Spruch:
Haftung des Schuldners für Verschulden des von seinem Erfüllungsgehilfen verwendeten weiteren Erfüllungsgehilfen.
Baugewerbe (Bagger) fallen nicht unter den Begriff der Fabrik im Sinne des § 2 RHG.
Entscheidung vom 2. März 1955, 2 Ob 71/55.
I. Instanz: Landesgericht Innsbruck; II. Instanz: Oberlandesgericht Innsbruck.
Text
Im Zuge des von der erstbeklagten Partei ausgeführten Bauvorhabens wurden die hiefür notwendigen Schottermengen aus dem Innbett mittels eines der zweitbeklagten Partei gehörigen, von der drittbeklagten Partei bedienten Baggers entnommen und von verschiedenen Frächtern, darunter auch vom Kläger, zur Baustelle geführt. Der Arbeitsvorgang beim Beladen der Lastkraftwagen war der, daß die Lastkraftwagenfahrer rückwärts unter den Baggerausleger fuhren und dort ihre Fahrzeuge anhielten, worauf der gefüllte Baggerlöffel mehrmals auf die Ladefläche der Lastkraftwagen entleert wurde. Dabei bewegten die Lastkraftwagenfahrer zwischen dem Entleeren der einzelnen Ladungen ihre Fahrzeuge ein- oder zweimal etwas vor- oder rückwärts. Die Lastkraftwagenfahrer blieben während des Beladevorganges zumeist im Führerhaus ihrer Fahrzeuge.
Am 10. Mai 1951 ereignete sich beim Beladen des Lastkraftwagens des Klägers am Innufer ein Unfall. Der Löffel des Baggers schwang nach der ersten Entleerung vorwärts aus und stieß hiebei an das Führerhaus des Lastkraftwagens des Klägers an. Dabei wurde die Rückwand des Führerhauses eingedrückt und der Kläger am Kopf getroffen, während ein auf dem Trittbrett des Wagens stehender Angestellter der zweitbeklagten Partei, der mit der Kontrolle der Schotterabfuhr beauftragt war, unverletzt blieb.
Gegen den Drittbeklagten wurde wegen dieses Vorfalles ein Strafverfahren wegen Übertretung nach § 431 StG. geführt; es endete mit Freispruch. Mit der vorliegenden Klage nimmt der Kläger die drei Beklagten auf Ersatz der ihm aus dem Unfall entstandenen Schäden in Anspruch und verlangt die Erstattung der für die Wiederherstellung des beschädigten Wagens aufgewendeten Kosten sowie Schmerzengeld und Ersatz für Verdienstentgang.
Der Erstrichter schränkte das Verfahren auf den Grund des Anspruches ein und entschied mit Zwischenurteil, daß die Schadenersatzansprüche des Klägers sämtlich dem Gründe nach gegen alle drei beklagten Parteien zu Recht bestehen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der erstbeklagten Partei nicht Folge und änderte auf die Berufungen der zweit- und drittbeklagten Parteien das Ersturteil in dem Sinne ab, daß die vom Kläger gegenüber der zweitbeklagten Partei erhobenen Schadenersatzansprüche nicht und die gegen die drittbeklagte Partei erhobenen Ansprüche nur soweit sie sich auf den Sachschaden beziehen zur Gänze, soweit sie Verdienstentgang und Schmerzengeld zum Gegenstand haben aber nur zur Hälfte zu Recht bestehen. Für den Fall der Rechtskraft seines Zwischenurteiles wies das Berufungsgericht das gegen die zweitbeklagte Partei gerichtete Begehren ab.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Erstbeklagten nicht Folge und hob auf die Revision des Klägers das Urteil, soweit es die gegen die beiden anderen Beklagten erhobenen Ansprüche betraf, auf.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
In rechtlicher Beziehung macht die erstbeklagte Partei in ihrer Revision im wesentlichen geltend, daß mangels einer Vertragsbeziehung zwischen ihr, und dem Drittbeklagten nicht das Verhältnis des Geschäftsherrn zum Erfüllungsgehilfen bestehen könne und daß sie auch deshalb für das Verschulden des Drittbeklagten nicht hafte, weil "ein schuldloses Zwischenglied - der Zweitbeklagte - die Kette der Haftung unterbrechen würde". Die erstbeklagte Partei hafte nur für das Verschulden ihres eigenen Erfüllungsgehilfen, nämlich des Zweitbeklagten; wenn dieser schuldlos sei, so folgt daraus auch die Haftungsfreiheit der erstbeklagten Partei. Die erstbeklagte Partei macht weiter geltend, daß auf Grund des § 1313 a ABGB. der von der zweitbeklagten und der drittbeklagten Partei erhobene Einwand eines Mitverschulden des Klägers auch ihr selbst zugute komme, und schließlich, daß in der von der erstbeklagten Partei erklärten Bestreitung jeglichen eigenen Verschuldens der Einwand eines konkurrierenden Mitverschuldens mit eingeschlossen wäre.
Alle diese rechtlichen Einwände der erstbeklagten Partei halten einer Überprüfung nicht stand.
Bedient sich der Erfüllungsgehilfe des Schuldners seinerseits selbst wieder eines Erfüllungsgehilfen, so bedient sich auch der Schuldner dieser zweiten Person als seines Erfüllungsgehilfen und haftet für dessen Verschulden, wenn er mit der Betrauung eines weiteren Erfüllungsgehilfen einverstanden war (vgl. Staudinger, BGB., 9. Aufl. II/1 § 278; RGZ. 142, 189 u. a. m.). Ein solches Einverständnis muß aber hier von vornherein angenommen werden, da die zweitbeklagte Partei, die "Firma", deren Vollmacht allerdings nicht firmenmäßig gezeichnet wurde, vermutlich eine offene Handelsgesellschaft ist und die Erstbeklagte nicht gut voraussetzen konnte, daß die zweitbeklagte Partei die Schotterladungen durch ihre Geschäftsführer würde besorgen lassen.
Die Berechtigung des Einwandes der erstbeklagten Partei, daß die Verteidigungsmittel des Zweit- und Drittbeklagten im Prozeß für sie selbst wirksam seien, würde, da bei einfacher Streitgenossenschaft § 13 ZPO. gilt, unzertrennliche und notwendige Streitgenossenschaft nach § 14 ZPO. voraussetzen; von einer solchen kann aber hier nicht die Rede sein weil der Anspruch, nicht notwendig gegen alle drei Beklagten gerichtet zu werden brauchte und weil, die Ansprüche gegen die Erstbeklagte und die übrigen Beklagten auf verschiedenen Titeln beruhen (vgl. ZBl. 1922 Nr. 212); gegen die Erstbeklagte werden sie auf einen Werkvertrag gegrundet, nicht aber können sie vom Kläger gegen die Erfüllungsgehilfen seines Vertragsschuldners aus einem Vertrag erhoben werden. Die Erfüllungsgehilfen eines Vertragsschuldners können, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, vom Gläubiger nur aus unerlaubter Handlung oder Unterlassung in Anspruch genommen werden.
Das Argument der erstbeklagten Partei, daß in der Bestreitung eigenen Verschuldens zugleich die Behauptung eines Mitverschuldens des Klägers gelegen wäre, ist so offenkundig verfehlt, daß darauf nicht eingegangen zu werden braucht.
Die Revision des Klägers bekämpft das Zwischenurteil des Berufungsgerichtes nach zwei Richtungen, nämlich soweit das Berufungsgericht das Fehlen einer Haftung der zweitbeklagten Partei und soweit es im Verhältnis zum Drittbeklagten ein Mitverschulden des Klägers ausgesprochen hat. Nach beiden Richtungen muß der Revision Berechtigung zuerkannt werden.
Das Berufungsgericht hatte das gegen die zweitbeklagte Partei erhobene Begehren aus drei Erwägungen dem Gründe nach nicht für zu Recht bestehend erkannt und hypothetisch abgewiesen: a) weil zwischen der zweitbeklagten Partei und dem Kläger kein Schuldverhältnis bestehe, aus dem ihre Haftung für ein Verschulden des Drittbeklagten als ihres Erfüllungsgehilfen abgeleitet werden könne; b) weil es auch an den Voraussetzungen für eine unmittelbare Haftung der zweitbeklagten Partei fehle, und endlich c) weil auf den vorliegenden Fall das Reichshaftpflichtgesetz nicht angewandt werden könne. Die Auffassung des Berufungsgerichtes trifft in den Punkten
a) und c) zu. Ob dies auch für den Punkt b) gilt, kann nach Auffassung des Obersten Gerichtshofes derzeit noch nicht abschließend beurteilt werden.
Die vom Erstrichter vertretene Meinung, daß aus einer der Allgemeinheit gegenüber bestehenden Verpflichtung auch die Anwendbarkeit des § 1313 a ABGB. folge, widerspricht dem Judikat 50 neu, an das der Oberste Gerichtshof gebunden ist und an dessen Richtigkeit der erkennende Senat auch gar nicht zweifelt. Wie der Oberste Gerichtshof in diesem Judikat ausgesprochen hat, steht dem durch die Verletzung einer Norm Geschädigten zwar ein Schadenersatzanspruch, nicht aber ein Anspruch auf die durch die Norm gebotene Leistung zu.§ 1313 a ABGB. ordnet aber nur an, daß wer von einem anderen die Leistung verlangen kann, auch Schadenersatz von ihm zu fordern berechtigt ist. Wenn man also auch eine Leistungspflicht gegenüber der Allgemeinheit als gegeben annimmt, so folgt aus § 1313 a ABGB. noch nicht ein Ersatzanspruch des Geschädigten. Auf Fälle, in denen jemandem durch eine Norm im Interesse der Allgemeinheit eine Verpflichtung auferlegt wird könnte § 1313 a ABGB. nur im Wege eines Analogieschlusses angewandt werden. Einen solchen Analogieschluß hat das erwähnte Judikat aber aus zwei Gründen für unzulässig erklärt. Daraus, daß der Drittbeklagte in Anspruch genommen werden kann, folgt keineswegs, daß diese Möglichkeit auch gegenüber dem Zweitbeklagten als seinem Geschäftsherrn bestehen müsse. Denn der Drittbeklagte wird nicht aus einer schuldrechtlichen Verpflichtung heraus in Anspruch genommen, und seine unmittelbare, auf § 1295 ABGB. beruhende Haftung erstreckt sich nicht notwendig auf seinen Geschäftsherrn.
Bei der Prüfung der Anwendbarkeit des Reichshaftpflichtgesetzes zur Begründung des gegen die zweitbeklagte Partei gerichteten Begehrens kann, da eine Beziehung zu § 1a überhaupt ausscheidet und eine Qualifikation des Unternehmens der Zweitbeklagten als Bergwerk, Steinbruch oder Grube nicht in Betracht kommt, nur fraglich sein, ob die Baggerei der Zweitbeklagten als "Fabrik" im Sinne des § 2 des Reichshaftpflichtgesetzes beurteilt werden kann. Der Oberste Gerichtshof verneint in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht diese Frage. Denn Baugewerbe fallen nicht unter den Begriff der "Fabrik" im Sinne des § 2 des Reichshaftpflichtgesetzes (vgl. RGZ. 8, 51; Eger, Reichshaftpflichtgesetz, 7. Aufl. S. 238). Gegen die Anwendung des in Rede stehenden Gesetzes kommt aber weiter in Betracht, daß der Bagger außerhalb des Herrschaftsgebietes des Betriebsunternehmers eingesetzt war und daß in einem solchen Fall dem Unternehmer gerade die - ein Korrelat seiner Haftpflicht bildende - Möglichkeit, durch Überwachung oder sonstige Sicherheitsmaßregeln der Betriebsgefahr vorzubeugen, nicht zu Gebote stand.
Eine unmittelbare, aus § 1295 ABGB. folgende Haftung der zweitbeklagten Partei für die Unfallsfolgen hat der Kläger daraus abzuleiten versucht, "daß es bei Kenntnis des Baggertyps auch Pflicht der zweitbeklagten Partei gewesen wäre, bei Eintritt von Regenwetter die Arbeiten mit dem Bagger einstellen zu lassen oder ein anderes Baggermodell zu verwenden". Aus diesem Vorbringen kann wohl geschlossen werden, daß der Kläger der zweitbeklagten Partei vorwirft, sie habe trotz Kenntnis der Funktionsmängel des Baggers nichts veranlaßt, um die Mängel zu beheben oder den Bagger aus dem Betrieb zu ziehen. Der Oberste Gerichtshof ist nicht in der Lage, dem Berufungsgericht zu der Annahme zu folgen, es sei auf dieses Vorbringen nicht einzugehen, weil der Kläger es unterlassen habe, es unter Beweis zu stellen. Der Kläger hat in der Klage zu diesem Vorbringen Parteienvernehmung beantragt; eine solche ist nicht durchgeführt worden, soweit die zweitbeklagte Partei in Betracht kommt. Der Oberste Gerichtshof erachtet daher das Verfahren noch in der Hinsicht für ergänzungsbedürftig, ob die befugten Vertreter der zweitbeklagten "Firma", über deren Rechtsnatur das bisherige Verfahren noch keinen Aufschluß gegeben hat, den Funktionsmangel des eingesetzten Baggers gekannt, ihn aber trotzdem nicht aus der Verwendung genommen haben. Wie der Oberste Gerichtshof wiederholt ausgesprochen hat (vgl. JBl. 1954 S. 307 u. a. m.), ist der Kläger, obwohl er auf den Verfahrensmangel im Berufungsverfahren nicht hingewiesen hat, nicht gehindert, ihn im Revisionsverfahren vorzubringen. Unter diesen Umständen könnte eine Ergänzung des Verfahrens dazu führen, daß eine unmittelbare Haftung der zweitbeklagten Partei gemäß § 1295 Abs. 1 ABGB. "ohne Beziehung auf einen Vertrag" anzunehmen ist.
Auch soweit die bisher nur im Verhältnis zum Drittbeklagten aufgetauchte Frage eines Mitverschuldens des Klägers vom Berufungsgericht gelöst wurde, vermag der Oberste Gerichtshof der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes nicht beizupflichten. Wenn auch grundsätzlich die Auffassung zu teilen ist, daß ein Verweilen im Gefahrenbereich des Baggers dem Kläger zum Verschulden zuzurechnen ist, weil ein solches Verweilen nicht nur gegen unfallverhütende Vorschriften verstieß, sondern auch für jedermann als gefährlich erkennbar war, so müßte, um dem Kläger ein solches Mitverschulden anlasten zu können, vorher geprüft werden, ob er sich überhaupt rechtzeitig aus dem Gefahrenbereich hätte wegbegeben können. Das Erstgericht streift diese Frage und meint nur nebenbei, ohne eine Feststellung zu treffen, daß dies in Anbetracht der Aussage des Zeugen W. und der Angaben des Drittbeklagten nicht wahrscheinlich sei. Das Berufungsgericht übergeht aber diese Frage, deren Lösung zwar für das Erstgericht unter Zugrundelegung seiner Rechtsansicht nicht erforderlich war, wohl aber für das Berufungsgericht erforderlich gewesen wäre. Darin findet der Oberste Gerichtshof einen Feststellungsmangel. Denn man könnte dem Kläger eine Unterlassung (des Aussteigens aus dem Führerhaus) nicht zum Verschulden anrechnen, wenn er zu einem den Sicherheitsvorschriften entsprechenden Verhalten gar nicht Zeit hatte. Ob der Kläger die Absicht hatte, auszusteigen, ist nicht entscheidend. Jedenfalls könnte das Nichtaussteigen ein Verschulden nur begrunden, wenn zeitlich die Möglichkeit hiezu bestand. Es wird daher die noch fehlende Feststellung zu treffen sein.
Aber auch wenn diese Feststellung zu Ungunsten des Klägers ausfiele, könnte sich der Oberste Gerichtshof bei Lösung der Frage der Verschuldensteilung dem Berufungsgericht nicht anschließen. Zumindest für die Abwägung des Verschuldens des Klägers zum Verschulden des Drittbeklagten käme der vom Erstgericht vorgenommenen Unterscheidung der üblichen und der besonderen, durch das mangelhafte Funktionieren der Bremsanlage bedingten Betriebsgefahr Bedeutung zu. Wenn der Kläger die "normale" Baggergefahr auf sich genommen hat, so folgt daraus gewiß noch nicht, daß er auch der besonderen Gefahr nicht geachtet hätte.
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