Spruch:
Spruchrepertorium Nr. 41 neu.
Der Revisionsrekurs gegen den Beschluß des Rekursgerichtes, mit dem in Abänderung der Zurückweisung einer Wiederaufnahms- oder Nichtigkeitsklage nach § 543 ZPO. dem Prozeßgerichte die Entscheidung unter Abstandnahme von dieser Zurückweisung aufgetragen wurde, ist zulässig.
Entscheidung vom 6. April 1955, 2 Ob 72/55.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:
Oberlandesgericht Graz.
Text
Das Ersturteil vom 21. Juli 1953 wurde mit dem Berufungsurteil vom 5. November 1953 bestätigt. Das Revisionsverfahren ist gemäß § 545 ZPO. unterbrochen.
Im vorliegenden Wiederaufnahmsverfahren hat das Erstgericht nach der ersten Tagsatzung, nach Erstattung der Klagebeantwortung und nach drei Streitverhandlungen, wobei bei der letzten die Urteilsfällung vorbehalten wurde, die Wiederaufnahmsklage gemäß § 543 ZPO. mit Beschluß als verspätet zurückgewiesen.
Auf den Rekurs des Klägers hat das Rekursgericht diese Entscheidung dahin abgeändert, daß dem Erstgericht aufgetragen wurde, unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund der verspäteten Klagseinbringung über das erhobene Klagebegehren dem Gesetze gemäß zu verfahren.
Der Oberste Gerichtshof erachtete den Revisionsrekurs für zulässig, nicht aber für begrundet.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Die Zulässigkeit des Revisionsrekurses gegen eine zweitinstanzliche Entscheidung, mit der in Abänderung eines erstgerichtlichen, nach durchgeführter Verhandlung gemäß § 543 ZPO. gefaßten Zurückweisungsbeschlusses dem Erstgerichte Sachentscheidung über die Wiederaufnahmsklage aufgetragen wird, wurde in mehreren Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes (SZ. XXI 149 und dieser Entscheidung folgend 2 Ob 633/50; die Entscheidungen 2 Ob 488/52, 3 Ob 299/52, 1 Ob 191/54 und 1 Ob 766/54 betreffen a limine-Zurückweisungen nach § 538 Abs. 1 ZPO., doch stellen sie zum Teil in ihrer Begründung diesen Zurückweisungsfall dem des § 543 ZPO. gleich) verneint, da auch die Unterlassung einer Zurückweisung a limine gemäß § 538 Abs. 1 ZPO. nicht anfechtbar sei, durch die Unterlassung einer solchen Zurückweisung nach § 538 Abs. 1 ZPO. die Rechte des Beklagten nicht beeinträchtigt würden (weil die Zurückweisungsgrunde vom Beklagten trotzdem in der Verhandlung und auch noch in der Berufung gegen ein die Wiederaufnahme bewilligendes Urteil geltend gemacht werden könnten) und die die Sachentscheidung anordnende Rekursentscheidung nur die Anweisung darstelle, statt in Beschlußform nach §§ 538, 543 ZPO. durch Urteil zu entscheiden (SZ. XXI 149); es bestunde kein Grund, in der Frage der Anfechtbarkeit zwischen § 538 Abs. 1 ZPO. und § 543 ZPO. zu unterscheiden (1 Ob 766/54). Der Oberste Gerichtshof hat jedoch in mehreren anderen Entscheidungen (1 Ob 415/51, 2 Ob 3/54, 3 Ob 7/54) auch die gegenteilige Ansicht vertreten, der aus den folgenden Erwägungen der Vorzug zu geben ist. Wenn das Gesetz in § 538 Abs. 1 und § 543 ZPO. die Zurückweisung der verspäteten Rechtsmittelklage (und die Zurückweisung der Rechtsmittelklage, die schon nach dem Klagsvorbringen keinen gesetzlichen Anfechtungsgrund nach § 529 bis 531 ZPO. enthält) durch Beschluß vorschreibt, so deshalb, damit die Zweifel über das Vorliegen gewisser formeller Voraussetzungen vor Durchführung eines vielleicht verwickelten, mühseligen, zeitraubenden und kostspieligen Verfahrens unter allfälliger Ersparung desselben rasch (Rekursverfahrenö) rechtskräftig geklärt werden. Denn, wenn auch die Rechtsmittelklagen zur Gänze dem formellen Recht angehören, zwingt die Besonderheit des Klagegrundes auch bei ihnen zwischen dem Meritum der Nichtigerklärung oder der Bewilligung der Wiederaufnahme und den allgemeinen und besonderen Prozeßvoraussetzungen zu unterscheiden (vgl. die bei Stagel-Michlmayr, ZPO., 10. Aufl. 1951, zu § 503 Z. 4 ZPO. unter Nr. 3 angeführten Entscheidungen), wobei die besonderen Prozeßvoraussetzungen eben die in § 538 Abs. 1 und § 543 ZPO. angeführten sind. Schon aus diesen Erwägungen ergibt sich, daß die Rechtzeitigkeit einer Wiederaufnahmsklage nicht anders zu behandeln ist als eine sonstige Prozeßvoraussetzung, wie etwa die Zuständigkeit des angerufenen Gerichtes, worauf auch der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach hingewiesen hat (1 Ob 415/51, 3 Ob 299/52). Es ist nun nicht einzusehen, warum - unbeschadet des Judikates Nr. 61 neu, 1. Rechtssatz - die Anfechtbarkeit einer Entscheidung über die Rechtzeitigkeit gegenüber der Anfechtbarkeit einer Entscheidung etwa über die Zuständigkeit beschränkt sein soll, wobei die Zweckmäßigkeit auf der Hand liegt, wenn dem Obersten Gerichtshof die Möglichkeit gegeben wird, eine nicht rechtzeitige Rechtsmittelklage gleichförmig mit dem Erstgericht entgegen der Meinung des Rekursgerichtes vor Durchführung des Verfahrens in merito zurückzuweisen. Die die hier bekämpfte Rechtsansicht vertretenden Entscheidungen gehen von der Unanfechtbarkeit der Zurückweisung nach § 538 Abs. 1 ZPO. aus. Diese Unanfechtbarkeit wird, wenn überhaupt, mit § 130 Abs. 2 ZPO. begrundet (3 Ob 299/52; Neumann, Kommentar zu den Zivilprozeßgesetzen, 4. Aufl. II S. 1425 zu § 538 ZPO.). Es besteht nun gewiß kein Bedenken, die Anfechtungsbefugnis einer Partei in einem Verfahren zu negieren, an dem diese Partei nach dem Gesetze gar nicht beteiligt ist, das sich (formellrechtlich) außerhalb der Rechtssphäre dieser Partei abspielt und sie im Ergebnis nicht beschweren kann, wie etwa die Annahme und Vorlage eines unzulässigen Rechtsmittels (2 Ob 433/54) und eben die amtswegige Billigung einer Klage bei ihrer Vorprüfung vor Ausschreibung einer Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung in Bezug auf die Zuständigkeit des angerufenen Gerichtes nach § 43 Abs. 1 JN. und in Bezug auf ihre Rechtzeitigkeit im Falle des § 538 Abs. 1 ZPO. Diese Gründe für einen Rechtsmittelausschluß treffen aber im Falle des § 543 ZPO. nicht zu, wenn die Rechtzeitigkeit nach kontradiktorischer Verhandlung - allenfalls auf Grund einer diesbezüglichen Einwendung des Beklagten - mit einem förmlichen Beschluß der ersten oder zweiten Instanz bejaht wird. Ein solcher die erste Instanz abändernder zweitinstanzlicher Beschluß stellt keinesfalls eine bloße Anweisung dar, über die Frage der Rechtzeitigkeit statt in Beschlußform durch Urteil, allenfalls im gleichen Sinne, zu entscheiden. Denn die Zurückweisung der Rechtsmittelklage muß nach § 543 ZPO. immer durch Beschluß erfolgen. Wenn also das Erstgericht durch einen unanfechtbaren Spruch des Zweitgerichtes gezwungen werden könnte, durch Urteil zu entscheiden, müßte es entgegen seiner Ansicht von der Rechtzeitigkeit der Rechtsmittelklage ausgehen. Gäbe es ihr Folge und bestätigte die zweite Instanz diese stattgebende erstgerichtliche Entscheidung, so wäre bei angenommener Unzulässigkeit der Revision nach § 502 Abs. 3 ZPO. die Zulassung der allenfalls verspäteten Rechtsmittelklage durch den Spruch einer Instanz, nämlich der zweiten Instanz, in irreparabler Weise erfolgt, was nicht Absicht des Gesetzes sein kann und die Ansicht widerlegt, daß die Rechte des Beklagten durch die Beschränkung des Rechtsmittelzuges nicht beeinträchtigt würden. Die Gründe des Judikates Nr. 61 neu gelten auch hier. Das Prüfungsverfahren nach § 538 Abs. 1 ZPO. und das Prüfungsverfahren nach § 543 ZPO. sind streng auseinanderzuhalten. Das positive Ergebnis der ersten Prüfung ist in keiner Weise bindend, weil eben der Beklagte an diesem Prüfungsverfahren nicht beteiligt war, während das zweite Prüfungsverfahren auch Rechtskraft gegen den Beklagten wirkt.
Was die Frage der Rechtzeitigkeit der gegenständlichen Wiederaufnahmsklage im Sinne des § 543 ZPO. anlangt, ist nur zu prüfen, ob die Frist des § 534 Abs. 2 Z. 4 ZPO. eingehalten wurde, sonach ob der Kläger nicht mehr als einen Monat vor der Klagserhebung (10. April 1954) davon erfahren hat, die Rosa K. könne bezeugen, daß er mit seinem Motorrad das Fuhrwerk des Z. noch vor dem Hauptplatz und auf der linken Seite überholt habe. Dagegen hat die Frage, ob den Beklagten im Sinne des § 530 Abs. 2 ZPO. ein Verschulden daran trifft, daß er nicht früher von diesem Beweismittel erfuhr, mit der Frage der Rechtzeitigkeit im Sinne des § 543 ZPO. nichts zu tun, da die Lösung dieser Frage in die Sachentscheidung gehört (vgl. die bei Stagel - Michlmayr a. a. O. zu § 538 ZPO. unter Nr. 4 angeführten Entscheidungen). Dabei wäre ein solches Verschulden im Sinne des § 530 Abs. 2 ZPO. auch nur insoweit beachtlich, als es die Geltendmachung des Beweismittels vor Schluß der Verhandlung erster Instanz (14. Juli 1953) verhinderte.
Unter einem hat der zweite Senat des Obersten Gerichtshofes die Eintragung des nachstehenden Rechtssatzes unter Nr. 41 in das Spruchrepertorium beschlossen:
"Der Revisionsrekurs gegen den Beschluß des Rekursgerichtes, mit dem in Abänderung der Zurückweisung einer Wiederaufnahms- oder Nichtigkeitsklage nach § 543 ZPO. dem Prozeßgerichte die Entscheidung unter Abstandnahme von dieser Zurückweisung aufgetragen wurde, ist zulässig."
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