Spruch:
Über die Möglichkeit der Rücknahme eines nach § 1425 ASGB. erfolgten Erlages.
Entscheidung vom 4. Oktober 1951, 2 Ob 511/51.
I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.
Text
Das Erstgericht hat die Ausfolgung des gemäß § 1425 ABGB. zu Gericht erlegten Betrages an den Erstgegner trotz der Zustimmung des Erlegers abgelehnt.
Das Rekursgericht hat dem Rekurs des Erstgegners Folge gegeben und die Ausfolgung an ihn verfügt.
Der Oberste Gerichtshof stellte den erstgerichtlichen Beschluß wieder her.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Der Oberste Gerichtshof verneint wegen der in § 1425 ABGB. angeordneten schuldbefreienden Wirkung des Erlages ein einseitiges Verfügungsrecht des Erlegers über den wegen Vorhandenseins mehrerer Forderungsberechtigter gemäß § 1425 ABGB. bewirkten Erlag ohne die Zustimmung sämtlicher Antragsgegner, bzw. ohne ein gegen die nicht zustimmenden Antragsgegner erwirktes Urteil, wenn von den nicht zustimmenden Antragsgegnern der Erlag als Zahlung anerkannt, seine Rechtmäßigkeit nicht oder vergeblich bestritten wurde oder der Streit über die Rechtmäßigkeit noch anhängig ist (SZ. XIX/269, DREvBl. Nr. 529/38). Dies gilt um so mehr, wenn, wie im gegenständlichen Falle, der widersprechende Gegner die Ausfolgung des Erlages an sich fordert oder sogar einklagt (vgl. Wahle in der im übrigen ablehnenden Besprechung der Entscheidung SZ. XIX/269 in Rsp. 1937, Nr. 300). Wenn, wie im gegenständlichen Falle, der Schuldner wegen Vorhandenseins von zwei Prätendenten erlegt hat und keine Einigung zwischen den drei Beteiligten erfolgt, sind folgende Fälle möglich: Beide Prätendenten erkennen den Erlag nicht als rechtmäßig an und klagen den Erleger. In diesem Falle kann der Schuldner, sofern er nicht vorher den Erlag zurücknimmt, wenn er rechtmäßig erlegt hat, beide Prätendenten auf den erfolgten Erlag verweisen. Wurden die Klagen beider Prätendenten im Hinblick auf den erfolgten Erlag abgewiesen oder bestreiten sie nicht dessen Rechtmäßigkeit, muß zwischen ihnen der Prätendentenstreit ausgetragen werden, wem der Erlag auszufolgen ist. Dringt aber ein Prätendent mit seiner Forderungsklage gegen den Schuldner trotz des erfolgten Erlages durch, weil das Prozeßgericht die Rechtmäßigkeit des Erlages verneint, hindert dieser Prätendent nicht mehr die Zurücknahme des Erlages durch den Schuldner. Von dem zweiten Prätendenten, der die Rechtmäßigkeit des Erlages gar nicht oder vergeblich bekämpft hat, muß aber der Schuldner die Zustimmung zur Zurücknahme allenfalls im Prozeßwege erwirken. Der gegenständliche Fall ist dem zuletzt erwähnten gleichzuachten, denn dem Unterliegen des Schuldners gegen den einen Prätendenten steht gleich, wenn der Schuldner ohne Rechtsstreit den Standpunkt dieses Prätendenten anerkennt und nunmehr den Erlag diesem Prätendenten zukommen lassen oder einfach (weil er nunmehr die Forderung des zweiten Prätendenten negiert) zurücknehmen will. In beiden Fällen ist eine Benachteiligung des zweiten Prätendenten (etwa in dem Falle, daß der Erlag das einzige Aktivum des Schuldners darstellt) dadurch möglich, daß der zweite Prätendent bisher im Vertrauen auf den Erlag - den er als bedingungsweise (bedingt durch die Rechtfertigung seiner Forderung gegenüber der des anderen Prätendenten) Befriedigung seiner Forderung anerkannt hat oder anerkennen mußte - eine Einklagung seiner Forderung gegen den Schuldner unterlassen hat und der von ihm anzustrengende Prätendentenstreit noch nicht beendet ist. Wenn der Erleger in seinem ersten Hinterlegungsantrag die im Formular gestellte Frage, ob auf das Recht zur Rücknahme verzichtet werde, verneint hat, kann daraus doch von ihm kein Rücknahmerecht abgeleitet werden, das mit dem Schuldtilgungszweck des von ihm bewirkten Erlages im Widerspruch steht (vgl. zur Bedeutung dieser Frage Pfundtner - Neubert, Deutsches Reichsrecht, Ausgabe Österreich, II a 8, S. 16, Anm. 2 zu § 19 HinterlegungsO.).
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