OGH 2Ob27/17k

OGH2Ob27/17k14.12.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin Hon.‑Prof. Dr. Lovrek als Vorsitzende, die Hofräte Dr. Veith und Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé sowie den Hofrat Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** Z*****, vertreten durch Dr. Karl Claus & Mag. Dieter Berthold Rechtsanwaltspartnerschaft KEG in Mistelbach, gegen die beklagte Partei Verlassenschaft nach dem am ***** 2015 verstorbenen J***** F*****, vertreten durch J***** F*****, dieser vertreten durch Dr. Leopold Boyer, Rechtsanwalt in Zistersdorf, wegen 132.777,29 EUR sA, im Verfahren über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 16. Dezember 2016, GZ 13 R 205/16m‑13, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom 16. September 2016, GZ 10 Cg 48/16t‑9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0020OB00027.17K.1214.000

 

Spruch:

Der Akt wird dem Erstgericht zur Vornahme eines Sanierungsversuchs nach § 6 Abs 2 ZPO zurückgestellt.

 

Begründung:

Gegenstand des Rechtsstreits ist eine Pflichtteilsklage, die die Vorinstanzen aufgrund des Vorbringens der Klägerin ohne Feststellung eines Sachverhalts wegen Unschlüssigkeit abgewiesen haben.

Als unstrittig kann vorausgesetzt werden, dass der am ***** 2015 verstorbene Erblasser drei Kinder hatte, nämlich die Klägerin und J***** F***** sowie deren Schwester M***** G*****. Die Mutter der Kinder ist vorverstorben. Der Erblasser hinterließ ein Testament vom 1. 3. 2012, in welchem er seine Kinder zu gleichen Teilen zu Erben bestimmte. Im noch anhängigen Verlassenschaftsverfahren gaben die drei Erben die unbedingte Erbantrittserklärung ab.

Die Pflichtteilsklage der Klägerin richtet sich gegen die Verlassenschaft „vertreten durch J***** F*****“. An diesen wurde die Klage auch zugestellt. In der Klagebeantwortung und im Zuge des weiteren Verfahrens berief sich der für die beklagte Partei einschreitende Rechtsanwalt auf die (alleinige) Befugnis des genannten Miterben zur Vertretung der Verlassenschaft.

In erster Instanz wurde die Frage der Vertretungsbefugnis des Miterben nicht erörtert. Die Klägerin machte in ihrer Berufung ua Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 5 ZPO geltend. Sie begründete dies damit, dass der als Beklagtenvertreter einschreitende Rechtsanwalt nur mit einer Vollmacht des Miterben ausgestattet sei, weshalb er ohne Vollmacht der Verlassenschaft gehandelt habe.

Das Berufungsgericht wies die Nichtigkeitsberufung zurück. Es stützte sich auf jene Rechtsprechung, wonach der Gegner der durch die erwähnte Bestimmung geschützten Partei den Nichtigkeitsgrund nicht geltend machen könne (RIS‑Justiz RS0041988, RS0041952). Ob die beklagte Verlassenschaft im bisherigen Verfahren gehörig vertreten war, ließ es hingegen ungeprüft.

Rechtliche Beurteilung

Das Erstgericht legte die außerordentliche Revision der Klägerin dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung vor. Über dieses Rechtsmittel kann derzeit noch nicht entschieden werden:

1. Gemäß § 810 Abs 1 ABGB idF FamErbRÄG 2004 kommt dem erbantrittserklärten Erben das Recht auf die Benützung, Verwaltung und Vertretung der Verlassenschaft ex lege zu, solange das Verlassenschaftsgericht nichts anderes anordnet. Mehrere Erben üben das Recht gemeinsam aus, soweit sie nichts anderes vereinbaren.

2. Schon nach der früheren Rechtslage vertraten mehrere Miterben den ruhenden Nachlass gemeinsam, sofern nicht das Verlassenschaftsgericht einem von ihnen die Besorgung und Verwaltung des Nachlasses übertragen hatte. Der Nachlass konnte nur zu Handen aller erbserklärten Erben geklagt werden. Brachte einer der Miterben selbst eine Klage gegen den Nachlass ein, so waren alle übrigen Miterben berechtigt, den Nachlass allein (dh ohne den klagenden Miterben) zu vertreten (vgl 1 Ob 192/51 SZ 24/80; 3 Ob 484/53 SZ 26/230; 7 Ob 246/04h; RIS‑Justiz RS0012285, RS0013041).

3. Insoweit hat sich die Rechtslage auch nach dem Inkrafttreten des § 810 ABGB idF FamErbRÄG 2004 nicht geändert, sodass sie weiterhin zu gelten hat (vgl Nunner‑Krautgasser in Fasching/Konecny³ II/1 § 4 ZPO Rz 19). Somit hätte die Klage nicht nur an den Miterben J***** F*****, sondern auch an die Miterbin M***** G***** zugestellt werden müssen. Denn diesen beiden Miterben kommt im Rechtsstreit über die Pflichtteilsklage der weiteren Miterbin nur gemeinsam die gesetzliche Vertretung der prozessunfähigen beklagten Verlassenschaft zu, wobei sie gemeinschaftlich, dh einvernehmlich (vgl 6 Ob 10/14k; RIS‑Justiz RS0123139) vorzugehen haben.

4. Sind sich die zur gemeinsamen Vertretung berufenen Miterben über die Art der Vertretung oder einzelne Vertretungshandlungen nicht einig, liegt ein Fall des § 173 Abs 1 AußStrG vor, in welchem das Verlassenschaftsgericht „erforderlichenfalls“ einen Verlassenschaftskurator zur Vertretung der Verlassenschaft zu bestellen hat. An der „Erforderlichkeit“ wäre im vorliegenden Fall nicht zu zweifeln. Stehen Vertretungshandlungen im Zusammenhang mit der Verlassenschaft an, so sind schon aus Gründen der Rechtssicherheit klare Vertretungsverhältnisse zu schaffen (2 Ob 243/07k; RIS‑Justiz RS0123140).

5. Der für die Verlassenschaft einschreitende Rechtsanwalt leitet seine Vollmacht nur von einem der beiden zur gemeinsamen Vertretung berufenen Miterben her. Der Mangel der gesetzlichen Vertretung der Verlassenschaft begründet den Mangel auch seiner Vertretungsmacht. Damit ist der Nichtigkeitsgrund nach § 477 Abs 1 Z 5 ZPO verwirklicht (vgl Fucik in Rechberger, ZPO4 § 37 Rz 1).

6. Der Mangel der gesetzlichen Vertretung ist gemäß § 6 Abs 1 ZPO in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen. Der Vertretungsmangel führt aber nicht sofort zur Nichtigerklärung des Verfahrens. Das Gericht hat vielmehr alles Erforderliche vorzukehren, damit der Mangel beseitigt werden kann (§ 6 Abs 2 ZPO).

Das aktenkundige Vorhandensein einer dritten erbantrittserklärten Miterbin hätte daher schon das Berufungsgericht zur amtswegigen Wahrnehmung des Vertretungsmangels und zu einem Sanierungsversuch veranlassen müssen (RIS‑Justiz RS0035456, RS0118610, RS0118612). Dies ist nun durch den Obersten Gerichtshof aus Anlass des an ihn gerichteten Rechtsmittels nachzuholen.

7. Dem steht nicht entgegen, dass das Berufungsgericht die auf § 477 Abs 1 Z 5 ZPO gestützte Nichtigkeitsberufung der Klägerin zurückgewiesen hat. Zwar kann nach ständiger Rechtsprechung eine vom Berufungsgericht verneinte Nichtigkeit in dritter Instanz nicht mehr wahrgenommen werden (RIS‑Justiz RS0042981 uva). Dies setzt allerdings die inhaltliche Prüfung des Nichtigkeitsgrundes durch das Berufungsgericht voraus, die im vorliegenden Fall nicht stattgefunden hat.

8. Aus den angeführten Gründen ist der Akt vorerst an das Erstgericht zurückzustellen. Folgende Vorgangsweise ist geboten:

8.1 Das Erstgericht wird zunächst den für die Verlassenschaft einschreitenden Rechtsanwalt aufzufordern haben, binnen einer zu setzenden Frist zu erklären, ob die in das Verfahren noch nicht einbezogene Miterbin M***** G***** die bisherige Verfahrensführung genehmigt und ob sie ihm für das weitere Verfahren ebenfalls Vollmacht erteilt. Sollte dies zutreffen, wäre der Akt dem Obersten Gerichtshof wieder vorzulegen.

8.2 Sollte aber die Miterbin die Genehmigung – oder überhaupt eine Äußerung – verweigern, wird das Erstgericht infolge Vorliegens der Voraussetzungen des § 173 Abs 1 AußStrG für die Bestellung eines Verlassenschaftskurators durch das Verlassenschaftsgericht zu sorgen haben. Nach Rechtskraft des Bestellungsbeschlusses wäre auch dem Verlassenschaftskurator die Erklärung abzuverlangen, ob er die bisherige Verfahrensführung durch den einschreitenden Rechtsanwalt genehmigt und ob er ihm für das weitere Verfahren Vollmacht erteilt oder ob er selbst vertritt. Erst nach Vorliegen dieser Erklärungen wäre der Akt dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung über das Rechtsmittel wieder vorzulegen.

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