OGH 2Ob53/17h

OGH2Ob53/17h20.6.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden, die Hofräte Dr.

Veith und Dr.

Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé sowie den Hofrat Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Pensionsversicherungsanstalt (Landesstelle Niederösterreich), Kremser Landstraße 5, 3100 St. Pölten, vertreten durch die Nusterer & Mayer Rechtsanwälte OG in St. Pölten, wider die beklagte Partei W*****, vertreten durch Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwalt in Wien, wegen 13.480,88 EUR sA und Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 2. September 2016, GZ 12 R 60/16f‑13, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 3. Mai 2016, GZ 20 Cg 21/16y‑8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0020OB00053.17H.0620.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.096,56 EUR (darin enthalten 182,76 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Begründung:

Bei einem vom Vater eines im Unfallzeitpunkt zwei Monate alten Kindes allein verschuldeten Unfall wurde die Mutter dieses Kindes getötet. Der klagende Sozialversicherungsträger erbrachte an das Kind Geldleistungen aus einer zuerkannten Waisenpension und einer zuerkannten Ausgleichszulage. Mit der vorliegenden Klage regressiert sich der Sozialversicherungsträger am beklagten Haftpflichtversicherer des Unfallfahrzeugs und begehrt weiters die Feststellung der Haftung der beklagten Partei für alle Leistungen, die sie aufgrund sozialversicherungsrechtlicher Vorschriften an das Kind zu erbringen hat, begrenzt mit der Versicherungssumme.

Die Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren statt.

Das Berufungsgericht ließ nachträglich gemäß § 508 Abs 3 ZPO die Revision zu, weil Rechtsprechung zur Frage fehle, ob ein Deckungsanspruch des am Verkehrsunfall allein schuldigen Vaters und vormals gemeinsam mit der Mutter zum Unterhalt Verpflichteten gegen den Haftpflichtversicherer seines Fahrzeugs insoweit bestehe, als nun – als Folge des durch den von ihm verschuldeten Unfall eingetretenen Todes der mitfahrenden Mutter – anstelle des Beitrags der Mutter zum Unterhalt des Kindes Zahlungen von der Pensionsversicherung geleistet werden.

Die beklagte Partei vertritt in ihrer Revision die Ansicht, ein Deckungsanspruch des Versicherungsnehmers bestehe nicht. Die Mutter habe aufgrund des Unfalls ihre Leistungsfähigkeit in Bezug auf den ihrem Sohn grundsätzlich geschuldeten Unterhalt verloren. „In der Sekunde des Unfalls“ habe der Minderjährige keinen Unterhaltsanspruch mehr gegenüber seiner Mutter erheben können, sondern der gesamte Unterhaltsanspruch sei nunmehr von seinem Vater, dem Unfallverursacher, zu tragen. Der fehlende Unterhaltsanspruch des Minderjährigen gegenüber der verstorbenen Mutter könne daher auch nicht im Wege der Legalzession auf die klagende Partei übergegangen sein. Dass die klagende Partei tatsächlich eine Waisenrente an das Kind leiste, ergebe sich aufgrund sozialversicherungsrechtlicher Vorschriften, die jedoch nicht unter den Terminus „anderer gesetzlicher Vorschriften“ des § 332 Abs 1 ASVG fielen und somit ein Forderungsübergang auf die klagende Partei nicht in Frage kommen könne. Es liege daher ein Eigenschaden vor, aus dem kein Ersatzanspruch abgeleitet werden könne.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist unzulässig; an den gegenteiligen Ausspruch des Berufungsgerichts ist der Oberste Gerichtshof nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO).

Weder das Berufungsgericht noch die Revisionswerberin zeigen eine erhebliche Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) auf, weil sich die angesprochenen Rechtsfragen anhand bestehender oberstgerichtlicher Rechtsprechung lösen lassen:

Zwar konnte in der Sekunde des Unfall(‑tod)s das Kind keinen Unterhaltsanspruch mehr gegenüber seiner Mutter erheben. Durch den Tod der Mutter als Unterhaltspflichtige erwarb aber – was die Revisionswerberin offenbar übersieht – das Kind einen gegen den Vater als Schädiger gerichteten Schadenersatzanspruch auf den entgangenen Unterhalt der Mutter gemäß § 1327 ABGB. Der beklagte Haftpflichtversicherer ist verpflichtet, den aus dem Schadensereignis resultierenden Ersatzanspruch nach § 1327 ABGB zu decken (§ 26 KHVG).

Können Personen, denen nach den Bestimmungen des ASVG Leistungen zustehen oder für die als Angehörige gemäß § 123 ASVG Leistungen zu gewähren sind, den Ersatz des Schadens, der ihnen durch den Versicherungsfall erwachsen ist, aufgrund anderer gesetzlicher Vorschriften beanspruchen, geht der Anspruch auf den Versicherungsträger insoweit über, als dieser Leistungen zu erbringen hat (§ 332 Abs 1 Satz 1 ASVG).

Die in dieser Bestimmung angesprochene „andere gesetzliche Vorschrift“ ist – wie dargestellt – § 1327 ABGB (vgl Neumayr/Huber in Schwimann/Kodek, ABGB4 [2016] VII ASVG § 332 Rz 16). Dieser Anspruch des Kindes ist, soweit der klagende Versicherungsträger leistungspflichtig ist, im Zeitpunkt der Entstehung des Schadenersatzanspruchs, also hier im Todeszeitpunkt der Mutter, auf die klagende Partei übergegangen (RIS‑Justiz RS0045190).

Die von der Klägerin gewährte Waisenrente und die gewährte Ausgleichszulage sind mit Ansprüchen nach § 1327 ABGB kongruent (RIS‑Justiz RS0031564; RS0031633).

Bei Kfz‑Unfällen soll die Inanspruchnahme einer Deckung durch die Kfz-Haftpflichtversicherung der Tragung des wirtschaftlichen Nachteils durch den Sozialversicherungsträger vorgehen (RIS‑Justiz RS0081296 [T4]). Da der Schaden nur durch die Deckung aus der Haftpflichtversicherung liquidiert werden soll, ist das Familienhaftungsprivileg nicht anzuwenden (RIS‑Justiz RS0081296 [T4]). Der klagende Sozialversicherungsträger kann daher am Haftpflichtversicherer Regress nehmen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die beklagte Partei hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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