Spruch:
Hinlängliche Verwahrung von Rindern mittels elektrischen Weidezaunes
OGH 23. 11. 1972, 2 Ob 211/72 (LG Innsbruck 2 R 299/72; BG Rattenberg C 264/70 )
Text
Am 7. 6. 1970 gegen 22.30 Uhr brachen Kühe des Beklagten aus einer in der Nähe der Bundesstraße 1 gelegenen Weide aus, die durch einen Elektrozaun gesichert war, gerieten auf die Fahrbahn und beschädigten dort den bereits zum Stillstand gekommenen PKW des Klägers. Dieser begehrt den Ersatz seines der Höhe nach nicht strittigen Schadens von S 11.261.- sA.
Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, das Berufungsgericht gab ihm Folge.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision Folge und stellte in Abänderung des Berufungsurteils das Ersturteil wieder her.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Untergerichte sind von folgenden Feststellungen ausgegangen: Der Beklagte ließ auf einer Weide, die etwa 100 m von der Bundesstraße entfernt ist (dazwischen liegt eine Wiese), 23 Kühe und Kalbinnen weiden, und zwar auch über Nacht, ohne sie durch eine Aufsichtsperson zu hüten. Zum Zweck der Verwahrung hatte er einen rund 80 cm hohen elektrisch geladenen Weidezaun angebracht. Dieser war an sich völlig in Ordnung, ist ortsüblich und wird auch von der Landwirtschaftskammer und verschiedenen anderen amtlichen Stellen empfohlen. Eine 100%ige Sicherheit gegen das Ausbrechen von Tieren biete er jedoch nicht, weil er keinen mechanischen Schutz dagegen darstellt. Da aber Kühe auf elektrischen Strom sehr empfindlich reagieren, meiden sie nach kurzer Gewöhnungszeit im allgemeinen den stromführenden Draht des Weidezaunes. Die fraglichen Kühe waren schon an die vier Wochen auf der Weide, waren an den Draht und auch aneinander gewöhnt, hatten ausreichend Futter und litten nicht Durst. Es gab auch kein gegen elektrischen Strom immunes Tier in der Herde. Zur Unfallszeit brachen mehrere Tiere des Beklagten trotzdem aus nicht erklärbarer Ursache aus, indem sie den Draht durchrissen. Auf der Bundesstraße 1 fuhr dann ein PKW in die Herde und verschreckte diese. Die davonlaufenden Kühe beschädigten in der Folge den PKW des Klägers.
Der Beklagte versetzte seinen Weidezaun täglich ein wenig, so daß die Kühe immer neue Nahrung fanden. Er verwendet einen elektrischen Weidezaun mit Netzgerät der Marke Horizont. Dieses Gerät ist technisch geprüft, geeignet und durchaus üblich. Solche elektrische Zäune werden in dieser Gegend häufig verwendet. Es ist dabei auch üblich, daß die Tiere über Nacht auf der Weide bleiben. Die zusätzliche Verwendung einer Aufsichtsperson ist nicht üblich.
Das Erstgericht war der Ansicht, es könne dem Beklagten nicht zum Vorwurf gemacht werden, daß ein elektrischer Weidezaun keinen 100%igen und jedenfalls nicht einen so sicheren Schutz gegen das Ausbrechen der Tiere biete wie ein fester Zaun, zumal er auf die Empfehlung der zuständigen Stellen hinsichtlich der Verwendung elektrischer Weidezäune habe vertrauen dürfen. Die Verwendung einer zusätzlichen Aufsichtsperson über Nacht erscheine selbst angesichts des geringen Abstandes der Weide zur Bundesstraße 1 nicht zumutbar, weil der elektrische Zaun ohnehin genügend Schutz gegen gewöhnliche Ereignisse biete. Im Falle von außergewöhnlichen Einwirkungen auf eine Herde von der Größe der gegenständlichen könnte aber unter Umständen selbst eine Aufsichtsperson einen Schaden nicht mehr verhindern.
Das Berufungsgericht meint jedoch, vor allem bei einer größeren Herde und zur Nachtzeit könne ein schwacher Elektrozaun für sich allein, also ohne hinzukommenden Holz- oder Stacheldrahtzaun, der dem Ausbrechen der Tiere auch einen gewissen mechanischen Widerstand entgegensetze, nicht als hinreichende Verwahrung angesehen werden. Der Beklagte hätte sein Vieh nachts in den Stall geben oder von einem Hirten bewachen lassen müssen. Er hafte daher für den eingetretenen Schaden.
Der Revisionswerber weist darauf hin, daß er sich an die Empfehlungen seiner Standesorganisation, elektrische Weidezäune zu verwenden, gehalten habe, daß eine solche Verwahrung auch bei Nacht und ohne Aufsichtsperson ortsüblich sei und daß ihn daher kein Verschulden treffe.
In der bisherigen Rechtsprechung zu § 1320 ABGB wurde stets betont, daß den Tierhalter keine Erfolgshaftung, sondern eine Verschuldenshaftung mit umgekehrter Beweislast treffe. Die Verwahrung von Tieren in der Nähe einer stark befahrenen Straße müsse zwar besonders sorgfältig erfolgen, doch dürften die Anforderungen an den Halter nicht überspannt werden, weil ansonsten die Viehhaltung geradezu unmöglich gemacht würde. Es kann also nicht verlangt werden, daß der Tierhalter jede Möglichkeit einer Schadenszufügung durch sein Tier ausschließt (SZ 25/278 uva), sondern lediglich, daß er eine den Anforderungen des § 1297 ABGB entsprechende Vorsicht bei der Verwahrung anwendet (ZVR 1961/219 uva). Daß also der elektrische Weidezaun des Beklagten zwar eine praktisch befriedigende, nicht aber 100%ige Hütewirkung hatte, weil es immerhin nicht unmöglich war, daß Rinder aus außergewöhnlicher Veranlassung ausnahmsweise den Zaun durchbrachen, läßt die Verwahrung der Rinder mittels eines elektrischen Weidezaunes (auf dessen guten Wirkungsgrad schon in ZVR 1969/295, wie übrigens auch von Wussow in VersR 1970, 382, und in der Entscheidung des schweizerischen Bundesgerichtes vom 6. 3. 1951, BGE 77 II 44 f, hingewiesen wurde) als hinlänglich erscheinen. Da somit dem Beklagten der Beweis gelungen ist, daß er für die erforderliche Verwahrung gesorgt hatte, trifft ihn - wie schon das Erstgericht zutreffend erkannte - keine Haftung.
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