OGH 2Ob32/23d

OGH2Ob32/23d21.3.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Nowotny, Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Sloboda und Dr. Kikinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K*, vertreten durch Dr. Robert Eiter, Rechtsanwalt in Landeck, gegen die beklagten Parteien 1. O*, und 2. A*, beide vertreten durch Dr. Andreas Kolar, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 12.553,54 EUR sA und Feststellung, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 15. Dezember 2022, GZ 1 R 163/22p‑40, womit das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 29. Juli 2022, GZ 15 Cg 45/21a‑30, teilweise als nichtig aufgehoben und die Klage insoweit zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0020OB00032.23D.0321.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiete: Schadenersatz nach Verkehrsunfall, Zivilverfahrensrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben. Der angefochtene Beschluss wird mit der Maßgabe bestätigt, dass sich die Nichtigerklärung nur auf das im Berufungsverfahren noch strittige, eine Begrenzung der Haftung der zweitbeklagten Partei mit der Versicherungssumme enthaltende Feststellungsbegehren bezieht.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 574,45 EUR (darin enthalten 95,74 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Der bei einem Verkehrsunfall verletzte Kläger erhob neben einem nicht mehr gegenständlichen Zahlungsbegehren auch ein Begehren auf Feststellung der Haftung der Beklagten „für alle zukünftigen Schäden“ aus dem näher bezeichneten Unfallereignis.

[2] Die Beklagten erachteten das Feststellungsbegehren als überschießend, weil ein Feststellungsinteresse nur hinsichtlich „derzeit nicht bekannter zukünftiger Schäden“ bestehen könne und der Kläger die betragliche Haftungsbeschränkung der Zweitbeklagten auf die Versicherungssumme unberücksichtigt lasse. Letztlich anerkannten die Beklagten ausdrücklich ihre Haftung „für alle zukünftigen derzeit nicht bekannten Schäden“ unter Berücksichtigung der Beschränkung der Haftung der Zweitbeklagten auf die Versicherungssumme. Über Antrag des Klägers fällte das Erstgericht ein Teilanerkenntnisurteil im Sinn des von den Beklagten abgegebenen Anerkenntnisses.

[3] Im weiteren Verfahren vertrat der Kläger den Standpunkt, dass das abgegebene Anerkenntnis nicht ausreiche, weil er ein Interesse an der Unterbrechung der Verjährung durch ein stattgebendes Feststellungsurteil auch im Hinblick auf künftige, aber bereits vorhersehbare Schäden habe. Er halte sein ursprüngliches Feststellungsbegehren daher aufrecht.

[4] Das Erstgericht wies (unter anderem) das Feststellungsbegehren ab. Ein rechtliches Interesse des Klägers könne nur an der Feststellung der Haftung für zukünftige, derzeit nicht bekannte Schäden bestehen. Es sei ohne Bedeutung, ob diese Schäden vorhersehbar oder nicht vorhersehbar seien. Bei bereits bekannten Schäden sei ohnehin ein Leistungsbegehren möglich.

[5] In seiner Berufung strebte der Kläger die Stattgebung des Feststellungsbegehrens (nur) mit der Beschränkung der Haftung der Zweitbeklagten auf die Versicherungssumme an.

[6] Das Berufungsgericht hob aus Anlass der Berufung das Urteil des Erstgerichts im Umfang der Abweisung des Feststellungsbegehrens und das diesem vorangegangene, das Feststellungsbegehren betreffende Verfahren ab Verkündung des Teilanerkenntnisurteils als nichtig auf. Die von den Streitteilen jeweils gewählten Formulierungen für das Feststellungsbegehren seien insoweit deckungsgleich, als ihnen keine unterschiedliche Bedeutung und keine unterschiedlichen Rechtsfolgen entnommen werden könnten. Die Unterbrechungswirkung einer Feststellungsklage beziehe sich auf alle im Zeitpunkt der Einbringung zukünftige, nicht aber auf in diesem Zeitpunkt bereits fällige und (infolge Bezifferbarkeit) mit Leistungsklage einklagbare Schäden. Die Wortfolge „derzeit nicht bekannte Schäden“ meine nichts anderes als den Ausschluss bereits bezifferbarer Schäden. Die Rechtskraftwirkung des Teilanerkenntnisurteils stehe damit der neuerlichen meritorischen Entscheidung über das Feststellungsbegehren entgegen.

[7] Gegen diesen Beschluss richtet sich der von den Beklagten beantwortete Rekurs des Klägers mit dem Antrag, dem Feststellungsbegehren stattzugeben.

Rechtliche Beurteilung

[8] Der Rekurs ist gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO als Vollrekurs zulässig, aber nicht berechtigt.

[9] 1. Das vom Berufungsgericht angenommene Prozesshindernis der (teilweise) rechtskräftig entschiedenen Sache liegt nur dann vor, wenn das mit in Rechtskraft erwachsenem Teilanerkenntnisurteil erledigte Feststellungsbegehren und jenes, über das das Erstgericht mit (End-)Urteil erkannt hat, als ident anzusehen sind.

[10] Eine solche Identität liegt insoweit nicht vor, als das von den Beklagten anerkannte Feststellungsbegehren eine Begrenzung der Haftung der Zweitbeklagten mit der Versicherungssumme enthält, eine solche jedoch im unbeschränkten Feststellungsbegehren des Klägers fehlt. Der Kläger ließ jedoch die Abweisung des über die Begrenzung mit der Versicherungssumme hinausgehenden, die Zweitbeklagte betreffenden Feststellungsbegehrens durch das Erstgericht – wie sich aus den Berufungsanträgen eindeutig ergibt – unbekämpft. Gegenstand des Berufungsverfahrens war damit nur mehr das eine Begrenzung der Haftung der Zweitbeklagten mit der Versicherungssumme enthaltende Feststellungsbegehren. Nur darauf konnte sich die Nichtigerklärung durch das Berufungsgericht beziehen, was im Wege einer Maßgabebestätigung zu verdeutlichen war.

[11] 2. Zur entscheidenden Frage, ob die von den Streitteilen verwendeten Formulierungen (Kläger: „für alle zukünftigen Schäden“; Beklagte: „derzeit nicht bekannter zukünftiger Schäden“) als inhaltlich ident anzusehen sind, hat der Senat erwogen:

[12] 3. Die schon eingetretenen und die aus demselben Schadensereignis voraussehbaren künftigen Teil-(Folge‑)Schäden bilden verjährungsrechtlich eine Einheit. Der drohenden Verjährung seines Anspruchs auf Ersatz der künftigen, aber schon vorhersehbaren Schäden hat der Geschädigte daher dann, wenn ihm schon ein Primärschaden entstanden ist, mit einer Feststellungsklage innerhalb der Verjährungsfrist zu begegnen oder ein außergerichtliches Anerkenntnis des Schädigers zu erwirken (8 Ob 60/22i Rz 3; RS0097976).

[13] Durch die Einbringung der Feststellungsklage (der später stattgegeben wurde) wird die Verjährung aller in diesem Zeitpunkt – also bei Einbringung der Klage – zukünftigen Schadenersatzansprüche unterbrochen. Die Unterbrechungswirkung bezieht sich nur auf zukünftige, nicht aber auf bereits bekannte und fällige Schadenersatzansprüche. Unter „zukünftige“ Leistungen sind somit alle diejenigen zu verstehen, die bei Einbringung der Feststellungsklage noch nicht fällig waren. Eine Klageausdehnung auf später – also nach Einbringung der Feststellungsklage, aber vor Schluss der mündlichen Streitverhandlung – fällig werdende Beträge ist zur Inanspruchnahme der verjährungsrechtlichen Unterbrechungswirkung nicht erforderlich (vgl RS0034771 [insb auch T3, T5, T8]).

[14] 4. In der Literatur werden unterschiedliche Vorschläge für die Formulierung von allgemein gehaltenen Feststellungsbegehren gemacht, die auf einen (Verkehrs-)Unfall oder ein anderes schädigendes Ereignis zurückgehen. Während Ziehensack (Schriftsätze für Rechtsanwälte I, Allgem 2 – Klage Rz 144 sowie SchadenersatzR 1 – Klage wegen ärztlichem Behandlungsfehler) vorschlägt, die Haftung „für sämtliche Schäden“ aus dem schädigenden Ereignis zu begehren, verwendet Neuhauser (Musterbuch Verkehrsunfall [2006] 100 [SS 36]) die Formulierung, wonach die Beklagten „für alle zukünftigen, unfallkausalen Schäden“ haften sollen. Hartl (in Schlosser/Fucik/Hartl, Verkehrsunfall VI³ [2022] Rz 669/1) rät alternativ entweder zur Formulierung „alle künftigen kausalen Nachteile“ oder „alle künftigen Schäden“. Heinke (Schriftsätze im Zivilprozess8 [2020] 333 [SS 104]) verwendet wiederum die Formulierung, dass die Beklagten „für sämtliche zukünftige, derzeit nicht bekannte Schäden“ aus dem Unfall haften sollen.

[15] Der Oberste Gerichtshof hat Feststellungsbegehren in Schadenersatzprozessen bereits mit unterschiedlichen Formulierungen stattgegeben („sämtliche zukünftige unfallkausale Schäden“: 8 Ob 42/19p, 6 Ob 48/07p; „zukünftige, derzeit nicht bekannte Schäden“: 2 Ob 27/20i, 2 Ob 17/19t, 2 Ob 190/16d, 2 Ob 37/12y; „sämtliche zukünftige Schäden und Aufwendungen“: 2 Ob 58/21z; „sämtliche zukünftige Schäden“: 2 Ob 92/19x, 2 Ob 179/18i), ohne dabei zu erkennen zu geben, diesen verschiedenen, in der Literatur verbreiteten Formulierungen unterschiedliche Bedeutung zuzumessen.

[16] Der von den Beklagten in offenkundiger Anlehnung an Heinke (aaO) verwendete Einschub „derzeit nicht bekannte“ soll nach Ansicht des erkennenden Senats unter Beachtung der gefestigten verjährungsrechtlichen Rechtsprechung (siehe oben Punkt 3.) nicht mehr ausdrücken, als dass sich das Feststellungsbegehren auf zukünftige, derzeit (also im Zeitpunkt der Einbringung der Klage) noch nicht fällige bzw nicht bezifferbare (vgl 2 Ob 129/09y) Schäden bezieht, hinsichtlich derer noch nicht mit Leistungsklage vorgegangen werden kann. Die Einfügung der Wortfolge „derzeit nicht bekannte“ in das Feststellungsbegehren führt damit – im Vergleich zu den Worten „für alle zukünftigen Schäden“ – zu keiner inhaltlichen Änderung des Umfangs des Feststellungsbegehrens, sodass das Berufungsgericht zutreffend mit (teilweiser) Nichtigerklärung vorgegangen ist.

[17] 5. Entgegen den (unter Heranziehung eines fiktiven Beispiels gemachten) Ausführungen im Rekurs besteht ausgehend von der hier vertretenen Auslegung der im Teilanerkenntnisurteil verwendeten Formulierung keine Gefahr, dass Ansprüche des Klägers, die ihm im Zeitpunkt der Einbringung der Feststellungsklage bereits dem Grunde und der Höhe nach bekannt waren, mangels Fälligkeit aber nicht mit Leistungsklage geltend gemacht werden konnten, trotz Einbringung der Feststellungsklage verjähren könnten.

[18] 6. Dem Rekurs war insgesamt nicht Folge zu geben.

[19] 7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 iVm § 50 ZPO.

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