3). Nicht jeder drohende Prozessaufwand reicht aber schon für die Annahme eines relevanten Nachteils, dem durch eine Sachwalterbestellung begegnet werden soll, aus (6 Ob 195/98i; RIS-Justiz RS0072687 [T1]).
c) Die Bestellung eines Sachwalters ist dann unzulässig, wenn der Betroffene sich der Hilfe anderer in rechtlich einwandfreier Weise bedienen kann, beispielsweise durch Vollmachtserteilung oder durch Genehmigung einer Geschäftsführung (RIS-Justiz RS0048997).
d) Die Hilfe durch einen Vertreter ist nur dann möglich, wenn die behinderte Person noch zu eigenem Handeln fähig ist, also noch über ein bestimmtes Maß an Einsichtsfähigkeit und Urteilsfähigkeit verfügt (RIS-Justiz RS0049004). Das Gesetz ist nicht restriktiv dahin auszulegen, dass schon jede fehlende Fähigkeit eines Betroffenen, die Eignung eines Bevollmächtigten in fachlicher und charakterlicher Hinsicht verlässlich feststellen zu können, zwingend die Zulässigkeit einer Sachwalterbestellung auslöst (3 Ob 208/06v = iFamZ 2007, 141 [Parapatits]; RIS-Justiz RS0048997 [T3]).
3. Mit den am 1. Juli 2007 in Kraft getretenen neuen Bestimmungen im Sachwalterrecht sollten das Subsidiaritätsprinzip und die Selbstbestimmung der behinderten Person gestärkt werden (3 Ob 107/08v; 1 Ob 146/08i; Hopf aaO Rz 1). Gemäß § 268 Abs 2 ABGB ist die Bestellung eines Sachwalters unzulässig, soweit Angelegenheiten der behinderten Person durch einen anderen gesetzlichen Vertreter oder im Rahmen einer anderen Hilfe, besonders in der Familie, in Pflegeeinrichtungen, in Einrichtungen der Behindertenhilfe und im Rahmen sozialer oder psychosozialer Dienste, im erforderlichen Ausmaß besorgt werden. Ein Sachwalter darf auch dann nicht bestellt werden, soweit durch eine Vollmacht, besonders eine Vorsorgevollmacht, oder eine verbindliche Patientenverfügung für die Besorgung der Angelegenheiten der behinderten Person im erforderlichen Ausmaß vorgesorgt ist.
4. Schon aus diesem Gesetzestext folgt die Verpflichtung der Gerichte zu ausreichenden Feststellungen über die Art der zu besorgenden Angelegenheiten (4 Ob 2299/96h; 3 Ob 107/08v) und die Einsichtsfähigkeit der behinderten Person zur Bevollmächtigung eines geeigneten Vertreters (3 Ob 107/08v). Das Erstgericht hat aber überhaupt keine Feststellungen über vom Betroffenen zu besorgende Angelegenheiten getroffen; aktenkundig sind nur zwei von ihm als Kläger geführte - im schlechtesten Fall zur Schädigung seines Vermögens führende - bezirksgerichtliche Zivilverfahren, in denen er allerdings offenbar durch von ihm bevollmächtigte Rechtsanwälte vertreten war. Für die Annahme des Rekursgerichts, es drohe ihm ohne Sachwalterbestellung gar Schaden an Leben, Gesundheit, Freiheit oder Ehre fehlt derzeit überhaupt jeder Anhaltspunkt.
5. Im fortgesetzten Verfahren werden daher entsprechend dem Untersuchungsgrundsatz (§ 16 Abs 1 AußStrG) die erforderlichen Erhebungen durchzuführen und Feststellungen zu folgenden Themen zu treffen sein:
a) Über die Art, den Umfang und die Qualität der konkret zu besorgenden Angelegenheiten (Zivilverfahren), über den allenfalls drohenden Nachteil und die Vermögensverhältnisse des Betroffenen sowie
b) über die Möglichkeit einer Vollmachtserteilung durch den Betroffenen an eine geeignete Person, also über die Einsichtsfähigkeit bei der Auswahl des Vertreters (zur Einsichtsfähigkeit ist auf die Befundaufnahme des Sachverständigen zu verweisen, wonach beim Betroffenen keine „ursprüngliche Intelligenzminderung“ vorliege).
Erst nach Ergänzung des Verfahrens wird die Zulässigkeit der Sachwalterbestellung nach § 268 Abs 1 und 2 ABGB abschließend beurteilt werden können.
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