OGH 2Ob176/75

OGH2Ob176/758.1.1976

SZ 49/1

 

 

Spruch:

Abandon durch Hinterlegung ist nur dann zulässig und wirksam, wenn er zugunsten des Versicherungsnehmers und aller aus dem Unfall anspruchsberechtigter Geschädigten und mit Zustimmung aller Beteiligten erfolgt

 

OGH 8. Jänner 1976, 2 Ob 176, 177/75 (OLG Wien 10 R 76/75, KG St. Pölten 2 a Cg 184/74)

 

Begründung:

Mit der vorliegenden Klage nimmt der Kläger den Erstbeklagten als schuldtragenden Lenker sowie als Halter des PKWS und die zweitbeklagte Partei gemäß § 63 KFG, für die Bezahlung eines weiteren Betrages von zuletzt 383 984.65 S samt Anhang und einer monatlichen Rente von 5072.70 S (für Verdienstentgang) ab dem 1. September 1974 bis zur Erreichung seines 65. Lebensjahres in Anspruch.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Gänze statt.

Das Berufungsgericht erkannte über die Berufung der beklagten Parteien dahin, daß es mit Teilurteil den Verdienstentgangs- und Rentenzuspruch (16.483.96 S samt Anhang und monatlich 5072.70 S ab 1. September 1974 bis zur Erreichung des 65. Lebensjahres) bestätigte und das Schmerzengeldbegehren (250.000 S samt Anhang) sowie ein aus einem Rechenfehler resultierendes Mehrbegehren von 30.60 S samt Anhang abwies, im übrigen aber, also hinsichtlich der Wohnungsadaptierungskosten (73.959.21 S samt Anhang), der PKW-Kosten (zusammen 43.510.88 S samt Anhang) und im Kostenausspruch, das Ersturteil unter Rechtskraftvorbehalt aufhob und die Rechtssache im Umfange der Aufhebung zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwies.

Der Oberste Gerichtshof gab I. der Revision des Klägers nicht Folge.

II. Dem Rekurs des Klägers wurde teilweise Folge gegeben; der Beschluß des Berufungsgerichtes wurde, insoweit damit das Ersturteil hinsichtlich des Zuspruches von 73.959.21 S samt Anhang (Wohnungsadaptierungskosten) aufgehoben wurde, aufgehoben und dem Berufungsgericht in diesem Umfang die neuerliche Entscheidung aufgetragen.

III. Der Revision der Beklagten wurde Folge gegeben; das Teilurteil des Berufungsgerichtes wurde, soweit damit das erstgerichtliche Urteil in Ansehung des Zuspruches eines Betrages von 16.483.96 S samt Anhang (Verdienstentgang) und einer monatlichen Rente von 5072.70 S ab 1. September 1974 bis zur Erreichung des 65. Lebensjahres als Teilurteil bestätigt wurde, aufgehoben. Zugleich wurde auch das Ersturteil in diesem Umfange aufgehoben und die Rechtssache insoweit zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Hinsichtlich des Verdienstentganges und der Verdienstentgangsrente ist nach der Ansicht des Berufungsgerichts davon auszugehen, daß die beklagten Parteien in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung am 31. Oktober 1974 lediglich behaupteten, die zweitbeklagte Partei habe einen Betrag von 494.652.72 S beim Bezirksgericht St. Pölten zugunsten des Klägers, der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter und der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte erlegt und es sei dieser Betrag mit Beschluß vom 3. August 1974 zu Gericht angenommen worden. Gemäß Art. 3 Abs. 3 AKHB sei der Versicherer berechtigt, sich durch Hinterlegung der Kapitalmindestversicherungssumme, wenn aber der Barwert der vorgeschriebenen Renten-Mindestversicherungssumme dieselbe übersteigt, so dieses Barwertes und des hierauf entfallenden Anteiles an den entstandenen Kosten von weiterer Leistung zu befreien. Eine Behauptung, daß in dem erlegten Betrag unter anderem der hierauf entfallende Anteil an den entstandenen Kosten enthalten sei, hätten die beklagten Parteien nicht aufgestellt. Demnach seien nicht alle Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 3 AKHB erfüllt, weshalb nach dem Wortlaut der zitierten "Gesetzesstelle" von einer schuldbefreienden Wirkung der Hinterlegung nicht gesprochen werden könne. Es erübrigten sich demnach weitere Überlegungen, ob und bejahendenfalls, in welchem Umfang eine solche (schuldbefreiende) Hinterlegung auch auf den Erstbeklagten wirkt. Die beklagten Parteien haften daher grundsätzlich für den begehrten Verdienstentgang und die begehrte Rente für Verdienstentgang, deren Berechnung an sich nicht bestritten wurde, und zwar der Erstbeklagte unbegrenzt, die zweitbeklagte Partei bis zur Höhe der (noch vorhandenen) Versicherungssumme aus dem Haftpflichtversicherungsvertrag.

Die Beklagten wenden sich gegen die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, daß dem Erlag keine rechtliche Bedeutung für das vorliegende Verfahren zukomme, und machen dazu insbesondere geltend, daß die Voraussetzungen für die Rechtswirksamkeit eines Erlages im Verhältnis zwischen dem Schädiger und seinem Haftpflichtversicherer einerseits sowie dem Geschädigten und dessen Sozialversicherungsträgern andererseits ausschließlich nach der Bestimmung des § 1425 ABGB und nicht nach den Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung zu beurteilen seien. Diese Voraussetzungen seien im Hinblick auf das Vorhandensein mehrerer Forderungsprätendenten gegeben. Dem Kläger hätte daher gegenüber der zweitbeklagten Partei weder der Betrag von 16483.96 S samt Anhang noch die monatliche Rente von 5072.70 S ab 1. September 1974 zugesprochen werden dürfen. Da der Erlag auch zu Gunsten des Erstbeklagten wirke, hätte dieser nur zu Leistungen verurteilt werden dürfen, die durch den Erlag nicht gedeckt sind, woraus sich ergäbe, daß dem Kläger lediglich eine vom Erstbeklagten zu leistende monatliche Rente ab 1. Juli 1982 zugesprochen werden könne, die für den Juli 1982 3778.84 S und ab August 1982 monatlich 5072.70 S betrage. Allerdings seien zur zuverlässigen Klärung der Frage, ob dem Erlag schuldbefreiende Wirkung zukomme oder nicht, ausdrückliche Feststellungen über die Gründe erforderlich gewesen, aus denen die zweitbeklagte Partei den Erlag vorgenommen habe, was die Revision in Wiederholung ihrer mit der Berufung erhobenen Mängelrüge mit der sich das Berufungsgericht nicht beschäftigt habe, auch als Mangelhaftigkeit des berufungsgerichtlichen Verfahrens rügt. Diese Ausführungen erscheinen im Ergebnis, und zwar im Sinne der folgenden Erwägungen begrundet: Der Berechtigung des Versicherers zum Erlag nach § 1425 ABGB steht grundsätzlich, sofern er nicht zum Abandon berechtigt ist, die Vorschrift des § 156 VersVG entgegen. Gemäß § 156 Abs. 3 VersVG hat der Versicherer die Forderungen mehrerer geschädigter Dritter - als solche gelten auch regreßberechtigte Sozialversicherungsträger eines Geschädigten - nach Maßgabe des Abs. 2 nach dem Verhältnis ihrer Beträge zu berichtigen. Daß dieses Verfahren für den Versicherer unter Umständen mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden ist, soll nicht verkannt werden, doch ändert dies nichts am gesetzlichen Auftrag. Der Versicherer hat - außer dem Abandon (siehe dazu unten) - keine Möglichkeit, die Last des Verteilungsverfahrens auf andere zu überwälzen (Prölß-Martin 20, Anm. 8 zu § 156; Bruck-Möller-Johannsens IV, 125 B 94). Nur wenn alle Dritten gepfändet haben, kann er sich der exekutionsmäßigen Hinterlegung (§ 307 EO = § 853 dZPO) bedienen. Die Hinterlegung nach § 1425 ABGB (§ 372 BGB) ist ihm vorenthalten (Prölß-Martin 20, Anm. 8); sie soll dem Versicherer im Interesse der Beschleunigung der Befriedigung verwehrt werden (Ehrenzweig, Vertragsversicherungsrecht, 378 Anm. 3). Da der Abandon nur im Innenverhältnis wirkt, dem gerichtlichen Erlag der Deckungssumme seitens des Haftpflichtigen oder des Versicherers im Verhältnis Schädiger-Geschädigter also keine schuldbefreiende Wirkung zukommt (ZVR 1958/125; ZVR 1970/157), ist Abandon durch Hinterlegung nur dann zulässig und wirksam, wenn sie zu Gunsten des Versicherungsnehmers und aller aus dem Unfall anspruchsberechtigten Beschädigten und mit Zustimmung aller Beteiligten erfolgt (Prölß-Martin 20, Anm. 5 zu § 3 AKB = § 10 Abs. 4 AKB = Art. 3 Abs. 3 AKHB 1967; 2 Ob 142/75). Daß die Zustimmung aller Beteiligten zu dem von der zweitbeklagten Partei vorgenommenen Erlag vorläge, wurde zwar nicht behauptet, aber auch nicht geklärt. Feststellungen darüber erscheinen jedoch notwendig, um die Berechtigung des Erlages und damit die Frage seiner schuldbefreienden Wirkung prüfen zu können. Nur wenn die obgenannten Voraussetzungen für den schuldbefreienden Erlag vorliegen, wird das diesbezügliche Teilbegehren in Ansehung der zweitbeklagten Partei abgewiesen werden können.

Das Erstgericht wird daher im ergänzenden Verfahren bei der mündlichen Verhandlung gemäß § 182 Abs. 1 ZPO darauf hinzuwirken haben, daß die hiezu fehlenden Angaben von den beklagten Parteien gemacht werden und wird die darüber - allenfalls noch - angebotenen Beweise aufzunehmen haben.

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