OGH 2Ob172/22s

OGH2Ob172/22s25.10.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Nowotny, Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Sloboda und Dr. Kikinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H*, vertreten durch Mag. Mariella Hackl, Rechtsanwältin in Kirchbach‑Zerlach, gegen die beklagten Parteien 1. V*, 2. Mag. R*, und 3. G*, alle vertreten durch Dr. Barbara Jantscher, Rechtsanwältin in Feldbach, wegen 6.620 EUR sA über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 26. Jänner 2022, GZ 6 R 79/21p‑17, mit dem einer Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Feldbach vom 17. Februar 2021, GZ 2 C 1104/20x‑13, nicht Folge gegeben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0020OB00172.22S.1025.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und dem Berufungsgericht eine neuerliche Entscheidung über die Berufung der klagenden Partei aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Die – insoweit nicht vorsteuerabzugsberechtigte – Klägerin war Leasingnehmerin eines Fahrzeugs, bei dem aufgrund eines vom Erstbeklagten am 28. 10. 2019 allein verschuldeten Verkehrsunfalls ein Totalschaden eintrat.

[2] Die Parteien des Leasingvertrags entschieden sich nicht für eine zeitnahe (Totalschadens‑)Abrechnung, sondern einigten sich zunächst darauf, den ohnehin mit 31. 3. 2020 endenden Vertrag weiterlaufen zu lassen.

[3] Die Klägerin einigte sich mit der Leasinggeberin letztlich doch auf eine vorzeitige Beendigung des Vertrags und erwarb das Fahrzeug um 37.858,56 EUR (inkl USt). Sie verkaufte das Fahrzeug um 13.500 EUR (inkl USt). Bei einer Beendigung des Leasingvertrags im Wege der Totalschadensabrechnung hätte die Klägerin der Leasinggeberin keine Umsatzsteuer zahlen müssen.

[4] Der drittbeklagte Haftpflichtversicherer des zweitbeklagten Halters teilte am 27. 2. 2020 mit, entsprechend seiner Totalschadensabrechnung 33.100 EUR (exkl USt) anzuweisen, weil zum Unfallszeitpunkt die Leasinggeberin Eigentümerin des Fahrzeugs gewesen sei und bei einer Totalschadensabrechnung mit ihr keine Umsatzsteuer anfalle.

[5] Diesen Betrag überwies sie direkt an die klagende Leasingnehmerin.

[6] Die Klägerin begehrt von den Beklagten zur ungeteilten Hand die Zahlung von 6.620 EUR an offener Umsatzsteuer aus der Totalschadensabrechnung. Der Leasingvertrag sei nach dem Unfall weiter gelaufen. Eine Totalschadensabrechnung habe im Leasingverhältnis nicht stattgefunden. Vielmehr sei der Vertrag vorzeitig aufgelöst worden und habe die Klägerin gegenüber der Leasinggeberin die Umsatzsteuer zu zahlen gehabt. Der Klägerin sei daher aufgrund der unfallbedingten vorzeitigen Auflösung und des Ankaufs eines Ersatzfahrzeugs ein subjektiv‑konkreter Schaden auch in Höhe der Umsatzsteuer entstanden. Die Schadenersatzleistung umfasse grundsätzlich auch die Umsatzsteuer. Art XII Z 3 EGUStG gewähre dem Schädiger lediglich einen Rückforderungsanspruch. Fragen der Vorsteuerabzugsberechtigung seien nicht im Schadenersatzverfahren zu prüfen.

[7] Die Beklagten wenden ein, die Klägerin sei zum Unfallszeitpunkt nicht Eigentümerin des Fahrzeugs und daher auch nicht unmittelbar Geschädigte gewesen. Sie habe das Fahrzeug um 37.858,56 EUR (inkl USt) von der Leasingnehmerin angekauft, jedoch ohnehin bereits 33.100 EUR von der Drittbeklagten und 13.200 [gemeint: 13.500] EUR aus dem Weiterverkaufserlös erhalten, sodass sie sogar bereichert sei. Bei Abrechnung des Totalschadens eines Leasingfahrzeugs komme es hinsichtlich der Erstattungsfähigkeit der Umsatzsteuer überdies allein auf die Verhältnisse des Leasinggebers an. Dieser sei vorsteuerabzugsberechtigt, sodass kein Anspruch auf Zahlung der Umsatzsteuer bestehe. Der Leasingvertrag sei überdies nicht als „Totalschaden“, sondern „normal“ vorzeitig beendet worden. Bei einer Abwicklung als Totalschaden hätte die Klägerin keine Umsatzsteuer zu zahlen gehabt. Ihre Entscheidung, den Vertrag „normal“ zu beenden, könne die Beklagten nicht belasten.

[8] Das Erstgericht wies die Klage ab. Ersatzberechtigte Geschädigte zum Unfallszeitpunkt sei die Leasinggeberin als Eigentümerin des Fahrzeugs gewesen. Es sei aber davon auszugehen, dass sie ihre Ansprüche der Klägerin abgetreten habe. Zwar umfasse der Ersatzbetrag grundsätzlich auch die Umsatzsteuer. Allerdings habe die Leasinggeberin bestätigt, dass bei einer Totalschadensabrechnung keine Umsatzsteuer angefallen wäre. Dass die Klägerin bei der von ihr gewählten Beendigungsvariante Umsatzsteuer bezahlen habe müsse, betreffe das Verhältnis der Parteien des Leasingvertrags und gereiche den Beklagten nicht zum Nachteil.

[9] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Sei die versicherte Sache Gegenstand eines Leasingvertrags komme es für die Erstattungsfähigkeit der Umsatzsteuer allein auf die Verhältnisse des Leasinggebers an, weil der Leasingvertrag üblicherweise beendet werde und damit das Interesse des Versicherungsnehmers an der Leasingsache erlösche. Eine Abtretung allfälliger Ansprüche sei nicht behauptet worden. Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht über Abänderungsantrag der Klägerin zur Anwendbarkeit der Entscheidung 7 Ob 132/12f auf Konstellationen zu, bei denen der Leasingvertrag nicht beendet, sondern zunächst weiter geführt worden sei.

[10] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagsstattgebenden Sinn abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[11] Die Beklagten beantragen, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[12] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig und im Ergebnis im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

[13] Die Klägerin argumentiert, die vom Berufungsgericht herangezogene, zu 7 Ob 132/12f ergangene Rechtsprechung sei nicht einschlägig, weil der Leasingvertrag nicht wie sonst üblich „als Totalschaden“ beendet, sondern (zunächst) fortgesetzt und erst später „normal“ beendet worden sei. Die Klägerin habe die Leasingraten (inkl USt) bis zur Beendigung bezahlt und das Fahrzeug letztlich erworben. Unabhängig von der Vorsteuerabzugsberechtigung des Geschädigten sei der Ersatzbetrag inklusive Umsatzsteuer zuzusprechen. Dem Geschädigten verbleibe allenfalls ein Rückforderungsanspruch nach Art XII Z 3 EGUStG.

Dazu hat der erkennende Senat erwogen:

[14] 1. Zu 7 Ob 132/12f hatte der Oberste Gerichtshof die Frage zu klären, ob der Anspruch des klagenden, nicht vorsteuerabzugsberechtigten Leasingnehmers auf Ersatz der von ihm aufgewendeten Umsatzsteuer für die Wiederbeschaffung ein von der bei der Beklagten bestehenden, zugunsten der Leasinggeberin vinkulierten Kaskoversicherung umfasstes Risiko darstellte. Dies wurde unter Hinweis darauf verneint, dass das in der Kaskoversicherung mitversicherte Sachersatzinteresse des Leasingnehmers sich darin erschöpfe, nicht mit Schadenersatzansprüchen belastet zu werden, sodass ein Anspruch auf Ersatz der angefallenen Umsatzsteuer nicht vom versicherten Risiko umfasst sei. Eine Inanspruchnahme durch die vorsteuerabzugsberechtigte Leasinggeberin schied aufgrund der bereits erfolgten Befriedigung ihres Sacherhaltungsinteresses aus.

[15] Im vorliegenden Fall ist aber nicht zu prüfen, ob ein (allfälliger) Anspruch auf Ersatz der Umsatzsteuer ein von einer Kaskoversicherung umfasstes Risiko darstellt, also ein versicherungsvertraglicher Deckungsanspruch besteht, sondern ob die klagende Leasingnehmerin zur Geltendmachung deliktischer Schadenersatzansprüche aus der Beschädigung des Leasingguts gegen den Schädiger aktiv legitimiert ist und ein allfälliger Schadenersatzanspruch auch die Umsatzsteuer umfasst.

[16] Die Entscheidung 7 Ob 132/12f und die dort angestellten Überlegungen sind daher mangels vergleichbarer Sachverhaltsgrundlage nicht einschlägig.

[17] 2. Bei Totalschaden eines Leasingfahrzeugs ist – im Rahmen der objektiv-abstrakten Schadensberechnung – die Differenz zwischen dem Wiederbeschaffungswert des unbeschädigten Fahrzeugs und dem Verkaufswert des Wracks zu ersetzen (2 Ob 2419/96s; 1 Ob 60/09v Pkt II.1.; 2 Ob 157/20g Pkt 6.; Huber in Schwimann/Neumayr 5 § 1323 ABGB Rz 61). Einen Teil dieses Schadensbetrags, nämlich die Umsatzsteuer, fordert die klagende Leasingnehmerin von den Beklagten, auch wenn sie im Zusammenhang mit den von ihr an die Leasinggeberin geleisteten Beträgen von einem subjektiv‑konkreten Schaden spricht. Diesen begehrt sie aber nicht.

[18] 3. Während die ältere Rechtsprechung (RS0019382; anders bereits: RS0050071; 2 Ob 33/95 [Reparaturkosten]; 2 Ob 17/92 [Mietwagenkosten]) den Leasingnehmer bei Beschädigung des Leasinggegenstands lediglich als mittelbar Geschädigten und seinen Schaden als nicht ersatzfähigen Drittschaden qualifizierte, befürworte der erkennende Senat (2 Ob 29/20h Pkt 4.1.) nach ausführlicher Darlegung der bisherigen Rechtsprechung und Lehre die Aktivlegitimation eines Leasingnehmers bei Beschädigung der Substanz des Leasingguts. Das Risiko des Untergangs der Substanz („Substanzschaden“) sei durch den Leasingvertrag auf den Leasingnehmer verlagert. Er habe dem Leasinggeber (Eigentümer) das Erfüllungsinteresse zu leisten, sodass diesem durch den Eingriff in sein Eigentumsrecht kein rechnerischer Schaden entstehe. Statt dessen verliere der Leasingnehmer mit dem Wert des Fahrzeugs (abzüglich des Wrackwerts) das „Äquivalent“ seiner dem Leasinggeber zu erbringenden Leistungen. Dieser Schaden sei schon deswegen zu ersetzen, weil der Schädiger nicht dadurch begünstigt werden dürfe, dass der Vermögensnachteil nicht beim Eigentümer, sondern beim Leasingnehmer eintrete. Die Frage, ob dies mit dem (insoweit nahe liegenden) Argument der Schadensverlagerung oder doch mit dem Eingriff in das nach § 372 ABGB geschützte Gebrauchsrecht zu begründen sei, könne dahinstehen. Im Zusammenhang mit dem Nutzungsausfallsschaden (Verdienstentgang) bejahte der erkennende Senat (2 Ob 29/20h Pkt 4.2.) aufgrund der Zuweisung der Nutzungen der Sache an den Leasingnehmer ausdrücklich einen originären Anspruch des Leasingnehmers und räumte ihm insoweit eine einem Mieter vergleichbare Rechtspostion ein. Als entscheidend wurde der Umstand betont, dass es zu keiner Doppelliquidation kommt und dass die verletzten Interessen im sachlichen Schutzbereich des Verbots von Eigentumseingriffen liegen (zustimmend: 10 Ob 27/20y Pkt 1.3.).

[19] Die Klägerin ist daher – sei es aufgrund der Annahme einer bloßen Schadensverlagerung oder eines originären Anspruchs – grundsätzlich zur Geltendmachung des aus dem Substanzeingriff resultierenden Schadens („Substanzschadens“) aktivlegitimiert.

[20] 4. Die Frage ist, wieweit im Wert Umsatzsteuer‑Komponenten eine Rolle spielen (Reischauer in Rummel 3Rz 25b).

[21] Für den Geschädigten besteht der gewöhnliche Nutzen im Regelfall im Gebrauch der Sache. Das Wertinteresse bemisst sich in einem solchen Fall danach, was er aufzubringen hat, um sich den Gebrauch dieser Sache zu verschaffen. Der Geschädigte soll objektiv‑abstrakt, also rechnerisch, so gestellt werden, als wäre ihm kein Nachteil entstanden (2 Ob 157/20g Pkt 6.4. [zur Maßgeblichkeit des Wiederbeschaffungs‑ und nicht des Verkaufswerts für die Ermittlung des Wertersatzes]). Bei Vergütung des Schätzwerts muss der Geschädigte daher in die Lage versetzt werden, sich ein Ersatzstück anzuschaffen (RS0010075).

[22] Die Schädigung der Substanz des Leasingguts wirkt sich wegen des vertraglich ihr insoweit zugewiesenen Risikos im Vermögen der Klägerin aus. Ihr ist aufgrund des Leasingvertrags auch der Gebrauch der Sache zugewiesen. Sie verliert mit dem Wert des Fahrzeugs (abzüglich des Wrackwerts) das maßgeblich im Gebrauch des Leasingguts liegende „Äquivalent“ ihrer dem Leasinggeber zu erbringenden Leistungen und soll durch den Ersatz des Wertinteresses (objektiv‑abstrakt) rechnerisch in die Lage versetzt werden, sich den Gebrauch wiederzuverschaffen. Da sie dafür unstrittig Umsatzsteuer zu entrichten hätte, ist diese auch bei Berechnung des gemeinen Werts zu berücksichtigen (vgl 2 Ob 152/01v).

[23] Ob bei der Wertermittlung die Umsatzsteuer auch dann zu berücksichtigen ist, wenn der Geschädigte vorsteuerabzugsberechtigt ist (vgl dazu die Darstellung des Meinungsstands bei 1 Ob 60/09v Pkt II.), kann in Anbetracht des Umstands, dass dies auf die Klägerin in Bezug auf das Leasinggut nicht zutrifft und ihre Verhältnisse maßgeblich sind, dahinstehen.

[24] 5. Die Klägerin hat daher Anspruch auf die Bruttodifferenz zwischen dem Wiederbeschaffungswert (52.890 EUR) und dem Wrackwert. Die Feststellungen des Erstgerichts zum Wrackwert hat die Klägerin aber in ihrer Berufung mit unerledigt gebliebener Beweisrüge bekämpft. Unterbleibt die Behandlung einer Beweisrüge, mit der eine entscheidungswesentliche Feststellung bekämpft wurde, aus rechtlichen Gründen, liegt mangels gesicherter Tatsachengrundlage ein Feststellungsmangel vor, der im Rahmen der Behandlung der Rechtsrüge in dritter Instanz wahrzunehmen ist. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (vgl 2 Ob 119/21w Rz 23).

[25] 6. Soweit die Beklagte einwendet, die Klägerin habe nur 37.858,56 EUR an die Leasinggeberin bezahlen müssen, aber bereits 33.100 EUR von der Drittbeklagten und 13.500 EUR aus dem Verkauf des Fahrzeugs erhalten, und bei einer Totalschadensabrechnung mit der Leasinggeberin wäre keine Umsatzsteuer angefallen, ist ihr zu entgegen, dass nach der überwiegenden Rechtsprechung der objektiv‑abstrakt berechnete Schaden selbst dann zuzusprechen ist, wenn das subjektiv berechnete Interesse geringer wäre (RS0030075). Es ist daher unerheblich, wenn die Klägerin die Sache nach Eintritt des Schadens – wie im vorliegenden Fall – veräußert und welchen Erlös sie dadurch erzielt hat (4 Ob 3/19y Pkt 1.2.4.; 5 Ob 100/22z Rz 22) sowie welchen Betrag sie der Leasinggeberin zahlen musste.

[26] Auch begründet der Umstand, dass bei einer Totalschadensabrechnung mit der Leasinggeberin keine Umsatzsteuer angefallen wäre, keinen Verstoß gegen die Schadensminderungsobliegenheit (§ 1304 ABGB). Diese hätte die Klägerin nur dann verletzt, wenn sie schuldhaft Handlungen unterlassen hätte, die von einem verständigen Durchschnittsmenschen gesetzt worden und geeignet wären, den Schaden abzuwehren oder zu verringern (RS0027787 [T12, T13]). Die Leasinggeberin teilte aber erst nach Vertragsbeendigung mit, dass bei einer Totalschadensabrechnung keine Umsatzsteuer angefallen wäre. Dass dies der Klägerin bereits zuvor bekannt oder erkennbar gewesen wäre, ist den Feststellungen nicht zu entnehmen.

[27] 7. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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