OGH 2Ob26/08z

OGH2Ob26/08z14.2.2008

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Baumann als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Danzl, Dr. Veith, Dr. Grohmann und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Maria W*****, vertreten durch Dr. Robert Fuchs, Rechtsanwalt in St. Valentin, gegen die beklagte Partei U*****, vertreten durch Dr. Hans Kaska und Dr. Christian Hirtzberger, Rechtsanwälte in St. Pölten, wegen 8.930 EUR sA und Rente, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 11. Oktober 2007, GZ 12 R 73/07d-22, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Zwischenurteil des Landesgerichts St. Pölten vom 8. Jänner 2007, GZ 24 Cg 36/06a-17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Antrag der Klägerin auf Ersatz der Kosten ihrer Revisionsbeantwortung wird abgewiesen.

Text

Begründung

Am 12. 8. 2000 ereignete sich auf einer Landesstraße in Niederösterreich ein Verkehrsunfall, an welchem Josef Ü***** als Lenker eines Pkw sowie Franz K***** als Lenker einer bei der Beklagten haftpflichtversicherten landwirtschaftlichen Zugmaschine (Traktor mit Frontlader) beteiligt waren; der im Pkw mitfahrende Ehegatte der Klägerin wurde hiebei ebenso wie der Pkw-Lenker getötet. Der Traktorlenker war von einer geschotterten Zufahrtsstraße nach links in die Landesstraße, auf welcher im Unfallbereich eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 70 km/h bestand, eingefahren, als sich - aus Sicht des Traktorlenkers - von links der Pkw mit einer Geschwindigkeit von mindestens 90 km/h näherte. Trotz Notbremsung konnte der Pkw-Lenker eine Kollision nicht verhindern; aus einer unter 85 km/h gelegenen Fahrgeschwindigkeit hätte er kollisionsfrei anhalten können. Im Zuge der Kollision drangen die Arme des Frontladers durch die Windschutzscheibe des Pkw´s ein, wodurch die tödlichen Verletzungen beider Insassen hervorgerufen wurden. Der Traktorlenker und Versicherungsnehmer der beklagten Partei wurde vom Strafgericht vom Vorwurf des Vergehens der fahrlässigen Tötung nach § 80 StGB freigesprochen.

Der Traktorfahrer hatte vor der Kreuzung angehalten und sich überzeugt, dass kein Querverkehr herrscht. Nachdem er sich von der Verkehrsfreiheit überzeugt hatte, fuhr er los. Die Gesamtfahrzeit im Zuge des Einbiegevorgangs bis zur Kollision betrug nicht weniger als vier Sekunden. Bereits 3,5 Sekunden vor dem Zusammenstoß war allerdings der Pkw in den Sichtbereich des Traktorlenkers gelangt und spätestens drei Sekunden vor der Kollision erkennbar, dass sich der Pkw mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit nähert. Hätte der Traktorlenker innerhalb einer ihm zuzubilligenden Reaktionszeit von 0,8 Sekunden ab Erkennbarkeit, dass sich der Pkw mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit näherte, somit 2,2 Sekunden vor dem Kontakt diesen Umstand erkannt und daraufhin seinerseits eine Notbremsung eingeleitet, so wäre der Unfall vermieden worden; dies auch dann, wenn er erst 2,1 Sekunden vor der Kollision die Gefahr erkannt hätte. Tatsächlich hat er die Gefahr erst 1,4 Sekunden danach, also 1,6 Sekunden vor der Kollision erkannt. Unter Berücksichtigung der ihm zuzubilligenden Reaktionszeit von 0,8 Sekunden ab Erkennbarkeit der Gefahr ergibt sich eine Reaktionsverspätung von 0,6 Sekunden.

Mit der am 14. 4. 2006 eingebrachten Klage begehrt die Klägerin an Ersatz für im Zusammenhang mit der Fertigstellung eines Hausbaues entgangene Leistungen ihres beim Unfall als Beifahrer im Pkw getöteten Ehegatten die Verurteilung der beklagten Partei zur Zahlung von insgesamt 8.930 EUR sA sowie die Zahlung eines monatlichen Unterhaltsbetrags von 400 EUR ab 1. 9. 2000.

Die beklagte Partei bestritt das Klagebegehren dem Grunde und der Höhe nach.

Das Erstgericht schränkte das Verfahren auf den Grund des Anspruchs ein und sprach mit Zwischenurteil aus, dass sowohl das Zahlungsbegehren als auch das Rentenbegehren dem Grunde nach zu Recht bestünden. Es ging in rechtlicher Hinsicht von einem Mitverschulden des Traktorlenkers zu einem Viertel aus. Es sei ihm vorzuwerfen, dass er die Kollisionsgefahr erst zu einem Zeitpunkt erkannt habe, als ein rechtzeitiges Abbremsen und somit eine Unfallvermeidung nicht mehr möglich gewesen sei. Dies begründe einen unfallkausalen erheblichen Aufmerksamkeitsfehler. Zufolge Solidarhaftung beider Lenker gegenüber dem getöteten Beifahrer sei dem Klagebegehren dem Grunde nach zur Gänze stattzugeben.

Das Berufungsgericht gab der lediglich wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der beklagten Partei nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Auch wenn die objektiv als gering zu beurteilende Reaktionsverspätung gegenüber der vom Pkw-Lenker eingehaltenen absolut überhöhten Fahrgeschwindigkeit von mindestens 90 km/h (anstatt erlaubter 70 km/h) verschuldensmäßig nicht ins Gewicht falle, sodass vom Alleinverschulden des Pkw-Lenkers am Unfall auszugehen sei, bestehe das Klagebegehren dennoch im Sinne des gefällten Zwischenurteils dem Grunde nach zu Recht, da für die Ansprüche der Klägerin gegenüber der Beklagten als Haftpflichtversicherer des Traktors die Gefährdungshaftung nach dem EKHG zum Tragen komme. Sowohl das Klagebegehren an Ersatz für entgangene Leistungen im Zusammenhang mit dem Hausbau als auch das Unterhaltsrentenbegehren fänden in § 12 Abs 2 EKHG Deckung. Die ordentliche Revision wurde für zulässig erklärt, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob die Witwe des bei einem Verkehrsunfall Getöteten nach § 12 Abs 2 EKHG Anspruch auf Ersatz von zur Fertigstellung des gemeinsamen Einfamilienhauses erforderlichen Aufwendungen habe, die - hätte sich der Unfall nicht ereignet, nicht entstanden wären, weil ihr Ehegatte die Fertigstellungsarbeiten selbst durchgeführt hätte - (soweit überblickbar) nicht vorliege.

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, die bekämpfte Entscheidung im Sinne einer Klageabweisung abzuändern.

Die klagende Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, dem gegnerischen Rechtsmittel nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage gemäß § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

In der Revision werden zwei Rechtsbereiche releviert:

a) Einerseits lasse die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erkennen, „warum es überhaupt zu einer Haftung der Beklagten nach den Vorschriften des EKHG kommt"; bei richtiger Rechtsansicht treffe diese weder eine Verschuldens- noch eine Gefährdungshaftung, weil ihr der Entlastungsbeweis nach § 9 EKHG gelungen und auch kein Zurechnungsgrund für eine außergewöhnliche Betriebsgefahr gegeben sei.

b) Andererseits sei die Haftung nach § 12 Abs 2 EKHG gegenüber § 1327 ABGB betraglich auf den gesetzlichen Unterhaltsanspruch beschränkt, sodass ein Ersatzanspruch hinsichtlich der Fertigstellungskosten des Einfamilienhauses nicht bestehe.

Hiezu ist Folgendes zu erwidern:

Zu a):

Die Rechtsmittelwerberin übersieht (und übergeht) den von den Vorinstanzen rechnerisch schlüssig ermittelten Umstand, dass ihr Versicherungsnehmer und Lenker des unfallbeteiligten Traktors um 0,6 Sekunden verspätet reagiert hat. Dass unter diesen Gegebenheiten dem Lenker und Halter (zumindest) der Entlastungsbeweis nach § 9 Abs 2 EKHG, der die äußerste nach den Umständen des Falls mögliche Sorgfalt erfordert (Danzl, EKHG8 § 9 E 62) und nicht erst in der Gefahrenlage einsetzt, sondern verlangt, dass von vornherein vermieden wird, in eine Lage zu kommen, aus der eine Gefahr entstehen kann (E 66 aaO), keineswegs gelungen ist, bedarf keiner weitergehenden Begründung. Sogar bei verspäteten Reaktionen im Sekundenbruchteilbereich ist nach der Rechtsprechung die für den Entlastungsbeweis erforderliche Sorgfalt nicht beachtet (2 Ob 44/06v, ZVR 2006/177 mwN) - um so mehr unter den vom Berufungsgericht zugrunde gelegten Prämissen. Ob hieraus nicht doch auch sogar eine verschuldensmäßige Haftung des Versicherungsnehmers der beklagten Partei ableitbar wäre, kann unerörtert bleiben, weil die Klägerin ihrerseits das nur auf Rechtsgrundlage des EKHG gefällte Urteil des Berufungsgerichts unbekämpft ließ.

Zu b):

Auch wenn das EKHG gegenüber dem § 1327 ABGB unterhaltsmäßig nur „Mindestansprüche" gewährt (2 Ob 281/02s = ZVR 2004/85; Danzl, aaO § 12 Anm 9 lit c mwN; Reischauer in Rummel, ABGB³ § 1327 Rz 22b), so steht doch einer Witwe - nach beiden Gesetzesstellen - als Entgang der Deckung ihres angemessenen (standesgemäßen) Wohnungsbedarfs auch ein (gesetzlicher Unterhalts-)Anspruch auf die Geld- und/oder Arbeitsleistungen ihres getöteten Ehegatten für den Eigenheimbau zu (RIS-Justiz RS0031579; Danzl, aaO § 12 E 75; Reischauer, aaO Rz 31; Harrer in Schwimann, ABGB³ § 1327 Rz 37; Danzl in KBB² § 1327 Rz 18), weil es sich hiebei um Naturalunterhaltsleistungen handelt, die im Fall der Vereitelung den hinterbliebenen Unterhaltsberechtigten als Entgang im Sinne des § 1327 ABGB, wie auch des § 12 Abs 2 EKHG zu ersetzen sind (8 Ob 92/87 = ZVR 1989/136; 6 Ob 203/00x = ZVR 2002/62). Von einem Fehlen an Rechtsprechung zu diesem Themenkomplex kann daher keine Rede sein.

Mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO und damit der gesetzlichen Voraussetzungen ist die Revision sohin zurückzuweisen. Gemäß § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO bedarf dies keiner weitergehenden Begründung.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 40, 50 ZPO. Die klagende Partei hat auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels in ihrer Revisionsbeantwortung nicht hingewiesen; sie ist deshalb nicht zu honorieren (RIS-Justiz RS0035962; RS0035979).

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