European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0020OB00090.22G.0117.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Zivilverfahrensrecht
Spruch:
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Einrede der rechtskräftig entschiedenen Streitsache verworfen wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.148,98 EUR (darin enthalten 191,50 EUR USt) bestimmten Kosten des Zwischenstreits binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] In einem Vorprozess zwischen den Parteien des nunmehrigen Prozesses in denselben Parteirollen wurde mit rechtskräftigem Urteil des Erstgerichts vom 27. 9. 2018 (ua) das Klagebegehren,
a. zwischen dem Kläger und dem Beklagten werde festgestellt, dass der Beklagte als Pächter der Liegenschaft EZ *, kein Recht auf Benutzung des P*weges über die im Eigentum des Klägers stehenden Grundstücke [...] sowie Nr. * im nördlichen Bereich, inneliegend in EZ * (*), KG *, zum Zwecke des Gehens und Viehtriebes zum Zwecke der Bewirtschaftung der L*alm (Grundstücke *) zustehe, und
b. der Beklagte sei gegenüber dem Kläger schuldig, ab sofort jede Nutzung des P*weges über die im Eigentum des Klägers stehenden Grundstücke [...] sowie Nr. * im nördlichen Bereich, inneliegend in EZ * (*), KG *, zum Zwecke des Gehens und des Viehtriebes zum Zwecke der Bewirtschaftung der L*alm (Grundstücke *) zu unterlassen, abgewiesen.
[2] In der vom Berufungsgericht des Vorprozesses gebilligten rechtlichen Beurteilung führte das Erstgericht zusammengefasst aus, aufgrund des redlichen seit 1980 ausgeübten und bis 2014 vom Kläger nicht beanstandeten Viehtriebs habe der dort zweitbeklagte Eigentümer der L*alm die Servitut des Viehtriebs ersessen, die der Beklagte (dort als erstbeklagter Pächter) nutzen dürfe, weshalb das sich darauf beziehende Feststellungs‑ und Unterlassungsbegehren abzuweisen sei.
[3] Im nunmehrigen Verfahren begehrt der Kläger, den Beklagten dazu zu verurteilen, den Viehtrieb über den auf dem Grundstück * befindlichen „P*weg“ (ohne Beschränkung auf einen bestimmten Abschnitt) zu unterlassen. Er bringt vor, der Beklagte habe mit mehreren Helfern am 12. 6. 2021 sein Vieh über den am genannten Grundstück befindlichen „P*weg“ getrieben. Der Beklagte behaupte gegenüber dem Kläger, das Recht dazu zu haben.
[4] Der Beklagte wandte ein, im Vorprozess sei rechtskräftig sein Viehtriebsrecht festgestellt worden, es liege das Prozesshindernis der rechtskräftig entschiedenen Streitsache vor.
[5] Das Erstgericht gab der Einrede der rechtskräftig entschiedenen Sache statt und wies die Klage zurück.
[6] Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers Folge, hob den erstgerichtlichen Beschluss auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung über die geltend gemachte Prozesseinrede auf. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht jedoch 30.000 EUR übersteige und der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Es vertrat im Wesentlichen die Ansicht, im Vorprozess habe sich sowohl das Feststellungs‑ als auch das Unterlassungsbegehren auf den nördlichen Bereich des Grundstücks bezogen. Daher könne mit dem damaligen Begehren nicht der im südlichen Bereich des Grundstücks verlaufende Wegabschnitt gemeint sein. Das Erstgericht habe diesen Aspekt des Urteils im Vorprozess mit den Parteien nicht erörtert, was es nachholen müsse, bevor es neuerlich über die Prozesseinrede entscheiden könne. Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil sich dieser mit dem Umfang der Rechtskraft bei Klagen betreffend eine Dienstbarkeit bisher in einem vergleichbaren Fall, in dem vom Vorprozess nur ein bestimmter Wegabschnitt erfasst gewesen sei, noch nicht auseinandergesetzt habe.
[7] Gegen den Beschluss des Rekursgerichts richtet sich der Rekurs des Beklagten mit dem Antrag, den Beschluss des Erstgerichts wiederherzustellen.
[8] Der Kläger beantragt in der Rekursbeantwortung, den Rekurs als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[9] Der Rekurs ist wegen einer aufzugreifenden Fehlbeurteilung des Rekursgerichts zulässig; er ist im Sinn der Verwerfung der Einrede der rechtskräftig entschiedenen Streitsache auch berechtigt.
Folgendes wurde erwogen:
[10] 1. Im Verfahren über einen Rekurs gegen einen – hier vorliegenden – „echten“ Aufhebungsbeschluss des Rekursgerichts gemäß § 527 Abs 2 ZPO gilt das Verbot derreformatio in peius nicht (RS0002480 [T14]). Der erkennende Senat ist daher nicht daran gehindert, entgegen dem Antrag des Rekurswerbers die zu prüfende Einrede zu verwerfen.
[11] 2. Der gleiche Streitgegenstand liegt nur vor, wenn der in der neuen Klage geltend gemachte prozessuale Anspruch sowohl hinsichtlich des Begehrens als auch des rechtserzeugenden Sachverhalts, also des Klagsgrundes, ident ist mit jenem des Vorprozesses (RS0039347). Bei einem Unterlassungsanspruch liegt der gleiche Streitgegenstand nicht vor, wenn weitere Eingriffsakte behauptet werden (6 Ob 592/87 = RS0039347 [T4]; zum Lauterkeitsrecht vgl RS0039179). Dies ist hier – ungeachtet des teilweise identen Begehrens wie im Vorprozess – angesichts des vom Kläger nunmehr neu behaupteten Viehtriebs des Beklagten am 12. 6. 2021 der Fall. Schon aus diesem Grund ist die Annahme, das Prozesshindernis der rechtskräftig entschiedenen Streitsache könne teilweise vorliegen, verfehlt. Einer Ergänzung des Verfahrens bedarf es insoweit nicht, vielmehr ist die Einrede des Beklagten zu verwerfen.
[12] 3. Vom nicht vorliegenden Prozesshindernis der rechtskräftig entschiedenen Streitsache ist die im vorliegenden Prozess vom Erstgericht zu prüfende Bindungswirkung des rechtskräftigen Urteils über das Feststellungsbegehren zu unterscheiden (RS0127052; RS0041572; RS0041251; RS0043259). Die Bindungswirkung verbietet den Gerichten des Folgeprozesses, die im Vorprozess als Hauptfrage rechtskräftig entschiedene nunmehrige Vorfrage selbständig zu prüfen (vgl RS0039147; vgl RS0041251 [T3]).
[13] 4. Die Kostenentscheidung gründet auf den §§ 41, 50 ZPO. Hier liegt ein Zwischenstreit über eine Prozesseinrede vor, in dem der Kläger erfolgreich war (vgl RS0035955; Obermaier, Kostenhandbuch3 Rz 1.329). Da die erstinstanzlichen Schriftsätze des Klägers (zumindest) auch ein über die Bestreitung der Einrede der rechtskräftig entschiedenen Streitsache hinausgehendes Vorbringen enthalten und die mündliche Streitverhandlung auch ein über die Verhandlung über diese Einrede hinausgehendes Programm hatte (Vergleichsgespräch, Vortrag der Schriftsätze), bleiben als abgrenzbare Kosten (vgl Obermaier, Kostenhandbuch3 Rz 1.331; 10 Ob 74/16d) nur die Rechtsmittel(gegen‑)schriftsätze des Klägers übrig. Im Rekursverfahren fällt keine Pauschalgebühr an (GGG, TP 2, Anm 1.–6. e contrario).
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