Normen
ABGB §1295
ABGB §1325
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §254
ABGB §1295
ABGB §1325
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §254
Spruch:
Scheidet der Verletzte infolge eines durch einen Unfall ausgelösten berechtigten Antrages auf Gewährung einer Invaliditätspension aus dem Erwerbsleben aus und kann er in dieses nicht wieder eingegliedert werden, so ist er erwerbsunfähig geworden. Seine Arbeitsfähigkeit ist nicht mehr zu prüfen
OGH 4. 11. 1971, 2 Ob 137/71 (OLG Wien 8 R 190/70; LGZ Wien 37 Cg 87/70)
Text
Der Kläger wurde am 26. 8. 1961 bei einem Verkehrsunfall verletzt. Die Beklagten sind ihm für den eingetretenen Schaden solidarisch ersatzpflichtig. Gegenstand des jetzigen Verfahrensabschnittes ist nur mehr das Begehren des Klägers auf Ersatz des Verdienstentganges für die Zeit vom 1. 1. 1963 bis 31. 3. 1967 im Betrage von S
78.691.66. Diesen Betrag errechnete der Kläger als Differenz zwischen dem um eine monatliche Ersparnis von S 65.- (Fahrtspesen) verminderten fiktiven Lohn und der Invaliditätspension, die er seit 6. 7. 1962 bezieht. Der Kläger begrundete sein Begehren damit, daß er wegen der Unfallsfolgen vorzeitig aus dem Arbeitsprozeß ausgeschieden sei, sonst aber bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres gearbeitet hätte.
Die Beklagten beantragten die Abweisung des restlichen Begehrens und behaupteten, der Kläger sei nicht wegen der Unfallsfolgen, sondern wegen der schon vorher bestandenen Aufbrauchserscheinungen vorzeitig pensioniert worden. Nach dem 1. 1. 1963 wäre der Kläger wieder arbeitsfähig gewesen, weil die Restfolgen nach dem Unfall vernachlässigbar gewesen seien, und hätte in seinem Betrieb wieder eingestellt werden oder eine gleichwertige Tätigkeit ausüben können. Im zweiten Rechtsgang sprach das Erstgericht dem Kläger mit Endurteil vom 30. 10. 1969 unter anderem den begehrten Ersatz an Verdienstentgang zu. Dieses Urteil wurde vom Berufungsgericht aufgehoben.
Im dritten Rechtsgang gab das Erstgericht dem Begehren neuerlich statt.
Das Berufungsgericht hob das Ersturteil auf und verwies die Rechtssache - diesmal unter Rechtskraftvorbehalt - zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung ans Erstgericht zurück.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs des Klägers Folge, hob den angefochtenen Beschluß auf und trug dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung über die Berufung auf.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Nach den Feststellungen des Erstgerichtes erlitt der am 28. 3. 1902 geborene Kläger, der seit 18. 6. 1951 bei der X-AG als Schlosser beschäftigt war, beim Unfall vom 26. 8. 1961 einen offenen Bruch des linken Unterschenkels, Rißquetschwunden und Hautabschürfungen sowie einen mäßigen Schock. Das Heilverfahren und der unfallsbedingte Krankenstand dauerten bis 26. 8. 1962. Der Kläger beantragte am 12. 7. 1962 bei der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter die Zuerkennung der Invaliditätsrente. Die fachärztliche Beurteilung ergab, daß der Kläger wegen Koronarsklerose und spastischer Emphysembronchitis als Schlosser nicht mehr arbeitsfähig und eine Umstellung auf leichte sitzende Arbeit kaum mehr möglich sei, weshalb die dauernde Pensionierung ärztlich empfohlen wurde. Dieser Empfehlung wurde entsprochen. Als Hauptursache der Minderung der Erwerbsfähigkeit wurden angesehen eine leichte Wirbelsäulenverkrümmung und mittelgroße Aufbrauchserscheinungen an der Wirbelsäule. Als Unfallsfolge bestand am 9. 1. 1964 eine Beinverkürzung von 11/2 cm, eine Verbiegung mit einem nach vorne offenen Winkel von 10[o], ferner eine Bewegungseinschränkung im oberen und unteren Sprunggelenk mäßigen Grades sowie eine leichte Durchblutungsstörung des verletzten Unterschenkels. Die sonstigen Krankheitssymptome waren nicht unfallskausal. Die vollständige Arbeitsunfähigkeit für den Schlosserberuf war bis zum 26. 8. 1962 gegeben. Bis zum 27. 8. 1962 war der Kläger im Krankenstand. Ab 26. 8. 1962 war die Arbeitsunfähigkeit des Klägers durch ein halbes Jahr mindestens zu 30% durch den Unfall bedingt, ab 26. 2. 1963 bis 26. 2. 1965 mindestens zu 20%. Seither besteht diese Minderung der Arbeitsfähigkeit unvermindert weiter. Am 28. 3. 1967 wurde der Kläger 65 Jahre alt und wäre an diesem Tage pensioniert worden. Ohne den Unfall wäre der Kläger bis zu seinem 65. Lebensjahr im oben genannten Unternehmen weiter beschäftigt worden. Der Kläger sah sich aber veranlaßt, auf Grund des Unfalls um die Zuerkennung der Invalidenrente anzusuchen, weil ihm die "Aussteuerung, dh die Einstellung der Heilbehandlung auf Kosten der Sozialversicherung, drohte, obwohl er sich noch nicht arbeitsfähig fühlte. Durch dieses Ansuchen wurde es dem Kläger unmöglich gemacht, wieder in den Arbeitsprozeß eingegliedert zu werden, weil weder eine nochmalige Beschäftigungsaufnahme beim bisherigen Dienstgeber in Frage kam noch eine Vermittlung durch das Arbeitsamt, da Rentner, die nahe der Altersgrenze sind, grundsätzlich nicht mehr vermittelt werden.
Das Erstgericht führte aus, daß zur Pensionierung des Klägers auf Grund seines Antrags zu einem Zeitpunkt, da er zur Gänze auf Grund des Unfalls arbeits- und erwerbsunfähig gewesen sei, sowohl die Krankheiten, welche durch den Unfall verursacht waren, wie auch der allgemein geminderte Gesundheitszustand geführt hätten. Dieser sei mit 40%, die ersteren zunächst mit 100%, sodann mit 30% und in der Folgezeit mit 20% bemessen worden. Der Unfall habe zur vorzeitigen Invalidität des Klägers geführt. Erst auf Grund des Unfalls sei dem Kläger eine Invaliditätspension zuzusprechen gewesen und damit erscheine das dauernde Ausscheiden des Klägers aus dem Arbeitsprozeß durch den Unfall entscheidend verursacht. Auf Grund der altersbedingten Leiden wäre der Kläger beschränkt arbeitsfähig gewesen; die Invaliditätspension wäre ihm möglicherweise auch aus diesem Gründe zuerkannt worden. Der unfallsbedingte Zustand habe sich stabilisiert, sodaß die Unfallsfolgen unvermindert im aufgezeigten Ausmaß bis zum Erreichen der Altersgrenze gewirkt hätten. Der Anspruch des Klägers bestehe daher für den ganzen noch offenen Zeitraum zu Recht.
Das Berufungsgericht wies auf seine schon im ersten Aufhebungsbeschluß ausgesprochene Rechtsansicht hin, daß es für die Frage, ob dem Kläger ein Anspruch auf Ersatz für Verdienstentgang ab 1. 1. 1963 zustehe, darauf ankomme, ob die festgestellten Dauerfolgen nach dem Unfall vom 26. 8. 1961 für die Arbeitsunfähigkeit des Klägers eine Rolle spielten oder wegen ihres geringen Ausmaßes vernachlässigt werden könnten. Die Feststellung, daß der Kläger ohne Unfall ungeachtet allfälliger altersbedingter Minderung seiner Leistungsfähigkeit bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres bei seinem Dienstgeber weiterbeschäftigt worden wäre, sei unbedenklich. Zu prüfen sei aber geblieben, ob der Kläger durch das Hinzukommen der Unfallsfolgen auch nach dem 1. 1. 1963 arbeitsunfähig gewesen sei und wie lange die Unfallsfolgen für eine solche Arbeitsunfähigkeit eine wesentliche Mitursache gebildet hätten, wobei der Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter ohne Belang sei. Das Erstgericht habe wiederum das Schwergewicht darauf gelegt, daß der Kläger erst auf Grund des Unfalles eine Invaliditätspension erhalten habe. Es sei aber nicht mehr strittig, daß der Kläger im Juli 1962 arbeitsunfähig gewesen sei und daß damals die Unfallsfolgen dazu wesentlich beigetragen hätten. Das Erstgericht habe eine Klärung, welcher Anteil den Unfallsfolgen an einer allfälligen, nach dem 1. 1. 1963 bestandenen völligen Arbeitsunfähigkeit zukomme, wieder nicht vorgenommen. Auch wenn sich die Unfallsfolgen nicht gebessert haben sollten, könne ihr Anteil an einer Arbeitsunfähigkeit dadurch bis zur Bedeutungslosigkeit absinken, daß sich die altersbedingten Leiden derartig verschlechtern, daß sie allein schon eine Arbeitsunfähigkeit begrunden. Das Erstgericht habe hinsichtlich der Minderung der Arbeitsunfähigkeit die Gutachten unvollständig wiedergegeben und sich auch nicht ausreichend mit ihnen auseinandergesetzt. Insbesondere sei auf die Ausführungen des Sachverständigen Dr P nicht Bedacht genommen worden, wonach ab 23. 2. 1963 wohl noch Bewegungseinschränkungen des oberen und unteren Sprunggelenkes bestanden, der Zustand aber so weit konsolidiert gewesen sei, daß auch bei Berücksichtigung des Alters des Klägers auf Grund der Unfallsfolgen allein die Aufnahme seiner früheren Tätigkeit als Schlosser wieder zumutbar gewesen wäre. Ab dem genannten Zeitpunkt könnten die Unfallsfolgen als wesentliche Mitursache für eine weitere Arbeitsunfähigkeit ausscheiden. Die wesentlichen Fragen seien somit im Ersturteil ungelöst geblieben, weshalb dieses aufgehoben werden müsse. Das Erstgericht werde - zweckmäßigerweise auf Grund eines zusammenfassenden ärztlichen Gutachtens - endgültig zu klären haben, 1. ob der Kläger nach dem 1. 1. 1963 arbeitsunfähig war, a) schon auf Grund der alters- bzw der anlagebedingten Leiden; b) erst durch Hinzukommen der Unfallsfolgen und 2. allenfalls, wie lange den Unfallsfolgen ein solches Ausmaß an Arbeitsunfähigkeit zukomme, daß gerade sie erst den Übergang von der sonst noch bestehenden Arbeitsfähigkeit zur Arbeitsunfähigkeit bewirkten.
Der Rekurswerber weist darauf hin, daß er zur Vermeidung der Aussteuerung durch die Gebietskrankenkasse im Zuge der Heilbehandlung nach dem Unfall genötigt gewesen sei, einen Antrag auf Gewährung der Invaliditätspension zu stellen und daß ihm danach die Wiedereingliederung in den Arbeitsprozeß auch nach Besserung der Erwerbsfähigkeit unmöglich gewesen sei. Daraus ergebe sich, daß die von der zweiten Instanz vermißten Feststellungen überflüssig seien.
Diese Ausführungen des Rekurswerbers sind zutreffend. Es steht ja fest, daß die sonstigen altersbedingten Beschwerden des Klägers diesen nicht gehindert hätten, seinen Posten bis zum 65. Lebensjahr zu behalten. Der Kläger wäre also ohne den Unfall nicht Invalidenrentner geworden. Durch den durch den Unfall ausgelösten berechtigten Antrag des Klägers auf Gewährung der Invaliditätspension schied dieser aus dem Erwerbsleben aus und konnte, ganz gleich, wie sich der Unfall weiterhin auf seinen Gesundheitszustand auswirkte, nicht wieder ins Berufsleben eingegliedert werden. Damit steht fest, daß die von den Beklagten zu vertretende Verletzung des Klägers diesem einen Erwerbsschaden gebracht hat, dessen Ersatz er nunmehr begehrt (in diesem Zusammenhang sei auf die hg Entscheidung 2 Ob 153/68 hingewiesen, wonach die adäquate Kausalität für den Schadenseintritt sogar dann vorliege, wenn der Verletzte seinen ursprünglichen Posten zwar unabhängig von den Unfallsfolgen aufgibt, wegen dieser Folgen aber keine gleichwertige Stelle in seinem Beruf findet). Der auf die Feststellung der Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit des Klägers hinzielende Ergänzungsauftrag der Berufungsinstanz ist nicht gerechtfertigt, weil bereits feststeht, daß der Kläger durch den Unfall erwerbsunfähig wurde.
Das Berufungsgericht wird sich nunmehr mit den noch nicht erledigten Berufungsausführungen zu befassen haben.
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