OGH 2Ob2/91

OGH2Ob2/9130.1.1991

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Melber, Dr. Kropfitsch, Dr. Zehetner und Dr. Schinko als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Heinz *****, ***** vertreten durch Dr. Alois Eichinger, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei ***** Versicherungsanstalt, ***** vertreten durch Dr. Vera Kremslehner, Rechtsanwältin in Wien, wegen S 1,540.415,80 s.A. infolge Revision beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 3. Oktober 1990, GZ 16 R 146/90-31, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 3. April 1990, GZ 38 Cg 774/87-24, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt und beschlossen:

 

Spruch:

Der Revision der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben. Die Revision der klagenden Partei wird zurückgewiesen.

Der Kläger ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 19.771,20 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 3.295,20 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit S 10.882,80 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 1.813,80 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 23. 6. 1965 geborene Kläger ist als Folge eines Verkehrsunfalles vom 1. 4. 1983 querschnittgelähmt. Mit Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 20. 9. 1984 wurde dem Kläger ein Betrag von S 320.000,- (S 420.000,- Schmerzengeld abzüglich einer Akontozahlung von S 100.000,-) zuerkannt und festgestellt, daß die beklagte Partei (zur ungeteilten Hand mit dem Lenker des Unfallfahrzeuges) für alle unfallkausalen Schadenersatzansprüche des Klägers aus dem Verkehrsunfall vom 1. 4. 1983 zu 100 % haftet, wobei die Haftung der Beklagten mit der Versicherungssumme begrenzt ist.

Mit der nunmehrigen, am 4. 9. 1987 eingebrachten Klage macht der Kläger weitere Schadenersatzansprüche geltend, unter anderem ein weiteres Schmerzengeld von S 480.000,- und einen Betrag von S 267.100,- für die Anschaffung eines zur teilweisen Herstellung der Mobilität erforderlichen Behindertenfahrzeuges.

Die beklagte Partei wendete zum Begehren auf Ersatz der Anschaffungskosten eines Invalidenfahrzeuges ein, sie habe dem Kläger bereits einmal die Anschaffungskosten für einen PKW ersetzt, der Kläger hätte sich auch ohne den Unfall ein Fahrzeug angeschafft.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren teilweise statt, ein Mehrbegehren wurde abgewiesen. Hinsichtlich des Behindertenfahrzeuges stellte das Erstgericht fest, die Beklagte habe dem Kläger den Kaufpreis von S 53.000,- für einen im Jahre 1984 angeschafften gebrauchten PKW bezahlt, der Kläger hätte auch ohne den Unfall einen PKW angeschafft. Daraus leitete das Erstgericht rechtlich ab, der Kläger habe nur Anspruch auf Ersatz jener Kosten, die ihm dadurch erwachsen, daß er ein normal ausgestattetes Fahrzeug nicht mehr lenken könne, diese Kosten machten S 22.000,- aus.

Das Berufungsgericht gab den Berufungen beider Parteien teilweise Folge und änderte das Ersturteil dahin ab, daß dem Kläger ein höherer Betrag als vom Erstgericht zugesprochen, zuerkannt wurde. Zum Begehren auf Ersatz der Kosten eines Invalidenfahrzeuges führte das Gericht zweiter Instanz aus, könne der Geschädigte die aus dem Unfall resultierende weitgehende Bewegungsunfähigkeit in zweckmäßiger und vernünftiger Weise nur durch die Anschaffung eines PKW einigermaßen ausgleichen, dann stellten die dadurch verursachten Auslagen einen unmittelbaren, nach § 1325 ABGB zu ersetzenden Schaden dar. Dabei habe nach ständiger Rechtsprechung der Verletzte grundsätzlich Anspruch auf einen Neuwagen sowie auf Ersatz der Kosten für dessen Instandhaltung. Da der Verletzte für die Gesamtdauer seiner Behinderung Anspruch auf bestmöglichen Ausgleich der durch sie verursachten Bewegungsunfähigkeit habe, stünden ihm nach § 1325 ABGB die Kosten für ein (weiteres) Behindertenfahrzeug auch dann zu, wenn er bereits einmal ein Fahrzeug erhalten habe, dieses jedoch infolge Abnützung oder aus anderen vom Geschädigten nicht zu vertretenden Gründen nicht mehr funktionsfähig sei. Daran ändere auch der Umstand nichts, daß nach den Feststellungen des Erstgerichtes sich der Kläger auch ohne Unfall einen PKW angeschafft hätte. Bei den Kosten für ein Behindertenfahrzeug handle es sich nämlich um unmittelbar aus dem Schadensfall resultierende erhöhte Aufwendungen, die der Schädiger nach § 1325 ABGB zu ersetzen habe. Der Hinweis auf hypothetische Vermögensdispositionen des Geschädigten vermöge hievon nicht zu befreien. Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil die Frage, ob ein Behinderter, der bereits einmal ein Behindertenfahrzeug erhalten habe, Anspruch auf Ersatz der Kosten für ein weiteres Fahrzeug habe, nachdem das erste funktionsunfähig geworden sei, eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs.1 ZPO darstelle.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richten sich die Revisionen beider Parteien. Der Kläger bekämpft die Abweisung eines Teilbetrages von S 756.720,- und macht die Anfechtungsgründe des § 503 Z 2 und 4 ZPO geltend. Die beklagte Partei ficht den Zuspruch eines Teilbetrages von S 245.100,-

wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung an. Die Parteien stellten jeweils ihren Anfechtungserklärungen entsprechende Abänderungsanträge und beantragten, die Revision der Gegenseite zurückzuweisen, allenfalls dieser nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Zur Revision der beklagten Partei:

Dieses Rechtsmittel ist zulässig (§ 502 Abs.1 ZPO), aber nicht berechtigt.

Die beklagte Partei führt aus, nach der Rechtsprechung seien die Kosten vermehrter Bedürfnisse einer Person durch einen Vergleich der Lage vor und nach dem Unfall zu ermitteln. Da der Kläger auch ohne den Unfall einen PKW angeschafft hätte, sei in dieser Hinsicht eine Vermehrung seiner Bedürfnisse durch den Unfall nur insoweit eingetreten, als er die Umrüstungskosten des PKW auf ein behindertengerechtes Fahrzeug zu tragen habe. In Anlehnung an diese Grundsätze habe der Oberste Gerichtshof in EvBl. 1965/81 ausgesprochen, daß ein Ersatzanspruch hinsichtlich der Anschaffung eines Kraftfahrzeuges aus dem Titel vermehrter Bedürfnisse dann nicht bestehe, wenn der Verletzte auch ohne den Unfall einen Kraftwagen angeschafft hätte. Die Entscheidung des Berufungsgerichtes entspreche daher nicht der Judikatur des Obersten Gerichtshofes, die Anschaffungskosten des PKW seien nicht kausal auf den Unfall zurückzuführen. Darüber hinaus habe die Beklagte dem Kläger bereits einmal ein behindertengerechtes Fahrzeug bezahlt, ein mehrmaliger Ersatz eines derartigen Fahrzeuges komme nicht in Betracht.

Hiezu ist folgendes zu erwägen:

Im Fall der in der Revision zitierten Entscheidung hatte der Kläger eine Beinverletzung erlitten, die ihm die Verwendung eines Motorrades zwar nicht unmöglich machte, ihn dabei aber behinderte. Der Kläger hatte das Motorrad vor dem Unfall "bloß zu seinem Vergnügen verwendet". Der Oberste Gerichtshof gelangte damals zu dem Ergebnis, die Benützung eines Kraftwagens anstelle des Motorrades bedeute eine wesentliche Verbesserung der Verhältnisse des Klägers, der die Umstellung von der Haltung eines einspurigen Kraftfahrzeuges auf die eines Kraftwagens offenbar wegen seines jetzigen Familienstandes auch ohne den Unfall vorgenommen hätte. Davon unterscheidet sich der vorliegende Fall wesentlich. Hier hat der Kläger eine Querschnittlähmung erlitten, er verwendet den PKW nicht "zu seinem Vergnügen", sondern benötigt diesen, um sich einigermaßen frei bewegen zu können. Von einer Verbesserung seiner Verhältnisse kann hier gewiß nicht gesprochen werden. Der Anspruch auf Ersatz der Kosten für die Anschaffung des PKW besteht daher nach Rechtsprechung und Lehre grundsätzlich zu Recht (ZVR 1974/164, ZVR 1985/84; 2 Ob 82/90 ua; Koziol2 II 127; Reischauer in Rummel, Rz 12 zu § 1325; Wussow, Das Unfallhaftpflichtrecht13 Rz 1169 ua). Da die Benützungsdauer eines PKW begrenzt ist, hat ein Verletzter, der über diesen Zeitraum hinaus vermehrte Bedürfnisse hat, auch Anspruch auf Ersatz der weiteren Ausgaben, somit auch auf Ersatz der Kosten eines neuerlichen Fahrzeuges.

Der Kläger hatte zu beweisen, daß er zum Ausgleich erhöhter Bedürfnisse weiterhin einen PKW benötigt, er hat dies auch getan. Sache der beklagten Partei wäre es gewesen zu behaupten und zu beweisen, daß der Kläger auch ohne den Unfall den PKW angeschafft hätte. Der Oberste Gerichtshof hat bereits in 2 Ob 153/77 (dort war ebenfalls eingewendet worden, die Verletzte hätte auch ohne den Unfall ein Kfz gekauft) ausgeführt, es sei völlig ungewiß, wie sich das Lebensschicksal der Klägerin gestaltet hätte, weshalb auch damals die PKW-Anschaffungskosten zuerkannt wurden. Im vorliegenden Fall hat das Erstgericht wohl festgestellt, der Kläger hätte sich auch ohne den Unfall einen PKW angeschafft. Schon in seiner Berufung hat der Kläger mit Recht darauf hingewiesen, es stehe nicht fest, wann dies geschehen wäre. Schon deshalb kann aus der angeführten Feststellung nicht abgeleitet werden, der nunmehr 25 Jahre alte Kläger hätte sich schon derzeit einen PKW angeschafft, auch wenn er die Querschnittlähmung nicht erlitten hätte. Es steht auch nicht fest, ob der Kläger ohne den Unfall noch ledig wäre und sich einen PKW angeschafft hätte, oder ob er eine Familie gegründet und allenfalls gemeinsam mit einer Ehefrau ein Fahrzeug gekauft hätte. Die Feststellung, der Kläger hätte sich auch ohne den Unfall einen PKW angeschafft, reicht daher nicht aus, um seinen Anspruch auf Zuerkennung der Kosten für die Anschaffung eines weiteren PKW zu verneinen. Weitergehende Behauptungen hat die beklagte Partei aber nicht aufgestellt, sie kam insoweit ihrer Behauptungs- und Beweispflicht nicht nach.

Aus diesen Gründen war der Revision der beklagten Partei ein Erfolg zu versagen.

Zur Revision des Klägers:

Gemäß § 502 Abs.1 ZPO ist eine Revision nur zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt. Voraussetzung für die Zulässigkeit der Revision des Klägers wäre es daher, daß er eine derartige Rechtsfrage aufwirft. Dies ist jedoch nicht geschehen.

Es entspricht ständiger Rechtsprechung, daß sich ein Feststellungsurteil über die Haftung für die Folgen eines Unfalls nicht auf bereits fällige Ansprüche bezieht (SZ 54/99; 2 Ob 102, 103/88 ua). Welche Absicht der Klagevertreter bei Formulierung des Feststellungsbegehrens verfolgte, ist ohne jede Bedeutung.

Über eine Hemmung der Verjährung durch Vergleichsverhandlungen hat der Kläger kein ausreichendes Vorbringen erstattet.

Im Vorprozeß begehrte der Kläger ein Gesamtschmerzengeld von restlichen S 320.000,- (ON 10, AS 73 in 14 Cg 371/83 des LGZ Graz), dieser Betrag wurde ihm auch zuerkannt, das Erstgericht hat damals im Sinne der ständigen Rechtsprechung das Schmerzengeld mit einer Globalsumme bemessen (ZVR 1969/146, ZVR 1972/65, ZVR 1980/346). Ein Fall, in welchem ausnahmsweise ein weiterer Schmerzengeldzuspruch erfolgen könnte, liegt hier nicht vor, weil die Unfallsfolgen schon zur Zeit des Schmerzengeldzuspruches im Vorprozeß abzuschätzen waren (vgl. ZVR 1985/48).

Im Hinblick auf die eingetretene Verjährung sind die Revisionsausführungen, der Kläger sei durch die Unfallsfolgen in seinem besseren Fortkommen behindert, nicht zielführend.

Da der Kläger somit keine Rechtsfragen im Sinne des § 502 Abs.1 ZPO geltend macht, war seine Revision zurückzuweisen, ohne daß dies einer weiteren Begründung bedürfte

(§ 510 Abs.3 ZPO).

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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