European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0020OB00170.22X.1122.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Erbrecht und Verlassenschaftsverfahren
Spruch:
Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Rekursgericht die neuerliche Entscheidung über den Rekurs des Erstantragstellers und der Zweitantragstellerin aufgetragen.
Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
[1] Der Erblasser setzte mit Testament vom 18. April 2006 (in der Folge: Testament 2006) den Erstantragsteller und die Zweitantragstellerin zu gleichen Teilen zu Erben ein.
[2] Mit fremdhändigem Testament vom 24. Jänner 2018 (in der Folge: Testament 2018) setzte er den Drittantragsteller zum Alleinerben ein und widerrief alle früheren letztwilligen Anordnungen. Grundlage dieser letztwilligen Anordnung war ein von einer Notarsubstitutin auf Basis der Wünsche des Erblassers vorbereiteter Testamentsentwurf. Der Erblasser nahm eine handschriftliche, allerdings schwer leserliche Nuncupatio vor, nachdem ihm mitgeteilt worden war, dass er eine Wortfolge wie „mein Wille“ oder „mein Testament“ schreiben solle. Als Testamentszeugen fungierten eine Notariatsangestellte, der Notar und die Notarsubstitutin.
[3] Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens ist allein die Frage der (Form-)Gültigkeit des Testaments 2018.
[4] Der Erstantragsteller und die Zweitantragstellerin gaben jeweils eine bedingte Erbantrittserklärung auf Grund des Testaments 2006 zur Hälfte des Nachlasses ab und brachten vor, dass das Testament 2018 formungültig sei, weil im handschriftlichen Zusatz keine klare Aussage getroffen werde, dass die Urkunde den letzten Willen des Erblassers enthalte.
[5] Der Drittantragsteller gab aufgrund des Testaments 2018 eine bedingte Erbantrittserklärung zum gesamten Nachlass ab und brachte vor, dass das Testament 2018 sämtlichen Formvorschriften entspreche. Es sei nicht vorgeschrieben, dass die Nuncupatio „in leserlicher Form bzw in Schönschrift“ verfasst werden müsse.
[6] Das Erstgericht ging von der Formgültigkeit des Testaments 2018 aus und stellte das Erbrecht des Drittantragstellers fest. Es nahm auf Sachverhaltsebene an, dass der Erblasser als erstes Wort der Nuncupatio „Mein“ schrieb und das zweite Wort mit einem „W“ beginnt, wobei es entweder „Wunsch“ oder „Wille“ lautet.
[7] In ihrem Rekurs bekämpften der Erstantragsteller und die Zweitantragstellerin diese Feststellungen zum handschriftlichen Bekräftigungszusatz und strebten die Ersatzfeststellung an, dass zwar das erste Wort als „Mein“ identifiziert werden könne, das zweite Wort aber nicht lesbar sei. Es könne auch nicht festgestellt werden, dass das zweite Wort mit „W“ beginne.
[8] Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts, ohne die Beweisrüge zu erledigen. Bei Errichtung einer notariellen letztwilligen Verfügung – hier in Form eines notariellen Protokolls iSd §§ 70 ff NO – bedürfe es nach der Entscheidung 2 Ob 63/22m keiner handschriftlichen Nuncupatio. Es sei damit ungeachtet dessen, dass die Nuncupatio „vorliegend nicht lesbar“ sei, von der Gültigkeit des Testaments 2018 auszugehen. Die mit Beweisrüge bekämpfte Passage des erstgerichtlichen Beschlusses sei in Wahrheit gar keine Tatsachenfeststellung, sondern eine der rechtlichen Beurteilung zuzuordnende Interpretation des Testaments 2018.
[9] Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Erstantragstellers und der Zweitantragstellerin mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss im Sinn einer Feststellung des Erbrechts der Revisionsrekurswerber abzuändern; hilfsweise wird ein Antrag auf Aufhebung und Zurückverweisung der Rechtssache an das Rekursgericht gestellt.
Rechtliche Beurteilung
[10] Der außerordentliche Revisionsrekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig undim Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.
[11] 1. Aufgrund des Errichtungszeitpunkts der zu beurteilenden letztwilligen Verfügung ist die Rechtslage nach dem ErbRÄG 2015 anzuwenden (§ 1503 Abs 7 Z 5 ABGB).
[12] 2. Das Testament 2018 stellt keine notarielle Verfügung iSd § 583 ABGB dar.
[13] 2.1. Die Errichtung einer letztwilligen notariellen Anordnung ist sowohl in Protokollform (§ 70 NO) als auch in Notariatsaktsform (§ 67 NO) möglich. Es ist damit zwischen zwei Arten notarieller Testamente zu differenzieren, wobei ein Notariatsakt wiederum zwei Erscheinungsformen aufweisen kann: Einerseits kann das Rechtsgeschäft unmittelbar als Notariatsakt errichtet und durch den Notar aufgenommen werden, andererseits kann auch eine von den Parteien bereits errichtete Privaturkunde in Form einer Solennisierung nach § 54 NO notariell „bekräftigt“ werden (2 Ob 63/22m Rz 15 mwN).
[14] 2.2. Bei Errichtung einer notariellen letztwilligen Verfügung ist – unabhängig davon, ob diese in Form eines Notariatsakts, bei dem das Rechtsgeschäft unmittelbar als solcher errichtet wird, oder eines notariellen Protokolls nach §§ 70 ff NO erfolgt – keine eigenhändige Nuncupatio des Erblassers iSd § 579 ABGB erforderlich (2 Ob 63/22m = RS0134006).
[15] 2.3. Unstrittig wurde das Testament 2018 nicht in Form eines Notariatsakts errichtet.
[16] 2.4. Das Rekursgericht ist allerdings davon ausgegangen, dass das Testament 2018 in Form eines notariellen Protokolls errichtet wurde.
[17] Das notarielle Protokoll in Testamentsform ist unter der Überschrift „Aufnahme letztwilliger Anordnungen“ in §§ 70 ff NO näher geregelt. Der im Zuge des ErbRÄG 2015 novellierte § 70 NO lautet:
„Bei der Auf- und Entgegennahme letztwilliger Anordnungen sind die allgemeinen Vorschriften über die Amtsführung der Notare und die §§ 569, 581, 582 und 587 bis 591 ABGB sowie die in den §§ 72 und 73 dieses Bundesgesetzes gebotenen Förmlichkeiten zu beachten. In elektronischer Form können letztwillige Anordnungen nicht wirksam errichtet werden.“
[18] Nach § 73 Abs 1 NO ist „über die Amtshandlung ein Protokoll mit Beobachtung der Bestimmungen des § 68 aufzunehmen“. Nach § 68 Abs 1 NO hat jeder Notariatsakt unter anderem die Namen der Parteien und Zeugen (lit c) sowie deren Unterschriften (lit g) zu enthalten. Nach § 68 Abs 1 lit h NO ist eine Unterschrift des Notars unter Beidrückung seines Amtssiegels (§ 47 Abs 2) erforderlich, wenn ein Notariatsakt auf Papier errichtet wird.
[19] 2.5. Über die Errichtung des Testaments 2018 wurde kein Protokoll iSd § 73 Abs 1 NO aufgenommen, sodass schon aus diesem Grund kein schriftliches notarielles Testament vorliegt (vgl dazu Schwarzenegger in Ferrari/Likar-Peer, Erbrecht² Rz 5.110; Tschugguel in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ §§ 587–590 ABGB Rz 18). Es handelt sich vielmehr (bloß) um ein Privattestament, nämlich eine von der Notarsubstitutin nach Vorgaben des Erblassers verfasste fremdhändige letztwillige Verfügung unter Beiziehung eines Notars als Zeugen (Schwarzenegger aaO Rz 5.112; vgl Welser, Erbrechts‑Kommentar, § 583 ABGB Rz 4).
[20] 2.6. Entgegen der vom Rekursgericht vertretenen Rechtsansicht ist damit die Entscheidung 2 Ob 63/22m für den vorliegenden Fall nicht einschlägig. Da somit die Formvorschriften des § 579 ABGB zu beachten sind, bedarf das Testament 2018 zu dessen Gültigkeit einer eigenhändigen Nuncupatio des Erblassers.
[21] 3. Ob das Erfordernis einer eigenhändigen Nuncupatio im vorliegenden Fall erfüllt ist, lässt sich auf Grundlage des als gesichert anzusehenden Sachverhalts nicht beurteilen:
[22] 3.1. Die private Form des fremdhändigen Testaments erfordert nach § 579 Abs 1 ABGB (unter anderem) einen eigenhändig geschriebenen Zusatz des Erblassers, dass die Urkunde seinen letzten Willen enthält. Diese – durch das ErbRÄG 2015 neu eingeführte – eigenhändige Nuncupatio ist ein selbstständiges Solennitätserfordernis, das zwingend neben die eigenhändige Unterfertigung der fremdhändigen letztwilligen Verfügung tritt. Damit soll insbesondere eine größere Sicherheit gegen Fälschungen durch eine graphologische Zuordnung zum Testator herbeigeführt werden (2 Ob 63/22m Rz 13).
[23] 3.2. Durch das ErbRÄG 2015 wurde die Willensbekräftigung des Erblassers „verschriftlicht“ und damit die bisherige Form der „Ausdrücklichkeit“ (vgl zu den Anforderungen an die Nuncupatio nach § 579 ABGB aF etwa RS0015438 und RS0012469) abgeschafft, um die Fälschungssicherheit zu erhöhen. Auf das Erfordernis einer Bekräftigung – also eines Zusatzes, dass die Urkunde den letzten Willen des Erblassers enthalte, – sollte aber nach den insoweit eindeutigen Gesetzesmaterialien (ErläutRV 688 BlgNR 25. GP 10) nicht verzichtet werden. Zur Erfüllung der Formvorschrift des § 579 Abs 1 ABGB reicht daher für sich allein weder eine graphologische Zuordnung des handschriftlichen Zusatzes zum Erblasser noch eine bloß mündliche bzw iSd § 579 ABGB aF „ausdrückliche“, aber nicht schriftliche Bekräftigung aus (2 Ob 167/22f Rz 29 f).
[24] 3.3. Inhaltlich muss der Zusatz jedenfalls eine Bestätigung des Erblassers enthalten, dass die Urkunde gerade seinen letzten Willen beinhalte (2 Ob 167/22f Rz 31). Er muss daher auch lesbar sein (Tschugguel in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ §§ 580, 581 ABGB Rz 12; Hampton in Ferrari/Likar-Peer, Erbrecht² Rz 5.72; Tschugguel, Der schreib- und der leseunfähige Testator, EF‑Z 2019/63, 118 [119]), weil anderenfalls der Bekräftigung keine Bestätigung des Willens des Erblassers entnommen werden kann.
[25] Wenn Tschugguel an anderer Stelle (in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 579 ABGB Rz 23) argumentiert, dass der Bekräftigungsvermerk in einer für den Zeugen nicht lesbaren Schrift erfolgen könne, bringt er damit bloß zum Ausdruck, dass der Testamentszeuge, der kein Inhaltszeuge sei, den Bekräftigungsvermerk inhaltlich nicht zur Kenntnis nehmen müsse. Damit trifft Tschugguel nach Ansicht des Senats aber keine Aussage darüber, ob der Bekräftigungsvermerk (objektiv betrachtet) lesbar sein muss oder nicht, sodass kein Widerspruch zur hier vertretenen Rechtsansicht vorliegt.
[26] 3.4. Ob eine letztwillige Verfügung lesbar ist und wie ihr lesbarer Inhalt lautet, ist eine Tatfrage und somit von den Tatsacheninstanzen nach Würdigung aller Beweisergebnisse – allenfalls auch nach Einholung eines zu dieser Frage beantragten graphologischen Sachverständigengutachtens – zu beantworten (7 Ob 185/05i [zu einem eigenhändigen Testament]). Gleiches muss auch für die Frage der Lesbarkeit eines handschriftlichen Bekräftigungszusatzes gelten (vgl 2 Ob 167/22f Rz 15).
[27] 3.5. Vor diesem Hintergrund kommt es entscheidend auf die im Rekurs bekämpften Feststellungen zum Inhalt der handschriftlichen Nuncupatio an.
[28] Unterbleibt die Behandlung einer Beweisrüge, mit der eine entscheidungswesentliche Feststellung bekämpft wurde, aus rechtlichen Gründen, liegt mangels gesicherter Tatsachengrundlage ein Feststellungsmangel vor, der im Rahmen der Behandlung der Rechtsrüge in dritter Instanz wahrzunehmen ist. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Rekursgericht zurückzuverweisen (vgl 2 Ob 119/21w Rz 23 mwN).
[29] 3.5.1. Hält das Rekursgericht nach Erledigung der Beweisrüge die Feststellungen des Erstgerichts zum Inhalt des handschriftlichen Bekräftigungsvermerks aufrecht, hätte es dessen Entscheidung zu bestätigen, weil sowohl die Wortfolge „Mein Wille“ als auch die Wortfolge „Mein Wunsch“ eine ausreichende Bekräftigung des letzten Willens darstellen würde.
[30] 3.5.2. Folgt das Rekursgericht hingegen der Einschätzung der (Revisions-)Rekurswerber und geht davon aus, dass lediglich das Wort „Mein“, nicht aber das zweite Wort der Nuncupatio lesbar ist, wäre dem Rekurs Folge zu geben, weil in diesem Fall keine hinreichende handschriftliche Bekräftigung des letzten Willens vorläge und dieser Umstand zu Lasten des insoweit beweisbelasteten Drittantragstellers ginge (allgemein zur Beweislast des Bedachten für die äußere Formgültigkeit einer letztwilligen Anordnung: 2 Ob 86/15h Punkt 9.5. mwN; vgl auch 2 Ob 134/17w [zur Nuncupatio nach altem Erbrecht]).
[31] 4. Soweit die Revisionsrekurswerber unter Hinweis auf § 590 ABGB argumentieren, dass die Notarsubstitutin als Testamentserrichterin nicht zugleich als Testamentszeugin fungieren könne, weil sie das Testament vorgelesen habe, ist ihnen zu erwidern, dass sie ihre Einwendungen gegen die Gültigkeit des Testaments 2018 in erster Instanz nicht auf diesen Einwand gestützt und insbesondere auch nicht vorgebracht haben, dass der Erblasser nicht lesen konnte (und daher die Bestimmung des § 590 ABGB beachtlich wäre). Auf ihre gegen das Neuerungsverbot verstoßenden Ausführungen ist damit nicht näher einzugehen.
[32] 5. Die tragenden Erwägungen der Entscheidung lassen sich wie folgt zusammenfassen:
[33] Da der handschriftliche Bekräftigungszusatz bei inhaltlicher Betrachtung jedenfalls eine Bestätigung des Erblassers enthalten muss, dass die Urkunde gerade seinen letzten Willen beinhalte, muss er auch (objektiv betrachtet) lesbar sein.
[34] Ob ein handschriftlicher Bekräftigungszusatz lesbar ist und wie sein lesbarer Inhalt lautet, ist eine Tatfrage.
[35] 6. Insgesamt ist dem außerordentlichen Revisionsrekurs Folge zu geben, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und dem Rekursgericht die neuerliche Entscheidung über den Rekurs nach Erledigung der Beweisrüge aufzutragen.
[36] 7. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 78 Abs 1 iVm § 185 AußStrG.
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