European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2008:0020OB00018.08Y.0924.000
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 976,68 EUR (darin 162,78 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Am 26. 6. 2006 ereignete sich in Lustenau auf dem Gehsteig der Jahnstraße vor der zum Objekt Kaiser‑Franz‑Josef‑Straße 4 gehörenden Hauseinfahrt ein Verkehrsunfall, an dem die damals 77‑jährige Klägerin mit ihrem Fahrrad und die damals 11‑jährige Beklagte mit ihrem Micro‑Scooter beteiligt waren. Im Zuge des Unfallgeschehens kamen beide zu Sturz, wobei die Klägerin einen Bruch der Speiche des linken Arms erlitt. Die Beklagte hatte einen gültigen Radfahrausweis und war haftpflichtversichert.
Die Klägerin begehrte von der Beklagten Zahlung von 14.587 EUR sA an Schadenersatz (Schmerzengeld: 9.000 EUR; Haushaltshilfekosten: 5.040 EUR; Therapiekosten: 450 EUR; Fahrtkosten: 57 EUR; pauschale Unkosten: 40 EUR) und brachte vor, die Beklagte sei mit dem Micro‑Scooter zu schnell gefahren und habe die Klägerin übersehen. Sie trage daher das alleinige Verschulden an dem Unfall und hafte gemäß § 1310 ABGB für den Schaden der Klägerin. Die Obsorgeberechtigten hätten ihre Aufsichtspflicht nicht verletzt.
Die Beklagte wandte ein, die Klägerin sei mit ihrem Fahrrad aus der besagten Hauseinfahrt auf den Gehsteig gerollt und habe die von rechts langsam herannahende Beklagte nicht gesehen. Sie habe den Vorrang der Beklagten verletzt und den Unfall dadurch selbst verschuldet.
Das Erstgericht, das die Verhandlung auf den Grund des Anspruchs eingeschränkt hatte, wies (auch) im zweiten Rechtsgang das Klagebegehren ab. Dabei ging es im Wesentlichen von folgenden Feststellungen aus:
Die Klägerin schob das Fahrrad über die Hauseinfahrt in Richtung Gehsteig. Bereits auf dem Weg dorthin beobachtete sie die Verkehrslage und konnte feststellen, dass weit und breit niemand zu sehen war. Die Klägerin betätigte sodann mit dem linken Fuß das linke Pedal und wollte losfahren. Ob ihr rechter Fuß zu diesem Zeitpunkt noch am Boden war oder ob die Klägerin bereits im Begriff war, mit dem rechten Bein nach rechts hinüberzutreten, kann nicht festgestellt werden. Zur selben Zeit war die Beklagte auf dem von ihr aus gesehen linken Gehsteig der Jahnstraße mit ihrem Micro‑Scooter, der über eine Lenk- und eine Bremsvorrichtung verfügt, unterwegs. Sie fuhr dabei etwa in der Mitte des Gehsteigs und hielt eine Geschwindigkeit von 5 bis 8 km/h ein. Kurz vor der späteren Kollisionsstelle und ca eine halbe Sekunde vor der späteren Kollision wurde die Beklagte auf die Klägerin aufmerksam. Die Sicht beider Unfallbeteiligter war durch Büsche (die sich rechts vom Standpunkt der Klägerin befanden und die bis in die Mitte des Gehsteigs hineinragten) behindert. In der Folge prallte der Scooter der Beklagten etwa gegen die Mitte des Fahrrads der Klägerin, wobei keines der Fahrzeuge durch den Unfall beschädigt wurde. Es kann nicht festgestellt werden, ob das Fahrrad der Klägerin zum Zeitpunkt der Kollision in Bewegung war oder nicht.
Rechtlich erörterte das Erstgericht, ein Micro‑Scooter sei kein Fahrrad im Sinne des § 2 Abs 1 Z 22 lit c StVO. Es handle sich vielmehr um ein vorwiegend zur Verwendung außerhalb der Fahrbahn bestimmtes Kleinfahrzeug (§ 2 Abs 1 Z 19 StVO) bzw um ein „ähnliches Bewegungsmittel" im Sinne des § 88 Abs 1 und 2 StVO, mit dem gemäß § 76 Abs 10 StVO Gehsteige befahren werden dürften, wenn der Fußgängerverkehr dadurch nicht übermäßig behindert wird. Da die Beklagte auch über einen gültigen Radfahrausweis verfügt habe, habe sie keine Schutznorm verletzt. Die Klägerin hätte daher Umstände beweisen müssen, aus denen ein Verschulden der Beklagten abzuleiten sei. Bei dieser Beurteilung sei von der für die Beklagte günstigsten Unfallversion auszugehen, somit davon, dass die Klägerin aus der Hauseinfahrt herausgerollt sei, sich ihr Fahrzeug im Unfallszeitpunkt in Bewegung befunden habe und die Beklagte durch das Befahren des Gehsteigs Fußgänger nicht behindert habe. Demnach habe die Klägerin den Vorrang der Beklagten verletzt. Wegen des Verstoßes gegen § 19 StVO treffe sie das Alleinverschulden an der Kollision.
Das von der Klägerin angerufene Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Zur Befugnis der Beklagten, mit dem Micro‑Scooter den Gehsteig zu benützen, verwies es auf seine Ausführungen im ersten Rechtsgang, mit denen es die soeben wiedergegebene Rechtsansicht des Erstgerichts gebilligt hatte. Der Beklagten könne nur dann ein Verschulden angelastet werden, wenn sie zu schnell gefahren oder unaufmerksam gewesen sei. Beides habe die Klägerin nicht unter Beweis gestellt. Die Frage nach ihrem allfälligen eigenen Fehlverhalten könne daher auf sich beruhen.
Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision mit der Begründung zu, dass die rechtliche Qualifikation von Micro‑Scootern und die davon abhängige Frage, ob damit Gehsteige oder Gehwege befahren werden dürften, in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung noch nicht geklärt worden sei.
Gegen die zweitinstanzliche Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern.
Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, in eventu, ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.
Die Klägerin macht geltend, die Beklagte hätte nicht auf dem Gehsteig fahren dürfen, weil ihr Micro‑Scooter weder ein fahrzeugähnliches Kinderspielzeug noch ein vorwiegend zur Verwendung außerhalb der Fahrbahn bestimmtes Kleinfahrzeug (§ 2 Abs 1 Z 19 StVO), sondern ein Fahrrad im Sinne des § 2 Abs 1 Z 22 lit c StVO sei. Jedenfalls aber habe sie ihre Geschwindigkeit nicht den Sichtverhältnissen angepasst und gegen das Gefährdungsverbot des § 88 Abs 2 StVO verstoßen. Da die Beklagte eine Schutznorm verletzt habe, sei von der für sie ungünstigsten Unfallsvariante und somit von ihrem Alleinverschulden auszugehen.
Hiezu wurde erwogen:
1.) § 2 Abs 1 Z 19 StVO definiert den Begriff des Fahrzeugs als „ein zur Verwendung auf Straßen bestimmtes oder auf Straßen verwendetes Beförderungsmittel oder eine fahrbare Arbeitsmaschine, ausgenommen Rollstühle, Kinderwagen, Schubkarren und ähnliche, vorwiegend zur Verwendung außerhalb der Fahrbahn bestimmte Kleinfahrzeuge sowie fahrzeugähnliches Kinderspielzeug (etwa Kinderfahrräder mit einem äußeren Felgendurchmesser von höchstens 300 mm und einer erreichbaren Fahrgeschwindigkeit von höchstens 5 km/h) und Wintersportgeräte".
Die in Klammer gesetzte Definition des Kinderfahrrads wurde mit der 15. StVO‑Novelle, BGBl 1989/86, eingefügt. Damit sollte - einer im Schrifttum seit langem gestellten Forderung (vgl Haupfleisch, Das „Kinderfahrrad" - Fahrrad oder Kinderspielzeug?, ZVR 1979, 299; ders, Die 10. StVO‑Novelle ‑ eine kritische Betrachtung, ZVR 1983, 232) entsprechend - klargestellt werden, unter welchen Kriterien ein Kinderfahrrad noch als fahrzeugähnliches Kinderspielzeug gilt (ErlRV 860 BlgNR 17. GP 8; vgl 2 Ob 346/97i; Tippel, Die 15. StVO‑Novelle - eine kritische Betrachtung, ZVR 1989, 67 [68]).
2.) Der Oberste Gerichtshof hatte in älteren Entscheidungen festgehalten, dass ein Tretroller (auch: Trittroller) ein fahrzeugähnliches Kinderspielzeug und somit kein Fahrzeug im Sinne der StVO sei (ZVR 1972/192; ZVR 1982/2; RIS‑Justiz RS0073512). Tretroller sind zweirädrige „Fahrzeuge", die unmittelbar durch menschliche Kraft angetrieben werden (Dittrich/Stolzlechner, StVO3 § 2 Rz 52). Mit der 20. StVO‑Novelle, BGBl I 1998/92, wurde der in § 2 Abs 1 Z 22 geregelte Begriff des Fahrrads (ua) um eine gleichlautend definierte Kategorie erweitert (lit c). Die Gesetzesmaterialien enthalten dazu (entgegen UVS Stmk, UVS‑30.8‑3/06 vom 13. 3. 2006) mit Ausnahme des allgemeinen Hinweises auf die fortgeschrittene technische Entwicklung keine nähere Erläuterung (vgl ErlRV 713 BlgNR 20. GP 12; wiedergegeben auch bei Dittrich/Stolzlechner aaO § 2 Rz 55; Messiner, Die 20. StVO‑Novelle, ÖAMTC‑FI 1998/85). Damit entstand ein neues Abgrenzungsproblem. Im Versuch, die neu geschaffene Kategorie von Fahrrädern („Roller") von den weiterhin dem „fahrzeugähnlichen Kinderspielzeug" zugehörigen Tretrollern zu unterscheiden, wurde im Schrifttum fortan betont, mit ersteren seien - im Gegensatz zu den „Kinderrollern" - „Tretroller für Erwachsene" gemeint (Dittrich/Stolzlechner aaO § 2 Rz 55; Pürstl, StVO12 § 2 Anm 24; Grundtner, StVO I 226). Entscheidend sei, ob ein aufgrund seiner äußeren Gestaltung und Größe nicht mehr als Kinderspielzeug zu qualifizierender Roller als Fahrrad zu gelten hat (Dittrich/Stolzlechner aaO § 2 Rz 52). Dabei könnte etwa an die sogenannten „Sidewalker", das sind Tretroller mit bis zu 26‑Zoll‑Fahrradreifen (vgl Messiner,Rollschuhfahren auf öffentlichen Straßen, ZVR 1995, 198) gedacht worden sein.
3.) Micro‑Scooter werden im Allgemeinen als Weiterentwicklung des klassischen Tretrollers angesehen (so Kaltenegger/Vergeiner, Trendsportgeräte im Straßenverkehr, ZVR 2001, 103 [104]). Es drängt sich somit primär die Frage auf, ob sie die Kriterien eines fahrzeugähnlichen Kinderspielzeugs (§ 2 Abs 1 Z 19 StVO) oder (eher) jene eines Fahrrads (§ 2 Abs 1 Z 22 lit c StVO) erfüllen. Bei dieser Beurteilung sind in Ermangelung einer klaren gesetzlichen Regelung im Sinne der dargestellten Lehrmeinung die äußere Gestaltung und die Größe des Geräts als maßgebliche Unterscheidungsmerkmale heranzuziehen. Danach scheidet aber die Zuordnung des Micro‑Scooters unter den Fahrradbegriff aus. Dazu kommt, dass Micro‑Scooter nicht nach den Vorschriften der - die neuen Begriffsbestimmungen des Fahrrads allerdings grundsätzlich nicht berücksichtigenden (so zutreffend Grundtner aaO 226) - FahrradVO, BGBl II 2001/146, ausgestattet sind und die Möglichkeit einer entsprechenden Nachrüstung aufgrund ihrer Bauart kaum möglich erscheint. Aus diesen Erwägungen folgt zunächst, dass ein Micro‑Scooter kein Fahrrad im Sinne des § 2 Abs 1 Z 22 lit c StVO ist.
Aber auch die Qualifikation als fahrzeugähnliches Kinderspielzeug kommt letztlich nicht in Betracht. Bei der Definition des Kinderfahrrads wurde, wie erörtert, auf eine höchstens erreichbare Fahrgeschwindigkeit von 5 km/h abgestellt. Soll ein grober Wertungswiderspruch vermieden werden, muss diese Geschwindigkeitsgrenze auch für die Beurteilung eines Geräts als „Kinderroller" (im Gegensatz zum „Erwachsenenroller") maßgeblich sein. Schon aus den Feststellungen im vorliegenden Fall ergibt sich aber, dass mit Micro‑Scootern eine höhere Geschwindigkeit als 5 km/h erreicht werden kann. Als weiteres Zwischenergebnis kann somit festgehalten werden, dass ein Micro‑Scooter auch kein fahrzeugähnliches Kinderspielzeug ist (aA Pürstl aaO § 2 Anm 24; ebenso UVS Stmk aaO).
4.) Schon in der Stammfassung waren die in § 2 Abs 1 Z 19 StVO demonstrativ („und ähnliche") aufgezählten Kleinfahrzeuge vom Fahrzeugbegriff ausgenommen. In den Gesetzesmaterialien (ErlRV 22 BlgNR 9. GP 51) wurde dazu ausgeführt:
„Mit Rücksicht auf die vielen Arten der Beförderungsmittel im Straßenverkehr war es notwendig, den Begriff des Fahrzeugs einzuschränken. Soweit es sich nicht um Arbeitsmaschinen handelt, ist mit dem Begriff des Fahrzeugs die Vorstellung verbunden, dass damit Personen und Sachen auch über weitere Strecken befördert werden können. Dieser Vorstellung will der Entwurf Rechnung tragen. Ob mit Kleinfahrzeugen die Fahrbahn oder der Gehsteig zu benützen ist, ergibt sich aus den besonderen Bestimmungen des Entwurfs, insbesondere aus § 75 Abs 9" (heute: § 76 Abs 10) StVO.
Aus diesen Erwägungen des historischen Gesetzgebers ist im Zusammenhalt mit den im Gesetzestext angeführten Gerätetypen (Rollstuhl, Kinderwagen, Schubkarren) ableitbar, dass auch bei einem „vorwiegend zur Verwendung außerhalb der Fahrbahn bestimmten Kleinfahrzeug" die - typischerweise auf kürzere Distanzen beschränkte - Beförderung von Personen und Sachen im Vordergrund stehen soll (Dittrich/Stolzlechner aaO § 2 Rz 52 nennen als weitere Beispiele kleine Handwagen, Förderwagen, fahrbare Koffer, Rasenmäher sowie einsitzige Elektromobile). Es handelt sich um einen Auffangtatbestand, unter den bei der gebotenen weiten Auslegung des in § 2 Abs 1 Z 19 StVO verwendeten Begriffs des Beförderungsmittels auch ein Micro‑Scooter subsumiert werden kann. Dem widerspricht entgegen der Ansicht der beklagten Partei auch der Umstand nicht, dass ein Micro‑Scooter nicht dem Transport von Personen oder Sachen, sondern nur der Fortbewegung von Personen dient. Dieses Argument trifft gleichermaßen etwa auf alle Arten von Fahrrädern zu, die dennoch als Fahrzeuge gelten und definitionsgemäß daher „Beförderungsmittel" sind.
Schließlich entspricht das erzielte Auslegungsergebnis nicht nur der von der Klägerin selbst während des gesamten erstinstanzlichen Verfahrens vertretenen (vgl ON 15) und erst im Rechtsmittelverfahren geänderten Rechtsansicht, sondern insbesondere auch der rechtlichen Einordnung eines Micro‑Scooters im Zuge einer parlamentarischen Anfragebeantwortung vom 12. 7. 2000 durch den damaligen Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT; 800/AB [Anfragebeantwortung] 21. GP), die in der Lehre weitgehend als zufriedenstellend empfunden worden ist (ausführlich Kaltenegger/Vergeiner aaO 104; Hoffer, StVO [2006] 35; im Ergebnis zustimmend auch Grundtner aaO 224; aA hingegen Pürstl aaO § 2 Anm 24). Die bisherigen Ausführungen können somit dahin zusammengefasst werden, dass ein Micro‑Scooter ein „vorwiegend zur Verwendung außerhalb der Fahrbahn bestimmtes Kleinfahrzeug" im Sinne des § 2 Abs 1 Z 19 StVO ist. Daran knüpft sich die rechtliche Konsequenz, dass die Benützer von Micro‑Scootern keine Fahrzeuglenker, sondern den Regeln für Fußgänger unterworfen sind (Kaltenegger/Vergeiner aaO 105).
5.) Für den vorliegenden Fall bedeutet dies zunächst, dass die Beklagte mit ihrem Micro‑Scooter den Gehsteig gemäß § 76 Abs 10 StVO benützen durfte, sofern der Fußgängerverkehr dadurch nicht übermäßig behindert wurde. Eine weitere Einschränkung ihrer Benützungsbefugnis ergibt sich jedoch, wie die Vorinstanzen richtig erkannten, aus § 88 Abs 2 StVO:
Nach dieser Bestimmung sind Spiele auf Gehsteigen oder Gehwegen und deren Befahren mit fahrzeugähnlichem Kinderspielzeug und ähnlichen Bewegungsmitteln verboten, wenn hiedurch der Verkehr auf der Fahrbahn oder Fußgänger gefährdet oder behindert werden. Kinder unter 12 Jahren müssen beim Befahren von Gehsteigen oder Gehwegen mit den genannten Geräten überdies von einer Person, die das 16. Lebensjahr vollendet hat, beaufsichtigt werden, wenn sie nicht Inhaber eines Radfahrausweises gemäß § 65 StVO sind. Ein solcher darf gemäß § 65 Abs 2 StVO unter den dort dargelegten Voraussetzungen erst dann ausgestellt werden, wenn das Kind das 10. Lebensjahr vollendet hat.
Kaltenegger/Vergeiner sind (aaO 104 f) in ihrer über die erwähnte Anfragebeantwortung des BMVIT hinausreichenden Untersuchung zu dem Ergebnis gelangt, dass Micro‑Scooter sowohl Bewegungsmittel, als auch fahrzeugähnlichem Kinderspielzeug (zB Skate‑, Snake- oder Kickboards) ähnlich sind. Beide Gerätearten dienten sowohl Spiel‑ als auch Fortbewegungszwecken und würden vorwiegend von Kindern benutzt.
Der erkennende Senat pflichtet den überzeugenden Argumenten der genannten Autoren bei. Die Benützer von Micro‑Scootern dürfen Gehsteige oder Gehwege demnach nur dann befahren, wenn die in § 88 Abs 2 StVO geregelten Voraussetzungen hiefür gegeben sind.
6.) Die Beurteilung, ob durch das Befahren von Gehsteigen und Gehwegen mit einem Micro‑Scooter eine konkrete Gefährdung oder Behinderung der in § 88 Abs 2 StVO genannten Verkehrsteilnehmer vorliegt, erfolgt nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls. Sie hängt von der Neigung oder Breite des Gehsteigs oder Gehwegs, sowie von der Fahrzeug- bzw der Benutzerfrequenz ab (vgl Dittrich/Stolzlechner aaO § 88 Rz 13).
Aus den Feststellungen des Erstgerichts ergeben sich keine Anhaltspunkte, die nach diesen Kriterien für ein Verbot der Gehsteigbenützung durch die Beklagte sprechen würden. Die für eine objektive Schutznormverletzung durch die Beklagte beweispflichtige Klägerin (RIS‑Justiz RS0112234) hat derartige Umstände nicht einmal vorgebracht. Der in diesem Zusammenhang gerügte Feststellungsmangel liegt daher nicht vor. Da die im Unfallszeitpunkt 11‑jährige Beklagte über einen Radfahrausweis verfügte, bedurfte sie auch nicht der Anwesenheit einer mehr als 16 Jahre alten Aufsichtsperson. Bei dieser Sachlage war es der Beklagten erlaubt, mit dem Micro‑Scooter den Gehsteig zu befahren; es liegt kein Verstoß gegen § 88 Abs 2 StVO vor.
7.) Es oblag der Klägerin, die von ihr behaupteten, ein Verschulden der Beklagten begründenden Tatsachen unter Beweis zu stellen, sodass sämtliche in diesem Punkt verbleibende Unklarheiten zu ihren Lasten gehen (RIS‑Justiz RS0037797 [T27], RS0022560 [T8]). So ist der rechtlichen Beurteilung etwa auch nur die geringste der innerhalb des festgestellten Spielraums liegenden Ausgangsgeschwindigkeiten zugrundezulegen (2 Ob 216/97x; 2 Ob 148/08s; RIS‑Justiz RS0022560 [T13]).
Auch diese Beweisführung misslang, kann doch den Feststellungen nicht mit Sicherheit entnommen werden, dass die Beklagte unaufmerksam war, verspätet reagierte oder mit einer dem Fußgängerverkehr nicht angepassten Geschwindigkeit fuhr.
Auf die weiteren Erfordernisse der subsidiären Billigkeitshaftung eines unmündigen Minderjährigen nach § 1310 ABGB ist unter diesen Umständen nicht mehr einzugehen.
Der Revision muss ein Erfolg versagt bleiben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
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