OGH 2Ob24/02x

OGH2Ob24/02x30.10.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Franz W*****, vertreten durch Dr. Werner Leimer, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagten Parteien 1.) Theresia Maria N*****, und 2.) A***** Versicherungs-Aktiengesellschaft, *****, beide vertreten durch Dr. Wilfrid Raffaseder und Mag. Michael Raffaseder, Rechtsanwälte in Freistadt, wegen EUR 77.929,75 sA und Feststellung (Streitwert EUR 8.720,74), infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 5. November 2001, GZ 3 R 193/01z-31, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 9. Mai 2001, GZ 1 Cg 34/00s-23, in der Hauptsache bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision der beklagten Parteien wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird eine neuerliche Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten der Rechtsmittelverfahren sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Am 29. 10. 1998 ereignete sich gegen 17 Uhr im Ortsgebiet von P***** auf Höhe des Hauses Althauserstraße 6 ein Verkehrsunfall, an dem der Kläger als Fußgänger und die Erstbeklagte als Lenkerin und Halterin des damals bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversicherten PKWs Golf CL beteiligt waren. Zum Unfallszeitpunkt war die Fahrbahn nass; es herrschte Dämmerung und die Straßenbeleuchtung war eingeschaltet. Die Erstbeklagte fuhr von der Königswiesener Bundesstraße 124 Richtung G***** auf der Althauserstraße, die der Kläger überqueren wollte; dabei wurde er vom Fahrzeug der Erstbeklagten angefahren und schwer verletzt.

Der Kläger begehrt ausgehend vom Alleinverschulden der Erstbeklagten Zahlung von S 1,072.336,80 (S 1,000.000 Schmerzengeld und S 72.336,80 Ersatz für Sachschäden) sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Partei für seine künftigen unfallbedingten Schäden. Die Erstbeklagte habe bei Annäherung an die Unfallstelle eine überhöhte Geschwindigkeit von ca 60 km/h eingehalten und verspätet reagiert. Bei sofortiger Reaktion hätte der Unfall durch eine Geschwindigkeitsverminderung verhindert werden können. Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens und wendeten die Unfallschäden der Erstbeklagten von S 11.500 kompensando ein. Der damals dunkel gekleidete Kläger sei zwischen Fahrzeugen einer auf ihrem linken Fahrstreifen stehenden Kolonne hervorgetreten und habe die Fahrbahn ohne Beachtung des herannahenden PKWs überquert. Er hätte angesichts der wegen Regens und Dunkelheit ungünstigen Sichtverhältnisse die Fahrbahn erst betreten dürfen, wenn er dadurch andere Straßenbenützer nicht gefährdet. Den Kläger treffe das Alleinverschulden, während der Unfall für die Erstbeklagte trotz sofortiger Vollbremsung unvermeidbar gewesen sei und ein unabwendbares Ereignis dargestellt habe.

Das Erstgericht erkannte ausgehend vom Alleinverschulden der Erstbeklagten die Klageforderung zur Gänze als zu Recht, die Gegenforderung als nicht zu Recht bestehend und gab dem Klagebegehren zur Gänze statt und stellte die Haftung der beklagten Parteien - hinsichtlich der zweitbeklagten Partei beschränkt auf die Versicherungssumme aus dem Haftpflichtversicherungsvertrag - fest.

Es ging von nachstehenden Feststellungen aus:

Die Erstbeklagte hielt bei Annäherung an die spätere Unfallstelle bei eingeschaltetem Abblendlicht eine Geschwindigkeit zwischen 30 und 40 km/h sowie eine Fahrlinie etwa 50 bis 60 cm zum rechten Fahrbahnrand ein.

Der Kläger begann - wegen einer Gehbehinderung mit einem Stock - die Althauserstraße in Fahrtrichtung der Erstbeklagten von links nach rechts zu überqueren. Er ging dabei nicht zwischen einer Kolonne stehender Fahrzeuge durch; vielmehr war ihm das Überqueren von einem von links - entgegen der Fahrtrichtung der Erstbeklagten - herankommenden und zu diesem Zweck anhaltenden Fahrzeuglenker mittels Handzeichen ermöglicht worden. Er begann 5 sec vor der Kollision mit seinem Stock in vorsichtiger Gehweise die Fahrbahn im rechten Winkel zu überqueren, als die Erstbeklagte noch ca 56 m von seiner Querungslinie entfernt war. Als der Kläger nach rund 2,5 sec die Straßenmitte erreicht hatte, blickte er nach rechts, sah die Abblendlichter des damals noch ca 26 m entfernten PKWs der Erstbeklagten und setzte die Überquerung der Fahrbahn fort, weil er meinte, den gegenüberliegenden Gehsteig noch erreichen zu können. Nach einer (gesamten) Überquerungsstrecke von 5 m wurde er vom PKW der Erstbeklagten angefahren. Diese hatte den Kläger erst knapp nach den Überschreiten der Fahrbahnmitte wahrgenommen, als sie nur noch 2 bis 3 Fahrzeuglängen von seiner Querungslinie entfernt war. Durch die eingeleitete Vollbremsung erzielte sie eine Geschwindigkeitsreduktion um etwa 5 km/h auf 35 km/h, konnte aber die Kollision nicht vermeiden. Hätte die Erstbeklagte bereits beim Betreten der Fahrbahn durch den Kläger - also rund 5 sec vor der Kollision und zugleich noch ca 56 m von seiner Querungslinie entfernt - reagiert, hätte bei der Ausgangsgeschwindigkeit von ca 40 km/h durch eine durch bloßes Gaswegnehmen erreichbare Verzögerung von 1,4 m/sec² der Unfall vermieden werden können.

Durch den Unfall erlitt der Kläger eine 3 cm lange Rissquetschwunde in der rechten Scheitel - Schläfen - Region, eine Prellung der rechten Schulter bei vorbestehenden erheblichen degenerativen Veränderungen des Schulter- und Schultergelenks, einen Bruch des rechten Unterschenkels in Kniehöhe bei bereits vorhandenem künstlichen Kniegelenk.

Die Behandlung der Unfallfolgen erforderte mehrere stationäre Krankenhausaufenthalte und war mit schweren Komplikationen verbunden, insbesondere traten eine langdauernde Knocheninfektion und ein Pneumotorax auf, der eine länger dauernde künstliche Beatmung erforderte. Es bestehen weiterhin Unfallfolgen, die zusammen mit den Vorerkrankungen des Klägers zu seiner weitgehenden Pflegebedürftigkeit führen. Eine nachhaltige Mobilisierung des Klägers gelang nicht mehr. Es musste insbesondere ein schon vor dem Unfall implantiertes künstliches Gelenk entfernt werden. Das Knie wurde danach zunächst durch eine Gipsschale und dann einer Knieorthese stabilisiert. Wegen der starken Schmerzen im rechten Knie konnte der Kläger seither nur mit dem Rollstuhl fahren. Gehen mit Krücken ist wegen einer schmerzhaften Bewegungseinschränkung der rechten Schulter kaum möglich. Insgesamt kann der Kläger jetzt mit Stützkrücken in der Wohnung nur noch wenige Schritte gehen. Ansonsten ist der Kläger auf den Rollstuhl angewiesen. Spätfolgen im Sinne medizinischer Komplikationen sind nicht auszuschließen. Die Unfallfolgen führten - gerafft und unter Einschluss der überschaubaren Restbeschwerden - zu Schmerzen über folgende Zeiträume: sehr starke Schmerzen 2 bis 3 Tage, starke Schmerzen 6 bis 8 Wochen, mittelstarke Schmerzen 3,5 bis 4 Monate, leichte Schmerzen 6 bis 7 Monate.

Rechtlich vertrat das Erstgericht die Meinung, dem Kläger als Fußgänger sei deshalb keine Behinderung des Fahrzeugverkehrs im Sinne des § 76 Abs 5 StVO anzulasten, weil für die Erstbeklagte nur eine geringfügige Geschwindigkeitsreduktion zur Unfallvermeidung erforderlich gewesen wäre. Sie habe auf Grund ihres Aufmerksamkeitsfehlers das Alleinverschulden zu vertreten. Das Schmerzengeld sei in der geforderten Höhe auf Grund der Schmerzengeldsätze sowie der massiven Komplikationen bei der Behandlung der Unfallfolgen angemessen.

Das von den beklagten Parteien angerufene Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil in der Hauptsache und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Es erachtete die Tatsachen- und Beweisrüge der beklagten Partei als nicht begründet; ein Eingehen auf die Tatsachen- und Beweisrüge des Klägers in seiner Berufungsbeantwortung hielt es aus rechtlichen Gründen nicht für erforderlich.

Rechtlich erörterte das Berufungsgericht, nach § 76 Abs 4 StVO dürften Fußgänger an Stellen, wo der Verkehr weder durch Arm- noch durch Lichtzeichen geregelt werde, einen Schutzweg nicht unmittelbar vor einem herannahenden Fahrzeug und für dessen Lenker überraschend betreten und, wenn ein Schutzweg nicht vorhanden sei, erst dann auf die Fahrbahn treten, wenn sie sich vergewissert hätten, dass sie dabei andere Straßenbenützer nicht gefährden. Nach § 76 Abs 5 StVO hätten Fußgänger die Fahrbahn in angemessener Eile zu überqueren. Außerhalb von Schutzwegen sei der kürzeste Weg zu wählen; dabei dürfe der Fahrzeugverkehr nicht behindert werden. Der Grundsatz, dass eine geringfügige Verminderung der Geschwindigkeit einem vorrangberechtigten Fahrzeuglenker zumutbar sei, sei auch auf das Verhalten eines die Fahrbahn überquerenden Fußgängers anzuwenden, wobei dies sowohl für das eigentliche Überqueren der Fahrbahn als auch für das dem Überqueren vorangehende Betreten der Fahrbahn gelte. Von einer Behinderung der Fahrbahn könne dann nicht gesprochen werden, wenn es einem Lenker bei gehöriger Aufmerksamkeit leicht möglich sei, durch eine geringfügige und nicht unvermittelte Verlangsamung seines Fahrzeuges den Unfall zu vermeiden. Hätte die Erstbeklagte bereits beim Betreten der Fahrbahn durch den Kläger, als sie rund 56 m entfernt gewesen sei, auf ihn reagiert, hätte sie durch eine durch bloßes Gaswegnehmen erreichbare Verzögerung von 1,4m/sec² den Unfall vermeiden können. Der Kläger habe beim Betreten der Fahrbahn nicht gegen § 76 Abs 4 StVO verstoßen.

Es treffe zwar zu, dass sich nach der Rechtsprechung ein Fußgänger zumindest bei Überquerung einer breiteren Fahrbahn bei Erreichen der Straßenmitte in der Regel davon überzeugen müsse, ob sich von seiner rechten Seite ein Fahrzeug nähert, und dann stehen bleiben müsse, wenn ein Fahrzeug schon so nahe sei, dass er die Fahrbahn vor diesem nicht mehr gefahrlos überqueren werde können. Ob dem Kläger bei Erreichen der Fahrbahnmitte die Entfernung zum Beklagtenfahrzeug von noch ca 26 m bedenklich hätte erscheinen müssen, hänge davon ab, welche, insbesondere zeitliche, Verhinderungsmöglichkeiten der Erstbeklagten bei ihrer an sich relativ niedrigen Annäherungsgeschwindigkeit zur Verfügung gestanden wären. Dazu lägen keine ausreichenden Feststellungen vor. Ein sekundärer Verfahrensmangel liege aber nicht vor, weil dazu kein ausreichend konkretisiertes Vorbringen erstattet worden sei.

Der Kläger habe schließlich die Fahrbahn in angemessener Geschwindigkeit überquert, wenn man bedenke, dass er am Stock gegangen sei.

Das Schmerzengeld sei zwar nicht, wie vom Erstgericht offenbar angenommen, nach Tagessätzen zu bemessen, sondern stelle vielmehr eine Gesamtentschädigung dar, die vom Richter nach freier Überzeugung nach pflichtgemäßem Ermessen festzusetzen sei. Berücksichtige man, dass der Heilungsverlauf beim Kläger durchaus langwierig sowie komplikationsbehaftet gewesen sei und Schmerzen über beachtliche Zeiträume zu erleiden waren, sowie immer noch Unfallfolgen insbesondere in der Form bestünden, dass der bis zum Unfall gehfähige Kläger nunmehr weitgehend pflegebedürftig sei, weshalb er durch die daraus resultierende Abhängigkeit psychisch belastet sei, halte sich die Schmerzengeldausmittlung im Ermessensspielraum. Die ordentliche Revision sei mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage unzulässig.

Die beklagten Parteien machen in ihrer außerordentlichen Revision geltend, bereits in der Klagebeantwortung darauf hingewiesen zu haben, der Kläger habe den Verkehrsunfall alleine verursacht, weil er die Straße unvorsichtig und entgegen den einschlägigen Rechtsvorschriften überquert habe. Dieses Vorbringen enthalte auch den Vorwurf, der Kläger hätte bei Erreichen der Fahrbahnmitte den Verkehr nochmals beobachtet müssen.

Der Kläger beantragt in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, hilfsweise, ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht das Prozessvorbringen der beklagten Parteien in einer vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Meinung ausgelegt hat und im Sinne des Aufhebungsantrages berechtigt.

Die beklagten Parteien haben bereits in ihrer Klagebeantwortung darauf hingewiesen, dass an der Unfallstelle ein Schutzweg nicht vorhanden ist und der Kläger die Fahrbahn erst dann betreten hätte dürfen, wenn er sich davon überzeugt gehabt hätte, dass dies ohne Gefährdung anderer Straßenbenützer möglich sei. Dem Vorbringen ist daher zu entnehmen, dass dem Kläger eine Verletzung der Bestimmung des § 76 StVO insgesamt vorgeworfen wird, ohne diese - wie nunmehr in der Revisionsbeantwortung behauptet - auf die Verletzung des Abs 4 leg cit zu beschränken. Weiters wird in der Revisionsbeantwortung unzutreffend darauf hingewiesen, die Fahrbahn weise an der Unfallstelle lediglich eine (Gesamt-)Breite von 5 m auf. Aus der Gendarmerieanzeige (AS 35) samt Lichtbildern ergibt sich, dass die Fahrbahn 6,15 m breit ist; weiters, dass zum Unfallszeitpunkt (starker) Regen herrschte, die Fahrbahn nass, und die künstliche Beleuchtung bereits eingeschaltet war.

Zutreffend hat das Berufungsgericht zunächst auf die Bestimmung des § 76 Abs 4 lit b StVO verwiesen, wonach an Stellen, wo der Verkehr weder durch Arm- noch durch Lichtzeichen geregelt wird, Fußgänger, wenn ein Schutzweg nicht vorhanden ist, erst dann auf die Fahrbahn treten dürfen, wenn sie sich vergewissert haben, dass sie hiebei andere Straßenbenützer nicht gefährden; gemäß § 76 Abs 5 StVO dürfen Fußgänger beim Überqueren der Fahrbahn den Fahrzeugverkehr nicht behindern; außerhalb eines Schutzweges dürfen sie die Fahrbahn nur an Kreuzungen überqueren, es sei denn, dass die Verkehrslage ein sicheres Überqueren der Fahrbahn auch an anderen Stellen zweifellos zulässt (§ 76 Abs 6 StVO). Es entspricht daher ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, dass Fußgänger vor Betreten der Fahrbahn sorgfältig zu prüfen haben, ob sie diese noch vor Eintreffen eines herannahenden Fahrzeuges mit Sicherheit überqueren können (ZVR 1984/112; 2 Ob 29/85; 2 Ob 50/94 jeweils mwN). Ebenfalls ist richtig, dass der Grundsatz, eine geringfügige Verminderung der Geschwindigkeit sei dem vorrangberechtigten Kraftfahrer zuzumuten, ohne dass deshalb ein Verstoß gegen § 19 Abs 7 StVO vorliege, auch auf das Verhalten eines die Fahrbahn überquerenden Fußgängers anzuwenden ist (ZVR 1984/213 mwN; 2 Ob 50/94).

Da die Erstbeklagte zum Zeitpunkt, als der Kläger bei Dunkelheit und Regen die Fahrbahn betrat, noch 56 m entfernt war und sie den Unfall durch bloßes Gaswegnehmen verhindern hätte können, kann dem Kläger ein Verstoß gegen § 76 Abs 4 lit b StVO zu diesem Zeitpunkt nicht angelastet werden.

Es entspricht aber ebenfalls der ständigen Rechtsprechung, dass sich jeder Fußgänger beim Überqueren einer breiten Fahrbahn bei Erreichen ihrer Mitte vergewissern muss, ob sich nicht von seiner rechten Seite her ein Fahrzeug nähert und stehen bleiben muss, wenn ein Fahrzeug schon so nahe ist, dass er die Fahrbahn nicht mehr vor diesem gefahrlos überschreiten kann (ZVR 1990/160, 2 Ob 50/94; 2 Ob 2380/96f; RIS-Justiz RS0075656).

Dieser für "breite" Straßen ausgesprochene Grundsatz (2 Ob 2380/96f) ist aber dahin zu verallgemeinern, dass eine Verpflichtung zur Vergewisserung, ob die Überquerung bei Erreichen der Straßenmitte gefahrlos fortgesetzt werden kann, auch dann besteht, wenn wegen der altersbedingten verlangsamten Überquerungsgeschwindigkeit die Gefahr besteht, dass sich vorerst weiter entfernte Verkehrsteilnehmer zwischenzeitig der Überquerungslinie so weit genähert haben, dass die Überquerung nicht mehr gefahrlos fortgesetzt werden kann. Zwar darf jeder Fahrzeuglenker grundsätzlich darauf vertrauen, dass sich der Fußgänger bei Erreichen der Fahrbahnmitte von der Durchführbarkeit der weiteren Überquerung überzeugt, und muss daher nicht von vorneherein damit rechnen, dass der Fußgänger seine unaufmerksame Gehweise über die Fahrbahnmitte hinaus ohne jede Berücksichtigung des Verkehrs fortsetzen werde, doch hat im vorliegenden Fall die Erstbeklagte den Kläger erst knapp nach Überschreiten der Fahrbahnmitte in einer Entfernung von zwei bis drei Fahrzeuglängen wahrgenommen. Sie kann daher diesen oben formulierten Vertrauensgrundsatz sowie jenen des § 3 StVO wegen des Alters des Klägers und der Gehstockbenützung nicht in Anspruch nehmen. Sie wäre auch nach ständiger Rechtsprechung verpflichtet gewesen, die gesamte vor ihr liegende Fahrbahn einschließlich der beiden Fahrbahnränder und etwa anschließender Verkehrsflächen im Auge zu behalten (RIS-Justiz RS0074923). Bei pflichtgemäßer Beobachtung der gesamten Fahrbahn hätte sie auch den von links nach rechts gehenden Kläger wahrnehmen müssen.

Das Berufungsgericht hat Feststellungen darüber für entbehrlich gehalten, welche zeitliche Verhinderungsmöglichkeit der Erstbeklagten zur Verfügung gestanden wären, als der Kläger die Fahrbahnmitte erreicht hatte und das Beklagtenfahrzeug noch ca 26 m entfernt war. Diese Feststellungen sind aber erforderlich, um zu beurteilen können, ob der Klägers die Überquerung der Fahrbahn vor der 26 m entfernten Erstbeklagten fortsetzen konnte.

Das Erstgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren Feststellungen darüber zu treffen haben, welche zeitliche Verhinderungsmöglichkeiten der Erstbeklagte zur Verfügung standen, also der Kläger die Fahrbahnmitte erreichte.

Zum auch der Höhe nach bekämpften Schmerzengeldzuspruch ist auszuführen, dass das Schmerzengeld grundsätzlich vom Richter nach freier Überzeugung (§ 273 ZPO) unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles für alles Ungemach, das der Verletzte bereits erduldet hat und voraussichtlich noch zu erdulden haben wird, global, also als Gesamtentschädigung, festzusetzen ist. Der Schmerzengeldanspruch ist nach Art, Dauer, Intensität der Schmerzen nicht in festen Tagessätzen, sondern als Globalsumme unter Berücksichtigung des Gesamtbildes der physischen und psychischen Schmerzen auszumitteln (2 Ob 296/02h; Danzl/Gutiérrez-Lobos/Müller. Schmerzengeld8 , 87f).

Bei der Bemessung des Schmerzengeldes ist einerseits auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen, andererseits zur Vermeidung einer völligen Ungleichmäßigkeit ein objektiver Maßstab anzulegen. Es darf der von der Judikatur ganz allgemein gezogene Rahmen für die Bemessung im Einzelfall nicht gesprengt werden (RIS-Justiz RS0031075). Hier ist unter Berücksichtigung der schweren mit Schmerzen verbundenen Komplikationen und der Tatsache, dass er nunmehr durch den Unfall pflegebedürftig wurde und daher psychisch schwer belastet ist, ein Schmerzengeld von EUR 55.000 angemessen, was bei der künftigen Entscheidung zu beachten sein wird. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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