OGH 2Ob77/09a

OGH2Ob77/09a3.9.2009

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Yvonne G*****, vertreten durch Dr. Heribert Kirchmayer, Rechtsanwalt in Hainburg an der Donau, gegen die beklagte Partei G***** AG, *****, vertreten durch Dr. Gustav Etzl, Rechtsanwalt in Wien, wegen 5.050 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Berufungsgericht vom 26. November 2008, GZ 21 R 262/08i-56, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Bruck an der Leitha vom 17. April 2008, GZ 2 C 2124/05y-49, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 447,98 EUR (darin 74,66 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Der 1961 geborene Ehemann der Klägerin war am 5. 8. 2002 an einem vom Lenker eines bei der beklagten Partei haftpflichtversicherten Kraftfahrzeugs verschuldeten Verkehrsunfall beteiligt, bei dem er unter anderem eine schwere Schädel-Hirn-Verletzung erlitt. Er leidet aufgrund dieser Verletzung an einer irreversiblen, gering- bis mäßiggradigen organischen Persönlichkeitsstörung. Diese zeigt sich in seiner reduzierten Fähigkeit, zielgerichtete Aktivitäten über längere Zeiträume durchzuhalten, sowie in emotionaler Labilität und Reizbarkeit oder kurz andauernden Aggressionsausbrüchen. Damit verbunden ist eine Störung des Sprachflusses und Weitschweifigkeit. Des weiteren leidet der Ehemann der Klägerin an einer mittelgradigen depressiven Erkrankung, die sich in abhängig-klammerndem Verhalten gegenüber der Klägerin und in sozialphobischem Verhalten äußert. Er ist aufgrund seines Gesundheitszustandes arbeitsunfähig.

Die Klägerin lebt mit ihrem Ehemann im gemeinsamen Haushalt. Als Folge des Unfalls entwickelte sich bei ihr ein reaktiv depressives Zustandsbild, resultierend aus der zuerst akuten, sodann langsam chronifizierten Überlastungssituation. Die Klägerin nahm fachärztliche und psychotherapeutische Behandlungen in Anspruch. Diese waren medizinisch indiziert und unfallskausal. Seit Sommer 2006 besteht kein akuter Behandlungsbedarf mehr; die Klägerin hatte die Situation soweit bewältigt.

Die Klägerin begehrte von der beklagten Partei die Zahlung von 5.050 EUR sA, davon 5.000 EUR sA an Schmerzengeld für den durch die schweren Verletzungen ihres Mannes und die massive Beeinflussung des Familienlebens bei ihr ausgelösten krankheitswertigen Zustand.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Das von der beklagten Partei angerufene Berufungsgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, dass es das Klagebegehren abwies. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Rechtlich führte das Berufungsgericht aus, nahe Angehörige könnten bei Vorliegen eines krankheitswertigen Schockschadens auch bei schwersten Verletzungen des Opfers Schmerzengeld begehren. Unter solchen schwersten Verletzungen seien etwa die lebenslängliche Pflegebedürftigkeit eines Kindes durch die Mutter oder eines Schwerversehrten durch seine Ehefrau zu verstehen. Da das Krankheitsbild des Ehemanns der Klägerin kein vergleichbares Ausmaß erreiche, liege keine „schwerste" Verletzung im Sinne der Rechtsprechung vor.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil es über den Einzelfall hinaus von Bedeutung sei, ob organische Persönlichkeitsstörungen im festgestellten Ausmaß, die eine Beeinträchtigung des Familienlebens nach sich zögen, als „schwerste" Verletzungen im Sinne der Rechtsprechung zum Schockschaden eines nahen Angehörigen zu qualifizieren seien.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen das zweitinstanzliche Urteil erhobene Revision der Klägerin ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Auch in der Revision wird keine (sonstige) Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung aufgezeigt:

Die Anerkennung der Ersatzfähigkeit von seelischen Schmerzen eines Angehörigen setzt bei Gesundheitsschädigung mit Krankheitswert das Hinzutreten eines besonders schweren Zurechnungsgrundes voraus. Ein solcher liegt dann vor, wenn das Verhalten des Schädigers gerade auch gegenüber dem Dritten besonders gefährlich ist, also die Verletzungshandlung in hohem Maße geeignet erscheint, einen solchen Schockschaden herbeizuführen (2 Ob 111/03t = SZ 2003/67; 2 Ob 163/06v = SZ 2007/96; 7 Ob 28/07d; 1 Ob 88/07h = SZ 2007/101; 5 Ob 18/08w; RIS-Justiz RS0116865, RS0116866, RS0117794). In diesem Sinne wird vom Obersten Gerichtshof seit der Entscheidung 2 Ob 79/00g = SZ 74/24 in ständiger Rechtsprechung die Ersatzfähigkeit von Schockschäden mit Krankheitswert bei Tötung naher Angehöriger bejaht (RIS-Justiz RS0031111, RS0116865).

In den Entscheidungen 2 Ob 18/06w (dort ging es allerdings um die Ersatzfähigkeit reinen Trauerschadens) und 2 Ob 53/05s = ZVR 2006/178 (Karner) konnte die Frage, ob ein Ersatzanspruch auch im Fall schwerster Verletzung eines nahen Angehörigen besteht, noch offen gelassen werden. In der zuletzt zitierten Entscheidung wurde vom erkennenden Senat unter Hinweis auf in- und ausländische Lehrmeinungen und eine näher bezeichnete Entschließung des Europarats aber bereits klargestellt, dass für eine infolge der (dort psychischen) Unfallverletzung eines nahen Angehörigen aufgetretene depressive Störung jedenfalls dann kein Schmerzengeld zusteht, wenn das Unfallopfer keine „schwersten" (einem Pflegefall gleichkommenden) Verletzungen erlitten hat. Karner führte in seiner zustimmenden Entscheidungsbesprechung (in ZVR 2006, 459 ff) aus, es erscheine nur folgerichtig, dass man einen Ersatzanspruch auch dann gewähre, wenn nicht die Verletzung des Angehörigen selbst einen Schock auslöse, sondern beispielsweise erst seine Betreuung aufgrund einer Belastungssituation zu einer gesundheitlichen Beeinträchtigung des pflegenden Familienmitglieds führe. Ein Größenschluss erscheine insofern geradezu zwingend, da eine dauerhafte Belastung oftmals noch schwerer wiege, als ein zeitlich begrenztes Schockgeschehen (aaO 460).

Dieser Argumentation Karners folgte der erkennende Senat in der Entscheidung 2 Ob 163/06v, in welcher der Anspruch auf Schmerzengeld für die seelische Beeinträchtigung einer Person mit Krankheitswert wegen der durch die Dauerfolgen „schwerster" Verletzungen eines nahen Angehörigen bewirkten Lebensumstände (grundsätzlich) bejaht wurde (vgl nun auch 1 Ob 88/07h; 5 Ob 18/08w). Dem damaligen Fall lag das noch als klärungsbedürftig erachtete Tatsachenvorbringen der klagenden Eltern zugrunde, dass ihre im Unfallszeitpunkt 16-jährige Tochter aufgrund der erlittenen Verletzungen nun ständiger Pflege und Aufsicht bedürfe und ihr Leidensbild durch starke psychologische Belastungen, eine gestörte Sprachentwicklung sowie eine bleibend gestörte mentale Entwicklung geprägt und sie überdies auf den Rollstuhl angewiesen sei.

Wie schon die bisher entschiedenen Fälle zeigen, entzieht sich die Frage, ob die physische oder psychische Beeinträchtigung des Unfallopfers ein solches Ausmaß erreicht, dass nach den dargelegten Kriterien Schadenersatz für die dadurch ausgelöste seelische Gesundheitsschädigung eines nahen Angehörigen zuerkannt werden kann, einer allgemeinen Aussage des Obersten Gerichtshofs. Entscheidend sind vielmehr stets die konkreten Umstände des Einzelfalls (vgl 7 Ob 28/07d), sodass in der Regel keine Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zu beantworten sein wird. Die Revision wäre daher nur zulässig, wenn dem Berufungsgericht eine Fehlbeurteilung unterlaufen wäre, die im Interesse der Rechtssicherheit vom Obersten Gerichtshof wahrgenommen werden müsste (2 Ob 18/06w mwN).

Dies ist hier aber nicht der Fall. Die Annahme des Berufungsgerichts, das Krankheitsbild des Ehemanns der Klägerin erreiche nicht das von der Rechtsprechung geforderte Ausmaß einer „schwersten" Verletzung, lässt keine derartige korrekturbedürftige Fehlbeurteilung erkennen, auch wenn das Familienleben nun - als geradezu zwangsläufige Folge jeder dauerhaften physischen oder psychischen Gesundheitsbeeinträchtigung eines Unfallopfers - beeinträchtigt ist.

Mangels erheblicher Rechtsfragen im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die beklagte Partei hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen.

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