OGH 3Ob106/06v

OGH3Ob106/06v26.7.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner, Dr. Prückner, Dr. Sailer und Dr. Jensik als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Elfriede S*****, vertreten durch Dr. Bernt Strickner, Rechtsanwalt in Innsbruck als Verfahrenshelfer, wider die beklagte Partei Prof. Dr. Mathias Z*****, vertreten durch Dr. Andrea Prochaska, Rechtsanwältin in Innsbruck, wegen 12.428,19 EUR s.A. und Feststellung (Streitwert 5.000 EUR), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 16. Dezember 2005, GZ 4 R 253/05w-85, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 23. August 2005, GZ 12 Cg 36/02b-80, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben, die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Klägerin hatte 1996 auf dem linken Auge eine Hornhautverkrümmung (Astigmatismus) hohen Grades und verfügte nur über eine Sehschärfe von 50 %. Am rechten Auge war die Sehschärfe normal. Mit Kontaktlinsen hatte die Klägerin Probleme, als diese im linken Auge aufgrund der Hornhautverkrümmung häufig verrutschten und verloren gingen. Im Jänner 1999 teilte sie ihrem Augenarzt mit, dass sie eine sogenannte Lasik-Operation durchführen lassen wolle. Mit dieser Operationsmethode (Laser-Operation) kann zwar die Sehleistung nicht verbessert, aber ein Sehfehler vermindert und ein „Leben ohne Brille" ermöglicht werden. Der Augenarzt übersandte dem Beklagten die Krankengeschichte der Klägerin. Diese wurde am 4. Mai 1999 von einem Mitarbeiter des Beklagten und einem Optiker in der Ordination des Beklagten untersucht. Auch der Beklagte hatte die Klägerin vor Durchführung der Operation am linken Auge am 4. Mai 1999 untersucht. Am 6. Mai 1999 erfolgte die Lasik-Operation am rechten Auge. Am 28. September 1999 erfolgte eine operative Nachkorrektur des rechten Auges. Präoperativ hatte die Klägerin am rechten Auge eine Sehleistung von 1,25 und links von 0,80. Ein Grauer Star (Cataract) war am linken Auge größer als rechts und befand sich erst im Beginnstadium. Die Klägerin war auf beiden Augen weitsichtig, am linken Auge hatte sie einen Wert von +5,25 Weitsichtigkeit und -5 Dioptrien Astigmatismus, am rechten Auge hatte sie +2,75 Dioptrien Weitsichtigkeit und -0,5 Astigmatismus.

Die Klägerin konnte nach den Operationen zunächst ohne Brille und Kontaktlinsen fernsehen und lesen. Die Nachuntersuchungen waren zufriedenstellend. am 2. Juni 1999 wurde ein vergrößerter Sehfehler festgestellt. Am 29. Juni 1999 betrug der Visus rechts 0,8 und links 0,32. Am 28. September 1999 kam es zu einer Nachoperation am rechten Auge. Am 4. Oktober 1999 stellte der Augenarzt der Klägerin fest, dass sich der Sehfehler auf eine halbe Dioptrie Astigmatismus reduziert hatte. Am 27. Oktober 1999 wurde eine Erhöhung der Dioptriezahl rechts von einer halben Dioptrie auf eine Dioptrie und links von einer Dioptrie auf drei Dioptrien festgestellt. Am 11. Jänner 2000 wurde ein zunehmender Cataract (Grauer Star bei beiden Augen) festgestellt. Danach suchte die Klägerin den Beklagten nicht mehr auf. In der Folge stabilisierte sich die Sehschärfe der Augen mit Werten von 0,6 am rechten und 0,5 am linken Auge (jeweils) mit Kontaktlinsen. Nach einer Kontaktlinsenanpassung erreichte die Klägerin rechts einen Visus von 1,0 (= normal) und links von 0,5. Die Klägerin war mit dem Ergebnis der Operationen des Beklagten nicht zufrieden und litt deshalb an depressiven Verstimmungen. Die Klägerin begehrte die Zahlung eines Schmerzengeldes von 7.000 EUR wegen seelischer Schmerzen und 5.428,19 EUR als Ersatz operationskausaler Kosten sowie die Feststellung der Haftung des Beklagten für alle künftigen Schäden aus den Operationen. Nach der Operation habe sich das Sehvermögen wesentlich verbessert, einige Monate später sei das Sehvermögen aber stark reduziert gewesen. Die Operationen seien fatal gewesen. In der Hornhauttopographie habe sich am linken Auge eine Aufsteilung in der unteren Hornhauthälfte entsprechend dem Bild eines Keratokonus gezeigt, am rechten Auge ein irregulärer Astigmatismus. Der Keratokonus habe eine Kontraindikation zur Durchführung einer Lasik-Operation dargestellt. Aufgrund der zunehmenden Ausdehnung der Hornhaut im Rahmen der Hornhautverdünnung sei es zu einer zunehmenden Sehverschlechterung am linken Auge gekommen. Am rechten Auge könne die Klägerin mit Kontaktlinsen zufriedenstellend sehen, ohne Linsen nicht mehr, weil ein irregulärer Hornhautastigmatismus vorliege. Es sei eine Hornhauttransplantation erforderlich. Die Klägerin sei vom Beklagten weder über typische noch über atypische Risken der Operationsmethode aufgeklärt worden. Sie leide an depressiven Verstimmungen.

Der Beklagte wandte im Wesentlichen ein, dass die Klägerin ausreichend und umfassend sowohl über die verschiedenen Operationsmethoden als auch über die Risken aufgeklärt worden sei. Ein ärztlicher Kunstfehler liege nicht vor. Die Ursache der von der Klägerin angeführten Beschwerden seien optische Aberrationen, die postoperativ durch individuell atypische Einheilungen zustande gekommen seien. Darüber hinaus sei zum Operationszeitpunkt eine Operation des Grauen Stars aufgrund des vorhandenen guten Visus nicht indiziert gewesen. Der Graue Star sei keine Kontraindikation gewesen. Das Erstgericht wies die Klagebegehren ab. Es stellte über den schon wiedergegebenen Sachverhalt hinaus im Wesentlichen noch Folgendes fest:

Vor den Operationen bestand an den Augen der Klägerin kein Keratokonus (Aufsteilung der Hornhaut, Hornhautverdünnung), wohl aber ein beginnender Cataract (Grauer Star), der wegen des ansonsten guten Visus der Klägerin keine Kontraindikation für die geplanten Operationen bedeutet habe. Die Operationen des Beklagten seien komplikationsfrei und lege artis durchgeführt worden. Der Graue Star habe sich in der Folge aber progressiv entwickelt. Die Entwicklung eines Grauen Stars bis zum Erlöschen des Sehvermögens könne durchaus auch zehn Jahre betragen. Dass die Klägerin vor Juni 2002 an Doppelbildern und Blendungen gelitten habe, könne nicht festgestellt werden. Die ab diesem Zeitpunkt aufgetretenen Erscheinungen (Doppelkonturen, Überstrahlungen) seien optische Aberrationen. Es könne nicht festgestellt werden, ob sie auf den Grauen Star oder aber die Operationen des Beklagten zurückzuführen seien. Die wahre Ursache könne nur nach einer Operation des Grauen Stars nachgewiesen werden. Eine solche Operation lehne die Klägerin aber ab. Das Vorliegen des beginnenden Grauen Stars bei gleichzeitig vorhandenem Astigmatismus sei keine Kontraindikation zur Lasik-Operation gewesen. Der Klägerin sei anhand einer Checkliste eine Aufklärung gegeben worden. Dabei sei auch über mögliche Komplikationen gesprochen worden. Die Klägerin sei dahin informiert worden, dass es zu möglichen Komplikationen, nämlich Entzündungen, Flapkomplikationen wie beispielsweise eine Verschiebung, Irregularitäten oder Falten- bzw. Sahara-Sandsyndrom kommen könne, weiters könnten Komplikationen durch einen Gerätefehler oder eine exzentrische Abtragung durch den Laser kommen. Die Klägerin sei auch hingewiesen worden, dass unter Umständen nachts beim Autofahren Blendungen auftreten könnten. Die Klägerin habe eine Einverständniserklärung für refraktive Operationen gegeben und bestätigt, dass sie über die Erfolgsaussichten der Operation informiert worden sei, insbesondere darüber, dass die Lasik-Operation zwar die Fehlsichtigkeit durch Laserbehandlung der Hornhaut beseitige, nicht aber andere mögliche Veränderungen des Auges, wie Netzhautfäden und Glaskörperveränderungen heilen könne. Am 28. September 1999 habe die Klägerin gegenüber dem Beklagten über eine Verschlechterung ihrer Sehkraft geklagt. Es könne nicht festgestellt werden, dass die Klägerin schon damals unter Doppelbildern und Blendungen gelitten habe (derartige Beschwerden stellte das Erstgericht schlüssig aufgrund der Angaben der Klägerin in der Streitverhandlung vom 4. Juni 2002 erst ab diesem Zeitpunkt fest (S 17 in ON 80).

Für die vom Beklagten durchgeführten Operationen habe keine Kontraindikation bestanden. Die Operationen seien lege artis durchgeführt worden. Mit Kontaktlinsen könne die Klägerin alles machen. Allerdings seien ihre Augen empfindlicher geworden. Sie werde von Lichtern entgegenkommender Fahrzeuge wie auch von Rückstrahlern und anderen Lichtquellen geblendet. Die Ursache für die Doppelbilder und die Blendungen (optische Aberrationen) könne nicht festgestellt werden. Hiefür käme eine Einheilungsstörung nach Durchführung der Operationen oder aber der Graue Star der Klägerin in Frage. Eine Operation des Grauen Stars lehne die Klägerin allerdings ab. Die deutsche ophtalmologische Gesellschaft wie auch der Berufsverband der Augenärzte Deutschlands hätten eine Kommission refraktive Chirurgie zur Bewertung und Qualitätssicherung refraktiv-chirurgischer Eingriffe eingerichtet, die erstmals im Juni 1995 in der deutschen Zeitschrift „Der Augenarzt" Richtlinien veröffentlicht habe, die alle ein bis zwei Jahre aktualisiert werden. In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht im Wesentlichen aus, dass die Klägerin für Behandlungsfehler und die Verwirklichung eines Operationsrisikos beweispflichtig sei. Hier könne erst nach Durchführung einer Operation des Grauen Stars festgestellt werden, ob sich ein Operationsrisiko verwirklicht habe und ob die Klägerin ausreichend aufgeklärt worden sei. Die Klägerin lehne aber die Operation des Grauen Stars ab. Sie habe nicht nachweisen können, dass ein Operationsfehler oder präoperative Kontraindikationen vorgelegen seien. Die Richtlinien der deutschen Kommission seien für Operationen in Österreich an einer österreichischen Patientin nicht verbindlich. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Es verneinte die gerügten Mängel des Verfahrens erster Instanz, erachtete die Beweiswürdigung des Erstgerichts für unbedenklich und führte zum übernommenen Sachverhalt rechtlich im Wesentlichen Folgendes aus:

Kontraindikationen und Operationsfehler seien nicht festgestellt worden. In Ansehung der festgestellten postoperativen Beschwerden (Doppelbilder, Blendungen) hätte die allgemeine Aufklärung der Klägerin nicht ausgereicht. Es hätte im Einzelnen dargelegt werden müssen, welche Beschwerden möglich seien. Im zweiten Rechtsgang habe sich auch das Thema ergeben, ob Lasik-Operationen bereits ohne jede Einschränkung anerkannte und allgemein übliche medizinische Maßnahmen gewesen seien. Zu diesem Thema seien die Richtlinien der deutschen Kommission zwar nicht verbindlich iS einer gesetzlichen Norm, sie böten aber Anhaltspunkte für den Stand der Wissenschaft, der Länder übergreifend aufzufassen sei. Wenn sich nach den Richtlinien ergäbe, dass die Lasik-Operationen noch nicht gänzlich unbestrittener Stand der Wissenschaft gewesen seien, könnte daraus eine Aufklärungspflicht des Arztes abgeleitet werden. Feststellungen über den Stand der Wissenschaft fehlten aber. Die Sache sei aber dennoch spruchreif iS der Abweisung der Klagebegehren.

Die Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht führe nur dann zu einer Haftung, wenn sich ein typisches Operationsrisiko, über welches hätte aufgeklärt werden müssen, verwirklicht habe. Die Kausalität habe der Geschädigte zu beweisen. Ihn treffe aber nicht die volle Beweislast, es genüge der Nachweis einer „prima-facie-Kausalität". Das Ziel des Anscheinsbeweises sei eine Beweiserleichterung. Wenn ein typischer Geschehensablauf feststehe, müsse der Gegner den Gegenbeweis antreten. Dieser sei erbracht, wenn eine ernsthafte Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufs bestehe. Der Anscheinsbeweis sei nach Auffassung des Berufungsgerichts aber dann unzulässig, wenn dem Gegner ein an sich möglicher Gegenbeweis aufgrund von Umständen, die im Bereich des Geschädigten liegen, überhaupt oder zumindest derzeit nicht möglich sei. Im vorliegenden Fall sei es nicht ausgeschlossen, dass die Beschwerden der Klägerin nicht auf die Operationen, sondern auf den gleichzeitig auftretenden und zunehmenden Grauen Star zurückzuführen seien. Die Klägerin sei zwar nicht verpflichtet, sich einer Operation des Grauen Stars zu unterziehen, um dem Beklagten den Gegenbeweis zu ermöglichen. Die derzeit bestehende Unsicherheit in der Beweisführung gehe aber zu ihren Lasten, dies auch dann, wenn die Wahrscheinlichkeit dafür, dass ihre Beschwerden auf einen Cataract (Grauer Star) zurückzuführen seien, nur „wenige Prozente" betrage.

Soweit sich die Klägerin darauf berufe, dass bei alternativer Kausalität, also bei Konkurrenz zwischen ärztlichem Behandlungsfehler und einem sich in der Person des geschädigten Patienten ereignenden Zufalls, eine Schadensteilung in Betracht komme, lägen auch hier die Voraussetzungen nicht vor, weil es an einer als endgültig einzuschätzenden Beweislage fehle. Hänge es von einer Disposition des Geschädigten ab, ob der Nachweis einer eindeutigen Kausalität anstelle einer alternativen Kausalität erbracht werden könne, komme es nicht zu einer Schadensteilung.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil zu den Fragen der Zulässigkeit des Anscheinsbeweises unter dem Aspekt einer nicht erzwingbaren Dispositionsmöglichkeit des Geschädigten oberstgerichtliche Rsp fehle.

Mit ihrer Revision beantragt die Klägerin die Abänderung dahin, dass den Klagebegehren stattgegeben werde, hilfsweise die Aufhebung zur Verfahrensergänzung.

Der Beklagte beantragt, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise, dem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und im Sinne einer Aufhebung zur Verfahrensergänzung auch berechtigt.

Die Revisionswerberin releviert im Wesentlichen Folgendes:

1. Die Vorinstanzen hätten zur Frage, ob die Lasik-Operationen zum Zeitpunkt ihrer Durchführung (schon) eine nach dem Stand der Wissenschaft unbestrittene Heilmethode gewesen seien, konkrete Feststellungen treffen müssen. Dies sei insbesondere wegen der hohen Weitsichtigkeit am linken Auge der Klägerin (5,25 Dioptrien) schon nach den Richtlinien der deutschen Kommission nicht der Fall gewesen. Die Operationen des Beklagten hätten experimentellen Charakter gehabt.

2. Die Klägerin habe die Kausalität des ärztlichen Behandlungsfehlers bzw. der Verletzung der Aufklärungspflicht in Form des prima-facie-Beweises erbracht. Der Sachverständige habe den Cataract (Grauen Star) als Ursache der festgestellten Beschwerden (Doppelsehen; Blendungen) nur im Bereich von „wenigen Prozenten" bezeichnet, sodass nach dem typischen Geschehensablauf die Operationen als Ursache der Beschwerden der Klägerin anzusehen seien, der Graue Star aber nicht als ernsthaft mögliche andere Ursache.

3. Irrig sei die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, die Klägerin müsse sich einer Cataract-Operation unterziehen, um so die Möglichkeit eines strikten Nachweises der Kausalität zu ermöglichen. Eine risikoreiche weitere Operation sei der Klägerin nicht zumutbar.

4. Jedenfalls hätte dem Klagebegehren zur Hälfte stattgegeben werden müssen. Bei Vorliegen einer alternativen Kausalität komme es zu einer Schadensteilung gemäß § 1304 ABGB.

Der Beklagte verweist in seiner Revisionsbeantwortung im Wesentlichen auf die Richtigkeit der Entscheidung der Vorinstanzen und führt zum Anscheinsbeweis aus, dass dieser nicht dazu diene, Lücken der Beweisführung durch bloße Vermutungen auszufüllen. Die wegen der Verneinung einer Cataract-Operation durch die Klägerin nicht mögliche strikte Beweisführung dürfe nicht zu Lasten des Beklagten gehen. Zu diesem Vorbringen der Parteien im Revisionsverfahren ist Folgendes auszuführen:

I. Der in diesem Punkt beweispflichtigen Klägerin ist der Nachweis der Kausalität auch in der erleichterten Form des sogenannten prima-facie-Beweises nicht gelungen:

Nach den getroffenen Negativfeststellungen kommen als Ursache der Beschwerden der Klägerin sowohl ihr progressiver Cataract als auch die Lasik-Operationen des Beklagten in Frage. Das Berufungsgericht führte richtig aus, dass nach ständiger oberstgerichtlicher Rsp im Zusammenhang mit ärztlichen Behandlungsfehlern der dem Geschädigten obliegende Kausalitätsnachweis wegen der besonderen Beweisschwierigkeiten des Patienten erleichtert wird und der Nachweis einer „prima-facie-Kausalität" ausreicht (so schon SZ 63/90 uva). Der Anscheinsbeweis wird aber dadurch entkräftet, wenn Tatsachen bewiesen werden, aus denen die konkrete Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs erschlossen werden kann (RIS-Justiz RS0040272). Ob der Anscheinsbeweis im konkreten Einzelfall tatsächlich erbracht wurde, fällt nicht in den Bereich der rechtlichen Beurteilung, sondern ist eine reine Frage der Beweiswürdigung (1 Ob 214/97w; 1 Ob 168/98g je mwN; RIS-Justiz RS0040196) und damit nicht revisibel. Es ist daher nur obiter zu bemerken, dass auch eine Wahrscheinlichkeit der anderen Ursache im Ausmaß von „nur wenigen Prozenten" jedenfalls dann nicht gegen die Bejahung einer anderen, ernstlichen möglichen Ursache spricht, wenn auch für die nachteiligen Operationsfolgen keine signifikant höhere Wahrscheinlichkeit spricht, hier also die Beschwerden der Klägerin eine geradezu typische und regelmäßige Operationsfolge darstellen würden. Auf eine solche Häufigkeit hat sich die Revisionswerberin aber nicht einmal berufen. Aus ihrem Vorbringen zur Schadensteilung gemäß § 1304 ABGB kann vielmehr erschlossen werden, dass sie selbst von einer gleichen Wahrscheinlichkeit ausgeht. Nach den getroffenen Feststellungen hat die Klägerin daher den Anscheinsbeweis nicht erbracht.

2. Dass dieser Anscheinsbeweis schon a priori iS der Rechtsmeinung des Berufungsgerichts wegen der Möglichkeit einer strikten Beweisführung nach Durchführung einer Operation des Grauen Stars am linken Auge der Klägerin unzulässig gewesen sein sollte, wird noch zu prüfen sein. Hier ist festzuhalten, dass der Anscheinsbeweis zunächst zulässig war, aber nicht erbracht wurde, weil nach den Feststellungen zwei potenzielle Ursachen für die Beschwerden der Klägerin in Frage kommen, die jede für sich die nachteiligen Folgen herbeigeführt haben können (alternative Kausalität).

II. Der Beklagte hat nach den Feststellungen keine Operationsfehler zu vertreten. Kontraindikationen wurden von den Tatsacheninstanzen ausgeschlossen. An die Tatsachenfeststellungen ist der Oberste Gerichtshof, der nur Rechtsinstanz ist, gebunden.

III. Zur Haftung des beklagten Arztes trotz ungeklärten Kausalablaufs aus dem Grund des § 1304 ABGB:

1. Dieser Haftungsgrund wurde in der oberstgerichtlichen Judikatur schon bejaht, wenn ein ärztliches Fehlverhalten (Operationsfehler; Behandlungsfehler) als mögliche Ursache mit einer in die Sphäre des Patienten fallenden weiteren Ursache konkurrierte. Die Haftung beruht im Wesentlichen auf Überlegungen Franz Bydlinskis (denen sich in der Folge Koziol angeschlossen hatte), die mit dem Aufsatz Haftung bei alternativer Kausalität (JBl 1959, 1 ff) eingeleitet und erstmals veröffentlicht und in der Folge weiter ausgeführt wurden (Literaturnachweise in Juen, Arzthaftungsrecht², 32, Anm 129). Nach Bydlinski sind die Schadenersatzregelungen der §§ 1301 f ABGB bei Verursachung durch mehrere konkurrierende schuldhafte Handlungen analog in den Fällen heranziehbar, wo eine schuldhafte Handlung als mögliche Ursache mit dem Zufall als Ursache konkurriert. Die allgemein anerkannte Haftung mehrerer alternativ kausaler Täter zeige, dass auch bei potenzieller Verursachung eine Ersatzpflicht bestehen könne. Der Geschädigte solle vom Risiko der Unaufklärbarkeit der Kausalität befreit werden. Dies sei der Gesetzeszweck des § 1302 ABGB. Der Fall der alternativen Konkurrenz von einem Haftungsgrund und dem vom Geschädigten zu tragenden Zufall dürfe nicht anders behandelt werden. Es sei nicht verständlich, weshalb man hier, um den möglichen Vorteil des schuldlosen Geschädigten wegen des allenfalls unbegründeten Ersatzanspruchs zu vermeiden, den möglichen Vorteil des schuldigen Schädigers in Kauf zu nehmen hätte, nämlich seine unter dem Verursachungsaspekt allenfalls unbegründete volle Entlastung. Bydlinski plädierte für eine judizielle Rechtsfortbildung für die Fälle, wo ein Behandlungsfehler mit dem Zufall konkurriert. In zwangloser analoger Anwendung des § 1304 ABGB sei das sachgerechte Ergebnis einer Schadensteilung dem Alles- oder Nichts-Prinzip vorzuziehen. Dies entspreche dem Gerechtigkeitsgebot. Bei einer Wahrscheinlichkeit der Kausalität beider Ursachen von etwa 50 % komme es zu einer Schadensteilung.

Juen (aaO 40) schloss sich für den Fall der Nichtfeststellbarkeit einer hohen Wahrscheinlichkeit der Kausalität des ärztlichen Fehlverhaltens der Lehre Bydlinskis an. Den potenziell kausal, konkret und gefährlich handelnden Schädiger (Arzt) treffe in analoger Anwendung des § 1304 ABGB eine Teilhaftung, wenn bei Vorliegen einer erheblichen Kausalitätswahrscheinlichkeit der Arzt durch einen groben Behandlungsfehler belastet sei. Das Ergebnis sei eine sachgerechte Schadensteilung zwischen dem Patienten und dem präsumtiven Schädiger je nach Kausalitätswahrscheinlichkeit und Intensität der Haftungsgründe. Wenn sich der Verursachungsanteil nicht feststellen lasse, sei der Schaden nach der Zweifelsregel des § 1304 ABGB zu gleichen Teilen zu tragen. Damit könnten im Gegensatz zum Alles- oder Nichts-Prinzip nach dem Beweisrecht unbillige Ergebnisse vermieden werden.

2. Der Oberste Gerichtshof hat sich nach einigem Zögern der Lehre F. Bydlinskis angeschlossen (8 Ob 608/92 = EvBl 1994/13), zur Konkurrenz zwischen dem Haftungsgrund aus einem ärztlichen Behandlungsfehler und einem vom Geschädigten zu vertretenden Zufall mit den Entscheidungen 4 Ob 554/95 = SZ 68/207 = JBl 1996, 181 und 6 Ob 36/01i. Auf die in der Entscheidung SZ 68/207 gegebene ausführliche Begründung kann hier schon mangels jeglicher Rechtsausführungen des Beklagten zu diesem Thema verwiesen werden. Auch dem erkennenden Senat erscheint unter dem Gesichtspunkt des Gerechtigkeitsgebots die Vermeidung einer unbilligen Extremlösung nach dem Alles- oder Nichts-Prinzip wegen des Wertungswiderspruchs zu den §§ 1302 und 1304 ABGB geboten.

3. Neu ist allerdings die hier zu beurteilende Konstellation der Konkurrenz einer potenziellen Schädigung durch einen Aufklärungsfehler des Arztes mit einer Schadensanlage der Patientin (Grauer Star). Die Verletzung einer Aufklärungspflicht kann jedoch als potenziell schädigendes Verhalten einem groben Behandlungsfehler durchaus gleichgehalten werden, wäre doch die Operation und damit der Eintritt eines Schadens bei richtiger Aufklärung unterblieben. Da wie dort hätte ein pflichtgemäßes Verhalten des Arztes den Schaden vermieden. Es muss nur feststehen, dass die Patientin bei ordnungsgemäßer Aufklärung von der Operation Abstand genommen hätte.

IV. Vor Bejahung einer Haftung des Beklagten aus dem erläuterten Grund (§§ 1302, 1304 ABGB analog) muss allerdings die unter dem Gesichtspunkt der Beweislast zu beurteilende Frage geprüft werden, ob die Klägerin iSd Standpunkt des Berufungsgerichts aus rechtlichen Gründen auf die Durchführung einer Operation des Grauen Stars verwiesen werden darf, die es ermöglichte, den vollen Beweis des Kausalablaufs zu erbringen. Bei der vorliegenden Verweigerung einer solchen Operation durch die Klägerin ist von einem Beweisnotstand auszugehen. Dazu ist Folgendes auszuführen:

1. Dem Fall, dass eine strikte Beweisführung unmöglich ist, muss die Unzumutbarkeit der Operation gleichgehalten werden. Wohl trifft jede Prozesspartei eine prozessuale Diligenzpflicht zu zumutbaren Erhebungen (beispielsweise zur Ausforschung von Zeugen) zur Dartuung ihres Prozessstandpunkts (RIS-Justiz RS0109743). Im Fall eines Beweisnotstands des Gegners darf der andere ihm zur Verfügung stehende Beweismittel unter dem Gesichtspunkt der Sittenwidrigkeit nicht vorenthalten (so schon 5 Ob 677/82). Unter Umständen kann es zur Verschiebung der Beweislast dahin kommen, dass die Beweislast letztlich wieder die Partei trifft, die den Beweis wegen ihrer „Nähe zum Beweis" leichter erbringen kann (9 ObA 213/93; 4 Ob 1638/95 uva), wenn es ihr nach Treu und Glauben zumutbar ist, die erforderlichen

Aufklärungen zu geben (4 Ob 2365/96i = SZ 69/284; 6 Ob 260/99z uva)

bzw. Beweismittel nicht vorzuenthalten (5 Ob 311/81 = SZ 56/78 uva).

Immer findet aber die prozessuale Diligenzpflicht ihre Grenze in der Anwendung der zumutbaren Sorgfalt nach den Umständen des Einzelfalls (2 Ob 357/98h).

2. Bei der Schadensminderungspflicht (§ 1304 ABGB) wird in der Rsp die Auffassung vertreten, dass eine Operation zumutbar ist, wenn sie einfach und gefahrlos mit sicherer Aussicht auf Erfolg ist (RIS-Justiz RS0026982; RS0027214).

3. In Anwendung dieser Grundsätze zur Frage der Zumutbarkeit auf den vorliegenden Fall, der sich durch die Besonderheit auszeichnet, dass eine Prozesspartei mit einer Operation erst ein Beweismittel schafft, ist ein besonders strenger Maßstab anzulegen. Im Regelfall wird die Operation einer Prozesspartei nicht zumutbar sein, weil es um die Unverletzlichkeit der Person, also um ein besonders hohes, absolut geschütztes Gut geht. Ein genereller Ausschluss einer prozessualen Mitwirkungspflicht durch Vornahme einer Operation erscheint dem erkennenden Senat aber bedenklich, weil immerhin Umstände denkbar sind, die für eine Zumutbarkeit sprechen könnten, etwa dann, wenn eine Operation in absehbar kurzer Zeit ohnehin geradezu unumgänglich sein wird und die Weigerung der Prozesspartei, die Operation schon jetzt durchzuführen, nicht mit besonderen Gründen abgelehnt wird, sodass nur das Motiv der Weigerung übrig bleibt, den Beweisnotstand des Prozessgegners für sich auszunützen. Dieses Thema hätte schon zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung mit den Parteien im Zusammenhang mit der Beweislastverteilung erörtert werden müssen. Wenn - wie hier - alternativ zwei Schadensursachen annähernd gleichwertig in Frage kommen und beide Parteien das nach den zur Verfügung stehenden Beweismitteln erzielte Beweisergebnis mit der Schadensteilung als Rechtsfolge nicht akzeptieren und jeweils volles Obsiegen anstreben, hat der Beklagte die in der Sphäre der Klägerin liegende Schadensursache (Grauer Star) zu beweisen, die Klägerin aber das ärztliche Fehlverhalten als Schadensursache. Wenn die Klägerin ohne rechtfertigende Gründe die Beweisführung vereitelt (die Operation verweigert) müsste der Beweisnotstand nach den zitierten Grundsätzen zur Diligenzpflicht zur vollen Klageabweisung führen. Sollte allerdings die Durchführung einer Operation etwa wegen eines erheblichen Operationsrisikos in Abwägung der besonderen Umstände des Einzelfalls für die Klägerin unzumutbar sein, müsste es zu der erläuterten Schadensteilung kommen, wenn die Klägerin ihrer Verpflichtung zum Kausalitätsnachweis nur iS des Nachweises einer alternativen Kausalität nachkommt und dem Beklagten der ihn treffende volle Entlastungsbeweis ebenfalls nicht gelingen kann. Das Verfahren wird daher im dritten Rechtsgang zu ergänzen sein. Das Erstgericht wird mit den Parteien das angesprochene Thema zu erörtern und nach allfälliger Ergänzung des Parteivorbringens entsprechende Feststellungen zu treffen haben, die es erlauben, die Frage der Zumutbarkeit einer Operation der Klägerin zu beurteilen. Bei Verneinung dieser Frage wird es allerdings einer weiteren Ergänzung der Feststellungen bedürfen.

V. Das Verfahren ist nämlich auch zum Thema der Aufklärungspflicht des beklagten Arztes noch nicht spruchreif:

1. Eine abschließende Erledigung dieses Punktes schon im vorliegenden zweiten Rechtsgang scheitert an fehlenden Feststellungen über den Stand der Wissenschaft zum Zeitpunkt der Durchführung der beiden Lasik-Operationen im Mai 1999. Dies hielt das Berufungsgericht aus nicht zu billigenden Gründen für entbehrlich. Da nach der schon gegebenen Begründung eine teilweise Haftung des Beklagten aus dem Grund des § 1304 ABGB in Frage kommt und die Klägerin sich auch auf eine zum Operationszeitpunkt noch nicht bestandene Erprobung der Operationsmethode berufen hat, ist es entscheidungswesentlich, ob die Lasik-Operation schon eine nach dem Stand der Wissenschaft anerkannte Operationsmethode war, bei der schon Ergebnisse auch langjähriger Beobachtung vorlagen, oder aber ob es sich nur um eine Operationsmethode in bloßer Erprobung oder gar eine solche mit experimentellen Charakter handelte. Das Verfahren ist zu diesem Punkt - wie das Berufungsgericht richtig ausführte - noch nicht spruchreif. Ob die Verfahrensergänzung schon aufgrund der vorgelegten Urkunden, insbesondere nach den Richtlinien der deutschen Kommission und unter kritischer Würdigung des eingeholten Sachverständigengutachtens beantwortet werden kann, wird das Erstgericht im fortzusetzenden Verfahren zu beurteilen haben. Schon an dieser Stelle ist jedoch darauf hinzuweisen, dass schon mangels entsprechender gegenteiliger Parteibehauptungen nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Ausführungen der deutschen Kommission keine sachgerechten Ausführungen zum Stand der Wissenschaft über die hier zu beurteilende Lasermethode darstellen. Die vom Erstgericht angenommene Unverbindlichkeit der deutschen Kommissionsrichtlinien für Operationen in Österreich geht am Thema vorbei, das in der Erforschung des Standes der Wissenschaft besteht.

2. Sollte nach Ergänzung des Beweisverfahrens feststehen, dass die Lasik-Operation eine noch nicht voll ausgereifte und durch Langzeitbeobachtungen auch überprüfte und abgesicherte Operationsmethode war, hätte die Klägerin auch darüber aufgeklärt werden müssen. Dies ist hier schon deshalb zu fordern, weil die Operation nicht einem dringenden Heilbedürfnis, sondern primär dazu diente, der Klägerin das Tragen einer Brille zu ersparen. Die Aufklärungspflicht des Arztes ist umso umfassender, je weniger dringlich der Eingriff erscheint. Ist der Eingriff medizinisch empfohlen, aber nicht eilig, so ist grundsätzlich eine umfassende Aufklärung notwendig (RIS-Justiz RS0026772), die dazu dient, dem Patienten die Kenntnisse über die Risken der Operation als Basis seiner Entscheidung zu verschaffen. Eine Verletzung der Aufklärungspflicht hier schon deshalb anzunehmen, weil der Beklagte die Klägerin nicht konkret über die möglichen Operationsfolgen des Doppeltsehens oder des Blendens aufgeklärt hat, würde im Hinblick auf die ohnehin gegebene Aufklärung über mögliche Komplikationen „auch schwerster Art" (S 8 des erstinstanzlichen Urteils) und den Hinweis auf Blendungen beim nächtlichen Autofahren die ärztliche Aufklärungspflicht überspannen. Die Revision führt zu diesem Thema auch nichts aus. Dies ändert jedoch nichts daran, dass die gegebene Aufklärung die Patientin jedenfalls zur Meinung veranlassen konnte, es handle sich bei der Operationsmethode um eine solche nach dem damaligen Stand der Wissenschaft. Ob dies tatsächlich zutrifft, wird zu klären sein.

Demnach ist spruchgemäß zu entscheiden.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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