Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird aufgetragen, über den Antrag der Patientenanwältin vom 5.9.1996 in der Sache zu entscheiden.
Text
Begründung
Renate A***** wurde am 1.9.1996 vom Polizeiarzt in das Landesnervenkrankenhaus Graz eingewiesen. Sie wurde zunächst im Sinne des § 10 Abs 1 UbG vom stellvertretenden Abteilungsleiter untersucht. Nach der Aktenlage hat die Patientin angstbesessen getobt, um sich geschlagen und war nicht zu beruhigen. Als akute Selbst- und Fremdgefährdung sowie Gefahr im Verzug als gegeben angenommen wurde, wurde die Patientin fixiert und es wurden ihr Truoxal und Haldol verabreicht. Die Patientin wurde sechseinhalb Stunden später einer weiteren Untersuchung durch einen anderen Oberarzt unterzogen, dem es aber nicht gelang, mit der stark verlangsamten und sedierten Patientin ein geordnetes Gespräch zu führen.
Bei der Betroffenen lag zum Zeitpunkt der Einweisung eine anfänglich deutlich paranoide Symptomatik mit Angstzuständen vor, die in der Folge deutlich abklangen, weshalb das Erstgericht mit Beschluß vom 5.9.1996 die Unterbringung der Betroffenen für unzulässig erklärte.
Die Patientenanwältin stellte am 5.9.1996 den Antrag festzustellen, daß die Bewegungsbeschränkung und die zwangsweise Heilbehandlung der Betroffenen am 1.9.1996 unzulässig waren. Diese Maßnahmen hätten vor der zweiten ärztlichen Untersuchung und somit vor der Unterbringung nicht durchgeführt werden dürfen.
Mit Beschluß vom 12.9.1996 wies das Erstgericht den Antrag der Patientenanwältin zurück. Die gesetzten Zwangsmaßnahmen seien Akte unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt im Rahmen des Aufnahmevorganges und unterlägen der Beschwerde an den Unabhängigen Verwaltungssenat. Eine Prüfungskompetenz der Gerichte beziehe sich nur auf die Zulässigkeit der weiteren Unterbringung des Kranken und nicht auf die Frage, ob der Aufnahmevorgang selbst ordnungsgemäß gewesen sei. Der Antrag sei daher unzulässig.
Das Rekursgericht gab dem dagegen von der Patientenanwältin erhobenen Rekurs nicht Folge.
Die Unterbringung eines Patienten dürfe nur erfolgen, wenn nach übereinstimmenden, unabhängig voneinander erstellten ärztlichen Zeugnissen die Voraussetzungen der Unterbringung vorlägen. Die Aufnahmeuntersuchung stelle daher eine notwendige Voraussetzung für die Unterbringung dar. Das spezifische Vollzugsrecht der §§ 33 ff UbG komme aber erst zur Anwendung, wenn das Aufnahmeverfahren positiv abgeschlossen und der Betroffene untergebracht worden sei. Die Aufnahme im Sinne des § 10 Abs 1 UbG sei erst mit der zweiten gutachtlichen Stellungnahme abgeschlossen. Wenn sich die Notwendigkeit einer medizinischen Intervention bereits vorher ergebe, könne dieser Eingriff nur auf andere rechtliche Grundlagen, insbesondere auf § 8 Abs 3 Krankenanstaltengesetz, gestützt werden. Die Bestimmungen der §§ 33 ff UbG kämen dafür nicht in Betracht.
Das Rekursgericht sah den ordentlichen Revisionsrekurs als zulässig an, weil Rechtsprechung zur Frage der (analogen) Anwendbarkeit der Bestimmungen der §§ 33 ff UbG auf den Zeitraum von der Verbringung der Patientin in die Krankenanstalt bis zur erfolgten Aufnahme fehle.
Gegen diesen Beschluß des Rekursgerichtes richtet sich der Revisionsrekurs der Patientenanwältin mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß zu beheben und die Sache zur Sachentscheidung über ihren Antrag (gemeint offensichtlich: an das Erstgericht) zurückzuverweisen.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist berechtigt.
Die Rechtsansicht des Rekursgerichtes, die gerichtliche Überprüfung der Zulässigkeit der Unterbringung erstrecke sich nur auf den Zeitraum nach erfolgter "Aufnahme", während davor erforderliche Maßnahmen nach anderen gesetzlichen Bestimmungen zu beurteilen seien, läßt sich dem Gesetz nicht entnehmen.
In dem im Unterbringungsgesetz geregelten Verfahren hat das Gericht über die Zulässigkeit der Unterbringung eines psychisch Kranken in einer Sonderkrankenanstalt für Psychiatrie oder einer Abteilung für Psychiatrie zu entscheiden (SZ 67/87). Unterbringung im Sinne dieses Gesetzes liegt bereits dann vor, wenn eine Person in einem geschlossenen Bereich angehalten oder sonst Beschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen wird (§ 2 UbG). Der Verwaltungsgerichtshof hat dazu in der Entscheidung vom 28.1.1994 JBl 1994, 770 ausgesprochen, daß sie schon ab diesem Zeitpunkt im Sinne des § 1 Abs 1 UbG als in die Krankenanstalt "aufgenommen" anzusehen ist, und ausgeführt, daß dem § 10 Abs 1 zweiter Satz UbG, der von der Aufnahme nach Erstellung zweier ärztlicher Zeugnisse spreche nicht entgegenstehe. Da deren Erstellung unverzüglich zu erfolgen habe, stehe - bei gesetzmäßigen Vorgehen - der Beginn der mit der "Aufnahme" verbundenen Einschränkungen der Bewegungsfreiheit praktisch in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Einlieferung des Betroffenen in die Anstalt. Nur dieses Verständnis trage dem deklarierten Ziel des Unterbringungsgesetzes, die Persönlichkeitsrechte psychisch Kranker, die in eine Krankenanstalt aufgenommen werden, besonders zu schützen (§ 1 Abs 1 UbG), ausreichend Rechnung. Andernfalls hätte es eine Krankenanstalt in der Hand, mit der "Aufnahme" einer eingelieferten Person - trotz ihrer faktischen Anhaltung in der Anstalt - zuzuwarten und damit das Einsetzen des mit der Aufnahme bzw Unterbringung verbundenen besonderen gerichtlichen Rechtsschutzes (siehe insbesondere § 10 Abs 3, §§ 14, 19 Abs 1 UbG) hinauszuschieben.
Der Oberste Gerichtshof schließt sich diesen Ausführungen an. Demnach ist das Gericht auch berufen, die Zulässigkeit der Unterbringung bereits für die Zeit zwischen Einlieferung in die Krankenanstalt und dem Abschluß der fachärztlichen Untersuchungen zu prüfen (vgl 7 Ob 638/95).
Da somit die Vorinstanzen den Antrag der Patientenanwältin zu Unrecht als unzulässig angesehen haben, waren ihre Entscheidungen aufzuheben und dem Erstgericht war die Entscheidung in der Sache aufzutragen.
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