OGH 2Ob24/13p

OGH2Ob24/13p17.6.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. F***** M***** und 2. H***** H*****, vertreten durch die Poduschka Anwaltsgesellschaft mbH in Perg, gegen die beklagte Partei A***** AG (vormals C***** Privatbank AG), *****, vertreten durch die Jank Weiler Rechtsanwälte OG in Wien, und der Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei I***** AG, *****, vertreten durch die Dorda Brugger Jordis Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 28.077 EUR sA, über die Revision der klagenden Parteien (Revisionsinteresse 26.388,46 EUR sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 20. September 2012, GZ 3 R 52/12g‑31, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 6. April 2012, GZ 55 Cg 155/11x‑27, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das erstgerichtliche Urteil wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien binnen 14 Tagen die mit 5.721,18 EUR (darin enthalten 705,13 EUR USt und 1.490,40 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Kläger beauftragten die beklagte Bank im Zeitraum zwischen Februar 2006 und Oktober 2008 nach Beratung durch Mitarbeiter der A***** GmbH (in der Folge: A*****) ‑ einer wichtigen Vertriebspartnerin der Beklagten, die für den Depoteröffnungsantrag und den Kaufauftrag Formulare der Beklagten verwendete - mit dem Kauf von Aktien der Nebenintervenientin ‑ I***** AG ‑ (in der Folge: Aktien). Die Beklagte hatte dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen A***** das Informationsmaterial für Kunden zur Verfügung gestellt und Produktpräsentationen für deren Mitarbeiter vorgenommen. Die Kläger hatten keine Erfahrungen mit Aktien oder Anleihen. Die A*****-Berater präsentierten den Klägern die Aktien als solche, hinter denen Immobilien stünden, weshalb der Anleger im Gegensatz zu anderen Aktiengesellschaften etwas Handfestes habe. Sie erklärten auf Basis eines Gutachtens, dass das Investment mündelsicher sei, das Geld also nicht verloren gehen könne. Das Gutachten war von der Beklagten in Auftrag gegeben worden. Den Klägern wurde nicht gesagt, dass die Gelder der Anleger auch für andere Zwecke als Immobilienprojekte verwendet werden können. Insgesamt wurden ihnen die Aktien empfohlen, weil sie in den letzten Jahren sehr gute Erträge gebracht hätten, sehr sicher seien und Immobilien dahinter stünden. Den Klägern wurde nicht das Finanzprodukt „Aktie“ erläutert, sondern es wurden ihnen nur Immobilienprojekte der I***** geschildert. Hätten die Kläger gewusst, dass ein Großteil des eingesetzten Kapitals über Kursverluste an der Börse verloren gehen kann und dass das Kapital der I***** auch für andere Projekte als Immobilienprojekte verwendet werden kann, hätten sie die Aktien nicht erworben. Sie wollten eine sichere Investition tätigen und Geld für einen späteren Immobilienerwerb ansparen. In der zweiten Jahreshälfte 2007 fiel der Kurs der Aktien von rund 12 EUR auf etwa die Hälfte und im Folgejahr dann bis auf 0,50 EUR. Zwischen den Vorständen der Beklagten und jenen der I***** gab es bis 2008 personelle Verflechtungen. Herr P***** und Herr G***** waren Vorstände sowohl der Beklagten als auch der I*****. Weiters arbeitete Personal der Beklagten für die I*****, die kein eigenes Personal hatte. Die Beklagte stellte der I***** das Personal über entgeltliche Managementverträge zur Verfügung.

Die Kläger begehrten Zahlung von 41.877,08 EUR sA Zug um Zug gegen Rückstellung der I*****-Aktien sowie hilfsweise die Feststellung der Haftung der Beklagten für jeden ihnen aus den Aktienkaufverträgen entstehenden Schaden. Nach Zahlung durch die A***** schränkten sie das Begehren auf 28.077 EUR sA ein. Die Beklagte habe die I***** faktisch beherrscht. Es habe wirtschaftliche, organisatorische und personelle Verflechtungen gegeben. Die Beklagte habe aus Provisionen aus der Geschäftsbeziehung mit der I*****, aus Entgelten im Rahmen von Kapitalerhöhungen und aus Managementverträgen profitiert. Die Beklagte habe zahlreiche Aktienkäufe im substantiellen Ausmaß vorgenommen, wobei die Refinanzierung letztlich über die I***** erfolgt sei. Aufgrund der künstlichen Kursstützung seien die Kläger zum Eindruck gelangt, dass es sich um eine werthaltige und sichere Anlageform handle. Die der A***** von der Beklagten zur Verfügung gestellten Verkaufsunterlagen seien unrichtig gewesen. Die Beklagte habe die Kläger vorsätzlich getäuscht, jedenfalls aber einen Irrtum veranlasst. Darüber hinaus sei sie ihren Aufklärungspflichten nicht nachgekommen. Die Kläger stützten sich auch auf culpa in contrahendo.

Die Beklagte und die Nebenintervenientin wendeten ein, aufgrund der Vermittlung und Beratung durch ein Finanzdienstleistungsunternehmen sei die Beklagte nicht passiv legitimiert. Sie selbst habe keinerlei schadenersatz- oder irrtumsrelevante Handlungen oder Unterlassungen gesetzt. Die Verkaufsunterlagen seien richtig und vollständig gewesen. Es hätten sich allgemeine Marktrisiken verwirklicht, die der Beklagten nicht zugerechnet werden könnten. Die Kläger treffe ein Mitverschulden bzw eine Rettungspflicht, weil für sie erkennbar gewesen sei, dass es sich um eine risikobehaftete Geldanlage gehandelt habe. Die Klage sei verjährt. Die Verjährungsfrist habe ab dem Kaufdatum bzw spätestens dann zu laufen begonnen, als den Klägern aufgrund der Marktverhältnisse an der Börse bewusst sein habe müssen, keine sicheren Wertpapiere erworben zu haben. Der Schaden der Kläger sei bloß mittelbar (Reflexschaden). Den Klägern mangle es insoweit an der Aktivlegitimation.

Das Erstgericht gab dem Zahlungsbegehren im Umfang von 26.388,46 EUR sA statt und wies das Mehrbegehren rechtskräftig ab. Die irrtumsrechtliche Anfechtbarkeit sei zwar verjährt, mögliche Schadenersatzansprüche jedoch nicht. Die Kläger hätten ihr Geld sicher investieren wollen und nicht damit gerechnet, Aktien zu erwerben, deren Wert auf weniger als ein Drittel des Werts beim Kauf verfallen könnte. Weiters hätten sie Aktien eines Unternehmens erwerben wollen, das das Geld der Anleger vorwiegend oder ausschließlich für Investitionen in Immobilien verwende. Die fehlerhafte Beratung der A*****‑Mitarbeiter sei der Beklagten zuzurechnen. Den Zuspruch stützte das Erstgericht auf Schadenersatz wegen der Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten der Beklagten und auf den schuldhaft verursachten Irrtum, der durch das der Beklagten zurechenbare Wertpapierdienstleistungsunternehmen verursacht worden sei.

Das Berufungsgericht wies die Klage zur Gänze ab. Eine Aufklärungspflicht der Beklagten sei zu verneinen. Die A***** sei auch kein Verhandlungsgehilfe der Beklagten, der Schadenersatzanspruch somit insgesamt nicht berechtigt. Die Revision ließ das Berufungsgericht nachträglich zu, weil die zweitinstanzliche Rechtsprechung zur Frage der Zurechnung des Anlageberaters zu der den Wertpapierkauf abschließenden Bank nicht einheitlich sei und höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage der Zurechnung in der konkreten, eine Vielzahl gleich gelagerter Fälle treffenden Konstellation nicht vorliege.

Die Kläger beantragen in ihrer Revision die Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils, in eventu die Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen; die Beklagte und die Nebenintervenientin beantragen in ihren Revisionsbeantwortungen, die Revision zurückzuweisen bzw ihr nicht Folge zu geben.

Die Revisionswerber machen geltend, das Rechtsmittelgericht habe die materiellrechtliche Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung nach allen Richtungen zu prüfen. Dies sei hier nicht erfolgt, weil die Kläger ihre Ansprüche auch auf vorsätzliche Täuschung und weitere Rechtsgründe (wie etwa gemeinsamen Irrtum, Wegfall der Geschäftsgrundlage, Schadenersatz aufgrund von culpa in contrahendo, Verletzung von Schutzgesetzen) sowie auf andere anspruchsbegründende Sachverhalte gestützt hätten. Entsprechende Feststellungen seien vom Erstgericht nicht getroffen worden. Das Berufungsgericht habe nur darüber abgesprochen, dass die Beklagte neben der A***** keine weitere Aufklärungspflicht getroffen und sie auch nicht für die fehlerhafte Beratung durch die A***** einzustehen habe. Darüber hinaus weiche das Berufungsgericht auch von der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs hinsichtlich der Interessenwahrungs- und Aufklärungspflicht der Depotbank im Falle konkreter Anhaltspunkte, dass das kundennähere Unternehmen seinen vertraglichen Aufklärungs- und Beratungspflichten nicht nachgekommen wäre, ab. Die Beklagte hätte insbesondere über die bestehenden Interessenkollisionen (zB personelle Verflechtungen) und andere Umstände der Veranlagung, von welchen sie annehmen habe müssen, dass sie den Klägern unbekannt gewesen seien, aufklären müssen, zumal sie ganz konkrete Anhaltspunkte dafür gehabt habe, dass das kundennähere Unternehmen (A*****) seinen Pflichten nicht nachkomme und die Kläger über die genannten Umstände nicht oder nur mangelhaft aufgeklärt worden seien. Die A*****-Berater seien der Beklagten zurechenbar gewesen, zumal die Beklagte nicht nur Depotbank, sondern auch Kommissionärin, Emissionsbank und Verkäuferin der Aktien gewesen sei, es starke personelle und wirtschaftliche Verflechtungen zwischen der Beklagten und der I***** gegeben habe, die A***** für die Beklagte ein wichtiger Vertriebspartner gewesen sei, der für den Aktienkauf und die Depoteröffnung Informationsmaterial und Formulare der Beklagten verwendet habe, im Verkaufsprospekt überwiegend nur auf Chancen jedoch nicht auf die Risiken hingewiesen worden sei und die A*****-Berater in Präsentationen der Beklagten von der Aktie erfahren hätten, wobei diese dort so präsentiert worden seien, als stünden Immobilien hinter dieser „Immobilienaktie“.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und berechtigt.

1. In der Entscheidung 1 Ob 48/12h mwN (vgl auch 4 Ob 50/11y, 10 Ob 69/11m) wurde ausgesprochen, dass ungeachtet der sich aus § 27 WAG 2007 ergebenden Einschränkungen der Order ausführende Rechtsträger dem Kunden dann zur Aufklärung verpflichtet ist, wenn er konkrete Anhaltspunkte dafür hat oder sogar weiß, dass der kundennähere Wertpapierdienstleister seinen Pflichten nicht nachgekommen ist.

2. In 4 Ob 129/12t (= RIS-Justiz RS0128476) heißt es: „Wird ein Vermögensberater von einem anderen Wertpapierdienstleister ständig mit der Vermittlung von bestimmten Anlageprodukten betraut, so entsteht dadurch ein wirtschaftliches Naheverhältnis, das es ‑ ungeachtet einer eigenen vertraglichen Verpflichtung des Beraters gegenüber dem Kunden ‑ rechtfertigt, ein Verschulden des Beraters nach § 1313a ABGB der Bank zuzurechnen. ... Zwar kann eine Bank im Allgemeinen darauf vertrauen, dass ein vom Kunden beigezogener Berater den Kunden ausreichend berät, sodass sie insofern keine eigenen Pflichten treffen und ihr (daher) auch ein allfälliges Verschulden des Beraters nicht zuzurechnen ist. Das gilt aber nur dann, wenn sie … auf eine objektive Beratung vertrauen darf. Letzteres trifft nicht zu, wenn der Berater mit der Bank in einer ständigen Geschäftsbeziehung steht („Vertriebspartner“), sein wirtschaftlicher Erfolg somit (auch) vom Ausmaß der Vermittlung ihrer Produkte abhängt und daher sein Interesse an der Vermittlung der Verträge grundsätzlich mit jenem der Bank an deren Abschluss parallel läuft. Ist ein Berater derart in die Interessenverfolgung der Bank eingebunden, bleiben deren Beratungspflichten mangels legitimen Vertrauens auf eine objektive Beratung durch einen Dritten aufrecht. Damit ist der Berater der Bank aber nicht nur irrtumsrechtlich zuzurechnen, sondern die Bank haftet auch für Schäden aufgrund von dessen Verhalten bei der Vermittlung der Anlage“ (vgl auch 8 Ob 104/12w, ein Verfahren gegen die auch hier Beklagte).

3. Die eben zitierte Entscheidung 4 Ob 129/12t wurde in der Lehre kritisch aufgenommen: Rabl (in ÖBA 3013, 433) sieht (ausgehend von einem typischen Geschehensablauf) in der Zurechnung des Verhaltens des selbstständigen Anlageberaters zur Bank ua eine „gefährliche Erodierung des § 1313a ABGB“. Steinmair (Zur Haftung der ausführenden Bank für beigezogene WPDLU, ZFR 2013, 88) vermeint einen unauflösbaren Widerspruch zu 1 Ob 48/12h zu erkennen. S. Foglar-Deinhardstein (ÖJZ 2013, 319) verlangt als weiteres Tatbestandselement, dass die depotführende Bank das problematische Naheverhältnis zum selbstständigen Anlageberater „positiv kennt und missbräuchlich ausnützt“, um die gesetzlichen Haftungsregeln zu unterlaufen.

4. Im vorliegenden Fall wurde festgestellt, dass das beteiligte Wertpapierdienstleistungsunternehmen ein wichtiger Vertriebspartner der Beklagten ist, welcher für den Depoteröffnungsantrag und den Kaufauftrag Formulare der Beklagten verwendete, das Informationsmaterial für Kunden von der Beklagten zur Verfügung gestellt bekam, die auch Produktpräsentationen für seine Mitarbeiter abhielt und das Mündelsicherheitsgutachten in Auftrag gegeben hatte; weiters dass enge personelle Verflechtungen zwischen der Beklagten und der Emittentin der Wertpapiere bestehen und dass letztere das Personal von ersterer zur Verfügung gestellt bekam.

5. Im vorliegenden Fall stand somit die Verfolgung der eigenen Interessen der Beklagten im Vordergrund. Sie hatte aufgrund der engen Verflechtung mit der I***** ein eminentes Interesse an der Veräußerung der Aktien gerade dieser Emittentin. Dafür instrumentalisierte sie die Berater, denen sie die zur Fehlberatung führenden Unterlagen zur Verfügung stellte.

6. Bei dieser konkreten Fallgestaltung ist die Zurechnung der Wertpapierberater zur beklagten Bank also ‑ anders als bei dem der Entscheidung 4 Ob 129/12t zugrundeliegenden Sachverhalt; auf die zitierte Kritik muss daher nicht näher eingegangen werden ‑ nicht bloß auf die Vertriebspartnerschaft zwischen Bank und Wertpapierdienstleistungsunternehmen zu stützen. Die beklagte Bank konnte unter den hier gegebenen Umständen vielmehr nicht erwarten, dass die Aufklärung der Kunden durch die Wertpapierberater sachgerecht erfolge (1 Ob 48/12h ua).

Dies führt zu einer Haftung der Beklagten für die unzureichende Beratung der Kläger.

7. Das gegenständliche Investment wurde den Klägern von den Beratern (auf Basis des von der Beklagten beschafften Gutachtens) als mündelsichere Anlage dargestellt. Den Klägern ist durch diese Fehlberatung ein Schaden entstanden, der darin liegt, dass sie eine Anlage erwarben, die nicht der von ihnen gewünschten Risikoklasse entspricht (vgl P. Bydlinski, Haftung für fehlerhafte Anlageberatung: Schaden und Schadenersatz, ÖBA 2008, 159 [174]). Sie haben daher einen Anspruch auf Naturalrestitution, das heißt auf Rückzahlung des angelegten Betrags abzüglich inzwischen erzielter Erträge (Zinsen, Dividenden) Zug um Zug gegen Herausgabe des Finanzprodukts (vgl RIS-Justiz RS0120784 [T3]; RS0108267 [T5]).

8. Den Klägern als wertpapierrechtliche Laien musste das tatsächliche Risiko von vermeintlich sicheren „Immobilienaktien“ nicht bewusst sein. Ihnen ist daher kein Mitverschulden am entstandenen Schaden zuzuweisen.

9. Der Klagsanspruch besteht daher zu Recht. Der Revision der Kläger war somit Folge zu geben und die angefochtene Entscheidung im Sinne der Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils abzuändern.

Die Kostenentscheidung gründet auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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