OGH 2Ob572/86 (2Ob573/86)

OGH2Ob572/86 (2Ob573/86)6.5.1986

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei Engelbert V***, geboren am 22. September 1935, technischer Angestellter, Wels, Billrothstraße 115, vertreten durch Dr. Josef Hofer, Rechtsanwalt in Wels, wider die beklagte und widerklagende Partei Anna V***, geboren am 3. April 1939, Hausfrau, Wels, Billrothstraße 115, vertreten durch Dr. Johannes Charwat-Pessler, Rechtsanwalt in Wels, wegen Ehescheidung, infolge Revision der klagenden und widerbeklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 22. Jänner 1986, GZ 2 R 235,236/85-41, womit infolge Berufung der klagenden und widerbeklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Wels vom 28. Juni 1985, GZ 5 Cg 45/84-31, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil, das in seinem Ausspruch über die Scheidung der Ehe und darüber, daß die beklagte und widerklagende Partei ein Verschulden an der Scheidung der Ehe trifft, als unangefochten unberührt bleibt, wird im Ausspruch über das Verschulden des Klägers und im Kostenpunkt aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und neuen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Streitteile haben am 24. Juni 1967 geheiratet. Es war beiderseits die erste Ehe, der die beiden mj. Werner, geboren am 29. November 1967, und Engelbert, geboren am 9. März 1969, entstammen. Die beklagte und widerklagende Partei (im folgenden nur Beklagte) brachte ihren am 2. Oktober 1965 geborenen außerehelichen Sohn Adolf in die Ehe mit, der durch Namensgebung den Familiennamen der klagenden und widerbeklagten Partei (im folgenden nur Kläger) erhielt.

Der Kläger begehrt die Scheidung der Ehe aus dem Alleinverschulden der Beklagten. Er wirft ihr mangelnde eheliche Gesinnung, liebloses und gehässiges Verhalten vor. Die Beklagte habe ihn vor den Kindern herabgesetzt, grob beschimpft und verspottet. Dies habe sich auf das Verhalten des außerehelichen Sohnes ausgewirkt, der den Kläger wiederholt grob beschimpft, gestoßen und bedroht habe (AS 17 f. des Aktes 5 Cg 52/84). Die Beklagte habe den Kläger von der Erziehung des außerehelichen Sohnes ausgeschlossen, sei gegen dessen Verhalten nicht nur nicht eingeschritten, sondern habe Partei für ihren außerehelichen Sohn ergriffen (vgl. AS 3). Die Beklagte begehrte die Scheidung aus dem Alleinverschulden des Klägers, weil er sich von der Familie abgesondert habe, mit den Familienmitgliedern grundlos Streit beginne, diese wiederholt beschimpft und aus der Ehewohnung ausgesperrt habe. Das Erstgericht schied die Ehe aus dem Alleinverschulden des Klägers. Nach seinen Feststellungen war der Kläger auf seinen Stiefsohn eifersüchtig. Er erklärte, daß ihn das Kind nichts angehe. Im Laufe der Zeit steigerte sich die Aversion des Klägers gegen seinen Stiefsohn. Dies führte zu Auseinandersetzungen zwischen den Streitteilen. Der Kläger begann seine Freizeit allein zu verbringen. Er erklärte, er wolle in Ruhe gelassen werden, und daß er nur zwei Kinder, die Beklagte jedoch drei Kinder habe. Als Adolf V*** noch in die Volksschule ging, erklärte der Kläger, daß es für die Ehe besser wäre, wenn das Kind in ein Heim käme. Auch Adolf V*** empfand keine Sympathie für den Kläger. Beide gingen sich aus dem Wege. Im Jahre 1981, als Adolf V*** einmal am späten Abend nach Hause kam, öffnete ihm der Kläger nicht, sodaß der Minderjährige die Nacht im Stiegenhaus zubringen mußte. In den letzten Jahren sprachen Adolf V*** und der Kläger nicht mehr miteinander. Auch gegen seinen Sohn Engelbert entwickelte der Kläger eine Abneigung. Er verunsicherte das Kind mit der Behauptung, nicht sein Vater zu sein. Beim mj. Engelbert kam es zu seelischen Störungen, die sich in Stottern und in einem Selbstmordversuch äußerten. Der Kläger hat die mj. Engelbert und Werner öfter hinausgesperrt. Im Jahre 1984 äußerte er über Adolf V***: "Wenn es das Krüppel, das verdammte, einmal derrennen würde."

Zwischen den Ehegatten kam es öfter - auch in Gegenwart der Kinder - zu heftigen Auseinandersetzungen. Schon in den früheren Ehejahren beschimpfte und bedrohte der Kläger die Beklagte. Vor ca. 6 Jahren versetzte er ihr vor den Kindern eine Ohrfeige. Einmal verweilte er solange auf der Toilette, daß die Beklagte ihre Notdurft in der Loggia verrichten mußte. Er sperrte die Beklagte auch aus der Wohnung aus. Anläßlich des Welser Volksfestes 1984 kam der Kläger spät abends betrunken nach Hause und erbrach, sodaß die Beklagte eineinhalb Stunden lang saubermachen mußte. Am 4. Oktober 1984 riß er die Eingangstür so weit auf, daß die Beklagte stürzte und leicht verletzt wurde. Im Verlauf der Streitigkeiten beschimpfte auch die Beklagte den Kläger. Hiebei handelte es sich aber nur um Reaktionshandlungen auf die "geltend gemachten Ungerechtigkeiten" des Klägers. Im Jahre 1983 fand der letzte sexuelle Kontakt zwischen den Ehegatten statt. Der Kläger ist aus dem ehelichen Schlafzimmer ausgezogen. Die Beklagte ist wegen ihres durch den nicht harmonischen Verlauf der Ehe bedingten nervlichen Zustandes in ärztlicher Behandlung. Eine liebe- und verständnisvolle Begegnung zwischen den Streitteilen findet nicht mehr statt. Die Vertrauensbasis ist völlig zerstört und die Ehe zerrüttet. Das Erstgericht lastete dem Kläger als Eheverfehlungen insbesondere an, daß er die Beklagte beschimpft und sie und die Kinder aus der Ehewohnung ausgesperrt habe, daß er aus dem Schlafzimmer ausgezogen sei und sich von der Familie abgesondert habe. Durch dieses Verhalten des Klägers sei die Ehe zerrüttet worden. Die Unmutsäußerungen der Beklagten stellten nur Reaktionshandlungen auf die Eheverfehlungen des Klägers dar und seien daher nicht als Eheverfehlungen zu werten.

Das Berufungsgericht führte eine Beweisergänzung durch und stellte ergänzend fest: Schon von Anfang der Ehe an verhielt sich die Beklagte dem Kläger gegenüber lieblos, indem sie für seine Probleme kein Verständnis zeigte, sodaß es dem Kläger nicht möglich war, sich mit seiner Frau auszusprechen. Dieses Verhalten ist für die späteren Vorfälle mitursächlich und für das Verhältnis des Klägers zu seiner Frau mitbestimmend. In diesem Verhalten der Beklagten erblickte das Berufungsgericht deren Mitverschulden und änderte daher das Ersturteil dahin ab, daß es die Ehe aus beiderseitigem Verschulden schied und das überwiegende Verschulden des Klägers feststellte.

Gegen die Entscheidung der zweiten Instanz richtet sich die Revision des Klägers aus den Anfechtungsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Scheidung der Ehe aus dem alleinigen oder überwiegenden Verschulden der Beklagten abzuändern. Hilfsweise stellt der Kläger einen Aufhebungsantrag. Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Sinne des Eventualantrages gerechtfertigt. Vorauszuschicken ist, daß nach österreichischer Rechtsansicht der Grundsatz der Einheitlichkeit des Scheidungsurteiles nicht besteht. Im Eheverfahren kann daher der Scheidungsausspruch in Rechtskraft erwachsen, ohne daß bereits rechtskräftig über das Verschulden entschieden ist (SZ 25/331; 7 Ob 641/84). Bei einer Ehescheidung aus Verschulden ist allerdings das Vorliegen irgendeines Verschudlens des Beklagten präjudiziell für den Scheidungsausspruch. Im vorliegenden Fall haben beide Ehegatten Klage bzw. Widerklage erhoben und jeweils den Ausspruch der Scheidung aus dem alleinigen Verschulden des anderen begehrt. Der Ausspruch der Scheidung aufgrund des Alleinverschuldens des Klägers durch das Erstgericht wurde von diesem zur Gänze angefochten und von ihm die Scheidung aus dem Alleinverschulden der Beklagten begehrt. Das Verschulden war in zweiter Instanz demnach noch präjudiziell für die Scheidung der Ehe. Die zweite Instanz hat auch ein Verschulden der Beklagten angenommen und die Ehe aus beiderseitigem Verschulden geschieden. Dieses Urteil wurde von der Beklagten nicht bekämpft und ist daher im Ausspruch über die Scheidung und darüber, daß die Beklagte daran ein Verschulden trifft, in Rechtskraft erwachsen (ein Umstand, dem für den Fristenlauf nach § 95 EheG Bedeutung zukommt; vgl. SZ 55/34).

In der Frage der Verfristung der ihm angelasteten Eheverfehlungen nach § 57 EheG kann dem Standpunkt des Klägers nicht gefolgt werden. Ein fortgesetztes ehewidriges Verhalten ist nach ständiger Rechtsprechung als Einheit aufzufassen (EFSlg. 41.266 ua). Das Zurückziehen eines Ehegatten aus dem Familienverband stellt eine schwere Eheverfehlung dar (EFSlg. 38.710; vgl. auch EFSlg. 41.184) und ist ein solches Verhalten.

Der Kläger lastete der Beklagten als Eheverfehlung auch an, daß er vom Stiefsohn wiederholt grob beschimpft, gestoßen und bedroht worden sei, ohne daß die Beklagte auf ihren außerehelichen Sohn einzuwirken versucht habe. Die Beklagte habe vielmehr noch die Partei ihres außerehelichen Sohnes ergriffen (vgl. AS 17, 18 des Aktes 5 Cg 52/84 und AS 20 des führenden Aktes). Die Unterlassung der gebotenen Erziehungsmaßnahmen durch einen Ehegatten gegen ein von ihm in die Ehe mitgebrachtes ae. Kindes, über das ihm das Erziehungsrecht zukommt, bei Verletzung der in der jeweiligen Gesellschaftsschicht üblichen Verhaltensformen durch dieses Kind gegenüber dem anderen Ehegatten und die Parteinahme für das Verhalten dieses Kindes stellen schwere Eheverfehlungen dar (vgl. EFSlg. 38.711). Die obgenannten Vorwürfe des Klägers würden daher, falls sie zuträfen, als schwere Eheverfehlungen zu qualifizieren sein. Das Erstgericht hat über diese Behauptungen des Klägers jedoch keine Feststellungen getroffen und es kann der Urteilsbegründung auch nicht eindeutig entnommen werden, daß das Erstgericht die Vorwürfe des Klägers nur nicht als erwiesen angenommen hätte. Insoweit ist daher das Verfahren ergänzungsbedürftig. Ob diese Vorwürfe geeignet sind, eine andere Verschuldensteilung, als wie sie vom Berufungsgericht vorgenommen wurde, zu rechtfertigen, kann erst nach Kenntnis der Zeit, Art und Häufigkeit der behaupteten Vorfälle und des Umstandes beurteilt werden, inwieweit diese die Eheverfehlungen des Klägers bedingten.

Soweit das Berufungsgericht eine Mangelhaftigkeit des erstgerichtlichen Verfahrens zum Teil verneinte (AS 208), ist festzuhalten, daß der Grundsatz, daß ein in erster Instanz unterlaufener Verfahrensmangel, der vom Berufungsgericht als nicht gegeben erachtet wurde, im Revisionsverfahren nicht mehr geltend gemacht werden kann, dann unanwendbar ist, wenn das Berufungsgericht mit einer durch die Aktenlage nicht gedeckten Begründung das Vorliegen des gerügten Verfahrensmangels verneinte (SZ 38/120; 7 Ob 551/83; 1 Ob 160/72; 3 Ob 224/74). Die Meinung des Berufungsgerichtes, daß für die Vernehmung der vom Kläger beantragten Zeugen Friedrich V***, Adolf V*** und Maria H*** kein Beweisthema genannt worden sei, ist unzutreffend. Aus dem Vorbringen des Klägers bei der Tagsatzung vom 29. Februar 1984 (AS 20) ergibt sich zweifelsfrei, daß auch die Vernehmung der obgenannten Zeugen zu den gesamten Tatsachenbehauptungen des Klägers begehrt wurde.

Demgemäß ist der Revision Folge zu geben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs. 1 ZPO.

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