OGH 2Ob12/68

OGH2Ob12/6818.4.1968

SZ 41/46

Normen

ABGB §1325
ABGB §1325

 

Spruch:

Steigt der Reingewinn eines Unternehmens trotz Wegfall der persönlichen Tätigkeit des Unternehmers, so muß der Schädiger den Betrag ersetzen, um den der Reingewinn bei Annahme nicht behinderter Tätigkeit noch größer gewesen wäre.

Entscheidung vom 18. April 1968, 2 Ob 12/68.

I. Instanz: Kreisgericht Leoben; II. Instanz: Oberlandesgericht Graz.

Text

Der Kläger hat am 8. März 1961 einen Verkehrsunfall erlitten. Am 8. September 1962 wurden die Schadenersatzansprüche mit Ausnahme jener aus dem Titel Verdienstentgang für Vergangenheit und Zukunft außergerichtlich verglichen. Im Vorprozeß wurde rechtskräftig festgestellt, daß der Beklagte dem Kläger für alle Schäden an vergangenem und künftigem Verdienstentgang aus diesem Verkehrsunfall zur Gänze ersatzpflichtig sei. Im nunmehrigen - am 10. Juni 1964 eingeleiteten - Rechtsstreite stellt der Kläger weitere Ersatzansprüche gegen den Beklagten aus dem bezeichneten Schadenereignis.

Das Erstgericht hat den Beklagten verurteilt, dem Kläger den Betrag von 151.826.60 S s. A. sowie ab 26. Mai 1967 bis zum vollendeten 65. Lebensjahre eine monatliche Rente von 512.80 S zu bezahlen, und das Mehrbegehren puncto 42.857.79 S s. A. sowie hinsichtlich einer ab 26. Mai 1967 bis zum vollendeten 65. Lebensjahre des Klägers zu leistenden monatlichen Rente von 1487.20 S abgewiesen.

Der Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht teilweise Folge gegeben, jener des Beklagten aber Folge gegeben: es hat I. mit Teilurteil zu Recht erkannt, daß in Abänderung des Ersturteils das Klagebegehren auf Zahlung von 123.061.60 S s. A. abgewiesen werde; die Abweisung des Teilbegehrens von 25.131.20 S s. A. werde bestätigt; beschlußmäßig ist das Ersturteil im Zuspruche des Betrages von 28.765 S s. A. und in der Zuerkennung einer Monatsrente von 512.80 S ab. 26. Mai 1967 bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres des Klägers und hinsichtlich der Abweisung des Rentenmehrbegehrens von monatlich 1487.20 S für den bezeichneten Zeitraum sowie im Kostenpunkte aufgehoben und die Rechtssache zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen worden; zugleich ist ausgesprochen worden, daß das Verfahren erster Instanz erst nach Rechtskraft dieses Beschlusses fortzusetzen sei.

Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes richtet sich bloß die Revision des Klägers: darin wird das Teilurteil der zweiten Instanz hinsichtlich der Abweisung des Teilbegehrens von 123.061.60 S s. A. angefochten; aus dem Revisionsgrunde des § 503 Z. 4 ZPO. beantragt der Kläger sinngemäß die Abänderung des bezeichneten Ausspruches dahin, daß diesem Teilbegehren stattgegeben werde; hilfsweise hat der Kläger die Aufhebung des angefochtenen Urteils und insoweit die Rückverweisung der Sache beantragt.

Der Oberste Gerichtshof hob die Urteile der Untergerichte, soweit sie über das Teilbegehren von 123.061 S entschieden hatten, auf und verwies die Streitsache insoweit zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

In dritter Instanz steht bloß die Berechtigung des Teilbegehrens von 123.061.60 S s. A. zur Erörterung. Dieser Betrag ergibt sich aus dem eingeschränkten Teilbegehren puncto 146.958 S, vermindert um die vom Erstgerichte in diesem Zusammenhange berücksichtigten Leistungen der Sozialversicherung an den Kläger in der Höhe von 23.896.40 S. Während das Erstgericht dem Kläger u. a. den erwähnten Betrag von 123.061.60 S s. A. zugesprochen hatte, hat die Berufungsinstanz - diesbezüglich der Berufung der beklagten Partei folgend - das Teilbegehren von 123.061.60 S s. A. in Abänderung des Ersturteils abgewiesen. Um zur Rechtsrüge des Klägers zu diesem Punkte Stellung nehmen zu können, ist zunächst das Prozeßvorbringen der Parteien in erster Instanz in dieser Frage festzuhalten. In der Klage hat der Kläger diesbezüglich vorgebracht, er habe vor dem Unfalle vom 8. März 1961 die Baustellen nicht nur kaufmännisch selbst betreut, sondern auch in der Weise, daß er die einzelnen Bauführer angewiesen habe, wie sie das vom Kläger vertriebene Bautenschutzmittel "V." zu verwenden hätten; gerade diese Unterweisung sei ihm nach dem Unfall nicht mehr möglich gewesen; er habe zu seiner Unterstützung eine weitere Arbeitskraft benötigt und infolgedessen seit Juni 1962 seinen Bruder H. S. in seinem Betriebe gegen eine Entlohnung von monatlich 3000 S (einschließlich der Nebenkosten) verwendet. In der am 10. Juni 1964 erhobenen Klage sind aus diesem Titel 66.000 S - entsprechend 22 Monaten zu je 3000 Schilling - als Ersatz geltend gemacht worden. Der Beklagte hat diesen Anspruch bestritten und ausgeführt, die Einstellung des H. S. in den Betrieb des Klägers sei allein darauf zurückzuführen, daß es der Initiative des Klägers gelungen sei, seinen Betrieb zu erweitern. Darauf hat der Kläger erwidert, die Betriebserweiterung wäre weit größer gewesen, wenn der Kläger "über seine volle geistige und seelische Kapazität" - wie vor dem Unfall - verfügt hätte. Mit dem in der Tagsatzung vom 3. August 1966 vorgetragenen Schriftsatz hat der Kläger den bezüglichen Teilanspruch erweitert und ausgeführt, er habe auch nach Klagseinbringung an H. S. Leistungen erbringen müssen; im Gutachten des Sachverständigen Dkfm. R. seien die aliquoten Lohnkosten, entfallend auf Einschulung und Baustellenbetreuung, errechnet worden; diese Kosten seien dem Kläger zu ersetzen, weil die einschlägigen Arbeiten ohne Unfall und dessen Folgen vom Kläger selbst vorgenommen worden wären; für den Zeitraum vom 1. Juni 1962 bis 30. September 1965 ergebe sich ein Betrag von 123.951 S und für die folgende Zeit vom 1. Oktober 1965 bis 31. Mai 1966 ein weiterer Betrag von 30.702 S, zusammen also 154.653 S. Nach Erstattung des Ergänzungsgutachtens ist diese Forderung auf 146.958 S - wie oben genannt - eingeschränkt worden. Die beklagte Partei hat erwidert, daß der Kläger in der Lage gewesen wäre, in den in Betracht kommenden Zeiträumen die Baustellen selbst zu betreuen und Einschulungen - eine bloße Routinearbeit - vorzunehmen; die Wertung der aliquoten Lohnkosten des H. S. als Verdienstentganges sei unrichtig; diese Lohnkosten seien in den Gewinnen des Unternehmens bereits als Aufwand berücksichtigt. Schließlich hat der Kläger vorgebracht, daß Lohn an H. S. von Kläger bezahlt werden habe müssen, weil der Kläger selbst zur Vornahme der von H. S. geleisteten Arbeiten unfallsbedingt nicht in der Lage gewesen sei; der Eintritt des H. S. in den Betrieb des Klägers sei auf Umsatz und Gewinnerhöhung ohne Einfluß gewesen; mit einer Vermehrung des Gewinnes sei normalerweise zu rechnen gewesen, weil sich der Betrieb des Klägers seinerzeit noch im Gründungsstadium befunden habe.

Das Erstgericht hat festgestellt, daß der Kläger seit 1. Dezember 1960 einen Baustoffgroßhandel betreibt und auf Bautenschutzmittel spezialisiert ist; vom 15. Jänner 1959 bis 30. November 1960 hatte der Kläger eine Handelsagentur in der gleichen Branche, nachdem er vorher als Angestellter tätig war; seit Beginn der selbständigen Tätigkeit ist der Hauptvertriebsartikel das - ursprünglich von Wien bezogene und hierauf in Hamburg erzeugte und von dort angelieferte - Bautenschutzmittel "V.". Das Erstgericht hat des weiteren festgestellt, daß der Vertrieb des genannten Bautenschutzmittels nicht nur eine intensive Kundenwerbung, -beratung und -betreuung sowie umfangreiche Bürotätigkeit, sondern auch Unterweisung und Anlernung der Arbeiter auf den Baustellen erfordere, damit diese das Mittel fachgerecht einsetzen könnten. Aus dem Unfalle vom 8. März 1961 sei bis Mitte September 1961 ein 100%iger Entfall der Leistungsfähigkeit des Klägers anzunehmen; seine Leistungsfähigkeit sei unfallsbedingt hierauf bis Anfang März 1962 um 70%, von da an bis Anfang März I963 um 60%, hierauf bis Anfang September 1963 um 50% vermindert gewesen und sodann dauernd um 40% herabgesetzt. Der Vergleich vom 8. September 1962 sei dahin zu verstehen, daß der Kläger noch zu fordern berechtigt sei, was ihm an Einkommen seit dem Unfallstag unfallsbedingt entgangen sei und was ihm in Zukunft noch als Schade durch das Unfallsereignis in seinem wirtschaftlichen Fortkommen erwachse. Was nun die in dritter Instanz strittige Forderungspost von 123.061.60 S im besonderen betrifft, so finden sich im Ersturteil, womit dem Kläger dieser Betrag zugesprochen wurde, dazu nur noch folgende zwei Bemerkungen: Zunächst hat das Erstgericht ausgeführt, daß der Kläger anfänglich die oben bezeichneten Arbeiten allein bewältigt habe; nach dem Unfall des Klägers hätten sie aber zum Teil auf andere Personen übertragen werden müssen; zur Erledigung der Einschulungs- und Baustellenarbeiten sei der Bruder des Klägers, H. S., angestellt worden; zunächst sei daran gedacht worden, ihn auch zur Kundenwerbung heranzuziehen; er habe sich dazu als nicht geeignet erwiesen; daher sei er im Bedarfsfalle nebenher mit der Ausführung vollständiger Verarbeitungsaufträge betraut worden. Im folgenden aber hat das Erstgericht in diesem Zusammenhange ausgeführt, der Sachverständige Dkfm. R. habe den Anspruch auf Ersatz der aliquoten Lohnkosten für H. S. in seinem Gutachten schlüssig mit 146.958 S errechnet, sodaß dieser Betrag dem Kläger zuzusprechen sei.

In der Berufung hat die beklagte Partei u. a. diesen Zuspruch unter mehreren Gesichtspunkten bekämpft; soweit im Ersturteil diesbezüglich "überhaupt Feststellungen ganz allgemeiner Art" getroffen worden seien, würden diese angefochten. In der Berufungsverhandlung haben die Parteien nach Verlesung des Gutachtens des genannten Sachverständigen die von diesem errechneten Ziffern des Reingewinnes des Unternehmens des Klägers außer Streit gestellt. Das Berufungsgericht hat nicht verkannt, daß "gerade zu wesentlichen Punkten vom Erstgerichte pauschal auf Sachverständigengutachten verwiesen worden sei, sodaß konkrete Feststellungen nicht getroffen worden seien" und "eine Überprüfung praktisch nicht möglich sei". Dennoch war der Berufungssenat aus rechtlichen Erwägungen der Ansicht, im Gründe der bezogenen Außerstreitstellung das Teilbegehren puncto 123.061.60 S schon nach der gegebenen Aktenlage abweisen zu können.

Im Ergebnis zutreffend, wendet sich der Kläger gegen diese Erledigung der Berufungsinstanz. Denn es ist zwar richtig, daß es sich bei dem diesbezüglichen Teilanspruch um den Ersatz entgangenen Verdienstes im Sinne des § 1325 ABGB. handelt - mit Rücksicht auf das Vorbringen der Parteien ist in dieser Hinsicht mit der Lehre (vgl. Ehrenzweig, Recht der Schuldverhältnisse, 1928, S. 628 f.) festzuhalten, daß der Ersatz des Verdienstentganges zur eigentlichen Schadloshaltung gehört und dieser Ersatz dem Verletzten ohne Rücksicht auf den Grad des Verschuldens gebührt (vgl. auch 2 Ob 267/56 vom 23. Mai 1956, SZ. XXIX 43) - und daß also ein Ersatz nicht gebühren kann, wenn ein Entgang nicht vorliegt; es trifft auch zu, daß sich der Kläger unter dem Gesichtspunkt der dem Beschädigten obliegenden Rettungspflicht den Erfolg der von ihm nach dem Unfall eingeleiteten Umstellungsmaßnahmen anrechnen lassen muß; es kann aber keineswegs das zur Erörterung stehende Teilbegehren schon im Hinblick auf die nach dem Unfalle vom 8. März 1961 erzielten Reingewinne als unbegrundet angesehen werden, wie die Berufungsinstanz vermeint. In dieser Hinsicht darf doch der im Schadenersatzrecht gültige Grundsatz, daß der Verletzte durch den Unfall nicht besser, aber auch nicht schlechter gestellt sein soll, als er ohne Unfall und dessen Folgen wäre, nicht außer Acht gelassen werden. Die bloße Erhöhung des Reingewinns des Unternehmens, auf die das Berufungsgericht die Entscheidung abgestellt hat, bringt noch keine Lösung der Frage. Denn nicht der Reingewinn des Unternehmens vor dem Unfalle und jener in den Geschäftsjahren nach diesem Ereignis sind miteinander zu vergleichen, es kommt vielmehr darauf an, welchen Ertrag das Geschäft des Klägers vom 1. Juni 1962 bis 31. Mai 1966 (auf diesen Zeitraum ist das Ersatzbegehren wegen der Kosten für H. S. abgestellt) erzielt hätte, wenn der Kläger nicht unfallsbedingt in seiner Tätigkeit gehindert gewesen wäre, und welcher Ertrag in dieser Zeitspanne tatsächlich erzielt worden ist (innerhalb dieses Zeitraumes ist die Berechnung nach Geschäftsjahren vorzunehmen). Erst wenn sich ergäbe, daß der tatsächliche Erfolg dieser Geschäftsjahre größer war als der jeweils fiktive (nämlich bei Annahme nicht behinderter Tätigkeit des Klägers) Ertrag, müßte aus dieser Vergleichung abgeleitet werden, daß in Rücksicht der jeweiligen Differenz die vom Kläger für H. S. als Ersatzkraft vorgenommenen Aufwendungen mangels eines Entganges im Sinne des § 1325 ABGB. nicht zu vergüten sind; soweit die Aufwendungen (Lohnkosten) im Unterschiedsbetrage aber nicht gedeckt wären, stunde dem Ersatzbegehren unter dem Gesichtspunkt der anzustellenden Vergleichsrechnung nichts entgegen. Aus der im Berufungsverfahren vorgenommenen Außerstreitstellung ist der Fall nicht zu lösen, weil nicht vergleichbare Größen einander gegenübergestellt worden sind.

Daraus ergeben sich für die Erledigung dritter Instanz die nachstehenden Folgerungen:

Der von der Berufungsinstanz gebrauchte Grund für die Abweisung des bezogenen Teilbegehrens kann nicht gebilligt werden. Die Berufung des Beklagten ist in diesem Punkte in tatsächlicher Hinsicht nicht erledigt worden, was zunächst die Aufhebung des diesbezüglichen Teils des Berufungsurteils und die Rückverweisung dieses Punktes der Streitsache an die Berufungsinstanz zu Folge hätte. Nun ist aber bereits dargelegt worden, daß ausreichende konkrete Feststellungen der ersten Instanz zu dem oben dargestellten beiderseitigen Vorbringen zum genannten Teilanspruch im besonderen nicht vorliegen. Es ist daher zweckmäßig, auch das Ersturteil in diesem Punkte aufzuheben und die Streitsache auch in diesem Umfange an das Erstgericht (neben der schon vom Berufungsgerichte angeordneten Aufhebung und Rückverweisung laut Beschluß, der nicht angefochten wurde) laut dem obigen Spruche zurückzuverweisen. Das Erstgericht wird sich im künftigen Verfahren diesbezüglich mit der Begründung des Teilbegehrens durch den Kläger und den dazu erhobenen Einwendungen des Beklagten unter Bedachtnahme auf die oben dargelegte rechtliche Beurteilung (§ 511 (1) ZPO.) zu befassen haben.

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