OGH 2Ob123/24p

OGH2Ob123/24p25.7.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte MMag. Sloboda, Dr. Thunhart, Dr. Kikinger und die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei D*, vertreten durch Widter Mayrhauser Wolf Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei S*, vertreten durch Dr. Sebastian Lenz, Rechtsanwalt in Wien, wegen zuletzt 45.000 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 23. April 2024, GZ 11 R 45/24d‑41, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 31. Jänner 2024, GZ 7 Cg 128/22b‑34, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0020OB00123.24P.0725.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Erbrecht und Verlassenschaftsverfahren

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Erstgericht vorbehalten.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der 2021 verstorbene Erblasser hinterlässt eine Tochter (Klägerin) und eine Ehefrau (Beklagte). Letztere setzte er in einem 2015 errichteten Testament zu seiner Alleinerbin ein. Er war gemeinsam mit der Beklagten ua Miteigentümer einer Eigentumswohnung samt Abstellplatz. Das Wohnungseigentumsobjekt wies zum Todeszeitpunkt einen Verkehrswert von 440.000 EUR auf und dient(e) der Beklagten zur Befriedigung ihres dringenden Wohnbedürfnisses. Der Wert des (sonstigen) reinen Nachlasses betrug 6.619,58 EUR.

[2] Der Nachlass wurde der Beklagten rechtskräftig eingeantwortet. Sie zahlte der Klägerin am 17. 10. 2022 zur Abgeltung ihres Pflichtteils 30.539,86 EUR.

[3] Die Klägerin begehrt unter Zugrundelegung des Reinnachlasses zuzüglich des Werts des halben Mindestanteils die Zahlung einer offenen Pflichtteilsforderung in Höhe von zuletzt 45.000 EUR.

[4] Die Beklagte wendet ein, der Pflichtteil sei nach § 14 Abs 3 Satz 2 WEG nur unter Berücksichtigung des an den Nachlass zu zahlenden Viertels des Verkehrswerts des Mindestanteils zu berechnen.

[5] Das Erstgericht gab der Klage statt. Ungeachtet des Umstands, dass der dem Nachlass von der Beklagten zu leistende Übernahmspreis nach § 14 Abs 3 Satz 2 WEG lediglich ein Viertel des Verkehrswerts des (gesamten) Mindestanteils (= halber Übernahmspreis) betrage, sei der Pflichtteilsanspruch unter Zugrundelegung des halben Verkehrswerts des (gesamten) Mindestanteils (= fiktiver gesamter Übernahmspreise) zu berechnen.

[6] Das Berufungsgericht gab einer Berufung der Beklagten teilweise Folge und sprach der Klägerin 8.333,33 EUR sA zu. Der von der Beklagten der Verlassenschaft zu zahlende Übernahmspreis betrage nach § 14 Abs 3 Satz 2 WEG nur ein Viertel des Verkehrswerts des Mindestanteils. Da der von der Anwachsung umfasste Liegenschaftsanteil wegen des unmittelbaren Eigentumsübergangs an die Beklagte nicht in den Nachlass falle, könne nur der an den Nachlass zu zahlende Übernahmspreis als Bemessungsgrundlage herangezogen werden. Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht zur Frage zu, ob im Anwendungsbereich des § 14 Abs 3 Satz 2 WEG der Verkehrswert des anwachsenden (halben) Mindestanteils oder der vom überlebenden Partner (Begünstigten der Anwachsung) tatsächlich zu zahlende Übernahmspreis als Bemessungsgrundlage für die Berechnung von Pflichtteilsansprüchen heranzuziehen ist.

[7] Dagegen richtetet sich die ordentliche Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Abänderungsantrag, ihrer Klage vollinhaltlich stattzugeben.

[8] Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[9] Die ordentliche Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig. Sie ist aber nicht berechtigt.

[10] Die Klägerin argumentiert, während § 14 Abs 3 Satz 1 WEG dem überlebenden Partner, der pflichtteilsberechtigt ist und ein dringendes Wohnbedürfnis hat, die Zahlung des Übernahmspreises gänzlich erlasse, diene § 14 Abs 3 Satz 2 WEG dem Schutz der anderen Pflichtteilsberechtigten, die am reduzierten Übernahmspreis partizipieren sollen. Bei einer Pflichtteilsberechnung unter Zugrundelegung nur des halben Übernahmspreises wäre dieser Gesetzeszweck konterkariert, weil der Großteil den Erben zugute käme.

[11] 1. Nach § 14 Abs 1 Z 1 WEG idF BGBl I 87/2015 gilt beim Tod eines Partners für den Anteil des Verstorbenen– unter Ausschluss sonstigen Erwerbs von Todes wegen, aber vorbehaltlich einer abweichenden Vereinbarung – dass der Anteil des Verstorbenen am Mindestanteil und gemeinsamen Wohnungseigentum von Gesetzes wegen unmittelbar ins Eigentum des überlebenden Partners übergeht.

[12] 2. § 14 Abs 2 WEG verpflichtet den Erwerber dazu, der Verlassenschaft die Hälfte des Verkehrswerts (§ 2 Abs 2 LBG) des Mindestanteils zu bezahlen (Übernahmspreis).

[13] 3. § 14 Abs 3 Satz 1 WEG ordnet den Entfall der Zahlungspflicht an, wenn der Erwerber ein Pflichtteilsberechtigter des Erblassers und Gegenstand des gemeinsamen Wohnungseigentums eine Wohnung ist, die dem Überlebenden zur Befriedigung seines dringenden Wohnbedürfnisses dient. Wenn aber zumindest noch ein anderer Pflichtteilsberechtigter vorhanden ist, hat der überlebende Partner gemäß § 14 Abs 3 Satz 2 WEG ein Viertel des Verkehrswerts des Mindestanteils an die Verlassenschaft zu bezahlen.

4. Gesetzesgenese des § 14 Abs 3 WEG

[14] 4.1 Die Vorgängerbestimmung des § 10 Abs 3 WEG 1975 ordnete noch an, dass der überlebende Partner den anderen Pflichtteilsberechtigten jenen Betrag zu bezahlen hat, der den vom Übernahmspreis im Sinn des Abs 2 zu errechnenden Pflichtteilsansprüchen entspräche.

[15] Nach Welser (in Rummel³ § 784 ABGB Rz 9; ebenso Fischer‑Czermak, JBl 1987, 375; wohl auch Kralik, Die Eigentumswohnung von Ehegatten in der Verlassenschaftsabhandlung, NZ 1978, 166 [170]) stand dieser Anspruch gegen den Anwachsungsberechtigten nicht jedenfalls, sondern nur dann zu, wenn durch die Einsetzung des fiktiven Übernahmspreises nach Abs 2 (dh: Berechnung des Pflichtteils unter Berücksichtigung des sonstigen Nachlasses zuzüglich des fiktiven Übernahmspreises) überhaupt Pflichtteilsansprüche entstünden oder vergrößert würden. Dem ist schon deshalb beizupflichten, weil im Hinblick auf den bezweckten Schutz des wohnbedürftigen Überlebenden den übrigen Pflichtteilsberechtigten keine Ansprüche eingeräumt werden sollten, die sie selbst bei einer Volleinzahlungspflicht des Anwachsungsberechtigten nicht hätten und Zweck der Bestimmung lediglich ist, eine Verkürzung der Pflichtteile aufgrund des Anteilszuwachses zu vermeiden.

[16] 4.2 Auch § 14 Abs 3 Satz 2 WEG 2002 idF vor der WRN 2006 enthielt eine entsprechende, lediglich um die „Berücksichtigung auch des übrigen Nachlasses“ ergänzte Zahlungspflicht des überlebenden Partners.

[17] Der mit dem WEG 2002 eingeführte Einschub „unter Berücksichtigung auch des übrigen Nachlasses“ wurde in der Lehre nach dem Zweck der Regelung, dem überlebenden Pflichtteilsberechtigten die Wohnung möglichst zu erhalten, dahin ausgelegt, dass auch dieser Betrag nur zu bezahlen ist, soweit die Pflichtteilsansprüche der anderen auch im übrigen Nachlass keine Deckung finden. Es war daher immer die Situation der Pflichtteilsberechtigten bei Entfall des Übernahmspreises mit jener bei dessen Zahlung zu vergleichen (Fischer‑Czermak, Vereinbarungen nach § 14 Abs 4 und 5 WEG – rechtliche Beurteilung und Verhältnis zum Erwerb des halben Mindestanteils im Erbweg, FS Welser, 189 [198]; Würth in Rummel3 § 14 WEG 2002 Rz 7; Kletečka, Die Eigentümerpartnerschaft im Todesfall, NZ 2004/69; Holzner,Wertungswidersprüche im neuen § 14 Abs 3 WEG?, NZ 2008/1).

[18] 4.3 Beide Bestimmungen ordneten daher eine direkte Zahlungspflicht des Überlebenden gegenüber den Pflichtteilsberechtigten an (5 Ob 65/06d Pkt 3.3.; Likar‑Peer, Die Neufassung des § 14 WEG 2002 durch die WRN 2006, Rechtsnachfolge bei Tod eines Eigentümerpartners, immolex 2006, 294) und sollten eine Verkürzung des Pflichtteils sonstiger Pflichtteilsberechtigter durch den gesetzlichen Anteilszuwachs verhindern (Holzner, Wertungswidersprüche im neuen § 14 Abs 3 WEG?, NZ 2008/1). Berechnet wurde der (allfällige) Anspruch gegen den Überlebenden nach der gesetzlichen Anordnung auf Grundlage des (gesamten) Übernahmspreises.

[19] 4.4 An dieser Regelung wurde vor allem kritisiert (vgl Kletečka, Die Eigentümerpartnerschaft im Todesfall, NZ 2004/69), dass mangels Einzahlung in den Nachlass die Interessen der Pflichtteilsberechtigten jenen der Gläubiger vorgereiht würden. Die Rangordnung zwischen Gläubigern und Noterben hänge nämlich von als Zufälligkeit anzusehenden Umständen beim überlebenden Eigentumspartner ab. Hat dieser kein Pflichtteilsrecht oder kein dringendes Wohnbedürfnis, habe er den Übernahmspreis in den Nachlass einzuzahlen. Von diesem würden selbstverständlich zunächst die Gläubiger befriedigt, erst vom reinen Nachlass würden dann die Pflichtteile errechnet. Liegen hingegen die Voraussetzungen des § 14 Abs 3 WEG 2002 vor, ergebe sich auf Grund der Direktzahlung ein Vorrang der Noterben. Kletečka schlug daher de lege ferenda generell eine auf ein Viertel des Mindestanteils reduzierte Zahlungspflicht eines qualifiziert wohnbedürftigen Pflichtteilsberechtigten vor.

[20] 4.5 Durch die WRN 2006 sollte eine „durchgehende Revision“ der Bestimmungen über das Schicksal einer Eigentümerpartnerschaft bei Tod eines Partners unter grundsätzlicher Beibehaltung der bisherigen Systematik erfolgen (1183 BlgNR 22. GP , 2). Zur Neufassung des § 14 Abs 3 WEG halten die Materialien (1183 BlgNR 22. GP , 19) fest, dass die bisher komplizierten Berechnungen durch die Bezugnahme auf die Pflichtteilsansprüche der übrigen Noterben vereinfacht und durch eine Zahlungspflicht des pflichtteilsberechtigten und „bedarfsqualifiziert Überlebenden“ zu Gunsten des Nachlasses ersetzt werden sollten.

[21] Der Ministerialentwurf sah – entsprechend dem Vorschlag Kletečkas (aaO) – noch vor, dass der qualifiziert wohnbedürftige Pflichtteilsberechtigte unabhängig vom Vorhandensein anderer Noterben oder von Nachlassgläubigern (nur) den halben Übernahmspreis zu zahlen habe. Beim Wohnrechtsgipfel im April 2005 – so die Materialien (1183 BlgNR 22. GP , 19) – wurde aber entschieden, dass die Zahlungspflicht des „bedarfsqualifiziert Überlebenden“ nicht jedenfalls, sondern nur dann bestehen sollte, wenn entweder noch ein anderer (konkret pflichtteilsberechtigter) Noterbe des verstorbenen Partners vorhanden oder der Nachlass überschuldet ist.

5. Lehre

[22] 5.1 Ein Teil der Lehre (Likar‑Peer, Die Neufassung des § 14 WEG 2002 durch die WRN 2006, Rechtsnachfolge bei Tod eines Eigentümerpartners, immolex 2006, 294; dieselbe in Ferrari/Likar-Peer, Erbrecht² Rz 13.22; Höllwerth in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht5 § 14 WEG Rz 43a; Mondel in Illedits, Wohnrecht4 § 14 WEG Rz 17; Hopf/Kathrein, Eherecht3 § 14 WEG Rz 6; Pferscha, § 14 WEG 2002 – Tod des Partners, EF‑Z 2012/151) tritt vor allem unter Hinweis auf die Konzeption des § 14 WEG im Zusammenhalt mit den allgemeinen Pflichtteilsberechnungsgrundsätzen, die „schematische“, auf eine Vereinfachung der Rechtsfolgen des Todes eines Eigentümerpartners abzielenden gesetzlichen Regelung und überhaupt die Sonderstellung der Eigentümerpartnerschaft dafür ein, (nur) den tatsächlich an die Verlassenschaft zu zahlenden, auch als Nachlassaktivum vorhandenen Übernahmspreis als Bemessungsgrundlage für die Pflichtteilsansprüche mitzuberücksichtigen.

[23] 5.2 Holzner (Wertungswidersprüche im neuen § 14 Abs 3 WEG?, NZ 2008/1) teilt im Ergebnis dieses Verständnis, weist aber auf diverse Wertungswidersprüche hin. Er begrüßt zwar die partielle „Heimführung“ der Abgeltungspflicht ins allgemeine Erbrechtssystem, das die Befriedigung von Erblasserschulden vor jener der Erbgangsschulden vorsieht, kritisiert aber, dass die Neuregelung des § 14 Abs 3 Satz 2 WEG idF der WRN 2006 zu befremdlichen Ergebnissen führe, wenn der halbe Übernahmspreis nicht (oder nur zum geringen Teil) für die Befriedigung von Erblassergläubigern aufgeht, aber ein „anderer“ Pflichtteilsberechtigter vorhanden ist. Den Anteilsübernehmer treffe wegen des bloßen Vorhandenseins dieses „anderen“ Pflichtteilsberechtigten eine Zahlungspflicht an die Verlassenschaft in Höhe des halben Zuwachswerts unabhängig davon, ob dieser Pflichtteil des anderen durch sonstiges Vermögen gedeckt ist, ja sogar unabhängig davon, wie hoch dessen bloße Pflichtteilsquote überhaupt wäre. Diese Pflicht zur Ausgleichszahlung sei weder wie in der ursprünglichen Fassung des WEG 2002 an eine tatsächliche Pflichtteilsverkürzung geknüpft, noch werde sie „abstrakt“ vom zugewachsenen Anteilswert nach der Pflichtteilsquote dieser anderen Pflichtteilsberechtigten bemessen, wie das mehrheitlich zu § 10 Abs 3 WEG 1975 vertreten worden sei. Der weitaus größte Teil der Vergütung komme den Erben zugute. Es fehle jeder nachvollziehbare Grund, warum das bloße Vorhandensein irgendwelcher anderer Pflichtteilsberechtigten die Erben ungezielt und zufällig profitieren lässt, zeige doch § 14 Abs 3 Satz 1 WEG, dass schlichten Erben bei dringendem Wohnbedürfnis des Anteilserwerbers überhaupt kein Ausgleich für den Verlust des Anteils gebührt, wenn andere Pflichtteilsberechtigte fehlen. Die Verlassenschaft erhalte einen Ausgleich ausschließlich im Interesse der Gläubiger und/oder zur Befriedigung der Pflichtteilsberechtigten, nicht aber im Interesse des Erben. In diesem Punkt habe die WRN 2006 bloß den bisherigen „Pflichtteilsergänzungsanspruch“ gegen den Übernehmer ersetzen wollen, für dessen Bemessungsgrundlage Entsprechendes gegolten habe. Der Gesetzgeber habe aber offenbar übersehen, dass der vorgenommene Systemwechsel vom Direktanspruch der Pflichtteilsberechtigten gegen den Übernehmer hin zum Anspruch der Verlassenschaft mit anschließender erbrechtlicher Auseinandersetzung zwischen Erben und Pflichtteilsberechtigten eine besondere erbrechtliche Anordnung für die Bemessungsgrundlage des Pflichtteils erfordert hätte. Er schlägt daher de lega ferenda ua vor, anzuordnen, denPflichtteil unter Einbeziehung des ganzen Übernahmspreises in die Bemessungsgrundlage zu berechnen.

[24] 5.3 Demgegenüber plädieren Hofmann (Die Neuregelung der Eigentümerpartnerschaft im Todesfall [§ 14 WEG 2002] durch die Wohnrechtsnovelle 2006 [Teil I] – Änderungen und Auslegungsfragen, FamZ 2006, 228), Bartosch (Die Eigentümerpartnerschaft im Todesfall nach der Wohnrechtsnovelle 2006, NZ 2008/2), W. Tschugguel (Wirkung des Nottestaments auf frühere Verfügungen. Wenn die Pflichtteilsforderung den Reinnachlass übersteigt – ein Fall des § 14 Abs 3 WEG, IFamZ 2008, 254), A. Tschugguell (§ 14 WEG und Pflichtteilsrecht, NZ 2010/100), Spruzina (in GeKo Wohnrecht II2 § 14 WEG 2002 Rz 31), Aichberger-Beig (in Gruber/Kalss/Müller/Schauer, Vermögensnachfolge2 § 8 Rz 16) und Deixler‑Hübner/Ehegartner (in Deixler‑Hübner, Handbuch Familienrecht2, 822) dafür, den Pflichtteilsanspruch nicht auf Grundlage des Reinnachlasses ergänzt um das einzuzahlende Viertel des Verkehrswerts des Mindestanteils (= halber Übernahmspreis) zu berechnen, sondern (stets) den gesamten Wert des halben Mindestanteils (= fiktiver ganzer Übernahmspreis) im Rahmen der Pflichtteilsberechnung zu berücksichtigen. Zusammengefasst führen die Autoren ins Treffen, aus dem Gesamtgefüge des § 14 WEG sei eine beabsichtigte Stärkung der Position der Pflichtteilsberechtigten erkennbar. Mit der Heranziehung nur des halben Übernahmspreises würde aber aufgrund der geringeren Bemessungsgrundlage genau das Gegenteil eintreten. Der Gesetzgeber habe aber keine Verminderung der Pflichtteilsansprüche im Vergleich zur Rechtslage vor der WRN 2006 beabsichtigt, sondern nur zugunsten des überlebenden Partners die Berechnung der Zahllast des begünstigten Übernehmers, die zur Deckung der Pflichtteile beitragen soll, vereinfachen wollen. Auch in den Gesetzesmaterialien werde – wenn auch zu § 14 Abs 2 WEG – ausgeführt, dass durch eine einvernehmliche Festsetzung des Übernahmspreises unter dem halben Verkehrswert des (gesamten) Mindestanteils die Pflichtteilsansprüche nicht beeinträchtigt werden dürften. Aus § 14 Abs 3 Satz 1 WEG sei überdies die Wertung des Gesetzgebers abzuleiten, dass der Erbe bei Vorhandensein eines qualifiziert wohnbedürftigen Pflichtteilsberechtigten in Bezug auf den Mindestanteil gänzlich leer ausgehen soll. Die von § 14 Abs 3 Satz 2 WEG angeordnete Pflicht, zumindest den halben Übernahmspreis zu zahlen, sei nur auf das Vorhandensein weiterer Pflichtteilsberechtigter zurückzuführen. Die Zahlung solle daher wirtschaftlich vorwiegend diesen zu Gute kommen, was nur bei Bemessung der Pflichtteile unter Berücksichtigung des Verkehrswerts des halben Mindestanteils gewährleistet sei. Da die Höhe der Pflichtteilsansprüche maximal die Hälfte der Bemessungsgrundlage betrage, müssten die Erben – für den Hälfteanteil des Erblassers am Mindestanteil – auch nie mehr an die Pflichtteilsberechtigten leisten, als sie selbst als Übernahmspreis erhalten. Überdies müsse sich der Anwachsungsberechtigte den Zuwachs auf seinen Pflichtteil anrechnen lassen, sodass er auch in die Bemessungsgrundlage der Pflichtteilsansprüche miteinzubeziehen sei.

[25] 6. Der Oberste Gerichtshof konnte die Frage, wie der Übernahmspreis für den gemäß § 14 Abs 1 Z 1 WEG auf den Pflichtteilsberechtigten übergegangenen Anteil des Erblassers am Mindestanteil und gemeinsamen Wohnungseigentum bei den Pflichtteilen der anderen Pflichtteilsberechtigten anzusetzen ist, bisher offen lassen (vgl 2 Ob 10/22t Rz 6).

7. Stellungnahme des Senats

[26] 7.1 Der Pflichtteil wird – abgesehen von der hier mangels Vorliegens einer Zuwendung unter Lebenden nicht einschlägigen Hinzu- und Anrechnung von Schenkungen nach § 781 ABGB (vgl dazu auch Pkt 7.3; aA offenbar Spruzina in GeKo Wohnrecht II2 § 14 WEG 2002 Rz 31, nach dem hinsichtlich der Hälfte des Verkehrswerts des halben Mindestanteils eine der Hinzu- und Anrechnung unterliegende Schenkung anzunehmen ist) – vom reinen Nachlass berechnet (Welser, Erbrechts-Kommentar § 779 ABGB Rz 1), zu dessen Ermittlung die Erblasser- und Erbgangsschulden von den Verlassenschaftsaktiven abzuziehen sind (Musger in KBB7 § 779 ABGB Rz 1).

[27] Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass der Erwerb kraft Gesetzes durch Anwachsung nach § 14 Abs 1 WEG bewirkt, dass der Anteil des Erblassers am Mindestanteil und gemeinsamen Wohnungseigentum wegen dieses unmittelbaren, außerbücherlichen Eigentumsübergangs nicht in die Verlassenschaftsmasse fällt (RS0082946). Es handelt sich bei der Anwachsung um ein wohnungseigentumsrechtliches Institut sui generis (5 Ob 115/18z Pkt 2.2.), eine Sonderrechtsnachfolge von Todes wegen und nicht um eine Sondererbfolge, auf welche die erbrechtlichen Regelungen anzuwenden wären (2 Ob 9/16m Pkt 4.).

[28] 7.2 Die von § 14 Abs 2 WEG angeordnete Pflicht des Erwerbers, den mit der Hälfte des Verkehrswerts des (gesamten) Mindestanteils anzusetzenden Übernahmspreis an die Verlassenschaft zu zahlen, dient dem wertmäßigen Ausgleich für die Anwachsung des halben Mindestanteils und soll eine Benachteiligung der Erben, Pflichtteilsberechtigten und Gläubiger des Erblassers verhindern (2 Ob 18/23w Rz 7; Spruzina in GeKo Wohnrecht II2 § 14 WEG 2002 Rz 21; Spitzer, § 14 WEG neu: Tod des Eigentümerpartners, ecolex 2006, 818). Anstelle des anwachsenden halben Mindestanteils des Erblassers ist die wertmäßig gleich hohe Forderung des Nachlasses gegen den Anwachsungsberechtigten als Nachlassaktivum vorhanden. Für die Berechnung der Pflichtteilsansprüche ändert sich daher nichts.

[29] 7.3 Die Anwachsung der Hälfte der Eigentumswohnung ist, soweit der überlebende Wohnungseigentumspartner keinen Übernahmspreis zu zahlen hat, wie sonstige Zuwendungen auf den Todesfall in dessen allfälligen Pflichtteil gemäß § 780 Abs 1 ABGB analog einzurechnen (RS0012975 = 5 Ob 111/85; Hawel in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.06 § 780 Rz 1; Musger in KBB7 § 780 ABGB Rz 1; Umlauft in Klang³ § 780 ABGB Rz 13; Welser, Erbrechts-Kommentar § 780 ABGB Rz 2). Dies bedeutet im Anwendungsbereich des § 14 Abs 3 Satz 2 WEG, dass der Anwachsungsberechtigte sich die ihm ohne zu leistenden Ausgleich zu Gute kommende Anwachsung in Höhe von einem Viertel des Werts des (gesamten) Mindestanteils auf seinen Pflichtteil einrechnen lassen muss.

[30] 7.4 Der erkennende Senat hält die von einem Teil der Lehre (Pkt 5.2 und 5.3) vorgetragenen teleologischen Bedenken gegen die Berücksichtigung nur des an den Nachlass zu zahlenden halben Übernahmspreises zwar durchaus für beachtlich. Eine Einbeziehung des gesamten Übernahmspreises in die Pflichtteilsberechnungsgrundlage ist aber aus methodischen Gründen nicht zulässig.

[31] § 14 Abs 3 Satz 2 WEG regelt lediglich die Höhe des vom Überlebenden an den Nachlass zu zahlenden Übernahmspreises, trifft aber keine Aussage, wie bei der Pflichtteilsberechnung vorzugehen ist.

[32] Insoweit kommen daher die gesetzlich normierten allgemeinen Grundsätze (vgl Pkt 7.1) zur Anwendung. Da aufgrund dieser der Rechtsfall ohnehin beurteilt werden kann, scheidet eine von einem Teil der Lehre offenbar angestrebte Lückenfüllung durch Berücksichtigung des gesamten Übernahmspreises aus (RS0098756). Dass eine Regelung allenfalls wünschenswert wäre, reicht für die Annahme einer Gesetzeslücke nicht aus (RS0098756 [T10]). Auch bedeutet die Anrechnung des übernahmspreisfreien Zuwachses in analoger Anwendung des § 780 Abs 1 ABGB noch nicht zwingend, dass dieser bei Berechnung der Pflichtteile miteinzubeziehen ist. Dies ist aus der bloß die Anrechnung regelnden Bestimmung nicht abzuleiten.

[33] Dass den Pflichtteilsberechtigten nicht der gesamte bzw zumindest überwiegende Teil des zu zahlenden halben Übernahmspreises zufließt, sondern auch der Erbe profitiert, weckt noch keine verfassungsrechtlichen Bedenken, ist doch auch – worauf Höllwerth (in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht5 § 14 WEG Rz 43a) zu Recht hinweist – im Anerbenrecht ebenso eine Verkürzung der Pflichtteilsberechtigten aufgrund des gegenüber dem Verkehrswert begünstigten Übernahmspreises vorgesehen.

[34] 8. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 3 ZPO. Hat das Erstgericht von der ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeit eines Kostenvorbehalts keinen Gebrauch gemacht, wohl aber – wie hier – das Berufungsgericht sowohl hinsichtlich der Kosten des Verfahrens erster Instanz als auch hinsichtlich der Kosten des Berufungsverfahrens, ist daran auch der Oberste Gerichtshof gebunden. Nach § 52 Abs 3 ZPO hat das Erstgericht die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu bestimmen (RS0129336).

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