Spruch:
Die Revision der beklagten Partei und die Revisionsbeantwortung der klagenden Partei werden zurückgewiesen.
Text
Begründung
Am Abend des 28. 3. 1996 traf sich der Kläger mit einigen Freunden, darunter auch der Beklagten, die soeben die Führerscheinprüfung bestanden hatte, jedoch noch nicht im Besitz des Dokumentes war. Der Kläger, der ihr zuvor gratuliert hatte, zog seine Glückwünsche zurück, worauf ihn die Beklagte mit dem Schimpfwort "Arschloch" bedachte. Der Kläger, der vorgab, die Beklagte nicht verstanden zu haben, fragte nach, worauf die Beklagte das Schimpfwort wiederholte. Auf nochmaliges Nachfragen des Klägers rief die Beklagte aus einer Entfernung von 10 bis 15 cm in einem hohen und schrillen Ton das Wort "Biiiiep" in das linke Ohr des Klägers, der sich zu ihr hinuntergebeugt hatte. Er verspürte einen hochfrequenten Sauseton und griff sich an das linke Ohr. Er erlitt durch den Schrei der Beklagten ein Schalltrauma; er leidet seither an einer geringgradigen Innenohrschwerhörigkeit im linken Ohr mit entsprechendem Ohrensausen. Die Schwerhörigkeit und das Ohrensausen sind vom Kläger selbst gering bemerkbar. Das Ohrensausen stellt sich als minimale Beeinträchtigung bzw eine geringe Empfindlichkeitsstörung in Ruhe dar, insbesondere beim Einschlafen und bewegt sich in einem Bereich von 10 bis 20 dB. Diese Beeinträchtigung muß der Kläger etwa 15 Minuten am Tag erdulden, wobei sie "echten" Schmerzen gleichgestellt werden kann. Die Schwerhörigkeit ist eine permanente. Diese Beeinträchtigung wird der Kläger erwartungsgemäß immer haben.
Mit der vorliegenden Klage begehrt er von der Beklagten ein Schmerzengeld von S 130.000 sowie den Ersatz von Heilungskosten in der Höhe von S 5.077 und die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle künftigen Schäden.
Die Beklagte wendete ein, der Kläger habe sie gereizt und genervt, weshalb ihn an der Verletzung das Alleinverschulden treffe; ihre Reaktion stelle aufgrund der ständigen Provokation eine berechtigte Entrüstung dar.
Ausgehend von dem eingangs wiedergegebenen Sachverhalt gab das Erstgericht dem Klagebegehren vollinhaltlich statt. In rechtlicher Hinsicht verneinte es ein Mitverschulden des Klägers mit dem Argument, daß dieser die Beklagte zwar gehänselt habe, doch stelle dies keine Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten dar. Auch die Beklagte habe den Kläger beschimpft, weshalb sich das Verhalten der Beteiligten als altersadäquat darstelle und einem durchaus üblichen Necken bzw gegenseitigen Hänseln der Jugendlichen entspreche, weshalb aus diesen Umständen eine Provokation durch den Kläger nicht abzuleiten sei. Zur Höhe des Schmerzengeldes ging es davon aus, daß der Kläger bis zum 60. Lebensjahr über insgesamt 14.923 Tage 15 Minuten pro Tag, das seien insgesamt 155,5 Tage leichte Schmerzen haben werde, was insgesamt ein Schmerzengeld von S 130.000 rechtfertige.
Das von der Beklagten angerufene Berufungsgericht änderte die angefochtene Entscheidung dahin ab, daß sie für schuldig erkannt wurde, dem Kläger den Betrag von S 90.052 sA zu ersetzen und ihre Haftung für zwei Drittel aller zukünftigen Schäden festgestellt wurde. Das Mehrbegehren auf Zahlung weiterer S 45.025 sA sowie das Feststellungsmehrbegehren wurden abgewiesen.
Das Berufungsgericht sprach zunächst aus, die ordentliche Revision sei nicht zulässig.
In rechtlicher Hinsicht vertrat es die Ansicht, das Verhalten des Klägers stelle eine Provokation dar. Diese könne bei der Beurteilung der Mitverantwortlichkeit des Geschädigten nicht unberücksichtigt bleiben, weil grundsätzlich auch Kindern und Unmündigen analog zu § 1310 ABGB eine Mitverantwortung anzulasten sei. Ihr Verschulden sei allerdings milder zu beurteilen, als jenes der Deliktsfähigen. Da sich in concreto zwei Jugendliche gegenübergestanden seien, sei das Verschulden beim jeweiligen Handeln wieder gleichmäßig zu beurteilen und scheide eine Berufung auf altersadäquates Verhalten zur Exkulpierung einer Seite aus. Das Verhalten des Klägers begründe eine Mitverantwortlichkeit im Ausmaß von einem Drittel. Das Verschulden der Beklagten sei höher einzustufen, weil sie sich dazu hinreißen habe lassen, einen Angriff auf die körperliche Integrität des Klägers im weitesten Sinne zu setzen.
In Anbetracht des Alters des Klägers und der Dauerhaftigkeit der eingetretenen Beeinträchtigung sei die Ausmessung eines Pauschalschmerzengeldes in der Höhe von S 130.000 angemessen.
Über Antrag der Beklagten sprach das Berufungsgericht mit Beschluß vom 21. 12. 1998 aus, die ordentliche Revision nach § 502 Abs 1 ZPO sei zulässig. Es begründete diesen Beschluß damit, daß eine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur konkreten Fallkonstellation - nämlich zur Raffung von zeitweiligem Ohrensausen, welches nicht als eigentlicher Schmerz, sondern als subjektive Empfindlichkeitsstörung besonders vor dem Einschlafen empfunden werde - über einen derart langen Zeitraum noch nicht vorliege.
Weiters liege eine Aktenwidrigkeit vor, welcher eine erhebliche Bedeutung zukommen könne. Vom Berufungsgericht sei nämlich ausgeführt worden, daß bei der Beurteilung des Mitverschuldens eines Geschädigten das Alter der handelnden Personen zu berücksichtigen sei; dabei sei auf § 1310 ABGB Bezug genommen worden. In Analogie zu dieser Bestimmung sei die eingeschränkte Mitverantwortlichkeit aufgrund des Alters auch auf unmündige Personen auszudehnen. Es sei aber deshalb keine altersbestimmte Differenzierung beim Verschulden vorgenommen worden, da sich zwei Jugendliche (noch nicht erwachsene aber mündige Personen) gegenübergestanden seien. Nunmehr sei aber eine Aktenwidrigkeit dahin gegeben, daß der geschädigte Provokateur zum Schädigungszeitpunkt bereits seit einem Monat erwachsen gewesen sei, weshalb die getroffene Verschuldensabwägung nach der Prämisse, daß sich zwei Jugendliche gegenübergestanden seien, den Anschein der Ungleichgewichtung in sich trage. Das Berufungsgericht gehe aber trotzdem davon aus, daß die Verschuldensteilung nicht anders vorzunehmen sei, weil das Verhalten, welches als solches altersadäquat war, zu beurteilen sei. Der eingetretenen Alterszäsur komme keine die Verschuldensteilung ändernde Bedeutung zu.
Gegen den klagsstattgebenden Teil dieser Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß das Klagebegehren kostenpflichtig abgewiesen werde.
Der Kläger hat Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, das Rechtsmittel der Beklagten zurückzuweisen, in eventu, ihm keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage - der gegenteilige Ausspruch des Berufungsgerichtes ist nicht bindend - unzulässig, die Revisionsbeantwortung ist verspätet.
Den vom Berufungsgericht als erheblich erachteten Rechtsfragen kommt keine Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zu:
Grundsätzlich kommt bloßen Ermessensentscheidungen - wie über die Höhe des Schmerzengeldes - keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu (Kodek in Rechberger, Rz 3 zu § 502 ZPO). Der Schmerzengeldanspruch ist nach Art, Dauer und Intensität der Schmerzen nicht in festen Tagessätzen, sondern als Globalsumme unter Berücksichtigung des Gesamtbilds der physischen und psychischen Schmerzen auszumitteln. Das ermöglicht es, den konkreten Stellenwert einer zeitweiligen Lästigkeit, die Unlustgefühle verursacht, zu bestimmen und im System des immateriellen Schadenersatzes angemessen zu berücksichtigen. Dem entspricht die Ausmittlung des Schmerzengeldes durch das Berufungsgericht. Daß das Berufungsgericht das richterliche Ermessen bei Bestimmung des Schmerzengeldanspruches eklatant überschritten hätte, trifft nicht zu. Ein solcher Entscheidungsfehler müßte aber als Voraussetzung der Zulässigkeit der außerordentlichen Revision vorliegen (RZ 1994/45 mwN). Der Oberste Gerichtshof hat daher in einem durchaus vergleichbaren Fall mit Beschluß vom 25. 11. 1997, 1 Ob 381/97d (s Danzl/Gutierrez-Lobos/Müller, Schmerzengeld7, 365 E 20), eine außerordentliche Revision zurückgewiesen.
Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes liegt auch keine Aktenwidrigkeit vor. Eine solche ist nämlich nur dann gegeben, wenn Feststellungen auf aktenwidriger Grundlage getroffen wurden, also auf einen bei der Darstellung der Beweisergebnisse unterlaufenen Irrtum beruhen, der aus den Prozeßakten selbst erkennbar und behebbar ist (Kodek, aaO Rz 7 zu § 471 mwN). Das Berufungsgericht hat aber keine Tatsachenfeststellungen getroffen, sondern (irrtümlich) eine Volljährigkeit des Klägers zum Schädigungszeitpunkt angenommen.
Auch in der Revision der Beklagten werden keine erheblichen Rechtsfragen dargetan:
Insoweit sie sich gegen die Bemessung des Schmerzengeldes durch die Vorinstanzen wendet, kann auf obige Ausführungen verwiesen werden.
Im übrigen vertritt sie die Ansicht, bei richtiger rechtlicher Beurteilung hätte die Provokation des Klägers zu dessen Alleinverschulden und somit zur Abweisung der Klage führen müssen, weil er aufgrund seiner Provokation damit rechnen habe müssen, daß sich eine mündige Minderjährige in irgendeiner Form zur Wehr setzen werde. Dies insbesondere auch deshalb, weil sie weiblich sei und gegen den Kläger keine anderen Mittel als ihre Stimme zur Verfügung habe, um sich zu wehren. Weiters sei die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, der Kläger sei zum Tatzeitpunkt minderjährig gewesen, unrichtig. Der Kläger sei am 20. 2. 1977 geboren und daher zum Tatzeitpunkt bereits 19 Jahre alt gewesen. Sein Verhalten als Erwachsener sei völlig anders zu qualifizieren als das Verhalten der Beklagten. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung hätte das Berufungsgericht die Provokation des Klägers derart würdigen müssen, daß die Klage wegen seines Alleinverschuldens abgewiesen werde.
Auch durch diese Ausführungen wird eine Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht dargetan. Nach Lehre (Harrer in Schwimann**2, ABGB Rz 22 zu § 1304) und Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0022823) kann eine Provokation des Täters ein Mitverschulden des Geschädigten begründen, nicht aber dessen Alleinverschulden. Der Frage, wie dieses Mitverschulden zu gewichten ist, kommt aber keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu (Kodek, aaO Rz 3 zu § 502). Auch die irrtümliche Annahme des Berufungsgerichtes, der Kläger sei minderjährig gewesen, vermag daran nichts zu ändern, weil für die Verschuldensfähigkeit aufgrund des Alters nicht die Volljährigkeit maßgeblich ist, sondern die Mündigkeit (§ 153 ABGB).
Daraus folgt, daß die Revision der Beklagten wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage unzulässig ist.
Die Frist für die Erstattung der Revisionsbeantwortung begann gemäß § 507a Abs 2 Z 2 ZPO mit Zustellung der Mitteilung des Berufungsgerichtes, daß die Beantwortung der Revision freigestellt werde, dies war der 13. 1. 1999, sie endete sohin am 10. 2. 1999. Gemäß § 507a Abs 3 Z 1 ZPO war die Revisionsbeantwortung beim Berufungsgericht einzubringen. Die am 10. 2. 1999 zur Post gegebene Revisionsbeantwortung war an das Erstgericht gerichtet, sie langte am 15. 2. 1999, sohin nach Ablauf der Frist zur Erstattung der Revisionsbeantwortung, beim Berufungsgericht ein. Die Zeit des Postenlaufes kann für die Einhaltung der Frist nicht außer Betracht gelassen werden, weil die Postsendung nicht an das zuständige Gericht adressiert war. Bei unrichtiger Adressierung kommt es nämlich darauf an, wann der Schriftsatz bei dem zuständigen Gericht eingelangt ist (Kodek, aaO Rz 7 Vor § 461).
Es waren sohin Revision und Revisionsbeantwortung zurückzuweisen.
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