OGH 2Ob55/94

OGH2Ob55/9430.6.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Sieglinde B*****, vertreten durch Dr.Johannes Riedl und Dr.Gerold Ludwig, Rechtsanwälte in Stadt Haag, wider die beklagten Parteien 1) Reinhard S***** und 2) ***** Versicherung*****, vertreten durch Dr.Wolfgang Dartmann und Dr.Haymo Modelhart, Rechtsanwälte in Linz, wegen S 119.335,66 sA, infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 9.Februar 1994, GZ 1 R 232/93-26, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 26.August 1993, GZ 3 Cg 194/91-20, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien haben die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die beklagten Parteien haften der Klägerin aufgrund des Versäumungsurteiles des Bezirksgerichtes H*****vom 24.9.1990, ***** für alle künftigen Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 12.7.1988 zu zwei Drittel.

Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin einen Verdienstentgang für das Jahr 1990 in der Höhe von S 119.335,66,--. Sie brachte dazu vor, aufgrund der beim Unfall erlittenen schweren Verletzungen nicht mehr in der Lage zu sein, den bis zum Unfall ausgeübten Beruf als Chefsekretärin bei der Firma S***** GmbH weiter auszuüben. Im Jahr 1990 hätte sie zumindest S 294.751,80 verdient; an Arbeitslosenentschädigung habe sie S 136.802,-- bezogen, weshalb ihr Verdienstentgang S 157.949,80 betrage, wovon ihr die beklagten Parteien zwei Drittel, das seien S 105.299,86 sowie zwei Drittel des 15. Monatsgehaltes, das seien S 14.035,80 zu ersetzen hätten. Einen anderen Arbeitsplatz habe die Klägerin nicht finden können.

Die Beklagten wendeten ein, die Klägerin wäre jedenfalls 1990 in der Lage gewesen, ihren Beruf als Sekretärin wieder aufzunehmen. Sie habe ihre Schadensminderungspflicht verletzt, weil sie das nicht getan habe.

Das Erstgericht gab dem Klagebehren statt, wobei es im wesentlichen folgende Feststellungen traf:

Die Klagerin war bis zum Verkehrsunfall vom 12.7.1988, bei dem sie eine Gehirnerschütterung, einen Serienrippenbruch links der dritten bis neunten Rippe mit Ausbildung einer Luft- und Blutbrust beiderseits, sowie eine Lungenprellung, einen offenen Unterschenkeltrümmerbruch, eine Rißquetschwunde über der rechten Augenbraue und mehrfache Prellungen und Hautabschürfungen erlitt, bei der Firma S***** bzw nach deren Ausgliederung bei der Firma S***** GmbH in L***** tätig, wobei sie in den letzten fünf Jahren als Chefsekretärin arbeitete. In dieser Funktion führte sie neben der spezifischen Tätigkeit als Sekretärin auch selbständige organistorische Arbeiten im Personalbereich, wie die Verwaltung der Überstundenmeldungen für alle Angestellten des Werkes, sowie die Führung der Kilometerbanken der Bundesbahn und die Koordination der Fahrten mit den firmeneigenen Dienstwägen und Dienstreiseanträge durch. Auch die Planung und Organisation von Vorstandssitzungen und Werksbesichtigungen wurden von der Klägerin durchgeführt. Um ihren Aufgabenbereich erledigen zu können, leistete sie regelmäßig eine große Anzahl von Überstunden. Sie hatte auf Grund ihrer Vertrauensstellung auch den Generalschlüssel für die Räumlichkeiten des Unternehmens und einen Zugang zum Tresor. Sie erhielt auch Kenntnis von vertraulichen Informationen. Im Jahre 1990 hätte sie netto monatlich S 21.153,70, unter Einbeziehung der Sonderzahlungen und der Jahresprämie insgesamt netto S 315.805,50 verdient.

Infolge ihrer Position als Chefsekretärin war sie, wie dies für solche Tätigkeiten auch üblich ist, in die Verwendungsgruppe IV (des Kollektivvertrages zwischen der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft, Sektion Gewerbe, einerseits und dem Österreichischen Gewerkschaftsbund, Gewerkschaft der Privatangestellten, Sektion Industrie und Gewerbe, anderseits) eingestuft. Sekretärinnen ohne zusätzlichen Aufgabenbereich werden üblicherweise in die Verwendungsgruppe III eingestuft.

Als Folge ihrer Verletzungen wurde der Klägerin von Februar bis Dezember 1989 eine zeitlich beschränkte Berufsunfähigkeitspension zuerkannt, weshalb sie das Arbeitsverhältnis bei der Firma S***** einvernehmlich auflöste.

Seit 1.1.1990 ist die Klägerin psychisch und physisch wieder in der Lage, als Sekretärin zu arbeiten. Ihre Leistungsfähigkeit ist nicht hochgradig eingeschränkt, sie ist jedoch den psychischen Belastungen, die die Tätigkeit einer Chefsekretärin mit sich bringt, nicht mehr gewachsen. Bei starken psychischen Belastungen, die die Tätigkeit einer Chefsekretärin mit sich bringt, neigt sie zu körperlichen Beschwerden, es ist also eine Tendenz zu psychosomatischen Symptomen vorhanden. Eine körperliche Belastung, die dem Berufsbild der Chefsekretärin zugrundeliegt, insbesondere mit einer großen Zahl von Überstunden, ist der Klägerin nicht zumutbar.

Die Klägerin war im gesamten Jahr 1990 arbeitslos; sie erhielt S 136.802,-- die sich aus Leistungen der Arbeitslosenversicherung und der OÖ Gebietskrankenkasse für die Zeit vom 10.10. bis 30.10.1990, in der die Klägerin auf Kur war, zusammensetzen. Die Klägerin war während des Jahres 1990 ständig bemüht, eine Anstellung als Chefsekretärin zu finden. Sie fragte bei verschiedenen Firmen bzw Behörden, die ihr noch aus der Zeit ihrer Berufstätigkeit bekannt waren, nach. Überdies erkundigte sie sich beim Arbeitsamt und in diversen Stellenangeboten in Zeitungen nach freien Stellen. Sie konnte jedoch keine Anstellung finden.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Ansicht, die beklagten Parteien hätten der Klägerin gemäß § 1325 ABGB den entstandenen Verdienstentgang zu ersetzen. Die Klägerin müsse sich aber anrechnen lassen, was sie aus einem ihr zumutbaren aber ausgeschlagenen Erwerb zu beziehen schuldhaft unterlassen habe. Den dafür beweispflichtigen Beklagten sei es nicht gelungen, nachzuweisen, daß die Klägerin schuldhaft eine konkrete Erwerbsmöglichkeit ausgeschlagen habe, weshalb das Klagebegehren berechtigt sei.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Die von den beklagten Parteien bekämpfte Feststellung, die Klägerin sei als Folge ihrer erlittenen Verletzungen nicht mehr fähig gewesen, den Anforderungen einer Chefsekretärin zu entsprechen, wurde vom Berufungsgericht wegen fehlender Relevanz für die Entscheidung nicht übernommen. Im übrigen verwies das Berufungsgericht auf die Rechtsprechung, wonach zwischen dem Fall der Ausnützung der verbliebenen teilweisen Erwerbsfähigkeit in einem anderen Beruf und der wiedererlangten vollen Erwerbstätigkeit im vor dem Unfall ausgeübten Beruf zu unterscheiden sei. Im ersteren Fall müßte, um eine Verletzung der Schadensminderungspflicht annehmen zu können, der Schädiger den Nachweis erbringen, daß der Geschädigte eine ihm nachgewiesene konkrete Erwerbsmöglichkeit oder eine zu einer solchen voraussichtlich führende Umschulung ohne zureichende Gründe ausgeschlagen habe. Im zweiten Fall hingegen sei es dem wiederhergestellten Verletzten zuzumuten, daß er sich um die Wiederlangung des früheren oder eines gleichartigen zumutbaren Arbeitplatzes bemühe. In diesem Fall der Wiedererlangung der früheren Arbeitsfähigkeit wäre es unbillig, vom Schädiger zu verlangen, daß er den Geschädigten auf die allfällige Möglichkeit der Wiedererlangung des entsprechenden Arbeitsplatzes besonders hinweise (SZ 51/91; ZVR 1980/154; ZVR 1993/63). Es sei daher im vorliegenden Fall Sache der geschädigten Klägerin zu behaupten und zu beweisen, daß sie trotz wiedererlangter voller Erwerbsfähigkeit nicht in der Lage war, einen Arbeitsplatz zu finden, an dem sie einen ihrem früheren Einkommen entsprechenden Verdienst hätte erzielen können. Nur unter dieser Voraussetzung könne der festgestellte Verdienstausfall der Klägerin eine adäquate Folge der Körperverletzung darstellen. Im vorliegenden Fall stehe fest, daß sich die Klägerin während des Jahres 1990 vergeblich bemühte eine Anstellung als Chefsekretärin zu finden. Es sei daher ohne Bedeutung, ob sie als Chefsekretärin wieder ihre frühere Erwerbsfähigkeit erlangte, weil sie als solche trotz verschiedenster Bemühungen keine Beschäftigung fand. Es könne aber auch als offenkundige Tatsache angesehen werden, daß die im Jahre 1990 50-jährige Klägerin auch als "einfache" Sekretärin der Verwendungsgruppe III keinen Arbeitsplatz bekommen hätte. Dies ergebe sich auch dem Gutachten des Sachverständigen Dr.S*****. Damit sei der Klägerin aber der Beweis gelungen, daß sie nach der unfallsbedingten Unterbrechung ihrer Tätigkeit als (Chef-)sekretärin keinen neuen Arbeitsplatz bekommen hätte, so daß ihr für das Jahr 1990 ein Anspruch auf Verdienstentgang zustehe.

Dagegen richtet sich die Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahingehend abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise wurde ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil - wie folgend noch darzulegen sein wird - das Berufungsgericht nicht ohne Erörterung mit den Parteien als notorisch annehmen hätte dürfen, die Klägerin hätte auch als "einfache" Sekretärin keinen Arbeitsplatz gefunden. Dennoch ist das Rechtsmittel der Beklagten nicht berechtigt.

Die Beklagten machen in ihrer Revision geltend, das Berufungsgericht hätte nicht ohne Beweiswiederholung oder Beweisergänzung die Feststellung treffen dürfen, es bestehe kein Unterschied zwischen der Wahrscheinlichkeit, einen Arbeitsplatz als Chefsekretärin oder als Sekretärin zu finden. Diese vom Berufungsgericht getroffene Feststellung sei auch unrichtig. Da der Erwerbsfähigkeit der Klägerin wieder hergestellt worden sei, wäre es ihre Aufgabe gewesen, nachzuweisen, daß sie trotz konkreten Bemühens keine Stellung als "einfache" Sekretärin finden konnte. Aus der Aussage der Klägerin selbst ergebe sich, daß sie das nicht getan habe.

Hiezu wurde erwogen:

Richtig ist, daß das Berufungsverfahren an einem Mangel leidet, weil das Berufungsgericht ohne Erörterung mit den Parteien als notorisch angenommen hat, die Klägerin hätte auch als "einfache" Sekretärin keinen Arbeitsplatz gefunden. Zwar kann das Berufungsgericht seiner Entscheidung auch ohne Beweisaufnahme offenkundige Tatsachen ergänzend zugrunde legen (Fasching III 270), doch muß ein solches Vorgehen mit den Parteien erörtert werden, wenn der Gegenbeweis der Unrichtigkeit offenkundiger Tatsachen nicht geradezu aussichtslos erscheint (Fasching LB2, Rz 852; SZ 55/116 mwN). Wenn man schon davon ausgeht, es sei notorisch daß die im Jahre 1990 50-jährige Klägerin auch als einfache Sekretärin der Verwendungsgruppe III keinen Arbeitsplatz bekommen hätte, dann ist der Gegenbeweis der Unrichtigkeit dieser Tatsache jedenfalls nicht geradezu aussichtslos. Das Berufungsgericht hätte daher diese Tatsache mit den Parteien erörtern müssen. Dieser Mangel des Berufungsverfahren ist aber, wie folgend darzulegen sein wird, für die Entscheidung nicht relevant.

Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist, was die infolge der von den beklagten Parteien behauptete Verletzung der Schadensminderungspflicht durch die Klägerin bedeutsam gewordene Beweislastverteilung in Ansehung einer gleichwertigen zumutbaren Beschäftigung anlangt, zu unterscheiden, ob der Verletzte seine frühere Erwerbsfähigkeit bloß teilweise oder im vollen Ausmaß wieder erlangt hat. Hat der Verletzte seine frühere Erwerbsfähigkeit nicht gänzlich wiedererlangt, dann obliegt dem Schädiger der Beweis, daß der Geschädigte eine ihm nachgewiesene konkrete Erwerbsmöglichkeit oder eine zu einer solchen voraussichtlich führende Umschulung ausgeschlagen hat. Lediglich dann, wenn der Verletzte seine Erwerbsfähigkeit im vollen früheren Ausmaß wiedererlangt hat, muß er beweisen, daß er trotzdem eine gleichwertige zumutbare Beschäftigung nicht finden konnte (SZ 51/91; ZVR 1980/154; ZVR 1993/63; zuletzt 2 Ob 66/93; Apathy, Komm z EKHG, Rz 22 zu § 13). Da im vorliegenden Fall die beklagten Parteien gar nicht behauptet haben, daß die Klägerin eine ihr nachgewiesene konkrete Erwerbsmöglichkeit oder eine zu einer solchen voraussichtlich führende Umschulung ausgeschlagen habe, kann der von ihnen erhobene Einwand der Schadensminderungspflicht nur dann Erfolg haben, wenn die Klägerin ihre Erwerbsfähigkeit im vollen früheren Ausmaß wiedererlangt hat und sie trotzdem eine gleichwertige zumutbare Beschäftigung nicht finden konnte. Die zweite Voraussetzung (Möglichkeit eine gleichwertige zumutbare Beschäftigung zu finden) ist im vorliegenden Fall nicht gegeben, so daß es dahin gestellt bleiben kann, ob die Klägerin überhaupt wieder in der Lage gewesen wäre, als Chefsekretärin zu arbeiten. Wie sich nämlich aus den Feststellungen der Vorinstanzen ergibt, hat die Klägerin vergeblich versucht, einen Arbeitsplatz als Chefsekretärin zu finden. Die Tätigkeit einer "einfachen" Sekretärin ist aber entgegen der von den beklagten Parteien vertretenen Ansicht der einer Chefsekretärin nicht gleichwertig. Dies ergibt sich schon daraus, daß die Tätigkeit einer "einfachen" Sekretärin unter die Verwendungsgruppe III des Kollektivvertrages für Industrie und Gewerbe fällt, jene einer "Chefsekretärin" bei der auch Sachbearbeiter- (Referenten-)Tätigkeiten selbständig ausgeführt werden, hingegen unter die Verwendungsgruppe IV. Daraus resultieren erhebliche Unterschiede im monatlichen Mindestgrundgehalt und damit auch solche im tatsächlich erzielbaren Einkommen. Die Tätigkeit einer "einfachen" Sekretärin ist daher der Tätigkeit einer Chefsekretärin mit selbständigen organisatorischen Aufgaben keinesfalls gleichwertig und zwar weder in finanzieller Hinsicht noch in der Art der Tätigkeit noch letztlich auch in dem mit der Tätigkeit verbundenen Sozialprestige im Rahmen des Unternehmens und außerhalb desselben.

Es trifft sohin nicht zu, daß die Klägerin den Nachweis, sie hätte eine gleichwertige zumutbare Beschäftigung nicht finden können, nicht erbracht habe. Es kann der Klägerin daher eine Verletzung ihrer Schadensminderungspflicht nicht angelastet werden, weshalb der Revision der beklagten Parteien ein Erfolg zu versagen war.

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 40, 50 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte