European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2010:E52024
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit S 5.358,14 (darin enthalten S 893,02 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Am 23. Juni 1994 ereignete sich in Wien 15, Kreuzung Johnstraße - Meiselstraße ein Verkehrsunfall, an welchem die Klägerin mit einem von ihr gelenkten PKW Daihatsu und der Erstbeklagte als Lenker des bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversicherten LKWs Mitsubishi beteiligt waren.
Die Klägerin begehrt Zahlung von S 74.400 sA (Sachschaden und Schmerzengeld) mit dem Vorbringen, der Erstbeklagte habe ihren Vorrang mißachtet. Sie habe eine einen Fußgängerübergang regelnde Ampelanlage bei Grünlicht passiert.
Die beklagten Parteien beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Die Klägerin habe den Unfall alleine verschuldet, weil sie bei ihr Rot zeigender Ampel in die Kreuzung eingefahren sei.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit einem Teilbetrag von S 18.600 sA statt und wies das Mehrbegehren von S 55.800 sA ab.
Es ging von nachstehenden wesentlichen Feststellungen aus:
Die Unfallstelle befindet sich an der rechtwinkeligen Kreuzung Johnstraße - Meiselstraße. Die Johnstraße wurde unmittelbar südlich von der Kreuzung durch einen Fußgängerübergang gequert, der durch eine automatische Verkehrslichtsignalanlage geregelt war. Diese Ampelregelung betraf nur die Sicherung des Fußgängerverkehrs über die Johnstraße, nicht jedoch die Einmündung des von Westen kommenden Astes der Meiselstraße in die Johnstraße. Der vom Osten her einmündende Ast war zu diesem Zeitpunkt wegen einer U‑Bahnbaustelle gesperrt. Der Lichtwechsel der einzelnen Ampelsignale erfolgte für die beiden Fahrtrichtungen der Johnstraße stets gleichzeitig. In dem von Westen herankommenden Ast der Meiselstraße war an der Kreuzung mit der Johnstraße das Vorrangzeichen "Vorrang geben" aufgestellt. Der Erstbeklagte näherte sich auf der Meiselstraße der Kreuzung mit der Johnstraße von Westen her und mußte wegen Querverkehrs anhalten. Während er Fußgänger die Meiselstraße überqueren ließ, kam der in der Johnstraße von Norden nach Süden fahrende Verkehr zum Stillstand, weil die Ampel an dem Fußgängerübergang (vom Standpunkt des Erstbeklagten aus gesehen rechts von der Kreuzung) auf Rotlicht für den Fahrzeugverkehr in der Johnstraße umgesprungen war. Während ein PKW direkt am Fußgängerübergang anhielt, brachte der Lenker des folgenden PKWs sein Fahrzeug in seiner Fahrtrichtung gesehen noch vor der Einmündung der Meiselstraße zum Stillstand. Der Erstbeklagte rückte mit seinem Fahrzeug ein Stück in die Kreuzung vor und hielt noch einmal an. Er sah, daß die rechts von ihm aufgestellte Verkehrsampel rotes Licht für den Fahrzeugverkehr in der Johnstraße zeigte, und nahm daher an, daß von rechts keine Fahrzeuge kommen konnten. Als er wieder nach links blickte, sah er, daß ihm der Lenker des vor der Kreuzung angehaltenen PKWs mit der Hand bedeutete, er könne losfahren. Der Erstbeklagte setzte daraufhin sein Fahrzeug in Bewegung, um nach links einzubiegen. Während des Anfahrens blickte er noch einmal automatisch nach rechts. Inzwischen näherte sich die Klägerin mit ihrem PKW auf der Johnstraße von Süden dem geregelten Fußgängerübergang und der Kreuzung mit der Meiselstraße. Sie übersah, daß die Ampel am Fußgängerübergang für ihre Fahrtrichtung Rot zeigte, und überfuhr den Fußgängerübergang mit der von ihr schon zuvor eingehaltenen Geschwindigkeit von 40 bis 50 km/h. Der Erstbeklagte nahm das Fahrzeug der Klägerin erst wahr, als er während seines Anfahrmanövers noch einmal nach rechts blickte. Er hielt sein Fahrzeug sofort an; dennoch kam es zu einer streifenden Kollision mit ganz geringfügiger Überdeckung der beiden Fahrzeuge, wobei die linke vordere Ecke des von der Klägerin gelenkten Fahrzeuges gegen die rechte vordere Ecke des vom Erstbeklagten gelenkten Fahrzeuges, das in diesem Zeitpunkt bereits stillstand, prallte. Durch den streifenden Anprall wurde das von der Klägerin gelenkte Fahrzeug abgelenkt, prallte gegen den rechten Randstein und wurde von dort schräg nach links über die Fahrbahn geschleudert. Die Klägerin wurde dabei verletzt.
Rechtlich erörterte das Erstgericht, daß der Klägerin ein schwerwiegender Verstoß gegen die Bestimmung des § 38 Abs 5 StVO anzulasten sei. Obwohl die Ampelanlage nicht die Kreuzung, sondern einen unmittelbar davor gelegenen Fußgängerübergang geregelt habe, hätte sich der Erstbeklagte als Lenker eines aus der Querstraße kommenden Fahrzeuges grundsätzlich darauf verlassen können, daß andere Straßenbenützer die Ampel beachten würden. Er habe davon ausgehen können, daß er in die Kreuzung einbiegen werde können, ohne die Lenker von Fahrzeugen mit Vorrang zu unvermitteltem Bremsen oder zum Ablenken ihrer Fahrzeuge zu nötigen, obwohl er das Vorschriftszeichen "Vorrang geben" zu beachten gehabt habe. Der Erstbeklagte habe aber das Verkehrsgeschehen rechts von seinem Fahrzeug trotz der Rot zeigenden Ampel nicht völlig vernachlässigen dürfen, weil schon mit der Möglichkeit eines Wechsels der Ampelphase auf Grünlicht jederzeit zu rechnen gewesen sei. Er hätte den herankommenden PKW der Klägerin auf der völlig gerade verlaufenden Johnstraße schon aus weiter Entfernung sehen und sich, da bei diesem Fahrzeug die Fahrgeschwindigkeit nicht verringert worden sei, rechtzeitig darauf einstellen können. Diese Aufmerksamkeit habe er schuldhaft vernachlässigt und seinen Blick erst wieder nach rechts gelenkt, als er bereits sein Einbiegemanöver eingeleitet gehabt habe.
Das Erstgericht ging daher von einer Verschuldensaufteilung im Verhältnis von 3 : 1 zu Lasten der Klägerin aus.
Das Berufungsgericht änderte über Berufung der beklagten Parteien diese Entscheidung im Sinne einer gänzlichen Abweisung des Klagebegehrens ab.
Es wies in seiner rechtlichen Beurteilung darauf hin, daß sich der ampelgeregelte Fußgängerübergang gleich südlich der Unfallskreuzung befunden habe und die Ampelregelung zwar nur die Sicherung des Fußgängerverkehrs, nicht aber die Unfallskreuzung betroffen habe. An dieser sei die Meiselstraße gegenüber der Johnstraße aufgrund des Vorrangzeichens "Vorrang geben" benachrangt gewesen. Nach § 38 Abs 5 StVO gelte rotes Licht als Zeichen für "Halt", wobei es sich um ein absolutes Anhaltegebot handle, weshalb einem Verkehrsteilnehmer, der gegen diese Vorschriften verstoße, der Vorrang nicht zukomme. Wer daher das absolute Anhalteverbot des Rotlichtes im Sinne dieser Gesetzesstelle übertrete, könne für sich keinen Vorrang in Anspruch nehmen. Die Klägerin sei gemäß § 38 Abs 5 iVm § 38 Abs 1 lit b StVO verpflichtet gewesen, ihr Fahrzeug vor dem Schutzweg anzuhalten. Sie habe nicht in den Bereich des Schutzweges und damit auch nicht in die daran anschließende Kreuzung einfahren dürfen, weshalb ihr ein Vorrang nicht zugekommen sei. Schutzzweck des absoluten Anhaltegebotes des § 38 Abs 5 StVO sei auch die Verhinderung von Unfällen im unmittelbaren Nahebereich nach der Ampelregelung, etwa mit unmittelbar hinter ampelgeregelten Kreuzungen ausparkenden Fahrzeugen oder mit unmittelbar außerhalb eines ampelgeregelten Bereiches in die an sich bevorrangte Straße einfahrenden Verkehrsteilnehmers. Zweck der Ampelregelung im Bereich des Schutzweges sei daher auch die Gestattung des gefahrlosen Einfahrens des aus der Meiselstraße kommenden Verkehrs in die Johnstraße gewesen. Die Klägerin treffe daher das Alleinverschulden am Zustandekommen des Unfalles.
Das Berufungsgericht sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei, weil die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage des Schutzzweckes der Ampelregelung eines Schutzweges uneinheitlich sei (vgl ZVR 1988/24 und ZVR 1988/150).
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag, die Entscheidung der Vorinstanzen im Sinne einer gänzlichen Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagten Parteien beantragen, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Bei Beurteilung des vorliegenden Sachverhaltes ist zunächst auf die Urteilsfeststellungen zu verweisen, daß sich der die Johnstraße querende Fußgängerübergang in unmittelbarer Nähe der die Johnstraße kreuzenden Meiselstraße befand. Nach den im Akt erliegenden Lichtbildern sowie den der Verkehrsunfallsanzeige angeschlossenen Lichtbildern und der Unfallsskizze, befand sich der Fußgängerübergang sogar noch innerhalb des Kreuzungsbereiches. Eine Kreuzung ist nämlich nach § 2 Abs 1 Z 17 StVO eine Stelle, auf der eine Straße eine andere überschneidet oder in sie einmündet, gleichgültig in welchem Winkel. Eine Kreuzung reicht daher von Baulinie zu Baulinie und umfaßt auch die Nebenfahrbahnen und Gehsteige. Aus den oben erwähnten Lichtbildern ist ersichtlich, daß der Fußgängerübergang noch innerhalb des durch die Baulinie gebildeten Kreuzungsbereiches liegt. Dies ist aber nach Ansicht des erkennenden Senates für die Beurteilung des vorliegenden Sachverhaltes von Bedeutung.
Zutreffend hat zunächst das Berufungsgericht darauf verwiesen, daß nach § 38 Abs 5 StVO Rotlicht einer Verkehrsampel als Zeichen für "Halt" gilt und die Lenker von Fahrzeugen unbeschadet der Bestimmungen des Abs 7 (leuchtende grüne Pfeile) und des § 53 Z 10a (betrifft nur die Straßenbahn) anzuhalten haben. Eine Ausnahme, wie sie in § 38 Abs 2 StVO normiert ist, gibt es nicht. Einem Verkehrsteilnehmer, der gegen dieses absolute Anhaltegebot verstoßen hat, kommt daher der Vorrang nicht zu (ZVR 1991/118; RIS-Justiz RS0074278).
Nach den Feststellungen fuhr die Klägerin mit einer Geschwindigkeit von 40 bis 50 km/h an einer für sie Rotlicht zeigenden Verkehrssignalanlage vorbei. Sie hätte daher aufgrund des absoluten Anhaltegebotes vor dem Fußgängerübergang anhalten müssen und durfte weder den Fußgängerübergang noch die dahinter liegende noch im Kreuzungsbereich befindliche Verkehrsfläche befahren.
Es trifft zwar zu, daß die Rechtsprechung den Grundsatz entwickelt hat, daß der Vorrang auch dann nicht verlorengeht, wenn sich der im Vorrang befindliche Verkehrsteilnehmer verkehrswidrig verhält (ZVR 1990/155 mwN; ZVR 1995/142 uva), doch wurde ebenfalls ausgesprochen, daß sich der auf einer bevorrangten Straße fahrende Verkehrsteilnehmer nicht auf den Vorrang berufen könne, wenn der Wartepflichtige nicht mit einer derartigen Fahrweise rechnen habe müssen, d.h. mit anderen Worten, wenn der Wartepflichtige im Sinn des § 3 StVO darauf vertrauen durfte, daß im konkreten Fall eine vom Vorrangberechtigten benützte Verkehrsfläche nicht befahren wird. So hat die Rechtsprechung den "Verlust des Vorranges" eines gegen die Fahrtrichtung einer Einbahnstraße fahrenden Verkehrsteilnehmers (ZVR 1979/34; ZVR 1974/130) und eines aus einer Verkehrsfläche mit allgemeinem Fahrverbot herausfahrenden Fahrzeuges (ZVR 1975/24) sowie eines eine Sperrfläche (ZVR 1995/141) und eines eine doppelte Sperrlinie überfahrenden Fahrzeuges (ZVR 1995/142) damit begründet, daß ein gegen derart gravierende Verbote verstoßender Fahrzeuglenker für sich keinen Vorrang beanspruchen könne.
Im vorliegenden Fall konnte der Erstbeklagte, der wahrgenommen hatte, daß der von links kommende Verkehr wegen Rotlichts anhielt, darauf vertrauen, daß auch der von rechts kommende Verkehr vor dem Fußgängerübergang anhalten werde. Es ist ihm daher eine Verletzung des Vorranges der Klägerin und damit ein schuldhaftes Verhalten nicht vorzuwerfen.
Die Klägerin hat hingegen die Vorschrift des § 38 Abs 5 StVO übertreten, wonach die Lenker von Fahrzeugen bei rotem Licht, von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen, an den im Abs 1 dieser Gesetzesstelle bezeichneten Stellen anzuhalten haben. Nach Ansicht des erkennenden Senates hat diese Bestimmung, ebenso wie etwa das Rechtsfahrgebot des § 7 Abs 1 und 2 StVO (s ZVR 1988/41 ua), die Bestimmung des § 20 Abs 1 StVO über die Wahl der Fahrgeschwindigkeit (s ZVR 1989/71 ua) oder die Geschwindigkeitsbeschränkung nach § 52 lit a Z 10a StVO (s ZVR 1979/254), den Zweck, allen Gefahren des Straßenverkehrs vorzubeugen. Sie dient daher dem Schutz aller in Betracht kommenden Verkehrsteilnehmer und es besteht kein Anlaß, aus der Art oder dem Ort der Anbringung einer Ampel eine Einschränkung auf bestimmte Verkehrsteilnehmer abzuleiten. Auch wenn die Ampel im Sinn des § 56 Abs 2 StVO zur Regelung der Benützung eines Schutzweges angebracht ist, beschränkt sich demnach der Schutzzweck der Anhaltepflicht nach § 38 Abs 5 StVO nicht auf die Benützer des Schutzweges, sondern umfaßt auch alle anderen Verkehrsteilnehmer.
Aus der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung ZVR 1988/150 ergibt sich für den hier zu entscheidenden Fall nichts anderes. Die Besonderheit des dort zu beurteilenden Sachverhaltes lag nämlich darin, daß sich der Schutzweg vor einer Straßeneinmündung befand und daß sowohl vor dem Schutzweg als auch nach der Straßeneinmündung eine Haltelinie im Sinn des § 55 Abs 2 StVO angebracht war. Der Oberste Gerichtshof vertrat in dieser Entscheidung daher die Auffassung, daß ein Verkehrsteilnehmer auch dann, wenn die Ampel rotes Licht zeigt, gemäß § 38 Abs 5 iVm Abs 1 lit a StVO bis zur Haltelinie vorfahren darf und sich "wegen der besonderen Ausgestaltung" der Verkehrsflächen der Regelungs- und damit auch Sicherungsbereich nur auf den innerhalb der beiden Haltelinien liegenden Bereich erstrecke. Auch aus dieser Entscheidung ist aber abzuleiten, daß der Schutzzweck des § 38 Abs 5 StVO bei einer zur Regelung der Benützung eines Schutzweges angebrachten Ampel nicht bloß die Benützung des Schutzweges umfaßt.
Da somit den Erstbeklagten kein Verschulden an dem den Gegenstand der Klage bildenden Verkehrsunfall trifft, die Klägerin hingegen eine Gesetzesnorm übertreten hat, deren Schutzzweck auch der Verhinderung eines Zusammenstoßes mit dem Fahrzeug des Erstbeklagten diente, besteht kein Anlaß, diesen und damit auch die zweitbeklagte Partei gemäß § 11 EKHG zum Ersatz eines Schadens heranzuziehen (MGA EKHG6 § 11 E 343).
Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
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