Spruch:
Ein funktionell als Organ des Bundes tätiger, nach dem ASVG unfallversicherter Landesbediensteter kann aus einem bei dieser Tätigkeit erlittenen Arbeitsunfall Schadenersatzansprüche gegen die Republik Österreich nur bei vorsätzlicher Herbeiführung des Unfalles geltend machen
OGH 8. 3. 1983, 2 Ob 209, 210/82 (OLG Innsbruck 2 R 82, 83/82; LG Feldkirch 3 Cg 1354/80)
Text
Am 19. 12. 1977 ereignete sich auf der Eisenbahnkreuzung Bahngasse nördlich von Lustenau ein Zusammenstoß zwischen dem Busfahrzeug "Ford-Transit" mit dem Kennzeichen V 61.019 (Halterin die Vorarlberger Landesregierung), gelenkt vom Zweitkläger Gottfried H, einerseits und dem Eisenbahnzug der Bahnlinie St. Margarethen-Bregenz mit der E-Lok Nr. 1670.920 der Österreichischen Bundesbahnen, geführt vom Erstbeklagten Heinrich O, andererseits. Der Erstkläger Fritz G war Mitfahrer in dem vom Zweitkläger gelenkten Kraftfahrzeug. Beide Kläger wurden schwer verletzt.
Wegen dieses Unfalles wurde der Zweitkläger vom Strafgericht rechtskräftig des Vergehens nach § 88 Abs. 1 und 4 StGB schuldig erkannt, weil er sich am 19. 12. 1977 als Lenker des Kleinbusses Ford-Transit im Hinblick auf die schlechten Witterungs- und Sichtverhältnisse (Nebel) vorschriftswidrig und unaufmerksam dem unbeschrankten, jedoch durch Andreaskreuz und Stoptafel gesicherten Bahnübergang genähert und ohne anzuhalten und ohne Gewißheit zu haben, daß ein gefahrloses Überqueren der Geleise möglich sei, die Eisenbahnkreuzung zu überqueren versucht habe, wodurch es zu einem Zusammenstoß mit einem herannahenden Lokomotivenzug gekommen sei, unter besonders gefährlichen Verhältnissen fahrlässig die schweren Körperverletzungen der Fahrzeuginsassen Johann H, Norbert G, Alfred G und Fritz G herbeigeführt habe.
Der Erstkläger forderte an Schadenersatz zuletzt 189 955 S sA, der Zweitkläger - unter Einräumung eines Mitverschuldens von 50% - 105 000 S sA; beide Kläger stellten auch Feststellungsbegehren. Die Kläger führten aus, zur Unfallszeit (Morgengrauen) habe starker Nebel geherrscht, die Sichtweite in Anfahrtsrichtung der Lok habe nur 50 bis 70 m betragen. Etwa 360 m vor dem Bahnübergang sei ein Pfeifpflock aufgestellt, der dem Lokführer gebiete, wiederholt Warnsignale zu geben. Trotz dieses Gebotes habe dies der Lokführer Heinrich O unterlassen, sodaß der Lenker Gottfried H des Ford-Transit nicht auf den Zug aufmerksam geworden sei. Heinrich O habe daher schuldhaft eine Schutzvorschrift verletzt, die den Zweck habe, Unfälle ähnlicher Art zu verhindern. Die Zweitbeklagte sei als Halterin der E-Lok passiv legitimiert.
Die Beklagten bestritten ihre Haftung gegenüber beiden Klägern dem Gründe nach zur Gänze. Der Unfall sei für die Zweitbeklagte Republik Österreich ein unabwendbares Ereignis gewesen, das ihre Haftung schon dem Gründe nach ausschließe. Das Alleinverschulden treffe den Zweitkläger, der grob gegen die Bestimmungen der Eisenbahn-Kreuzungsverordnung 1961 verstoßen habe. Beide Kläger seien zur Unfallszeit Landesbedienstete gewesen. Sie hätten beide einem Arbeitstrupp angehört, der den Auftrag gehabt habe, an der Leiblach in Hörbranz Rohrungsarbeiten zur Freihaltung des Gerinnes auszuführen. Bei der Leiblach handle es sich um ein Grenzgewässer nach § 6 Abs. 1 Wasserbautenförderungsgesetz, BGBl. Nr. 1948/34. Die Vollziehung des Wasserbautenförderungsgesetzes sei Bundessache. Nicht nur in Ansehung des Erstbeklagten, sondern auch hinsichtlich der beiden Kläger sei also die Zweitbeklagte Republik Österreich im Unfallszeitpunkt Dienstgeber gewesen, weshalb gemäß § 333 ASVG die Ansprüche beider Kläger gegen sie ausgeschlossen seien. Daß die Kläger in einem anderen Betrieb der Republik Österreich als der Erstbeklagte tätig gewesen seien, sei nicht streitentscheidend.
Die Kläger brachten dagegen noch vor, daß der Zweitkläger als Lenker des Ford- Transit im Zeitpunkt des Unfalles Teilnehmer am allgemeinen Verkehr mit einem Verkehrsmittel gewesen sei, für dessen Betrieb auf Grund gesetzlicher Vorschriften eine erhöhte Haftung bestanden habe. Daher komme schon aus diesem Gründe das Haftungsprivileg des Dienstgebers nach Arbeitsunfällen nicht in Betracht.
Das Erstgericht sprach dem Erstkläger 149 555 S zu und wies das Mehrbegehren von 40 000 S ab; dem Zweitkläger sprach es 70 000 S zu und wies das Mehrbegehren von 35 000 S ab; dem Feststellungsbegehren des Erstklägers wurde zur Gänze, jenem des Zweitklägers im Ausmaß von einem Drittel stattgegeben, das Mehrbegehren wurde abgewiesen.
Das Erstgericht stellte ua. fest, daß beide Kläger zum Unfallszeitpunkt Landesarbeiter des Landes Vorarlberg waren, die nach der Dienst- und Besoldungsordnung der Bauarbeiter im Landesdienst vom 15. 6. 1971 entlohnt wurden. Sie waren im Bereich des Landeswasserbauamtes tätig. Ihr Dienstverhältnis war ein privatrechtliches; sie waren nach dem ASVG unfallversichert. Die Arbeitspartie, der die beiden Kläger angehörten, war damit beschäftigt, den Grenzfluß Leiblach auszuholen. Diese Arbeiten zogen sich über mehrere Tage hin. Die Arbeiter hatten dabei das Gerinne der Leiblach bis zur Dammkrone von Gehölz zu säubern, um Ausschwemmungen des Dammes zu verhindern. Bevor die Arbeitspartie verunglückte, war sie einige Tage mit den Arbeiten an der Leiblach beschäftigt. Partieführer dieser Arbeitsgruppe war Norbert K. Hinsichtlich der Fahrten mit dem Dienstauto zur Arbeitsstätte wurde dies so gehandhabt, daß jeder, der im Besitz eines Führerscheines war, vom Amt der Vorarlberger Landesregierung auch die Erlaubnis zum Lenken des Dienstkraftfahrzeuges hatte. Von den fünf Arbeitern hatte diesen Führerschein der Zweitkläger Gottfried H und Johann H. Schon vor dem Unfall lenkte Gottfried H den Ford Transit des Landes Vorarlberg zu den Arbeitseinsätzen. Partieführer dieser fünf Personen war Norbert K, der somit das Recht hatte, den Arbeitseinsatz und auch die Fahrten zum und vom Dienst anzuordnen. Da die Landesarbeiter bei dieser Tätigkeit im Freien fernab von Gasthäusern tätig waren, hatten sie eine Betriebsküche mit und von der Behörde die Erlaubnis, am Arbeitsweg für diese Betriebsküche Verpflegung einzukaufen. Vor dem Unfall befuhren die Landesarbeiter die Bahngasse in Lustenau deshalb, weil sie bei dem dort wohnenden Bruder des Mitfahrers Alfred G Verpflegung mitnahmen. Bei der Leiblach handelt es sich um ein Grenzgewässer gemäß § 6 Abs. 1 des Wasserbautenförderungsgesetzes, BGBl. Nr. 1948/34. Die Vollziehung dieses Wasserbautenförderungsgesetzes ist Bundessache, doch wurde mit Verordnung des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft vom 10. 7. 1969, BGBl. 280, die Besorgung der wahrzunehmenden Geschäfte des Bundes der Bundeswasserbauverwaltung gemäß Art. 104 Abs. 2 B-VG den jeweiligen Landeshauptleuten übertragen. Die Kosten dieser Maßnahmen sind vom Bund zu tragen.
Zur Rechtsfrage führte das Erstgericht ua. aus, der Haftungsausschluß nach § 333 Abs. 1 ASVG komme der Zweitbeklagten nicht zugute. Die Österreichischen Bundesbahnen seien ein selbständiger Wirtschaftskörper der Republik Österreich, somit ein Zweig ihrer Privatwirtschaftsverwaltung. Die Geschäfte der Bundeswasserbauverwaltung seien mit Verordnung vom 17. 7. 1969, BGBl. 280, den Landeshauptleuten gemäß § 104 Abs. 2 B-VG übertragen worden. Darunter falle auch die Verwaltung der Grenzgewässer, zu denen die Leiblach gehöre. Funktionell seien die Insassen des Busses Ford- Transit also im Rahmen ihres Arbeitseinsatzes für den Bund tätig gewesen, obwohl sie ihren Dienstvertrag mit dem Land Vorarlberg abgeschlossen hatten. Wenngleich sohin die Republik Österreich funktionell im Zeitpunkt des Arbeitsunfalles Dienstgeberin beider Kläger gewesen sei, könne ihr dennoch ein Haftungsausschluß nicht zustatten kommen. Es komme zwar grundsätzlich nicht darauf an, ob der Arbeitnehmer in einem Zweigbetrieb oder in einem anderen Betrieb tätig sei, doch müsse ein gewisses Naheverhältnis zwischen den Betrieben gegeben sein, um von einem einheitlichen Arbeitgeber und damit von der Möglichkeit eines Haftungsausschlusses sprechen zu können. Im gegenständlichen Fall hätten die "Betriebe" der Republik Österreich, nämlich die Österreichischen Bundesbahnen und "Instandhaltung von Grenzgewässern" weder funktional im Bereich der Verwaltung noch in der Aufgabenstellung irgend etwas miteinander zu tun. Der Einwand der Kläger, daß ein Haftungsausschluß deshalb nicht zum Tragen komme, weil eine Teilnahme am öffentlichen Verkehr vorgelegen sei, sei verfehlt, da eine solche Teilnahme am öffentlichen Verkehr nur dann vorliege, wenn der Arbeitnehmer sich eines Verkehrsmittels bediene, das öffentlich zugänglich ist. Die Fahrt mit einem Dienstauto, zu dem natürlicherweise nur Arbeitnehmer dieses Betriebes Zugang haben, stelle aber keine Teilnahme am öffentlichen Verkehr dar.
Das Berufungsgericht gab den Berufungen der Kläger und der Beklagten nicht Folge.
Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich und führte rechtlich ua. aus, die im § 333 ASVG zugunsten des Dienstgebers normierte Haftungseinschränkung habe darin ihren Grund, daß die gesetzliche Unfallversicherung, zu welcher der Unternehmer Beiträge zu leisten habe, als Ablöse der Unternehmerhaftpflicht gedacht sei. Nach § 35 ASVG sei derjenige als Dienstgeber anzusehen, für dessen Rechnung der Betrieb geführt werde, in dem der Dienstnehmer in einem Beschäftigungsverhältnis stehe. Im vorliegenden Fall sei unbekämpft geblieben, daß beide Kläger zur Unfallszeit Arbeiter des Landes Vorarlberg waren und ihre Dienstverträge mit diesem abgeschlossen hatten. Daraus ergebe sich, daß das Land Vorarlberg auch für die beiden Kläger die Dienstgeberbeiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung zu leisten hatte und sohin für den Unfallszeitpunkt als ihr Dienstgeber im Sinne des ASVG zu beurteilen sei. Der von der Republik Österreich geltend gemachte Haftungsausschluß gegenüber den beiden Klägern greife daher nicht Platz. Die Zweitbeklagte treffe sohin als Halterin der unfallsbeteiligten Lok gemäß den §§ 5 Abs. 1, 19 Abs. 2 EKHG die solidarische Mithaftung mit dem Lokführer Heinrich O gegenüber beiden Klägern.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Erstbeklagten nicht Folge. Hingegen gab er der Revision der Zweitbeklagten Folge und änderte die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinne der Abweisung der gegen die Zweitbeklagte gerichteten Begehren beider Kläger ab.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Zweitbeklagte vertritt die Auffassung, daß ihr bezüglich beider Kläger der Haftungsausschluß des § 333 ASVG zustatten komme. Nach § 333 Abs. 1 ASVG ist der Dienstgeber dem Versicherten zum Ersatz des Schadens, der diesem durch eine Verletzung am Körper infolge eines Arbeitsunfalles (Berufskrankheit) entstanden ist, nur verpflichtet, wenn er den Arbeitsunfall (die Berufskrankheit) vorsätzlich verursacht hat.
Die Kläger waren nach den Feststellungen der Vorinstanzen zum Zeitpunkt des Unfalles mit Instandhaltungsarbeiten an der Leiblach, einem Grenzgewässer gemäß § 6 Abs. 1 des Wasserbautenförderungsgesetzes, beschäftigt. Die Ausführung solcher Arbeiten gehört ebenso wie die bauliche Instandhaltung von Straßen zum Bereich der Privatwirtschaftsverwaltung. Gemäß § 19 Abs. 2 Wasserbautenförderungsgesetz obliegt die Wahrnehmung der Aufgaben des Bundes als Träger von Privatrechten für die hier in Betracht kommenden Arbeiten dem Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft. Im Bereich der Privatwirtschaftsverwaltung, die grundsätzlich in unmittelbarer Bundesverwaltung geführt wird (Art. 104 Abs. 1 B-VG), wird der Bund ausschließlich durch die hiefür zuständigen obersten Verwaltungsorgane vertreten. Die Bundesminister können jedoch gemäß Art. 104 Abs. 2 B-VG die Besorgung solcher Geschäfte dem Landeshauptmann und den ihm unterstellten Behörden übertragen (JBl. 1976, 256). Mit Verordnung des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft vom 17. 7. 1969, BGBl. 280, wurde gemäß Art. 104 Abs. 2 B-VG auch die Besorgung der von dem Bundesminister in den Ländern wahrzunehmenden Geschäfte der Bundeswasserbauverwaltung (§§ 4, 6, 8, 9 und 11 bis 14 Wasserbautenförderungsgesetz) dem Landeshauptmann und den diesem unterstellten Behörden übertragen. Im Falle einer solchen Übertragung werden der Landeshauptmann und die ihm unterstellten Bediensteten funktionell als Organe des Bundes tätig (EvBl. 1979/9; 1 Ob 20/80; Walter - Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts 225, 223). Die Kläger waren somit zur Unfallszeit formell Bedienstete des Landes Vorarlberg, hatten aber Arbeiten zu verrichten, die dem Bund oblagen und deren Kosten gemäß § 6 Abs. 1 Wasserbautenförderungsgesetz aus Bundesmitteln zu bestreiten waren. Unter diesen Umständen muß aber entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes als Dienstgeber der Kläger nicht das Land Vorarlberg, sondern vielmehr die Republik Österreich angesehen werden (vgl. Arb. 9605). Auch dem Umstand, daß die Kläger im Bereich der Wasserbauverwaltung des Bundes tätig waren, während sie durch einen Zug der Österreichischen Bundesbahnen Schäden erlitten, kommt entgegen der Auffassung des Erstgerichtes keine rechtlich relevante Bedeutung zu. Die Österreichischen Bundesbahnen sind ein Wirtschaftskörper ohne eigene Rechtspersönlichkeit, der ein Zweig der Betriebsverwaltung des Bundes ist (§ 1 Bundesbahngesetz, BGBl. 1969/137). Hat ein Unternehmer, wie hier die Republik Österreich, mehrere Betriebe, so ist trotz der Verschiedenheit der Betriebe der Unternehmer nicht nur in tatsächlicher, sondern auch in rechtlicher Beziehung derselbe (vgl. Geigel, Der Haftpflichtprozeß[17] 1431 f. RN 68; Wussow, Unfallhaftpflichtrecht[10] 720 RN 1544; SZ 23/388; ähnlich auch Koziol, Haftpflichtrecht II 172 f.). Da die Zweitbeklagte somit Dienstgeberin beider Kläger war, die durch ein Schienenfahrzeug der Österreichischen Bundesbahnen, für das die Zweitbeklagte als Halterin zu haften hat, infolge eines Arbeitsunfalles Schäden durch Verletzungen am Körper erlitten haben - beide Kläger machen ausschließlich Schäden infolge der Körperverletzungen, nicht aber Sachschäden geltend -, eine vorsätzliche Herbeiführung des Unfalles aber nicht behauptet wurde und auch aus den Ergebnissen des Beweisverfahrens nicht abzuleiten ist, kommt der Zweitbeklagten hinsichtlich der von beiden Klägern geltend gemachten Ansprüche der Haftungsausschluß des § 333 Abs. 1 ASVG zugute, was zur Abweisung des gesamten Klagebegehrens hinsichtlich der Zweitbeklagten führen muß. Daß sich die Kläger auch nicht auf § 333 Abs. 3 ASVG berufen können, weil sie im Unfallszeitpunkt mit einem Dienstkraftwagen fuhren und damit nicht Teilnehmer am allgemeinen Verkehr waren (vgl. SZ 33/134; Koziol, Haftpflichtrecht II 171 ua.), hat das Berufungsgericht richtig erkannt. Der Umstand, daß die Zweitbeklagte wegen des Haftungsausschlusses gemäß § 333 ASVG von den Klägern nicht in Anspruch genommen werden kann, hat auf die Haftung des Erstbeklagten gegenüber den Klägern keinen Einfluß (vgl. SZ 44/48 ua.).
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