OGH 2Ob115/13w

OGH2Ob115/13w19.12.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Zoran C*****, vertreten durch Dr. Ernst Ploil, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. Stadt Wien, 1082 Wien, Rathaus, vertreten durch Dr. Peter Rudeck und Dr. Gerhard Schlager, Rechtsanwälte in Wien, und 2. S***** Aktiengesellschaft *****, vertreten durch Siemer‑Siegl‑Füreder & Partner, Rechtsanwälte in Wien, wegen 138.192,49 EUR sA und Feststellung, über die außerordentlichen Revisionen der erst‑ und der zweitbeklagten Partei gegen das Teil‑ und Zwischenurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 18. April 2013, GZ 15 R 235/12g‑102, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentlichen Revisionen der erst‑ und der zweitbeklagten Partei werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Der Kläger wurde am 22. 6. 2006 bei Abbrucharbeiten in einem Kabelschacht in Wien durch einen Stromstoß bzw eine Stichflamme, die von einem in der Schachtwand ungeschützt eingemauerten Starkstromkabel ausging, schwer verletzt. Das Starkstromkabel war 1976 anlässlich des U‑Bahn‑Baues verlegt worden, der Schacht wurde danach zwischen 1976 und 1992 für die Verkabelung einer Verkehrslichtsignalanlage im Auftrag der Erstbeklagten hergestellt.

Die Zweitbeklagte war Auftragnehmerin der erstbeklagten Stadt für die 2006 durchgeführten Bauarbeiten, bei denen der Kläger verletzt wurde. Im Rahmen der Auftragserteilung hatte sie sowohl Koordinationspflichten als auch Aufgaben gemäß BauKG sowie die Beschaffung aller für die ordnungsgemäße Abwicklung des Projekts notwendigen Unterlagen übernommen und sich verpflichtet, vor Baubeginn die Lage aller Einbauten zu erheben.

Der Kläger war Arbeitnehmer einer ständigen Subunternehmerin der Zweitbeklagten, die in ihrem Rahmenvertrag mit der Zweitbeklagten die Verpflichtung, Erhebungen über Einbauten durchzuführen, weiter übernommen hatte.

Tatsächlich war die Arbeitsabwicklung aber regelmäßig so, dass ein Mitarbeiter der Zweitbeklagten den Arbeitnehmern der Subunternehmerin, darunter auch dem Kläger, direkt und ohne Rückfrage oder Einbeziehung der Arbeitgeberin des Klägers Arbeitsaufträge und Arbeitsweisungen erteilte. Auch der Auftrag zur Durchführung der konkreten, zur Verletzung des Klägers führenden Arbeiten ‑ der Abtragung des baufällig gewordenen Schachts und dessen Erneuerung so, dass auch ein neuer Schachtdeckel aufgesetzt werden konnte ‑ wurde dem Kläger und einem Arbeitskollegen direkt vom Mitarbeiter der Zweitbeklagten erteilt, ohne Rücksprache mit der Arbeitgeberin des Klägers zu halten, aber auch ohne, dass dieser Mitarbeiter zuvor allfällige Einbauten erkundet hätte.

Schon aufgrund der örtlichen Gegebenheiten war mit dem Vorhandensein diverser Leitungseinbauten zu rechnen und hätten nach dem allgemeinen Stand der Technik vor Beginn der Arbeiten allfällige Einbauten erhoben werden müssen.

Das Berufungsgericht bejahte eine Haftung beider Beklagter.

Rechtliche Beurteilung

1. Zur außerordentlichen Revision der Zweitbeklagten:

1.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs haften juristische Personen deliktisch nicht nur für das Verschulden ihrer Organe, sondern auch für das ihrer Repräsentanten. Dabei kommt es nicht auf die rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht des Tätigwerdenden an. Repräsentant ist jeder, der eine leitende Stellung mit selbständigem Wirkungsbereich innehat, das heißt in verantwortlicher, leitender und überwachender Funktion Tätigkeiten für die juristische Person ausübt (RIS‑Justiz RS0009113 [T16]). So wurde zB auch der eine Straßenbaustelle betreuende bauleitende Ingenieur eines Subunternehmers als Repräsentant angesehen, ebenso der Polier eines Bauunternehmens (RIS‑Justiz RS0009113 [T5, T14]).

Wenn das Berufungsgericht in Anwendung dieser Grundsätze hier den regelmäßig für die Zweitbeklagte tätig werdenden, die Arbeitsanweisungen gebenden Mitarbeiter als deren Repräsentanten einordnete, so hält sich dies im Rahmen der zitierten Rechtsprechung.

1.2. Richtig ist, dass Adressat von Arbeitnehmerschutzvorschriften grundsätzlich der Arbeitgeber ist und die Bestimmungen der Bauarbeiterschutzverordnung unmittelbar nur auf Dienstnehmer abzielen (RIS‑Justiz RS0033462).

Wenn das Berufungsgericht im vorliegenden Fall aber angesichts der regelmäßigen tatsächlichen Arbeitsabwicklung unter Ausschaltung der Arbeitgeberin des Klägers zur Ansicht gelangte, dass durch eine solche Vorgangsweise nicht die Bestimmungen der Bauarbeiterschutzverordnung umgangen werden dürften, weil ansonsten der Arbeitnehmerschutz ins Leere liefe, sind die Ausführungen der außerordentlichen Revision der Zweitbeklagten nicht geeignet, dagegen Bedenken zu erzeugen. Auch dass sich ein Unternehmer durch Beauftragung eines geeigneten Subunternehmers grundsätzlich von seinen Pflichten befreien kann, ändert an der Vertretbarkeit der Meinung des Berufungsgerichts, dass dies im Hinblick auf die hier im Einzelfall gegebenen Arbeitsabläufe nicht der Fall war, nichts.

2. Zur außerordentlichen Revision der Erstbeklagten:

2.1. Die Erstbeklagte stützt die Zulässigkeit ihres Rechtsmittels zusammengefasst darauf, dass § 3 des Elektrotechnikgesetzes (ETG), das vom Berufungsgericht als verletztes Schutzgesetz iSd § 1311 ABGB zur Begründung der Haftung der Erstbeklagten herangezogen wurde, erst am 1. 4. 1993 in Kraft getreten sei. Der zum Unfall führende Schacht sei aber zwischen 1976 und 1992 errichtet worden. Es liege somit die vom Berufungsgericht angenommene Schutzgesetzverletzung nicht vor und fehle außerdem eine Judikatur des Obersten Gerichtshofs, aus der sich ableiten ließe, dass die Bestimmungen des ETG 1992 rückwirkende Kraft auf vor ihrem Inkrafttreten verlegte Elektroleitungen entfalteten.

2.2. Wie die Rechtsmittelwerberin selbst darlegt, hat der Oberste Gerichtshof in 10 Ob 35/06d bereits ausgesprochen, dass es sich bei den Bestimmungen des ETG 1992 um Schutzgesetze iSd § 1311 ABGB handelt (vgl dazu RIS‑Justiz RS0027710).

Sie übersieht in ihrer Argumentation aber, dass mit Inkrafttreten des ETG 1992 das Vorgängergesetz, das ETG 1965 außer Kraft trat. Dieses wurde vom Obersten Gerichtshof aber ebenfalls als Schutzgesetz qualifiziert (vgl 2 Ob 549/85; 1 Ob 307/75 = SZ 48/131). Der Grund für die Schaffung des „neuen“ ETG 1992 war nach den Erläuterungen (806 BlgNR 18. GP 13) in erster Linie die Rechtsanpassung im Zuge des bevorstehenden EG‑Beitritts. Es orientierte sich inhaltlich aber soweit wie möglich am bestehenden ETG (aaO 11). Im Übrigen entspricht auch § 3 Abs 1 erster Satz ETG 1992 vollinhaltlich der Vorgängerbestimmung des § 3 Abs 1 ETG 1965 (10 Ob 35/06d).

Der von der Rechtsmittelwerberin als fehlend monierten höchstgerichtlichen Judikatur zur rückwirkenden Inkraftsetzung des ETG 1992 bedarf es daher nicht.

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