OGH 2Ob44/05t

OGH2Ob44/05t22.9.2005

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Dr. Baumann, Hon. Prof. Dr. Danzl und Dr. Veith als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj Christoph S*****, und der Miriam S*****, beide vertreten durch die Mutter Carola S*****, diese vertreten durch Dr. Robert Kerschbaumer, Rechtsanwalt in Lienz, über den Revisionsrekurs der Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichtes Klagenfurt als Rekursgericht vom 9. April 2003, GZ 3 R 77/03p-5, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes Spittal/Drau vom 7. Februar 2003, GZ 3 P 10/03t-2, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Die mj Antragsteller sind eheliche Kinder der Carola und des Dr. Helmut S*****. Alle vier sind deutsche Staatsbürger.

Der Vater befand sich seit Oktober 2002 in der Bundesrepublik Deutschland in Haft; die Kinder sind in Pflege und Erziehung der Mutter in Österreich.

Am 15. 1. 2003 stellte die Mutter als Vertreterin der Kinder den Antrag, den beiden Minderjährigen Unterhaltsvorschüsse in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Eine Festsetzung des Unterhaltsbeitrages im Sinne des § 4 Z 2 UVG sei nicht möglich; ihr Antrag wäre „insbesondere" auf § 4 Z 3 UVG gestützt, weil dem Unterhaltsschuldner auf Grund strafgerichtlicher Anordnung die Freiheit entzogen sei.

Das Gericht erster Instanz wies den Antrag auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen mit der wesentlichen Begründung ab, der Vater befinde sich im Ausland in Haft.

Das Gericht zweiter Instanz bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs im Hinblick auf das vom Obersten Gerichtshof gestellte Vorabentscheidungsersuchen zu 6 Ob 132/02h zulässig sei.

Das Rekursgericht erörterte - zusammengefasst - rechtlich, die Gewährung von Haftrichtsatzvorschüssen im Sinne des § 4 Z 3 UVG komme deshalb nicht in Frage, weil die Haft in Deutschland vollzogen werde. Ungeachtet der Judikatur des EuGH zum persönlichen Geltungsbereich der Verordnung 1408/71 bestehe keine entsprechende inländische Anspruchsgrundlage, um Unterhaltsvorschüsse auch für den Fall der Haft im Ausland zu gewähren.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der Minderjährigen; gleichzeitig wurde eine Anregung zur Stellung eines Vorabentscheidungsersuchens an den EuGH gestellt.

Der Revisionsrekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 4 Z 3 UVG idF UVG-Nov 1980 BGBl 1980/278 sind vom Bund Vorschüsse auf den gesetzlichen Unterhalt mj Kinder auch dann zu gewähren, wenn „dem Unterhaltsschuldner auf Grund einer Anordnung in einem strafgerichtlichen Verfahren länger als einen Monat im Inland die Freiheit entzogen wird und er deshalb seine Unterhaltspflicht nicht erfüllen kann". Danach besteht kein Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse nach dieser Gesetzesstelle, wenn die Haftstrafe nicht in Österreich, sondern in einem anderen Mitgliedstaat der Gemeinschaft verbüßt wird. Nach den Gesetzesmaterialien war ausgesprochener Wille des Gesetzgebers, den Haftvorschuss nach § 4 Z 3 UVG nur bei Freiheitsentzug im Inland zu gewähren. Unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien gewährte der Oberste Gerichtshof Vorschüsse nach § 4 Z 3 UVG bisher nur bei Freiheitsentzug im Inland (SZ 67/100; 2 Ob 112/97b ua).

Der sechste Senat des Obersten Gerichtshofes legte am 11. Juli 2002 dem Gerichtshof der Europäischen Union gemäß § 234 EG zu 6 Ob 132/02h folgende Frage zur Vorabentscheidung vor: „Ist Art 12 EG iVm Art 3 der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, so auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die Gemeinschaftsbürger bei Bezug eines Unterhaltsvorschusses benachteiligt, wenn der unterhaltspflichtige Vater eine Strafhaft in seinem Heimatstaat (und nicht in Österreich) verbüßt und wird daher das in Österreich lebende Kind eines deutschen Staatsangehörigen dadurch diskriminiert, dass ihm ein Unterhaltsvorschuss deshalb nicht gewährt wird, weil sein Vater eine in Österreich verhängte Freiheitsstrafe in seinem Heimatstaat (und nicht in Österreich) verbüßt?".

Auch der erkennende Senat erachtete in seinem Beschluss vom 12. Juni 2003 die zu 6 Ob 132/02h gestellte Vorlagefrage auch für den hier zu beurteilenden Fall für maßgeblich. Das Verfahren wurde deshalb bis zur Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften über den vom Obersten Gerichtshof am 11. 7. 2002 zu 6 Ob 132/02h gestellten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochen.

In seinem Urteil vom 20. 1. 2005, C-302/02 h hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft die Vorlagefrage des 6. Senates dahin beantwortet, dass die Bestimmungen der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 des Rates vom 14. 6. 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der Fassung der Verordnung (EG) Nr 1386/2001 des europäischen Parlamentes und des Rates vom 5. 6. 2001, insbesondere ihr Art 3 und 12 EG den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates nicht entgegen stehen, die in einem solchen Fall die Gewährung von Familienleistungen der im österreichischen Bundesgesetz über die Gewährung von Vorschüssen auf den Unterhalt von Kindern (Unterhaltsvorschussgesetz) vorgesehenen Art an die Familienangehörigen eines solchen Gemeinschaftsbürgers davon abhängig machen, dass er im Gebiet dieses Mitgliedstaates in Haft bleibt.

Die auf § 4 Z 3 UVG gegründete Verweigerung des Unterhaltsvorschusses für ein in Österreich lebendes Kind eines deutschen Staatsangehörigen, der eine Strafhaft im Staat seiner Herkunft verbüßt, steht somit mit den Bestimmungen der Verordnung (EWG) Nr 1408/71, insbesondere mit dessen Art 3 ebenso im Einklang wie mit Art 12 und verwirklicht keine Diskriminierung auf Grund der Staatsangehörigkeit. Die Gewährung von Familienleistungen unterliegt den deutschen Rechtsvorschriften.

Die bisherige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu § 4 Z 3 UVG, wonach „Haft"vorschüsse nach § 4 Z 3 UVG nur bei Freiheitsentzug im Inland gewährt werden, wird aufrecht erhalten (6 Ob 45/05v, 8 Ob 23/05y).

Daher war dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

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