Spruch:
Den Rekursen wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Am 3. 6. 1999 kam der Kläger als Radfahrer im Gemeindegebiet der beklagten Partei zu Sturz.
Er begehrt die Zahlung eines Schmerzengeldes, den Ersatz von Pflegeaufwand, Verdienstentgang, von Reparaturkosten und Generalunkosten in der Höhe des Klagsbetrages mit der Begründung, er sei mit einer Fahrradgruppe unterwegs gewesen und ohne Verschulden bei der völlig ungesicherten Brückenwaage in einen 5 cm breiten, 1,56 m langen und 90 cm tiefen Spalt gestürzt. Er habe sich dabei schwer verletzt. Die Haftung der beklagten Partei werde auf Schadenersatz, insbesondere auf § 1319a ABGB gestützt, weil diese entsprechende Sicherungseinrichtungen unterlassen habe.
Die beklagte Partei wendete ein, dass es zwar richtig sei, dass sich in der Gasse, in der der Kläger stürzte, eine öffentlich zugängliche Brückenwaage befinde. Die Zufahrt auf die Brückenwaage erfolge von der Fahrbahn aus, diese sei auf allen Seiten hin auf ca 90 cm abgeschrägt und somit niveauerhöht. Es sei nicht möglich, bauliche Sicherheitseinrichtungen durchzuführen, da in diesem Fall die Ab- und Anfahrt behindert wäre. Die Brückenwaage sei jedenfalls älter als 50 Jahre und sei es noch nie zu einem Unfall gekommen. Die Waage sei in Betrieb und werde alle zwei Jahre geeicht, die Instandhaltungsarbeiten erfolgten durch die Nebenintervenientin. Das Alleinverschulden am Sturz treffe den Kläger. Die Brückenwaage sei leicht erkennbar und bestünden keine Sichtbehinderungen. Der Kläger hätte ohne weiteres auf der zwischen der Brückenwaage und der gegenüberliegenden Gehsteigkante liegenden Fahrbahn durchfahren können. Brückenwaagen benötigten einen gewissen Spielraum. Die Breite des Spaltes habe maximal 3 bis 4 cm betragen. Es habe für den Kläger keine Veranlassung bestanden, über die Brückenwaage zu fahren. Jedenfalls treffe die beklagte Partei kein grobes Verschulden.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, wobei - soweit sie vom Berufungsgericht übernommen wurden - im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen wurden:
Die W*****gasse befindet sich im Gemeindegebiet der beklagten Partei. Sie zweigt von der ***** N*****straße in Richtung B***** nach links ab und ist erkennbar eine Zufahrtsstraße zu den Häusern in ***** F*****. Von dieser Abzweigung beträgt die Sichtweite, wenn auf der rechten Seite der W*****gasse keine Autos parken, mindestens 100 m. In der Gasse befindet sich eine Brückenwaage. Die Fahrbahn weist im Bereich bis etwa 5,1 m vor der Brückenwaage eine Breite von 6,7 m auf; 15 m nach der Waage befindet sich eine Rechskurve zu einer Brücke über den W*****bach. Die Brückenwaage befindet sich am rechten Fahrbahnrand. Sie ist nach allen Seiten, außer dem rechten Rand, welcher an einen Grasstreifen grenzt, niveauerhöht. Von diesem Rand reicht die Waage 2,4 m in die Fahrbahn; das Gefälle weist auf eine Länge von 90 cm eine Höhendifferenz von 25 cm auf. Wenn auf der linken Fahrbahnseite Autos parken, beträgt die freie Durchfahrtsbreite 3,5 m bis zum Beginn der Niveauerhöhung. Rund um die Brückenwaage befindet sich der für eine solche Waage notwendige Spalt, dessen Breite unregelmäßig verläuft und etwa 2 bis 4 cm beträgt; dieser verändert sich im Laufe der Zeit aufgrund einer gewissen Dynamik des Holzes. Im Bereich der Brückenwaage befanden sich im Unfallszeitpunkt keine Hinweistafeln oder Bodenmarkierungen.
Die dieser Entscheidung angeschlossene Kopie zweier Fotografien gibt die örtlichen Gegebenheiten wieder.
Die Brückenwaage ist mindestens 60 Jahre alt, sie wird von der Nebenintervenientin regelmäßig überprüft. Seit Bestehen der Brückenwaage kam es aufgrund des vorhandenen Spaltes nie zu Unfällen.
Am 3. 6. 1999 fuhr der Kläger in einer Gruppe von 21 Leuten von der ***** N*****straße kommend in die W*****gasse ein, wobei er als vorletzter Radfahrer der Gruppe mit einem Rennrad unterwegs war. Er fuhr mit einer Geschwindigkeit von 8 km/h. Der Abstand zu seinem Vordermann konnte nicht festgestellt werden. Neben ihm befand sich kein Radfahrer. Bis 45 m vor der Brückwaage parkten auf der rechten Seite Autos, die linke Seite war im Bereich der Brückenwaage verparkt.
Als sich der Kläger etwa 4,5 m vor der Waage befand, kam ein Auto aus der Gegenrichtung über die Brücke des W*****baches, wobei die Radfahrer der Gruppe sich zu diesem Zeitpunkt teils schon über der Brücke, teils noch davor befanden und bis auf den Kläger und dessen Nachmann schon alle die Brückenwaage passiert hatten. Aufgrund der Zurufe der Vormänner ("Auto!") reihte sich auch der Kläger nach rechts ein. Er achtete dabei nicht darauf, dass er sich einer Brückenwaage näherte. Da er nicht auf den Boden, sondern auf das herannahende Auto sah, erkannte er auch nicht rechtzeitig den Spalt entlang der Brückenwaage. Er geriet mit dem Vorderrad seines Rennrades in den Zwischenraum und kam infolgedessen zu Sturz. Er wurde dabei schwer verletzt.
In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Ansicht, die beklagte Partei habe nicht grob fahrlässig gehandelt. Der Kläger könne sich auch nicht auf § 89 StVO berufen, da diese Bestimmung Gegenstände behandle, die sich auf der Straße befänden; die Brückenwaage sei hingegen ein Bestandteil der Straße und befinde sich nicht auf ihr.
Das vom Kläger angerufene Berufungsgericht hob das Urteil des Erstgerichtes auf und trug diesem eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf; es sprach aus, der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig.
In rechtlicher Hinsicht vertrat das Berufungsgericht die Ansicht, im Anwendungsbereich der besonderen Verkehrssicherungspflicht des Wegehalters nach § 1319a ABGB bleibe für die Annahme allgemeiner Verkehrssicherungspflichten kein Raum, weshalb der Kläger eine Haftung der beklagten Partei nicht auf das Ingerenzprinzip stützen könne.
Im Übrigen bejahte aber das Berufungsgericht das Vorliegen der Voraussetzungen des § 1319a ABGB. Beurteilungsmaßstab für die Mangelhaftigkeit des Weges sei das Verkehrsbedürfnis und die Zumutbarkeit entsprechender Maßnahmen. Grobe Fahrlässigkeit erfordere neben dem objektiv schweren Verstoß noch, dass dieser Verstoß auch subjektiv schwer anzulasten sei. Befinde sich auf einer für den öffentlichen Verkehr bestimmten Fahrbahn ein mehrere Zentimeter breiter Spalt in Längsrichtung, so sei die Fahrbahn, also der Weg im Sinne des § 1319a ABGB mangelhaft und ein Schadenseintritt geradezu "vorprogrammiert", müsse doch auch mit Radfahrerverkehr gerechnet werden. Dass bisher noch kein derartiger Unfall geschehen sei, vermöge die beklagte Partei nicht zu exkulpieren. Dabei sei es nicht von entscheidender Bedeutung, ob der Spalt 4 oder 5 cm breit gewesen sei, stelle doch bereits eine 4 cm breite Vertiefung für Rennräder mit bekannt schmäleren Reifen, die von der Benützung öffentlicher Straßen nicht ausgeschlossen seien, eine erhebliche Gefahrenquelle dar. Eine entsprechende Absicherung sei trotz der festgestellten Niveauerhöhung nicht geschehen. Es wären der beklagten Partei durchaus geeignete Maßnahmen - wie etwa das Aufstellen von entsprechenden Verkehrszeichen und/oder das Anbringen von Abdeckplatten - zumutbar gewesen.
Allerdings bedürfe es noch weiterer Feststellungen, um das Mitverschulden des Klägers zu prüfen, weiters werde das Erstgericht auch noch Feststellungen zur Höhe der noch nicht abschließend geklärten Forderung (Schmerzengeld) zu treffen haben.
Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof erachtete das Berufungsgericht für zulässig, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage vorliege, ob der Wegehalter nach § 1319a ABGB zu haften habe, wenn sich in einer zur Fahrbahn gehörenden, aber ungesicherten Brückenwaage ein Spalt von einigen Zentimetern Breite befinde, in dem ein Radfahrer zu Sturz gekommen sei.
Dagegen richten sich die Rekurse der beklagten Partei und der Nebenintervenientin mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die klagende Partei hat zum Rekurs der Nebenintervenientin Rekursbeantwortung erstattet und beantragt, dieses Rechtsmittel zurückzuweisen, in eventu, ihm nicht Folge zu geben.
Die Rekurse sind zulässig, aber nicht berechtigt.
Die beklagte Partei macht in ihrem Rechtsmittel geltend, die Brückenwaage sei nicht Teil der Fahrbahn und nicht für den Fahrzeugverkehr bestimmt. Demzufolge sei sie vom Kläger widmungswidrig benutzt worden, weshalb sie nicht zu haften habe. Die Waage sei auch nicht mangelhaft, habe doch das Erstgericht festgestellt, dass sich rund um die Waage der für eine solche notwendige Spalt befinde. Eine Brückenwaage ohne Spalt gebe es in dieser Form nicht. Weiters sei ihr keine grobe Fahrlässigkeit anzulasten. Der Unfall habe sich allein aufgrund des Verschuldens des Klägers ereignet. Dieser habe nicht auf den Boden geachtet und deshalb den Spalt nicht rechtzeitig erkannt.
Auch die Nebenintervenientin macht in ihrem Rechtsmittel geltend, die Brückenwaage sei nicht mangelhaft, es sei der beklagten Partei auch kein grobes Verschulden anzulasten. Vielmehr habe sich der Sturz des Klägers aufgrund seiner extremen Sorglosigkeit ereignet.
Rechtliche Beurteilung
Hiezu wurde erwogen:
Auf die vom Rekursgericht als erheblich erachtete Rechtsfrage, ob im konkreten Fall eine Haftung nach § 1319a ABGB besteht, ist nicht einzugehen, weil nämlich die beklagte Partei - wie im Folgenden darzulegen sein wird - gemäß § 1319 ABGB haftet. Auf diesen Haftungsgrund ist im Rahmen der allseitigen rechtlichen Prüfung einzugehen, weil sich der Kläger nicht auf einen bestimmten Rechtsgrund beschränkt hat.
Wird durch den mangelhaften Zustand eines Weges ein Mensch an seinem Körper oder an seiner Gesundheit verletzt, so haftet gemäß § 1319a Abs 1 ABGB derjenige, der für den ordnungsgemäßen Zustand des Weges als Halter verantwortlich ist, sofern er oder einer seiner Leute den Mangel vorsätzlich oder grob fahrlässig verschuldet hat. Zu einem Weg gehören gemäß § 1319a Abs 2 ABGB auch die in seinem Zug befindlichen und dem Verkehr dienenden Anlagen, wie besonders Brücken, Stützmauern, Futtermauern, Durchlässe, Gräben und Pflanzungen.
Wird durch Einsturz oder Ablösung von Teilen eines Gebäudes oder eines anderen auf einem Grundstück aufgeführten Werks jemand verletzt oder sonst ein Schaden verursacht, ist gemäß § 1319 ABGB der Besitzer des Gebäudes oder Werkes zum Ersatz verpflichtet, wenn das Ereignis die Folge der mangelhaften Beschaffenheit des Werkes ist und er nicht beweist, dass er alle zur Abwendung der Gefahr erforderliche Sorgfalt angewendet hat.
Der Oberste Gerichtshof hat zunächst mehrfach ausgesprochen, dass zwischen den §§ 1319 und 1319a ABGB Anspruchskonkurrenz bestehe (SZ 55/179; EvBl 1994/8; 4 Ob 2334/96f). In der Entscheidung SZ 70/71 wurde davon allerdings abgegangen und ausgeführt, dass dann, wenn der Wegehalter (§ 1319a ABGB) gleichzeitig als Besitzer einer im Zuge des Weges bestehenden Anlage im Sinne des § 1319 ABGB zu werten sei, § 1319a ABGB als Spezialnorm § 1319 ABGB verdränge. Ob dies auch dann der Fall sei, wenn der Wegehalter ein eigenes Interesse an einem im Zuge des Weges befindlichen Objekt habe, blieb dahingestellt. In der Folge hat der erkennende Senat in der Entscheidung 2 Ob 357/97g (= JBl 1998, 715 [Koziol] = ZVR 1999/60) dargelegt, dass sich die Bestimmung des § 1319a ABGB durch die Interressenneutralität des Halters begründen lasse; ihre ratio sei es, den Halter, der Wege zur Verfügung stelle und die Möglichkeit zu ihrer Benutzung schaffe, dafür dem Benutzer nicht mit aller Strenge haften zu lassen (s hiezu Posch, Marginalien zur Wegehaftung, JBl 1977, 281 [292]; Koziol, JBl 1998, 716 [Entscheidungsbesprechung]). Auch im vorliegenden Fall liegt keine Interessenneutralität vor, sondern hat die beklagte Partei ein vorzügliches Interesse an der Existenz des Werkes (Brückenwaage), da sie es ist, die hievon profitiert. Es ist daher - obwohl auch § 1319a ABGB anzuwenden wäre - zu prüfen, ob sich nicht die Haftung der beklagten Partei aus § 1319 ABGB ergibt.
Unter einem Werk im Sinne dieser Bestimmung ist jeder künstliche Aufbau, aber auch jede künstliche Bodenvertiefung oder willkürliche Gestaltung der natürlichen Boden- und Geländebeschaffenheit zu verstehen (Reischauer in Rummelý, ABGB, § 1319 Rz 3; ecolex 1997, 842 = ZVR 1997/147; ZVR 1999/23). Es ist daher auch eine Brückenwaage ein Werk im Sinne dieser Gesetzesstelle.
Sowohl der Begriff des Werkes als auch das Haftungserfordernis der Herbeiführung des Schadens durch "Einsturz oder Ablösung von Teilen" sind ausdehnend auszulegen (SZ 53/143). Nach ständiger Rechtsprechung hat der Besitzer eines Werkes für alle Gefahren zu haften, die aus dessen Höhe oder Tiefe erfolgen (SZ 53/143; EvBl 1994/8; 2 Ob 63/93; 2 Ob 19/95), wenn die Schäden Folge der mangelhaften Beschaffenheit des Werkes sind.
Die hier zu beurteilende Brückenwaage ist zwar nicht als solche aber insofern "mangelhaft", als von einer solchen Anlage, die sich auf einer asphaltierten Straße, die mit Fahrräder befahren werden darf, befindet, vorausgesetzt werden kann, dass sie nicht so beschaffen ist, dass es zu schweren Stürzen der Radfahrer kommen kann. Dass ein parallel zur Fahrtrichtung verlaufender Schlitz für jeden Radfahrer eine eminente Gefahr darstellt, kann wohl nicht bezweifelt werden. Die vom Werk ausgehende Gefahr, die zum Unfall des Klägers führte, ist auch auf dessen Tiefe zurückzuführen. Wie sich nämlich aus den angeschlossenen Kopien der Fotografien ergibt, weist der Spalt, in den das Rad des Klägers geriet, eine erhebliche Tiefe auf (vgl 2 Ob 19/95). Diese erhöhte Gefährlichkeit rechtfertigt die in § 1319 ABGB angeordnete Verschärfung der Haftung durch Umkehr der Beweislast (vgl Koziol, JBl 1998, 717).
Besitzer im Sinne des § 1319 ABGB ist derjenige, der in der Lage ist, durch die erforderlichen Vorkehrungen die Gefahr rechtzeitig abzuwenden und hiefür auch durch eine Beziehung zu dem Gebäude oder Werk verpflichtet wäre. Die strenge Haftung soll denjenigen treffen, der die Vorteile aus der Sache zieht und der über ihren Gebrauch disponieren kann, also den Halter (4 Ob 2163/96h mwN). Im vorliegenden Fall ist die beklagte Partei sowohl Halter der Straße als auch der Brückenwaage; nach ihrem eigenen Vorbringen lässt sie deren Instandhaltung durchführen. Den ihr obliegenden Nachweis, die erforderlichen Schutzvorkehrungen getroffen zu haben, hat die beklagte Partei nicht erbracht. Selbst wenn sie die Nebenintervenientin mit der Wartung der Waage beauftragte, hätte sie selbst dafür sorgen müssen, dass eine entsprechende Sicherung des Spaltes erfolgt.
Es war daher den Rekursen der beklagten Partei und der Nebenintervenientin nicht Folge zu geben.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
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