OGH 2Ob357/97g

OGH2Ob357/97g12.2.1998

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Angst als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ivo P*****, vertreten durch Dr.Martin Pancheri, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Josef P*****, vertreten durch Dr.Erwin Markl, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen S 120.000,-- sA und Feststellung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 10.Oktober 1997, GZ 4 R 142/97g-19, womit das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 28.März 1997, GZ 40 Cg 113/95v-14, bestätigt wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten der Rechtsmittelverfahren sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Beklagte ist Eigentümer eines Grundstückes, das sich östlich einer Bundesstraße auf Höhe einer Autobahnauffahrt befindet. Dieses Grundstück ist durch einen Wirtschaftsweg erschlossen, der parallel zur Bundesstraße verläuft. Es handelt sich dabei um einen ca 3 m breiten Schotterweg, der völlig gerade verläuft und auf drei Eigentümer aufgeteilt ist. Der dritte Wegabschnitt gehört dem Beklagten. Alle drei Eigentümer haben ein allgemeines Durchfahrtsrecht, auch ein Erdbewegungsunternehmen hat das Recht, dort Transporte durchzuführen. Am Beginn des Wirtschaftsweges, also auf Höhe der Einmündung in die Bundesstraße, war zum Unfallszeitpunkt keine Beschilderung aufgestellt, die auf ein bestehendes Fahrverbot oder den Privatbesitz hingewiesen hätte.

Am 19.7.1994 befuhr der Kläger mit seinem Motorrad von der Bundesstraße kommend diesen (zunächst öffentlichen) Weg und prallte in der Folge gegen eine am Beginn des Grundstückes des Beklagten quer zur Fahrbahn angebrachte Kette, wodurch er vom Motorrad gerissen und schwer verletzt wurde. Die tatsächliche Geschwindigkeit des Klägers ist nicht objektivierbar; aus technischer Sicht besteht aber kein ausreichender Hinweis, daß der Kläger wesentlich schneller als maximal 60 km/h gefahren ist. Bei guter Aufmerksamkeit hätte er die Kette auf ca 40 m rechtzeitig erkennen und davor kollisionsfrei anhalten könne. Die Kette hatte aber einen geringen Auffälligkeitswert und der Kläger fand bei einer Ausgangsgeschwindigkeit von 60 km/h eine etwas schwierige Ausgangslage vor.

Der Kläger begehrte die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung eines Schmerzengeldes von S 120.000,-- sA und die Feststellung seiner Haftung für alle künftigen Schäden. Er begründete die Haftung des Beklagten damit, daß dieser Halter des Privatweges und der Absperrung (eines Werkes im Sinne des § 1319 ABGB) gewesen sei. Er selbst habe auch die Anbringung der Absperrung angeordnet. Er sei auf Sicht gefahren; daß es sich um einen nicht allgemein benützbaren Weg gehandelt habe, sei für ihn nicht erkennbar gewesen.

Der Beklagte wendete ein, die Kette sei gut erkennbar in Oberkörperhöhe im Einfahrtsbereich seiner Liegenschaft angebracht gewesen. Es sei auch erkennbar gewesen, daß keine öffentliche oder von jedermann benützbare Privatstraße vorliege, sondern daß es sich um eine zu Deponiezwecken verwendete Privatliegenschaft handle. Den Unfall habe sich der Kläger, der zu schnell gefahren sei, selbst zuzuschreiben. Ihn (den Beklagten) treffe weder eine Haftung nach § 1319 noch nach § 1319a ABGB, zumal keine mangelhafte Anlage bestanden habe. Die Anbringung der Absperrung habe er übrigens nur angeregt, die Art der Anbringung sei Sache des Hundesportvereins gewesen.

Das Erstgericht wies (nachdem es das Verfahren auf den Grund des Anspruchs eingeschränkt hatte) das Klagebegehren ab und traf noch folgende weitere (zusammengefaßt wiedergegebene) Feststellungen:

Der Beklagte hat einem Hundesportverein bis auf Widerruf das kostenlose Abstellen von PKWs erlaubt. Damals war keine Absperrung zur privaten Wegparzelle vorhanden. Weil sich ständig "Fremdparker" im Gelände des Beklagten aufhielten, regte dieser gegenüber dem Hundesportverein an, eine Absperrung anzubringen. Die Anschaffung und Anbringung derselben blieb dem Hundesportverein überlassen. Der Gerätewart des Vereins hat in der Folge eine Absperrung aus zwei Holzpflöcken, zwischen denen eine rot-weiß-rote Kette in ca 1 m Höhe gespannt und mit einem Vorhängverschloß versperrt war, errichtet. Die Absperrung befand sich auf dem im Eigentum des Beklagten stehenden Grundstück. Zum Unfallszeitpunkt hatte die Einfärbung der Kette witterungsbedingt stark gelitten, die Kette sah mehr oder weniger grau aus und war von der Umgebung nur schwer zu unterscheiden. Gekennzeichnet war sie nicht. Der Beklagte hatte die Anbringung dieser Kette einmal gesehen; daß sie zu diesem Zeitpunkt bereits so verwittert wie am Unfallstag gewesen ist, kann nicht festgestellt werden.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, die Haftung des Beklagten könne nicht auf § 1319 ABGB gestützt werden, weil der Unfall weder auf eine durch Einsturz oder Ablösung von Teilen noch durch eine von der Höhe des Werkes ausgehende Gefahr verursacht worden sei. Auch § 1319a ABGB sei nicht anwendbar. Die Kette habe sich nämlich auf einem Privatgrundstück befunden, weil der Weg nicht von jedermann, sondern nur von den Mitgliedern des Hundesportvereins benützt werden habe dürfen. Selbst wenn § 1319a ABGB anwendbar wäre, fehle dem Beklagten die Passivlegitimation. Er könne nämlich nicht als Wegehalter angesehen werden, weil die Verfügungsmacht zur Errichtung der Absperrung an den Hundesportverein übertragen worden sei. Auch eine Haftung nach dem Ingerenzprinzip scheide aus, weil nicht der Beklagte, sondern der Hundesportverein die Gefahrenquelle geschaffen habe und der Beklagte sich darauf verlassen habe dürfen, daß der Verein eine ordnungsgemäße Absperrung vornehme.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge und sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Es führte zur Rechtsrüge folgendes aus:

Das Erstgericht habe die Ablehnung der Haftung des Beklagten nach § 1319 ABGB zutreffend begründet: Diese Haftung setze nämlich voraus, daß der Einsturz oder die Ablösung von Teilen eines Werks (als welches die gegenständliche Absperrung durchaus gelten könne, werde doch auch etwa ein Zaun als solches Werk angesehen) auf eine mangelhafte Beschaffenheit des Werkes zurückzuführen sei. Freilich sei § 1319 ABGB der Analogie fähig, nämlich insbesondere im Bereich des Begriffs des Werkes und im Bereich des Begriffs von Einsturz und Ablösen; mit Einstürzen und Ablösen umschreibe das Gesetz nur die hervorstechendsten Gefahren. Es fehle hier aber die Mangelhaftigkeit des Werks als solche. Als Absperrung sei das "Werk" nicht mangelhaft, ebensowenig wie etwa ein geöffnetes Fenster als mangelhaft angesehen werden könne, weshalb eine Haftung für die dadurch hervorgerufene Gefahr, daß durch Wind oder Sturm zerstörtes Fensterglas herabfalle, ausscheide. Es möge noch zum Wesen einer Absperrung gehören, daß sie überhaupt erkennbar sei (was sie aber wohl in aller Regel auch sein werde); das Ausmaß ihrer Auffälligkeit betreffe jedenfalls nicht mehr Wesen und Funktion. Fehlende besondere Auffälligkeit einer Absperrung könne nicht die Absperrung als solche mangelhaft machen, sondern den Vorwurf begründen, gegen Verkehrssicherungspflichten verstoßen zu haben.

Im übrigen verneinte das Berufungsgericht auch eine Haftung des Beklagten nach § 1319a ABGB mangels grober Fahrlässigkeit.

Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil die Frage, ob grobe oder nur leichte Fahrlässigkeit vorliege, keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung darstelle.

Gegen diese Berufungsentscheidung richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben, weil Beweise zur Höhe der Klagsforderung bislang nicht aufgenommen worden seien.

Der Beklagte beantragt in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist im Interesse der Rechtssicherheit zulässig, sie ist auch berechtigt.

Der Rechtsmittelwerber macht im wesentlichen geltend, die Schadensverursachung durch typische Gefahren eines Werks sei unter § 1319 ABGB zu subsumieren. Eine Analogie sei auch beim Begriff der Mangelhaftigkeit des Werks zulässig. Auch für eine schlecht sichtbare Wegabsperrung sei gemäß § 1319 ABGB zu haften.

Dem ist grundsätzlich zuzustimmen.

Rechtliche Beurteilung

Der Kläger stützt sich im Revisionsverfahren ausschließlich auf § 1319 ABGB; gegen die berufungsgerichtliche Ablehnung einer Haftung des Beklagten nach § 1319 a ABGB mangels grober Fahrlässigkeit bringt er nichts vor, weshalb es sich erübrigt, hierauf näher einzugehen.

Was das Verhältnis der beiden genannten Vorschriften zueinander

anlangt, so hat der vierte Senat kürzlich in 4 Ob 104/97s = ecolex

1997, 841 - in einem Fall, in dem ohnehin sämtliche

Tatbestandsmerkmale des § 1319a ABGB erfüllt waren - ausgesprochen,

der Rechtssatz, daß zwischen den §§ 1319 und 1319a ABGB

Anspruchskonkurrenz bestehe (SZ 55/179; EvBl 1994/8; 4 Ob 2334/96f =

ecolex 1997, 842 = ZVR 1997/147) könne in dieser Allgemeinheit nicht

aufrechterhalten werden; § 1319a ABGB müsse als Spezialnorm § 1319 ABGB verdrängen, wenn der Wegehalter gleichzeitig als Besitzer einer im Zuge des Weges bestehenden Anlage zu werten sei. Im damaligen Fall handelte es sich um ein Geländer, das der Benützung der Straße diente und als deren Bestandteil angesehen wurde. Im vorliegenden Fall sollte die angebrachte Absperrkette aber gerade eine Benutzung der Straße verhindern. Es besteht daher kein Anlaß, unter solchen Umständen eine Haftung gemäß § 1319 ABGB von vornherein auszuschließen und die Haftungseinschränkung gemäß § 1319a ABGB auf grobes Verschulden vorzunehmen, welche Bestimmung sich vor allem durch die Interessenneutralität des Halters begründen läßt und deren ratio es ist, den Halter, der - anders als hier - Wege zur Verfügung stellt und Möglichkeiten zu ihrer Benutzung schafft, dafür dem Benutzer nicht mit aller Strenge haften zu lassen (Reischauer in Rummel2 § 1319a Rz 13, 14 mwN).

Dem Berufungsgericht ist beizupflichten, daß die gegenständliche Absperrung als Werk im Sinne des § 1319 ABGB gelten kann; dies wurde in der Rechtsprechung bereits für Zäune (SZ 41/27; EvBl 1971/280) und Schranken (SZ 53/143) angenommen (vgl auch die Beispiele bei Reischauer aaO § 1319 Rz 4 und bei Harrer in Schwimann2 § 1319 ABGB Rz 5). Nicht zuzustimmen ist dem Argument des Berufungsgerichts, es fehle hier aber die Mangelhaftigkeit des Werkes als solche, als Absperrung sei das Werk nicht mangelhaft gewesen. Auch zum Begriff der mangelhaften Beschaffenheit im Sinne des § 1319 ABGB ist nämlich die Analogie zulässig; jede Schadensverursachung durch typische Gefahren eines Werkes ist unter § 1319 ABGB zu subsumieren (Reischauer aaO § 1319 Rz 14; vgl EvBl 1961/526; RIS-Justiz RS0029932). Um eine solche typische Gefahr handelt es sich aber, wenn eine Straßenabsperrung nur schlecht erkennbar ist. Die von dem Gesetz abweichende, aus SZ 53/143 hervorgehende Ansicht teilt der erkennende Senat nicht.

Daß der Beklagte zumindest Mithalter der Absperrung gewesen ist, hat schon das Berufungsgericht richtig erkannt. Die Absperrung wurde zwar vom Hundesportverein errichtet, der Beklagte hatte dies aber als Grundeigentümer angeregt. Er hatte daher eine ausreichende Beziehung zum Werk und wäre in der Lage gewesen, nicht nur auf die Anbringung einer Absperrvorrichtung, sondern auch auf die Vergrößerung oder Wiederherstellung von deren Auffälligkeit zu dringen (vgl 4 Ob 104/97s mwN; RIS-Justiz RS0010100; Reischauer aaO § 1319 Rz 12 mwN).

Den ihm obliegenden Entlastungsbeweis (vgl ZVR 1997/147 mwN; Reischauer aaO § 1319 Rz 17; Harrer aaO § 1319 Rz 8) hat der Beklagte nicht erbracht; die relative Unauffälligkeit schon der neuen Kette war für ihn erkennbar, die Alterung der Einfärbung vorhersehbar. Er ist daher zur Haftung gemäß § 1319 ABGB heranzuziehen. Allerdings ist das ihn treffende Überwachungsverschulden weit geringer als das Verschulden des Klägers, der den Schotterweg mit überhöhter Geschwindigkeit und unaufmerksam befahren hat. Der Schaden ist daher im nach Meinung des erkennenden Senates angemessenen Verhältnis von 1:3 zu Lasten des Klägers zu teilen. Feststellungen zur Schadenshöhe und zur Möglichkeit künftiger Schäden fehlen, weshalb dem Aufhebungsantrag des Klägers zu entsprechen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO.

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