OGH 2Ob120/07x

OGH2Ob120/07x24.1.2008

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Baumann als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Danzl, Dr. Veith, Dr. Grohmann und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Reinhold S*****, vertreten durch Dr. Egon Duschek, Rechtsanwalt in Knittelfeld, gegen die beklagte Partei Land Steiermark, Landhausgasse 7, 8010 Graz, vertreten durch Mag. Leopold Zechner, Rechtsanwalt in Bruck an der Mur, wegen 15.260,88 EUR sA (Revisionsinteresse 7.630,44 EUR sA), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 4. Jänner 2007, GZ 5 R 169/06x-19, womit das Urteil des Landesgerichts Leoben vom 20. Juni 2006, GZ 4 Cg 142/05x-14, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit 665,66 EUR (darin enthalten 110,94 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Begründung

Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage gemäß § 502 Abs 1 ZPO kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).

Das Berufungsgericht hat nachträglich gemäß § 508 Abs 3 ZPO die ordentliche Revision zugelassen, weil in der Annahme der Zumutbarkeit einer Ableitung des Schmelzwassers ohne konkrete Feststellung, wie diese allenfalls erfolgen hätte können, allein wegen der Behauptung der beklagten Partei, eine solche Ableitung des Schmelzwassers ohnehin durchgeführt zu haben, allenfalls eine Fehlbeurteilung zu erblicken sein möge.

Rechtliche Beurteilung

Mit dieser Begründung zeigt das Berufungsgericht keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO auf. Eröffnet eine bereits vorhandene Grundsatzjudikatur des Obersten Gerichtshofs einen Wertungsspielraum, so darf das Berufungsgericht seinen Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision nur dann nachträglich abändern, wenn es zur Überzeugung gelangt, dass ihm bei der Würdigung des Anlassfalles eine erhebliche Fehlbeurteilung unterlief (RIS-Justiz RS0114180).

Nach den maßgeblichen Feststellungen der Vorinstanzen war die Fahrbahn der Bundesstraße 95 im Bereich der Unfallstelle mit einer 8,1 m breiten Asphaltdecke befestigt, die in Richtung Osten (Fahrtrichtung des Klägers) mit 4 % abfällt und zum nördlichen Fahrbahnrand ein Quergefälle von 4 % aufweist. Im Unfallsbereich verläuft die Bundesstraße als Freilandstraße, wobei eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 70 km/h verordnet ist. Im Unfallsbereich sind keine Verkehrszeichen in Bezug auf das Unfallsgeschehen aufgestellt.

Um 15.40 Uhr am Unfallstag führte der bei der Straßenmeisterei M***** beschäftigte Bernhard J***** auf der Fahrbahn der B 95 im Bereich der Unfallstelle eine Salzstreuung durch. Vom Unfall des Helmut E***** um

15.10 Uhr desselben Tages hatte er keine Kenntnis. Die Salzstreuarbeiten erfolgten im Rahmen der von Bernhard J***** täglich durchgeführten Streuarbeiten. Die Salzstreuung war aber nicht ausreichend, da von Süden Schmelzwasser auf die Fahrbahn der B 95 gelangte und in Richtung Nordosten abfloss. Die Salzauflage wurde vom Schmelzwasser zum nördlichen Fahrbahnrand hin ausgeschwemmt, sodass im Bereich der südlichen Fahrbahnhälfte keine ausreichende Salzstreuung bestand. Eine derartige Salzstreuung wäre nur dann effektiv, wenn diese nach dem Eintreten des Gefrierens der Wasserschicht aufgebracht würde. Maßnahmen zur Ableitung des auf die Fahrbahn der B 95 gelangenden Schmelzwassers führte Bernhard J***** nicht durch. Ihm war bekannt, dass es sich bei der B 95 im Unfallbereich um eine überschattige Stelle handelt, wo jedenfalls Streumaßnahmen durchzuführen waren.

Gegen 18.05 Uhr näherte sich der Kläger mit seinem PKW der Unfallstelle in Richtung Osten fahrend. Die Fahrbahn der B 95 war in Fahrtrichtung des Klägers zunächst trocken und ab dem Kurvenausgang vereist. Infolge einer Reaktionsverspätung von rund drei Sekunden bzw einer Fehlreaktion in Form einer Bremsung auf der vereisten Stelle kam das Fahrzeug des Klägers ins Schleudern, wodurch es zweimal mit der Leitschiene kollidierte und der den Gegenstand dieses Verfahrens bildende Sachschaden entstand. Die Fahrbahn der Bundesstraße war insbesondere auf der (vom Kläger zu benützenden) südlichen Fahrbahnhälfte über die gesamte Schleuderstrecke des Klagsfahrzeugs vereist. Aus den Feststellungen ergibt sich die Länge der Schleuderstrecke mit mindestens 70 m.

Wenngleich an die Streupflicht auf offenen Freilandstraßen keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden dürfen (RIS-Justiz RS0023431), so kann doch angesichts der festgestellten Umstände in der Bejahung grober Fahrlässigkeit des beklagten Landes als Wegehalter bzw des von ihm eingesetzten Mitarbeiters keine krasse Fehlbeurteilung erkannt werden. Im Unterschied etwa zur Entscheidung 2 Ob 21/05k gab es im vorliegenden Fall im Unfallszeitpunkt bzw in der Zeit unmittelbar davor keine Niederschläge, ist doch von einer trockenen Fahrbahn vor der vereisten Stelle die Rede. Ist einem der Leute des Halters die Gefährlichkeit aufgrund der mangelhaften Betreuung einer vereisten Straßenstelle bekannt, dann ist grobe Fahrlässigkeit nur auszuschließen, wenn die Betreuung aus zwingenden Gründen undurchführbar war (2 Ob 191/97w; 2 Ob 314/99m). Auch die Revision zeigt keine (sonstige) erhebliche Rechtsfrage auf. Dass eine oberstgerichtliche Rechtsprechung dazu fehlt, welche Relevanz den Winterdienstkriterien der „Österreichischen Forschungsgemeinschaft Straße und Verkehr" zukommt und welche Voraussetzungen vorliegen müssen, damit ein Straßenhalter von diesen Winterdienstkriterien im Sinne einer Verschärfung seiner Sorgfaltspflicht abweichen muss, kann keine erhebliche Rechtsfrage begründen. Das Ausmaß der Pflichten eines Wegehalters gemäß § 1319a ABGB ist auf Grundlage des im jeweiligen Einzelfall festzustellenden Sachverhalts eine Frage der rechtlichen Beurteilung, die den Gerichten vorbehalten ist.

Der schließlich erhobene Vorwurf gegen das Berufungsgericht, es habe die erstgerichtliche Feststellung, der Zeuge Bernhard J***** habe vom ersten Unfall im Unfallbereich keine Kenntnis gehabt, unberücksichtigt gelassen, ist unzutreffend, weil das Berufungsgericht in seinem Urteil an den Umstand der Kenntnis bzw Unkenntnis des Mitarbeiters der beklagten Partei vom vorher stattgefundenen Unfall keinerlei Überlegungen oder Konsequenzen geknüpft hat.

Die von den Vorinstanzen vorgenommene Verschuldensteilung von 1 : 1 zwischen den Streitteilen wird (abgesehen von der generellen Bestreitung einer haftungsbegründenden groben Fahrlässigkeit auf Seite der beklagten Partei) in der Revision ohnehin nicht bekämpft. Die Beurteilung des Verschuldensgrads unter Anwendung der richtig dargestellten Grundsätze, ohne dass ein wesentlicher Verstoß gegen maßgebliche Abgrenzungskriterien vorläge, und das Ausmaß eines Mitverschuldens des Geschädigten könnten wegen ihrer Einzelfallbezogenheit nicht als erhebliche Rechtsfrage gemäß § 502 Abs 1 ZPO gewertet werden (RIS-Justiz RS0087606; vgl zur Zumutbarkeit von Maßnahmen auch RS0087607).

Mangels des Vorliegens einer Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO war die Revision zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO. Der Kläger hat in der Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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